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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Füsslis Nachtmahr. Traum und Wahnsinn“ im Frankfurter Goethe-Museum

Sublime Lust am Schrecken

Von Hans-Bernd Heier

„Der Nachtmahr“ ist Johann Heinrich Füsslis berühmtestes Gemälde. Von dieser Ikone der Schauerromantik hat der Schweizer Maler drei Fassungen gefertigt. Als die erste Fassung von 1781 in seiner Wahlheimat England in der Royal Academy London gezeigt wurde, löste das Bild, in dem Grauen und unverhüllte Erotik aufeinandertreffen, zunächst einen handfesten Skandal aus. Aber die Ausstellung brachte dem „wild Swiss“ auch einen Sensationserfolg ein.

Johann Heinrich Füssli: „Der Nachtmahr“, Öl auf Leinwand, 1790/91; Freies Deutsches Hochstift / Frankfurter Goethe-Museum; Foto: David Hall

„Der Nachtmahr“ von 1790/91 (2. Fassung) ist ein Glanzstück des Frankfurter Goethe-Museums und laut Dr. Petra Maisak, der ehemaligen Museumsleiterin, „die beste Fassung“. Auf dem rätselhaften Bild ist eine lasziv hingestreckte, schlafende Schöne mit weißem anschmiegsamen Gewand zu sehen, auf deren Brustkorb ein affenartiger Kobold sitzt, und im Hintergrund ein wilder Schimmel mit großen stechenden Augen, aufgeblähten Nüstern und wehender Mähne. Dieses unheimliche, packende Bild steht im Zentrum der Schau im Goethe-Museum, die sich mit dem Thema „Traum und Wahnsinn“, der Nachtseite der Psyche, widmet. Der belesene Füssli verbindet in dem „Nachtmahr“ Motive aus Kunst, Literatur, Mythos, Volksglauben und Medizin mit eigenen Obsessionen. „So wird die bizarre Figuration zu einer zeitlosen Projektionsfläche für Alptraum, Vision, Erotik, Schauer und Wahn. Bis heute ist die Faszinationskraft des Bildes ungebrochen“, betont Mit-Kuratorin Maisak. Die Darstellung der von einem abscheulichen Alptraum geplagten Schönen hat ungezählte Reaktionen in der Kunstwelt ausgelöst.

Johann Heinrich Füssli „Schlafende und Amor“, Kaltnadelradierung, 1780–1790; Zentralbibliothek Zürich, Graphische Sammlung und Fotoarchiv

Johann Heinrich Füssli wird am 6. Februar 1741 in Zürich als Sohn des Malers und Kunstgelehrten Johann Caspar Füssli geboren. Wegen eines Pamphlets gegen den despotischen Landvogt Grebel wird er 1762 aus Zürich verbannt. Der junge Emigrant lebt zunächst in London und ist schriftstellerisch tätig. Unterstützt von Joshua Reynolds beginnt er eine künstlerische Ausbildung, die er in Italien fortsetzt. Denn Füssli wollte „ein Maler sein, wenn ich kann, weil es das stärkste Mittel in meiner Gewalt ist“. 1779 kehrt er endgültig nach London zurück. Dort erobert er als Henry Fuseli recht bald einen Platz in der englischen Kunst- und Geisteswelt, die seine dramatischen und phantastischen Sujets schätzt. Die sublime „Lust am Schrecken“ wird zu seinem Markenzeichen. Der Hang zur dämonischen und erotischen Stilisierung der Bilder bleibt auch im Spätwerk des unkonventionellen Künstlers erhalten. 1788 heiratet er Sophia Rawlins, die zum wichtigsten Modell seiner extravaganten Frauenbilder wird. Seit 1799 wirkt Füssli als Professor of Painting an der Royal Academy. Am 16. April 1825 stirbt der hochgeachtete Künstler in Putney Hill bei London und wird in der Saint Paul’s Cathedral neben Sir Joshua Reynolds beigesetzt.

Johann Heinrich Füssli „ Die wahnsinnige Kate“, Öl auf Leinwand, 1806/07; Freies Deutsches Hochstift / Frankfurter Goethe-Museum; Foto: Ursula Edelmann

Die Darstellung von Träumen und Visionen durchzieht das gesamte Werk Füsslis. Mehr als jeder andere Künstler seiner Epoche versucht der produktive Füssli, das Phänomen des Traums in all seinen Erscheinungsformen auszuloten. Denn er war überzeugt, dass der Traum zu den am wenigsten erforschten Bereichen der Kunst gehöre. Er bevölkert den nächtlichen Grenzbereich, den die Traumfee Queen Mab beherrscht, mit Dämonen und Elfen und lässt die Schlafenden im Traum Lust oder Schrecken erleben. Die Traumfee Queen Mab ist ein literarisch inspirierter Gegenentwurf zum Nachtmahr. „Es sind kalkulierte Affekte, denn Füssli legt fast allen seinen Traumbildern literarische Anregungen zugrunde: Unter der Maske der Dichtung wird das Irrationale und Spukhafte, das die Aufklärung verbannt hat, zum bildwürdigen Thema“, so Dr. Mareike Hennig, Leiterin des Goethe-Museums und der Kunstsammlungen.

Johann Heinrich Füssli „Queen Mab“, 1814, Öl auf Leinwand; Dauerleihgabe der Sturzenegger-Stiftung; Museum zu Allerheiligen, Schaffhausen

Als Goethe Füsslis „Nachtmahr“ sah, stellte er ergriffen fest: „Was für eine Glut und Ingrimm in dem Menschen ist!“ Goethes Reaktion auf das Werk eines der renommiertesten und schillerndsten Maler der Romantik verbindet Faszination mit Erschrecken. Diese zwiespältigen Gefühle, die das wirkmächtige Gemälde beim Betrachter auslöst, stellten sich nicht nur bei dem Dichterfürsten ein, sondern auch bei vielen Kunstschaffenden aller Gattungen, die das Bild ebenso fesselte und die sich künstlerisch mit dem Topos auseinandersetzten – angefangen von Malern, Literaten bis hin zu Musikern und Filmregisseuren.

Johann Heinrich Füssli „Der Alp verlässt das Lager zweier schlafender Frauen“, 1810, Bleistift, laviert und aquarelliert; Kunsthaus Zürich, Grafische Sammlung

Erstmals beleuchtet das Goethe-Museum anhand von mehr als 150 Exponaten – Gemälden, Zeichnungen, Graphiken, Büchern und Filmen – die Entstehungsgeschichte des Bildes und sein Nachbeben durch die Rezeption in den unterschiedlichsten Medien. Von Füsslis „Nachtmahr“ schlagen die Kuratoren Prof. Werner Busch und Petra Maisak den Bogen zur Schauerromantik, zu Polidoris „The Vampyre“, Mary Shelleys „Frankenstein“, Nodiers „Smarra“, E.T.A. Hoffmanns „Sandmann“ oder Maupassants „Horla“. Auch viele bildende Künstler ließen sich von der geheimnisvollen Atmosphäre inspirieren, wie Eugène Delacroix, Max Klinger, Alfred Kubin und Edvard Munch. Für die Auseinandersetzung der Moderne mit Füssli steht insbesondere Horst Janssens Radierungsfolge „Alp“. Die cineastische Adaption dokumentieren Filmausschnitte von Murnaus „Nosferatu“ bis hin zum „Nachtmahr“ von Akiz (2015).

Eugène Delacroix: „Der Vampir“ (Ausschnitt), 1825, Öl auf Leinwand; Privatbesitz

Vom Schauerlichen zum Komischen ist es oft nur ein kleiner Schritt. Es erstaunt deshalb nicht, dass Karikaturisten das groteske Potenzial des „Nachtmahrs“ schon früh für sich entdeckt und zur Vorlage für satirische Blätter gemacht haben. Die berühmtesten Karikaturisten der Zeit – Thomas Rowlandson, James Gillray, Richard Newton und George Cruikshank – stürzten sich geradezu auf das „Skandalbild“ und gewannen ihm die verschiedensten Aspekte ab, wie die ausgestellten satirischen Arbeiten belegen. Ein Großteil stammt aus dem „Wilhelm Busch – Deutsches Museum für Karikatur und Zeichenkunst“ in Hannover, dem Kooperationspartner der Ausstellung. Die großartige Schau ist bis zum 18. Juni 2017 im Goethe-Museum zu sehen und anschließend vom 22. Juli bis zum 15. Oktober 2017 in Hannover.

Thomas Rowlandson „Dutch Night-Mare or the Fraternal Hug returned with a Dutch Squeese“, Radierung, 1813; Wilhelm Busch – Deutsches Museum für Karikatur und Zeichenkunst; Dauerleihgabe der Stiftung Niedersachsen

Die aufwendige Präsentation wird gefördert durch: Kulturstiftung der Länder, Kulturfonds Frankfurt RheinMain, Rudolf-August Oetker-Stiftung, Ernst von Siemens Kunststiftung, Stiftung Flughafen Frankfurt/Main für die Region, Pro Helvetia Schweizer Kulturstiftung, Sparkassen Kulturstiftung Hessen-Thüringen, Stiftung der Frankfurter Sparkasse und den Arbeitskreis selbständiger Kultur-Institute e.V. (AsKI).

Zur Ausstellung ist ein exzellenter Begleitkatalog im Großformat erschienen.

„Füsslis Nachtmahr – Traum und Wahnsinn“, Goethe-Museum, bis 18. Juni 2017

Bildnachweis: Goethe-Museum Frankfurt am Main

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