8. Internationaler Dirigentenwettbewerb Sir Georg Solti in der Alten Oper Frankfurt
Spannendes Halbfinale, spannendes Finale
Von Renate Feyerbacher
Drei der zehn Halbfinal-Teilnehmer, darunter eine Frau, konnten sich für das Finale in der Alten Oper Frankfurt im Februar 2017 qualifizieren. Bereits hoch war das Niveau dieser Vorrunde in der Oberurseler Stadthalle, aber die Favoriten liessen sich bereits vermuten. Der Gewinner des Finales und des Publikumspreises ist der russische Dirigent Valentin Uryupin. Bereits beim Halbfinale geht der geschätzt Zwei-Meter-Mann gelassen an seine Aufgabe heran, schiebt das Dirigentenpult beiseite und begrüsst alle freundlich. Der 16jährigen Solistin Anna Luisa Kramb, die an der hiesigen Musikhochschule und der Kronberg Akademie studiert und in diesem Jahr das Abitur ablegt, ist er immer wieder zugewandt: Fünf Mal muss sie Ausschnitte aus dem Violinkonzert von Jean Sibelius spielen. Uryupin gibt dem Orchester die kürzesten Anweisungen und schliesst vor der Zeit, die ihm gegeben wurde. Souverän. Fast das gleiche Ritual folgt dann beim Finale in der Alten Oper.
Valentin Uryupin, Gewinner des 8. Dirigentenwettbewerbs Sir Georg Solti; Foto: Tibor Pluto, Solti Wettbewerb
Alle zwei Jahre findet der Solti-Dirigentenwettbewerb statt, der mittlerweile ein grosses Ansehen hat, was die Karrieren der früheren Finalisten bestätigt. Den Vorsitz der hochkarätig besetzten Jury beim öffentlichen Finalkonzert hatte Lady Valerie Solti, die Witwe des 1997 verstorbenen Dirigenten Georg Solti, der von 1952 bis 1961 Generalmusikdirektor in Frankfurt am Main war und diese Zeit als „überaus glücklich und künstlerisch fruchtbar“ bezeichnet hatte. Das ist auch der Grund, warum Lady Solti gerne hier in der Stadt weilt und die Schirmherrschaft für den von Karl Rarichs 2002 initiierten Dirigentenwettbewerb übernahm. Valerie Solti, in den 1950er Jahren eine bekannte Kultur-Moderatorin bei der BBC (damals mit Namen Valerie Pitts), konnte die letzten Male zum Wettbewerb aus gesundheitlichen Gründen nicht anreisen. Nun aber war sie wieder dabei und steckte alle mit ihrer herzlichen Art, ihrer Natürlichkeit, ihrer Offenheit an. Sie lobte die hohe Qualität der jungen Dirigenten und des hr-Sinfonieorchesters, das diesmal das Abschlusskonzert übernommen hatte (letzteres geschieht abwechselnd mit dem Frankfurter Opern- und Museumorchester, das in diesem Jahr die Vorrunden begleitete).
Ihr Mann wäre sicher von diesen jungen Dirigenten begeistert gewesen. Von sich selbst hatte sie in einem Interview vor einigen Monaten in England gesagt: „I was a sort of musical idiot but Georg showed me orchestral gems“.
(v.l.) Valentin Uryupin (1. Preis), Wilson Ng (2. Preis, hier mit Bonnie Ng Cho Ying) und Farkhad Khudyev (3. Preis); Fotos: Renate Feyerbacher
Die drei Finalisten hatten im Finale „La Valse“ von Maurice Ravel zu dirigieren. Der in der UIkraine geborene Russe Valentin Uryupin hatte das beste Taktgefühl für diese schwierig-schöne Komposition. Zuvor hatte er die Aufgabe, den „Zauberlehrling“ von Paul Dukas zu interpretieren und als Preisdirigat „Pomp and Circunmstance March No.1“ von Edward Elgar. Etwas Londoner Proms-Stimmung kam auf. Schon im Halbfinale dirigierte Uryupin meist ohne Taktstock. Beim Finalkonzert flog dieser plötzlich in hohem Bogen ins Publikum. Er soll auf einem prominenten Schoss gelandet sein. Das beeinflusste weder die Entscheidung der Jury noch des Publikums, das ihm ebenfalls seinen Preis, ein Original-Dirigentenstab von Georg Solti, zuerkannte. Den darf er aber nicht fortfliegen lassen.
2016 erreichte Uryupin bereits den 3. Platz im Gustav-Mahler-Dirigentenwettbewerb in Bamberg, ein Jahr zuvor gewann er den Allrussischen Dirigentenwettbewerb und übernahm die künstlerische Leitung des Philharmonischen Orchesters Rostov am Don. Er gastiert heute europaweit. Der 31 Jahre alte Dirigent schloss zunächst sein Musikstudium als Klarinettist 2009 ab und gewann mit diesem Instrument 25 Preise bei internationalen Wettbewerben. Drei Jahre später hatte er in Moskau seinen Dirigenten-Abschluss bestanden. Seine Lehrer waren unter anderem Gennady Rozhdestvensky und Kurt Masur. Seine grosse Musikalität ist zu spüren und reisst mit, seine Ausstrahlungskraft fesselt, sein musikalisches Handwerk überzeugt. Präzise und klar ist sein Schlag. Ausser der Prämie von 15.000 Euro gibt es nun Einladungen der beiden beteiligten Klangkörper und anderer renommierter Orchester. Gleiches betrifft auch den 2. und 3. Preisträger, die 10.000 beziehungsweise 5.000 Euro mit nach Hause nehmen konnten.
Der zweite Preisträger kommt aus Hong Kong. Der 27jährige Wilson Ng wechselte erst vor drei Jahren von der Flöte zum Dirigieren und gewann 2016 als erster Chinese den bedeutenden James Conlon Conductor Prize im amerikanischen Aspen – benannt nach dem renommierten amerikanischen Dirigenten, der 13 Jahre lang, von 1989 bis 2002, Generalmusikdirektor des Gürzenich Orchesters und der Kölner Oper war. Übrigens arbeitete Hugh Wolff, der ehemalige Chefdirigent des hr-Sinfonieorchesters, in Aspen mit Wilson Ng zusammen. Seit Beginn seiner Dirigentenkarriere konzertiert er mit internationalen Spitzen-Orchestern und ist künstlerischer Leiter und Chefdirigent des Gustav Mahler Orchestra in Hong Kong. Auch er ein charismatischer, musikalisch-handwerklich sehr gut geschulter Orchester-Leiter.
Zugeteilt worden war ihm die Konzertouvertüre „Le Carnaval Romain“ von Hector Berlioz, die er fulminant präsentierte.
Auf den dritten Platz kam Farkhad Khudyev aus den USA. Der ursprünglich aus Turkmenistan stammende Dirigent studierte zunächst Geige und Komposition. Von weltberühmten Lehrern geschult ist er heute international engagiert und künstlerischer Leiter der Youth Music Monterey Orchestras. Romantisch-grazil, dann sich steigernd gestaltete er die Ouvertüre zur Oper „Oberon“ von Carl Maria von Weber. Beim Walzer von Ravel brauchte er etwas Zeit, um richtig in Schwung zu kommen.
Lady Valerie Solti gratuliert Wettbewerbssieger Valentin Uryupin; Foto: Tibor Pluto, Solti Wettbewerb
293 Bewerber aus 58 Ländern im Alter zwischen 19 und 35 Jahren hatten sich zum diesjährigen Wettbewerb angemeldet, darunter 39 Frauen, von denen drei zur Teilnahme am 8. Wettbewerb zugelassen wurden: die Italienerin Daniela Musca, die unter die letzten zehn Teilnehmer kam, die Russin Anna Rakitina und die Deutsche Corinna Niemeyer. Mit ihr kam ich beim Halbfinale in Oberursel ins Gespräch. Seit ihren Preisen in Paris und Tokio wird sie von grossen Klangkörpern eingeladen. Heute ist sie künstlerische Leiterin und Dirigentin der Studentenorchester von Straßburg und Paris, wo sie nun auch zusätzlich ein Kinderorchester übernommen hat. Bis 2016 assistierte sie François-Xavier Roth beim SWR-Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg, das mit dem Radio Sinfonieorchester fusionieren musste. Seit zwei Jahren ist der Franzose Generalmusikdirektor der Stadt Köln und Gürzenich-Kapellmeister, und Corinna Niemeyer wird ihm bei der Neuproduktion von Mozarts „Figaros Hochzeit“ in Köln erneut assistieren und zweimal selbst im Mai den Taktstock in die Hand nehmen. Der ungarische Dirigent Ivan Fischer lud sie vor kurzem zur Assistenz ins Berliner Konzerthaus ein. Die junge, sympathische Frau, die zuerst Schulmusik studierte, wurde für ihre Kinder- und Familienkonzerte, die sie selbst moderiert, gefeiert. Sie wird ihren Weg machen.
Zum Final-Konzert war Corinna Niemeyer in die Alte Oper gekommen. Danach war es wie eine grosse Solti-Famileinfeier: die Finalisten und sie umstanden Lady Solti, deren Ausführungen sie intensiv lauschten.
Es war musikalisch, aber auch gesellschaftlich ein aussergewöhnliches Ereignis.
Fotos: Renate Feyerbacher
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