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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Frankfurter Küchen: Auf den Spuren der Grünen Soße

Anregungen für einen Osterspaziergang:

Raus aus der Küche, rein in die Küche.
Zwischen Dichtern und Architekten liegen vor dem Tor die Felder und dazwischen der Wochenmarkt

Von Petra Kammann

„Frankfurt stickt voller Merkwürdigkeiten“ konstatierte der große Sohn der Stadt Frankfurt, Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832), den es nicht allzu lange im Haus der Familie am Großen Hirschgraben hielt. In den Xenien schrieb er über seine Eltern: „Vom Vater hab ich die Statur, / Des Lebens ernstes Führen, / Vom Mütterchen die Frohnatur / Und Lust zu fabulieren.“ Ab 1775 lebte er in Weimar, setzte aber seiner Heimatstadt Frankfurt in der autobiographischen Schrift „Dichtung und Wahrheit“ ein wunderbares Denkmal. Seine Mutter, Catharina Elisabeth Textor, später Frau Rath Goethe, konnte nicht nur bravourös Geschichten erzählen, sie war auch eine begnadete Briefeschreiberin …

Frau Ajas Küche im Frankfurter Goethe-Haus© Freies Deutsches Hochstift / Frankfurter Goethe-Museum /  Foto: www.einfallsreich.net

Wie auch immer – alljährlich in der Osterzeit wird auch heute noch Goethes gedacht, nicht zuletzt der Verse wegen, die er im Ersten Teil seiner Faust-Tragödie den Helden auf seinem „Osterspaziergang“ sprechen lässt, was durchaus auch immer wieder parodiert wurde: „Vom Eise befreit sind Strom und Bäche …“ In der Szene „Vor dem Tor“, die Nacht ist vorbei! sehen wir dabei Faust nicht mehr in seinem Studierzimmer als einsamen Gelehrten, sondern als respektierten Bürger der Reichsstadt.

Vor dem Tor

Vom Eise befreit sind Strom und Bäche
Durch des Frühlings holden, belebenden Blick,
Im Tale grünet Hoffnungsglück;
Der alte Winter, in seiner Schwäche,
Zog sich in rauhe Berge zurück.
Von dort her sendet er, fliehend, nur
Ohnmächtige Schauer körnigen Eises
In Streifen über die grünende Flur.
Aber die Sonne duldet kein Weißes,
Überall regt sich Bildung und Streben,
Alles will sie mit Farben beleben;
Doch an Blumen fehlts im Revier,
Sie nimmt geputzte Menschen dafür.
Kehre dich um, von diesen Höhen
Nach der Stadt zurück zu sehen!
Aus dem hohlen finstern Tor
Dringt ein buntes Gewimmel hervor.
Jeder sonnt sich heute so gern.
Sie feiern die Auferstehung des Herrn,
Denn sie sind selber auferstanden:
Aus niedriger Häuser dumpfen Gemächern,
Aus Handwerks- und Gewerbesbanden,
Aus dem Druck von Giebeln und Dächern,
Aus der Straßen quetschender Enge,
Aus der Kirchen ehrwürdiger Nacht
Sind sie alle ans Licht gebracht.
Sieh nur, sieh! wie behend sich die Menge
Durch die Gärten und Felder zerschlägt,
Wie der Fluß in Breit und Länge
So manchen lustigen Nachen bewegt,
Und, bis zum Sinken überladen,
Entfernt sich dieser letzte Kahn.
Selbst von des Berges fernen Pfaden
Blinken uns farbige Kleider an.
Ich höre schon des Dorfs Getümmel,
Hier ist des Volkes wahrer Himmel,
Zufrieden jauchzet groß und klein:
Hier bin ich Mensch, hier darf ichs sein!

(Johann Wolfgang von Goethe, Faust I)

Nach der Osternacht verspürt der so grüblerische Melancholiker und Außenseiter wieder neue Lebensenergie, die dem frühlingshaften Naturgeschehen und der religiösen Auferstehungsüberzeugung entspricht. In diese Szene hat der Dichter den legendären „Osterspaziergang“ eingebettet. Der darin auftauchende Pudel entpuppt sich dann als Mephisto, welcher Faust in Versuchung führt.

Sinnenfreudig und empfänglich für Versuchungen aller Art war der vielfachbegabte Goethe ebenso. Und da er zudem auch gerne speiste und trank, dichtete man seiner Mutter an, sie habe sein Lieblingsgericht, die „Grie‘ Soß“ erfunden, die traditionell in Frankfurt vor und zu Ostern gegessen wurde. Am Gründonnerstag wurde sie zu Fisch oder Eiern gereicht und beim Osterfeste dann zu gekochtem Rindfleisch.

Aus dem Leben von Frau Rath Goethe, der Mutter des Dichters, mit Spitznamen auch „Frau Aja“ genannt, die zu einer der populärsten Frankfurterinnen des 18. Jahrhunderts zählte, ist so manches überliefert, das ähnlich wie bei Goethe selbst zwischen Dichtung und Wahrheit mäandert, so eben wohl auch die „authentischen Rezepte der Frau Aja“.

Räumen wir also mit dem festverankerten Vorurteil auf. Nicht Frau Aja hat die berühmte „Grüne Soße“ erfunden. Denn sie war viel mehr an den Künsten als am Haushalt interessiert. Darauf machte uns vor einigen Jahren eine Ausstellung über Goethes Mutter: „Catharina Elisabeth Goethe (1731-1808)“ im Goethe-Museum aufmerksam.

Vielmehr waren es wohl schon viel früher die Römer und um 1700 italienische Händler, die ihre „salsa verde“ in die Messestadt am Main eingeführt hatten, und erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde das frische Frühlingsgericht zum Frankfurter Nationalgericht. Mag die italienischstämmige und mit Frau Rath Goethe befreundete Bettina Brentano, welche Goethes Mutter häufig besuchte, auch an den Legenden mitgestrickt haben …

Jana Schulz auf dem Bockenheimer Markt überprüft die Zusammenstellung der Kräuter für die „Grie Soß“

Wie auch immer. Die Frau Aja angedichtete „Grüne Soße“ hat sich bis auf den heutigen Tag als Traditionsgericht erhalten mit ihrer „klassischen“ Zusammensetzung aus den sieben Frühjahrskräutern: Petersilie, Kerbel, Borretsch, Pimpinelle, Kresse, Schnittlauch und Sauerampfer, die auf jeden Fall dahineingehören.

Und natürlich sprießt auch in diesem Frühjahr wieder in Oberrad oder Nieder-Erlenbach ihr frisches Grün und strahlt uns auf den einschlägigen Frankfurter Wochenmärkten von Bockenheim bis Bornheim entgegen. Aber inzwischen findet man Kräuterpakete auch bestens sortiert und eingepackt an den Gemüseständen auf dem Markt. Diese besondere berühmte Kräutermischung ist so beliebt, dass die Saison in Frankfurt verlängert wurde und weiter bis in den Mai hineinreicht, wo dann das Grüne Soßen-Festival stattfindet.

Auch wenn so manche(r) nun entäuscht sein mag, dass die Mähr von der „Grie Soß“ entzaubert wurde, so ist die Küche der Frau Aja, die wir aus dem Goethe-Haus im Großen Hirschgraben kennen, eindrucksvoll und trotz der Baustelle wegen des entstehenden Romantik-Museums einen Besuch wert. Und wenn die blitzgescheite, witzige und bodenständige Mutter Goethes auch nicht selbst in der Küche hantierte, so bestellte sie doch bestens ihr Haus. Leidenschaft entwickelte die stolze Bürgertochter beim Lesen, Fabulieren und für das Theater, weswegen in der zweiten Jahrhunderthälfte in Frankfurt auch die Elisabethenschule nach ihr benannt wurde.

Das führt uns von Frau Aja weiter ins 20. Jahrhunderts, in die Zeit der Weimarer Republik, und mitten hinein in die Römerstadt in eine völlig andere Frankfurter Küche, für die eine ähnlich tatkräftige und hochbegabte Frau, nämlich Margarete Schütte-Lihotzky (1897–2000) verantwortlich zeichnet. Wer aber erbaute die Römerstadt ?

Die Frankfurter Küche im Ernst-May-Haus in der Römerstadt

Nicht etwa die Römer, wenngleich schon römische Legionäre auf dem Gelände an der Nidda Kastelle errichtet hatten. Entstanden ist sie zwischen 1927 und 1929 auf einem Ackerfeld, auf dem sie als Trabantenstadt des gemeinnützigen Wohnungsbaus vom damaligen Baustadtrat Ernst May entworfen und gebaut wurde. Die dort entstandene Siedlung wurde wegweisend für das Neue Frankfurt mit seinen kubischen, konsequent modernen, durchrationalisierten, an die Landschaft angepassten Zweckbauten, die auf neue soziale Schichten zugeschnitten waren.

Dafür entwarf die Wiener Architektin Schütte-Lihotzky, die Ernst May 1926 eigens nach Frankfurt geholt hatte, die sogenannte Frankfurter Küche. Das Credo der für ihre Zeit so emanzipierten Frau, die sich für den sozialen Wohnungsbau engagiert hatte, über die Bedürfnisse der berufstätigen Frau lautete: „Das Problem, die Arbeit der Hausfrau rationeller zu gestalten, ist fast für alle Schichten der Bevölkerung von gleicher Wichtigkeit. Sowohl die Frauen des Mittelstandes, die vielfach ohne irgendwelche Hilfe im Haus wirtschaften, als auch Frauen des Arbeiterstandes, die häufig noch anderer Berufsarbeit nachgehen müssen, sind so überlastet, daß ihre Überarbeitung auf die Dauer nicht ohne Folgen für die gesamte Volksgesundheit bleiben kann.“

So stellte sich Schütte-Lihotzky die Frage, wie man für berufstätige Frauen eine Küche so auszustatten hatte, dass effektives Arbeiten auf kleinstem Raum ermöglicht wird, und so entwickelte sie dann ganz systematisch die erste Einbauküche, in der alles griffbereit, sachlich, schnörkellos und effizient gestaltet wurde. Das überzeugende Resultat wurde dann serienmäßig in Ernst Mays Reihenhäusern in Praunheim, in Ginnheim und auch in anderen neuen Wohnsiedlungen eingebaut.

Im schlicht nach einem Farbkonzept gestalteten und originalgetreu rekonstruierten Ernst-May-Haus im Burgfeld 136 in der Römerstadt kann man das noch einmal nachvollziehen. Jedes der 1200 geplanten Häuser hatte außerdem eine für die damalige Zeit innovative Haustechnik mit Drehstrom, Warmwasserbereitung für das Bad und einer Einbauküche auf kleinstem Raum mit integriertem Bügelbrett. Selbst die farbliche Innengestaltung hatte ihren Zweck. So sollte der blaue Anstrich in der Küche die lästigen Fliegen vertreiben.

Und außerdem lagen hinter den Siedlungshäusern kleine Gärten, in denen Gemüse zur Selbstversorgung angebaut werden konnte. Das Besondere an der Römerstadt: Für Menschen, die auf den sozialen Wohnunsbau angewiesen waren, stellten die Gartenstädte eine wunderbare Verbindung von Stadt und Natur dar, die ihnen im Alltag nicht nur Licht, Luft und Sonne bescherten. Unbeschwert konnten sie von dort aus an die Nidda laufen. Und nicht zuletzt konnten in den Gärten auch die sieben Kräuter der „Grünen Soße“ überleben, die dann anschließend auf der Arbeitsplatte in der Küche gehackt wurden.

Und wie halten Sie es in Ihrer Küche? Da wünschen wir Ihnen jedenfalls auch ein frohes Osterfest. Genießen Sie die Natur in der Stadt mit grünen frischen Kräutern und draußen mit blühenden Apfelbäumen …

Fotos (soweit nicht anders angegeben): Petra Kammann

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