„Rigoletto“ von Giuseppe Verdi an der Oper Frankfurt
Ein Narr in der Welt des Irrsinns, bewohnt von Elenden –
Gilda, zur Madonna stilisiert
Von Renate Feyerbacher
Fotos: Monika Rittershaus / Oper Frankfurt und Renate Feyerbacher
„Rigoletto“, ein Renner auf den Opernbühnen, hatte am 19. März 2017 an der Oper Frankfurt eine umjubelte Premiere – durchsetzt durch einige Buhrufe für das Regieteam.
Bei der Ouvertüre kniet Rigoletto auf einer Betbank vor einem kleinen Hausaltar. Massig mit wuchtigem Umhang und tiaraförmiger Narrenkappe. Er steht auf, nimmt das Marien-Bild aus dem vor ihm stehenden Rahmen und verspeist es. Masslosigkeit und Herrschaftsanspruch sind spürbar. Dramaturg Zsolt Horpácsy nennt Rigoletto einen „Beauftragten Gottes“, und für Regisseur Hendrik Müller ist er ein „selbsternannter Mann der Kirche“ (Oper extra). Arrigo Boito, Komponist und Librettist, bezeichnet seinen Freund Giuseppe Verdi als grossen Christen „im idealen, moralischen und sozialen Sinn“, nicht aber „im strengen Wortsinn theologischer Hinsicht als Katholik“ (Zitat Programmheft).
Dieser Sicht ist das kathedrale Bühnenbild geschuldet, das gleichzeitig die Mauer um den Herzogpalast bedeutet und durch das Lichtspiel von Jan Hartmann verändert wird. Käfigähnliche „Aufzüge“ rechts und links bewegen sich auf und ab und transportieren sowohl den Herzog als auch die weiblichen Opfer. Es bleibt nicht bei dem Einheitsbühnenbild, das Bühnenbildner Rifail Ajdarpasic ablehnt. In einer Sackgasse liegt Rigolettos Wohnung, wo er seine Tochter Gilda versteckt hält, bewacht von einer verräterischen Gouvernante (Nina Tarandek). Das Wohnungs-Plateau schwebt in das kathedrale Bühnenbild hinein, hat grosse gläserne Flügeltüren, die aufklappbar sind. Gilda steht zunächst die Hände an die Scheiben gepresst und blickt nach draussen. Ein starkes Bild ihres Gefangenseins. Als der Vater erscheint, wird eine Treppe herabgelassen und wieder hochgezogen. Später gelangen der vermeintliche Student alias Herzog und die Entführer über eine eilig herangeschobene Wendeltreppe in Rigolettos Wohnung. An diesem Vorgängen haben sich nach der Aufführung einige Kritiker gestört – dennoch ist das eine Lösung. Auch das christliche Stilleben verstörte und lenkte von Rigolettos starkem Auftritt ab.
oben v.l.n.r. Nina Tarandek (Giovanna) und Brenda Rae (Gilda), vorne v.l.n.r. Iurii Samoilov (Marullo), Mikołaj Trabka (Ceprano), Michael McCown (Borsa) und Quinn Kelsey (Rigoletto) sowie im Hintergrund Ensemble; Foto © Monika Rittershaus
Die schulterbetonten Kostüme von Katharina Weissenborn charakterisieren die martialische Männerwelt, die sich brutal gebärdet. „Ein Stuhl und ein Mensch haben den gleichen Wert“ (Hendrik Müller). Rigolettos Auftritt am Hof des Herzogs steht der Brutalität in nichts nach: „Wir sind gleich. Ich habe die Zunge, er den Dolch“ („Pari siamo …“), erkennt er am Ende der ersten Begegnung mit dem Mörder Sparafucile. Wie verwandelt gibt er sich dann vor seinem Haus in der Sackgasse und in der Wohnung mit Gilda.
Sofort ist aber zu merken, dass Vater und Tochter uneins sind. Gilda kennt nicht den Namen des Vaters, ihn zu erfahren, erbittet sie umsonst. Liebt er sie wirklich oder ist er nur auf die Ehre des Kindes bedacht „Vor nichts auf der Welt fürchtet sich der Mann, wenn er die Ehre seines Kindes verteidigt“? Gilda soll ihren Vater für alles entschädigen, was er im Leben erdulden musste: Herrschaft und Masslosigkeit. Er ist ein Tyrann. Aus seinem Ärmel zieht Gilda einen langen weissen Umhang, den der Vater ihr wie eine Madonna umhängt und ihr Lilien in die Hand drückt. Gilda ist eine junge Frau, die beim Kirchgang auch nach Männern schaut und gemerkt hat, wie sie von einem Mann beobachtet wurde. Sie versucht, aus ihrer Isolation zu kommen. Ihrem Vater verheimlicht sie das. Es ist der vermeintliche Student alias der Herzog, der schliesslich in die Wohnung eindringt und Gilda ewige Treue schwört. Sie glaubt ihm und beide singen am Ende der Begegnung: „Leb wohl, meine Sehnsucht, meine Liebe wirst nur Du immer sein. Leb wohl, unwandelbar ist meine Liebe zu dir“ („Addio … speranza ed anima …“). Kurz darauf wird Gilda, von der sie annehmen, dass sie Rigolettos Geliebte ist, von den Vasallen des Herzogs wie all die anderen Mädchen und Frauen, die er begehrt, entführt und in den Palast gebracht. Indirekt ist Rigoletto sogar beteiligt, weil er glaubt, die Gräfin von Ceprano würde entführt. Ein Schurke ist er. Der Herzog ist erregt und glaubt, Gilda sei ihm geraubt worden. Angeblich hat sie als erste in seinem Herzen die Flamme beständiger Liebe entzündet. Sie landet in seinem Schlafzimmer. Zunächst scheinbar locker nimmt Rigoletto wahr, was geschehen ist, dann beschimpft er die Edelleute und schliesslich bettelt er und wütet, als er von Gildas Schande erfährt. Fürchterliche Rache will er am Herzog nehmen und beauftragt Sparafucile, ihn zu ermorden. Ermordet wird Gilda, die vorher des Herzogs Meinung über Frauen hörte „Die Frauen sind unbeständig wie Federn im Wind, leicht ändern sie ihre Worte und ihre Meinung … unglücklich wird der, der sich auf sie verlässt“ („La donna è mobile …“) und mitbekommt, dass er in der Spelunke – ein hereingezogener und -geschobener Kirmeswagen – mit Maddalena schläft. Dennoch liebt sie ihn noch immer „Für sein Leben will ich das meine geben.“ Recht betrachtet ist das Suizid.
Quinn Kelsey (Rigoletto) und Brenda Rae (Gilda); Foto © Monika Rittershaus
Beeindruckend ist die Schlussszene. Der Vater legt das blutige Leichentuch madonnenhaft um Gilda. Sie löst sich daraus und legt es dem Vater in die Arme. Langsam schreitet sie zurück ins Totenreich, und Rigoletto mit dem Leichentuch im Arm schreitet wie betäubt in die Kathedrale.
Graf Monterone, dessen Tochter auch entehrt wurde, verflucht Rigoletto: „Du, der da über den Schmerz eines Vaters lachst, sei verflucht.“ Und Rigoletto: „Jener Greis verfluchte mich!“ Der Fluch begleitet den Narren durch die gesamte Oper: „Ah! Der Fluch!“ („Ah! la maledizione!“). Urspünglich sollte die Oper „Der Fluch“ (La Maledizione) heissen. Die Vorlage zum Libretto, das Francesco Maria Piave verfasste, stammt von Victor Hugo. Sein Drama „Le Roi s’amuse“ (1832) wurde wegen Verunglimpfung des Herrschers verboten. Auch Giuseppe Verdi (1813 – 1901) hatte in Venedig – Uraufführung 11. März 1851 im Teatro la Fenice – Reibereien mit der Zensur. Er konnte sie ausräumen. Das venezianische Publikum war begeistert – so wie das Frankfurter Publikum über die Musik und die künstlerische Umsetzung.
Brenda Rae (Gilda) und Quinn Kelsey (Rigoletto) sowie im Hintergrund Statisterie der Oper Frankfurt; Foto © Monika Rittershaus
Quinn Kelsey, der aus Hawai stammende Bariton, brilliert in seiner Paraderolle des Rigoletto. Sein „Maledizione“ donnert durch den Theaterraum und seine flehenden Momente erschüttern. Er steigert sich von Akt zu Akt. Kelsey, der international agierende, mehrfach ausgezeichnete Sänger, sang schon mehrfach an der Oper Frankfurt, unter anderem in „Die Sizilianische Vesper“.
Brenda Rae gibt in ihrer letzten Spielzeit als Ensemblemitglied ihr Debüt als Gilda. Der Liebling des Frankfurter Opernpublikums wurde Mutter. Sie versprach, dem Hause als Gast treu zu bleiben. Wunderbar ihre Koloraturen, exzellent ihre feine Intonation, die auch ausbrechen kann. Sie wird im Mai in der Wiederaufnahme von „Arabella“ dabei sein (vgl. „La Sonnambula“, „Ariadne auf Naxos“, „Hoffmanns Erzählungen“).
Auch Tenor Mario Chang aus Guatemala, der zum Ensemble gehört, gibt sein Rollendebüt als Herzog von Mantua. Anfangs noch nicht voll überzeugend, steigert er sich enorm. Seine Arie „La donna è mobile“ hat den überzeugenden Schmelz, den diese Verdi-Partie erfordert.
Hendrik Müller (Regie), Katharina Weissenborn (Kostüme) und Rifail Ajdarpasic (Bühnenbild); Foto: Renate Feyerbacher
Die polnische Mezzosopranistin Ewa Plonka als Maddalena, feuerrot perückt – die Figur arbeitete Regisseur Hendrik Müller besonders heraus -, schmeichelt und poltert, um das Leben des Herzogs zu retten, und das im Duett mit ihrem Bruder Sparafucile, dieser gesungen vom sonoren Bass des Önay Köse, Ensemblemitglied an der Komischen Oper Berlin. Viel Beifall für Magnús Baldvinsson als Graf Monterone und den schneidigen Männer-Chor, einstudiert von Markus Ehmann. Der italienische Dirigent Carlo Montanaro und das Frankfurter Opern- und Museumsorchester gefallen mit einem überzeugenden Verdi-Klang. Auch für sie viel Jubel. Nochmal eine Lanze für Regisseur Hendrik Müller, der 2013 im Bockenheimer Depot „Emilio de‘ Cavalieri / Klaus Lang: Das Spiel von Seele und Körper“ realisierte: Exzellent ist seine Personenregie – und auch sonst hat die Inszenierung viele gute Einfälle.
Unbedingt besuchen! Die Möglichkeit dazu besteht am 24. und 30. März, am 2., 7., 13., 16., 22. und 28. April sowie am 1. und 11. Mai 2017