Yves Kleins „Theatre of the Void“ im BOZAR in Brüssel
Botschafter des Blau und der Leere
Yves Klein (1928 – 1962) schuf nicht nur Bilder und Skulpturen, er beeinflusste die Entwicklung der Performancekunst, schrieb Theater- und Musikstücke und er experimentierte radikal mit Architektur. Vor allem aber inszenierte er die „Leere“. Das dokumentiert noch bis zum 8. August 2017 die facettenreiche Ausstellung „Theatre of the Void“ im Brüsseler Palais des Beaux Arts BOZAR, die in Zusammenarbeit mit der Tate Liverpool entstand. Das BOZAR ist bestens erreichbar, denn es liegt in unmittelbarer Nähe des Bahnhof Bruxelles-Midi, an dem die Schnellzüge Thalys und ICE halten. Petra Kammann besuchte die Ausstellung für FeuilletonFrankfurt.
Die Horta-Halle im BOZAR in Brüssel: Von hier aus geht es in die Yves Klein-Ausstellung „Theatre of the Void“. Hier fanden und finden verschiedene Performances im Geiste Yves Kleins statt
Seit Jahrhunderten steht die Farbe Blau für Transzendenz, in der Romantik für die Sehnsucht. Für den traumtänzerischen Künstler Yves Klein repräsentiert sie beides und gleichzeitig auch das einzig Reale. Sein Name ging sogar als Brand in eine normierte Farbe ein: das IKB-Blau, das International Klein Blue. Er ließ sich das strahlende Ultramarinblau patentieren und vom „Institut National de la propriété industrielle“ unter der Nummer 63471 schützen. Die darin enthaltenen Pigmente, hergestellt aus dem seltenen Metall Kobalt, sind fast so teuer wie das kostbare Lapislazuli. In der Industrie werden die Pigmente verwendet, um Glas oder Porzellan blau zu färben – Yves Klein nutzte sie, um daraus Bild-Analogien zum Himmel zu schaffen. Mit seinen großflächigen Monochromen, die so blau sind wie der Himmel über Nizza, irritierte er seine Zeitgenossen und begeisterte Sammler und Kunstkenner.
Blick in die Ausstellung: Überall strahlt das intensive Blau durch
Bekannt in Deutschland wurde der 1928 geborene Südfranzose und Sohn eines Malerehepaars aus Cagnes-sur-Mer, als er 1957 erstmalig in der winzigen Avantgarde-Galerie von Alfred Schmela in der Düsseldorfer Altstadt seine monochromen Bilder ausstellte. Schon bald lernte er dort die Künstler der 1958 gegründeten ZERO-Gruppe (zunächst Otto Piene und Heinz Mack, später Günther Uecker) kennen, die wieder „bei Null“ anfangen wollten und sich deswegen vom Figurativen abgewandt hatten, weil es ideologisch belastet war. Der Architekt Werner Ruhnau wurde auf den „Agent Provocateur“ aufmerksam, und Klein bewarb sich unmittelbar für die künstlerische Ausgestaltung des Musiktheaters im Revier in Gelsenkirchen.
Zuvor, Ende der 40er-Jahre, war Klein ein professioneller Judoka gewesen. Damals schrieb, komponierte und malte er. Durch einen längeren Aufenthalt in Japan kam er mit dem Zen-Buddhismus in Berührung, wo er Judo als „die Entdeckung eines geistigen Raums durch den Körper“ begriff. Wieder zurück in Europa und imprägniert von dieser Lehre, wollte er sich und seine Umgebung für die „Immaterialität“ sensibilisieren, was fortan all sein Tun bestimmte, das Klein mit aller – teils selbstmörderischen – Leidenschaft in Angriff nimmt.
> Kuratorin Isabell Vermote vor dem Foto von Yves Kleins „Sprung in die Leere“ 1960 in Fontenay-aux-Roses, von Harry Shunk (1924 – 2006) und Janós Kender (1938 – 2009)
1955 gründet Yves Klein einen eigenen Judoklub. Im selben Jahr werden seine ersten Monochrome ausgestellt. 1957 lernte er bei seinem Freund Arman, dem französisch / us-amerikanischen Objektkünstler, die Schwester des Künstlers Günther Uecker, Rotraut, als Au-pair-Mädchen kennen. Sie wurde nicht nur zu Kleins engster Mitarbeiterin, sondern am 21. Januar 1962 wurde auch großartig die Hochzeit der beiden zelebriert. Yves Klein stirbt jedoch schon am 6. Juni 1962 an einem Herzanfall und lernt so den gemeinsamen Sohn Yves Armand nicht mehr kennen.
Seine Kunst hatte Klein schon ab 1957 zunehmend entmaterialisiert. Zunächst hatte er in Saint-Germain-des-Prés bei der Galeristin Iris Clert seine eigenen, bis dahin monochromen Werke ausgestellt, welche die Abstraktion in rigoroser Weise immer weiter trieben. Höhepunkt dieser Reduzierungen wurde die Ausstellung unter dem Titel „Le Vide“, „Die Leere“, die Yves Klein dort 1958 präsentierte, indem er den Galerieraum komplett ausräumte und die Wände mit weißer Farbe anstrich. Der leere Raum wurde lediglich mit einem bläulichen Licht ausgeleuchtet. Der Titel der Ausstellung wurde Programm, denn die Besucher erwartete tatsächlich nichts. Drei Minuten lang durften Gäste dieses Nichts erleben, bevor sie wieder nach draußen geschickt wurden. Diese Aktion wurde später Teil der zeitgenössischen Bewegung der Konzeptkunst.
Zum Jahresende 2004 und Jahresbeginn 2005 hatte die Frankfurter Schirn Kleins monochromes minimalistisches Werk in einer großartigen Retrospektive zur Schau gestellt. Nun, 12 Jahre später, ist im Brüsseler Palais des Beaux Arts, im BOZAR, eine Ausstellung unter dem Titel „Yves Klein – Theater of the Void“ zu sehen, die sein bahnbrechendes Œuvre durch bisher ungesehene Meisterwerke und selten ausgestellte visuelle Werke erforscht. Etwa 30 Werke seiner wichtigsten Serien umfasst die Schau, die einen Gesamteindruck seines Schaffens vermitteln soll: von seinen bekannten tiefblauen monochromen Bildern bis hin zu selten gezeigten Filmen und Fotos seiner Performances. Die Ausstellung, das „Theater der Leere“ , das aus der Tate Liverpool nach Brüssel gekommen war, lässt sich hier an den verschiedensten Ausprägungen erleben, denn Klein inszenierte sich und andere auf ganz besondere Weise und löste mit seinen Provokationen die verschiedensten Kunstbewegungen aus.
Die Ausstellung war vorher in der Tate Liverpool zu sehen – Darren Pih, Exhibitions & Displays Curator, sprach über die gute Zusammenarbeit mit dem BOZAR
Wie schon erwähnt, war er nicht ausschließlich für seine ultramarinen Monochrome und den mit Kunstharz auf Leinwand fixierte Farbpigmenten berühmt, welche das getränkte südliche Himmelblau erstrahlen lassen, in Brüssel sehen wir auch verschiedenste andere außergewöhnliche Stücke, darunter seine Schwammreliefs, seine Anthropometrien sowie seine mit dem Flammenwerfer produzierten Feuerbilder mit den Rauchspuren. Wir lernen auch, dass Klein zu Beginn seiner Laufbahn durchaus mit anderen Farben experimentierte und am Ende seines kurzen Lebens zu Monochromen in Gold und Rot zurückkehrte oder dass er in seinen Assemblagen einfarbig blau oder rosa bemalte Schwämme verwendete und in Blau getränkte organisch wirkende Skulpturen aus Schwämmen anfertigte. Einige seiner Bilder setzte er sogar den Naturgewalten wie Regen, Wind und Sonne aus und nannte sie Kosmogonien.
Daneben kann sich der Besucher anhand von alten Schwarz-Weiß-Filmen und Fotos ein Bild des Künstlers machen, der eigentlich gar kein Künstler sein wollte, sondern auf der Suche nach etwas Absolutem war, das er in seiner Beschäftigung mit der Philosophie der Leere und des ZEN erlebt hatte. So war seine spirituelle Erfahrung des Raumes nicht allein durch seine Begeisterung für Judo geprägt worden. Bereits 1949 hatte er „monotone silence“ komponiert, ein Stück, das nur aus einem einzigen Klang, einem zwanzigminütigen ununterbrochenen Akkord besteht, gefolgt von zwanzig Minuten Stille. Das erinnert ein wenig an John Cages Musik.
Isabell Vermote bei der Erläuterung der Filme, die selten gezeigt werden
Die Filme und Fotos geben dem Ganzen ein wenig Zeitkolorit. Sie machen die Figur des stets dandyhaft gekleideten Traumwandlers ebenso wieder lebendig wie seine Zeitgenoss-inn-en im entsprechenden Outfit. In den Filmen lässt sich nachverfolgen, wie damals seine Anthropometrien zustande kamen, nämlich, indem – zu dieser Zeit völlig untypisch – junge Frauen ihre Körper mit Farbe einrieben, und sich dann auf Leinwänden warfen und wälzten, worüber man heute eher schmunzeln mag. Dabei hinterließen sie die berühmt-berüchtigten Abdrücke. Jedenfalls wurden diese spektakulären Aufführungen Ende der 50er, Anfang der 60er Jahre zu Vorläufern der Aktionskunst und der Body-Art.
Deutlich in dieser Schau wird vor allem aber auch noch einmal die Antriebskraft und Unbedingtheit seines Tuns. Auf der Suche nach der Ideen der geistigen Unendlichkeit trieben den spirituellen Künstler Yves Klein zeit seines gerade mal 34-jährigen Lebens an. In einem Foto mit entsprechender Vorgeschichte kommt dies sicher besonders zum Ausdruck: Nachdem Klein sich bei einem ungeschützten Sprung aus dem Fenster die Schulter verletzt hatte, musste er monatelang mit einer Bandage herumlaufen. Bei einem weiteren Versuch ließ er sich dann fotografieren und auf der Straße von Judo-Freunden auffangen. Die Freunde wurden später aus dem Bild wegretuschiert. Das Foto aber zeigt, wie er sich aus einem Fenster auf die Straße stürzt, um wie ein Vogel die Schwerkraft herauszufordern – und zu überleben. Es trägt den Titel: „Der Maler des Raumes stürzt sich in die Leere! “ Seine Frau Rotraud Klein interpretierte es später so, es sei „eine Elevation in dem Sinne, dass man es vermag, die Schwerkraft auf spirituelle Weise zu überwinden“.
Fotos: Petra Kammann