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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Isabel Franke: „Pensées Visibles“ in der Volksbank Dreieich, Neu-Isenburg

Von Esther Erfert

Isabel Franke lebt und arbeitet in Frankfurt am Main und Bad Soden (Ts.) und hat ihr Atelier in den „Heddernheimer Höfen“.

Ihre Kunst unterwirft sich keinen Konventionen und richtet sich nach keinen strengen künstlerischen Regeln. Der Titel der Ausstellung „Pensées visibles“ – sichtbare, bildgewordene Gedanken – lässt den Betrachter erahnen, dass er hier tief in das vielfältige und mehrschichtige Denken einer Künstlerin eintauchen wird. Mythologische, philosophische und politische Themen scheinen in Isabel Frankes Werken auf. Sie setzt sich mit alten wie mit aktuellen Sujets auseinander und bietet dem Betrachter einen Reflexionskosmos, der über das Kunstwerk hinausgeht. Die Interpretation eines Werkes überlässt Franke weitgehend dem Betrachter. Er selbst soll es erkunden und sich seine eigenen Gedanken machen.

Die Denkansätze in dieser Ausführung stellen eine kleine Hilfestellung dar, sie sind aber keine unumstößlichen Interpretationen.

Frankes Techniken variieren und die Bilder und Objekte entstehen oft aus elementaren Materialien wie Wachs, Blei, Sand und Glas, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Diese kombiniert sie mit moderneren „Materialien“ wie Fotografien, digitaler Bildbearbeitung, LED-Technik etc.

„WHAT A SHAME“ PANDORA SAID, 2016, 16mm film, trockenblumen, led, 30 x 30 x 39 cm

In dem Objekt “ ‚What a Shame‘ Pandora Said“ wird Mythologie in die Gegenwart transferiert. Die Aussage ist heute noch genauso aktuell wie in der Antike. Die Büchse der Pandora enthielt, wie die griechische Mythologie überliefert, alle der Menschheit bis dahin unbekannten Übel. Sie entwichen in die Welt, als Pandora die Büchse verbotenerweise öffnete.

Franke bespielt einen gleichseitigen Glaskubus. In ihm befinden sich Filmstreifen. In sich verdreht winden sie sich in undurchschaubaren, nicht nachvollziehbaren Kehren durch den Glaskasten. Zwei vertrocknete Pfingstrosen ragen zwischen den Filmstreifen empor.

Es wirkt wie eine Art modernes Stillleben, das von LED-Licht in Szene gesetzt wird. Eine kleine Bühne, auf der Film und Blumen agieren.

„WHAT A SHAME“ PANDORA SAID, (2017), direktdruck hinter acryl auf alu-dibond, auflage 5, 50 x 50 cm

Viele Menschen leben heutzutage ihr Leben mehr im Fernsehen oder am Computer als im echten Leben. Das Angebot der vielen Fernsehsender „lullt“ sie ein. Sie leben das fiktive Leben der Protagonisten. Während sie diesem „Übel“ folgen, zieht das, was draußen geschieht, an ihnen vorbei. Das eigene Leben verkümmert und vertrocknet wie die zwischen Filmstreifen gefangenen Pfingstrosen. Das Gefühl etwas zu verpassen, das heute so verbreitet ist, beschränkt sich leider nur auf die Serie, nicht aber auf das eigene Leben.

Ergänzend zu den Objekten präsentiert Franke Fotografien derselben. Anhand dieses Beispiels ist es interessant zu beobachten, wie unterschiedlich ein dreidimensionales Objekt in einer zweidimensionalen Fotografie wirkt. In einer Fotografie lenkt und bestimmt der Fotograf den Blick des Betrachters. Der Betrachter kann hinterfragen, er wird aber keine visuellen Antworten bekommen.

In einem anderen Werk begegnen wir Humpty Dumpty. Der vierzeilige, so harmlos anmutende, britische Kinderreim wird von Isabel Franke zeitkritisch betrachtet und behandelt. In einer Übersetzung lautet er:

Humpty Dumpty saß auf dem Eck,
Humpty Dumpty fiel in den Dreck
und auch der König mit seinem Heer,
rettete Humpty Dumpty nicht mehr.

Das kleine menschenähnliche Ei sitzt munter und etwas überheblich auf einer Mauer, fällt herunter und zerbricht in tausend Teile. Keiner kann es mehr zusammensetzen. Es ist unrettbar verloren. Unser deutsches Sprichwort „Hochmut kommt vor dem Fall“ drückt es vielleicht ganz gut aus.

Statt Humpty Dumpty befindet sich ein in Windungen gedrehter NATO-Stacheldraht auf der Mauer. Dieser Draht gibt dem munteren Sprüchlein eine ganz andere Richtung. Die scharfen Klingen des Drahts können etwas abhalten zu kommen oder abhalten zu gehen – er ist eine Art Gefangensein und Abwehr zugleich.

Mit Schlagbuchstaben schlägt Franke den Spruch in das dicke Aquarellpapier. Schon die Art des Arbeitens weist auf Kraft und eine gewisse Rohheit, die sich im Thema wie auch in den orangene und roten Farbpunkten, die hinter der Mauer verschwinden, wiederfinden. Das ist keine „Schönmalerei“ – weder im Sujet noch im Herangehen.

DEMOCRAZY – MUCH ADO ABOUT NOTHING, tusche, schlagbuchstaben, aquarellpapier 78 x 58 cm, auf leinwandrahmen 116 x 75 cm

Der Titel des Werkes ist „Democrazy – Much Ado About Nothing“ – Demokratie – Viel Lärm um nichts. Er bezieht sich im zweiten Teil des Titels auf eine Komödie um Liebe und Intrigen von William Shakespeare. Das Hervorstechendste an dieser Geschichte ist das Spiel mit dem Sein und dem Schein.

DEMOCRAZY, der erste Teil des Titels, in dem sie in einem Wortspiel das Wort „crazy“ – verrückt – einbaut. Gibt es diese Herrschaft des Volkes wirklich oder ist sie eben genau dieser Schein?

PETRISCHALEN – Gesamtansicht von Ausstellung

Im selben Raum sehen wir fünf Petrischalen, die von Glashauben bedeckt sind, wie sie unter anderem in pathologisch-medizinischen Sammlungen verwendet werden. Jede Petrischale birgt ein kleines Objekt. Ergänzend zu dem eben besprochenen Werk, ruht unter einer Haube eine Art Leiter, erschaffen aus einem NATO-Stacheldraht in Miniaturformat. Der Titel „It’s Still a Baby“ mutet niedlich an, doch was einmal geboren wurde und klein angefangen hat, kann zu einer beängstigenden Größe und zu einem Monster heranwachsen. Zynisch könnte man von einem Trend der Zeit sprechen, Mauern, Stacheldraht, Zäune und alles andere Mögliche zu errichten.

Aus „Petrischalen“: (li.) IT’S STILL A BABY (2015), miniatur-natodraht, petrischale glas, glashaube, Ø 23 x 39 cm; (re.) HIMMEL AUF ERDEN (2017), streichhölzer, pigmente, acryl, petrischale glas, glashaube, Ø 23 x 39 cm

Ein Werk, das ich gerne noch besprechen möchte, ist Recreation 1.0.

Die „Hand Gottes“ von Michelangelo, die wir aus dem Fresko „Die Erschaffung Adams“ in der Sixtinischen Kapelle in Rom kennen. Dargestellt wird in diesem Fresko, wie Gottvater mit ausgestrecktem Zeigefinger Adam zum Leben erweckt. Kraftvoll und anmutig streckt er seinen rechten Zeigefinger aus, um auf Adam den Lebensfunken überspringen zu lassen. Die Schöpfung des Menschen in ihrem Ursprung. Michelangelo sah in diesem Bild die Idealform der Darstellung.

Die Künstlerin fotografiert die Hand Gottes, isoliert sie und experimentiert mit ihr.

RECREATION 1.0, 2016, fotofrottage, wachs, auf leinwand, 110 x 80 cm

Der Titel Recreation 1.0 gibt uns einen Anhaltspunkt: Franke übernimmt für die ursprüngliche Schöpfung die Zahl 1.0 und überträgt sie damit in die Terminologie des Internets. Der Titel bedeutet also die Wiederschöpfung der Schöpfung, die sich aber leider nicht so einfach gestaltet. Das Werk stellt das Chaos und die Uneinigkeit dar, mit dem Gott heute zu kämpfen hätte oder hat. Die Welt ist zusammengewachsen und mit dem Internet gibt es, im Denken der Menschen, nicht mehr nur einen Gott für alle. Wenn es überhaupt einen gibt.

Gott selbst muss an diesem heutigen Zustand verzweifeln, seine schaffende Hand wirbelt herum, überschneidet sich, legt sich neben- und übereinander, ist gespiegelt und auf den Kopf gestellt. Wie nach einem aussichtslosen Kampf zerfällt sie nach unten hin in Einzelteile. Es gibt kein Gegenüber mehr wie im Original. Der Lebensfunke wird hier nicht mehr übertragen. Der Gottesfinger dreht sich im wahrsten Sinne des Wortes um sich selbst, sucht in allen Richtungen und kapituliert.

Bei diesem Werk handelt es sich um eine Fotofrottage, eine Technik, bei der mithilfe von Lösungsmitteln ein Foto transferiert wird. Das übertragene Bild wird etwas diffuser und verliert an Schärfe. Es wird danach mit heißem Wachs überzogen. Dadurch entsteht eine mattschimmernde, belebte Struktur der Oberfläche. Hier, wie in vielen anderen Ihrer Werke, lehnt sich Franke an die alte Technik der Enkaustik an, die schon die Ägypter bei den Mumienportraits anwandten, und überträgt sie in die heutige Zeit.

LES NUAGES SUR BABYLON, LES ARBRES À BERLIN, 2012, mouse protocol, inking pen auf japanpapier, 62 x 100 cm (o.R.)

Die Vielfalt der Techniken und die kritische Auseinandersetzung mit unserer Zeit machen Isabel Frankes Arbeiten so spannend für uns. Es sind Themen, die uns alle angehen und mit denen wir täglich konfrontiert werden. Die Freiheit der Künstler, Gefühle offen oder versteckt, ironisch oder zynisch darzustellen, erleichtert dem Betrachter manchmal den Zugang zu diesen. Es ist nicht die harte „Keule der Realität“, die hier zuschlägt, sondern die feine ausbalancierte Bildsprache einer Künstlerin, die vermitteln und aufmerksam machen möchte. Hier dient das Werk als eine Art Vermittler einer wahren Geschichte. Dies ist oft wirksamer als die nackte harte Wirklichkeit, vor der wir manchmal einfach nur die Augen verschließen wollen.

Die Austellung in der Volksbank Dreieich, Neu-Isenburg ist bis 2. Juli 2017 zu sehen.

Abgebildete Werke/Fotografien © Isabel Franke

 

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