Elisabeth-Norgall-Preis 2017 des International Women’s Club of Frankfurt (IWC) an Virginia Wangare Greiner
“Bist Du auch einsam?” – „I love the German part in me“
Von Renate Feyerbacher
Zwei Tage vor dem 130. Geburtstag der Clubgründerin Elisabeth Norgall, am 8. März 2017 – es ist der Internationale Frauentag – wurde zum 40. Mal der nach ihr benannte Preis verliehen. In diesem Jahr erhielt ihn Virginia Wangare Greiner aus Kenia. Sie ist die Gründerin des Vereins „Maisha e.V.“, einer Selbsthilfeorganisation für afrikanische Frauen in Deutschland.
Virginia Wangare Greiner, Trägerin des Norgall-Preises 2017
„Maisha“ ist Suaheli und heisst Leben.
Seit 1978 wird der Preis jährlich vergeben, abwechselnd an eine deutsche und eine nicht-deutsche Frau. Es sind engagierte Frauen mit Mut, Kraft und Willen, die Ideen umsetzen und anderen, benachteiligten, kranken, behinderten Frauen und Kindern helfen, eine bessere, vielleicht sogar glücklichere Zukunft zu haben.
Die amtierende Präsidentin des International Women’s Club of Frankfurt, Susanne Held, spricht in ihren Begrüssungsworten von Völkerverständigung, von Stärkung und Festigung von Frauenrechten im In- und Ausland, die der mit 6.000 Euro dotierte Preis anstrebt.
Zusammen mit sechs weiteren Frauen gründete Virginia Wangare Greiner 1996 den Verein „Maisha e.V“ nach dem Prinzip „Hilfe zur Selbsthilfe“. Bis dahin hatte es einen Treff für afrikanische Frauen gegeben, die auf Frankfurter Strasssen angesprochen worden waren: „Bist Du auch einsam?“ Das Büro von „Maisha“ war zunächst in ihrer Wohnung. Im Laufe der Zeit war das aber nicht mehr tragbar für die Mutter von fünf Kindern, die heute zwischen 27 und 35 Jahren alt sind. Dann fand der Verein Quartier beim Frankfurter Turnverein 1860 (FTV 1860), mit dem heute noch gemeinsame Projekte veranstaltet werden. Seit einiger Zeit residiert „Maisha“ mitten in der Stadt.
Die Preisträgerin, 1959 in Eldoret /Kenia geboren, besuchte eine weiterführende Schule und arbeitete bereits als 20jährige in Nairobi mit benachteiligten Mädchen und später in ländlichen Frauenprojekten. In Kenia lernte sie ihren Ehemann Uwe Greiner, Entwicklungshelfer und Lehrer, kennen. Sein Opa, so erzählte sie bei der Preisverleihung, war der Künstler und Politiker Daniel Greiner (1872-1943), der für die zweite Künstlerkolonie-Ausstellung auf der Mathildenhöhe im Jahre 1904 Skulpturen schuf.
Das Paar Wangare – Greiner verliess 1986 mit den Kindern Kenia. Die Familie lebte zunächst in Steinbach im Taunus, dann in Frankfurt. Virginia Wangare Greiner absolvierte mit Erfolg eine Ausbildung zur Hauswirtschaftsmeisterin, wurde in der Volkshochschule aktiv und unterrichtete Erwachsene in afrikanischer Kultur und Kochkunst. Sie war bis zu ihrer Tätigkeit als Sozial- und Gesundheitsberaterin für Afrikaner bei der Stadt Frankfurt stets auch anderswo im Einsatz. Mittlerweile hat sie viele Auszeichnungen erhalten: Sie war die erste, die den Integrationspreis der Stadt erhielt (2002), vier Jahre später wurde ihr – als erster nicht-deutscher Staatangehöriger – das Bundesverdienstkreuz am Bande verliehen. Heute besitzt sie die deutsche Staatsbürgerschaft.
Neben der Geschäftsführung von „Maisha“ leitet sie die Gesundheitsberatungsstelle für Internationale Gesundheitsförderung für Migranten und Migrantinnen in Frankfurt, gehörte für mehrere Jahre dem Integrationsbeirat der Bundesregierung an und ist bis heute im Integrationsbeirat des Landes Hessen. Zudem ist sie Vorstandsmitglied im DaMigra-Dachverband der Migrantinnenorganisationen und Sprecherin der INTEGRA (Deutsches Netzwerk zur Überwindung von weiblicher Genitalverstümmelung) sowie gewähltes Mitglied der Kommunalen Ausländer- und Ausländerinnenvertretung (KAV) in Frankfurt. Sie hat also viel zu tun.
In ihrer Rede am 8. März, die sie leider auf Englisch hielt, informierte sie über Projekte und Aktivitäten von „Maisha“: Anfangs gehörten nur afrikanische Frauen zur Zielgruppe des Vereins, heute sind es auch Männer und Jugendliche. Schwerpunkt ist die Gesundheitsberatung, die kostenlos und anonym erfolgt. Die Anonymität ist besonders für diejenigen wichtig, deren Aufenthaltsstatus unsicher ist. Rund 1500 Frauen nehmen jährlich die Beratung in Anspruch.
Die grosse Armut, die jährlich wiederkehrenden, Leben vernichtenden Hungersnöte, die wie derzeit tausende Menschen in Afrika dahinraffen und viele Frauen zur strapaziösen, lebensbedrohlichen Flucht veranlassen – dies alles ist bekannt. Unicef, medico, Ärzte ohne Grenzen, Misereor, Brot für die Welt und viele andere Hilfsorgansationen schlagen derzeit Alarm und rufen zu Spenden auf. Europa ist nicht unschuldig an dieser immer wiederkehrenden Notsituation. Begonnen hat es mit den Kolonien, die ausgebeutet wurden (Ausstellung „Deutscher Kolonialismus – Fragmente seiner Geschichte und Gegenwart“ im Deutschen Historischen Museum Berlin, bis 14. Mai 2017).
Die Ausbeutung hat bis heute nicht aufgehört – da brauchen nur die grossen Weltunternehmen genannt zu werden. Der Schweizer Soziologe, Politiker und Aktivist Jean Ziegler hört nicht auf zu mahnen: „Es kommt nicht darauf an, den Menschen der Dritten Welt mehr zu geben, sondern ihnen weniger zu stehlen.“ In einem Interview sagte er: „Den Menschen ist nicht geholfen, wenn die Konzerne dort für den Weltmarkt produzieren. Stattdessen müssten die Staaten entschuldet werden, damit sie den Kleinbauern die nötigen Mittel für Dünger, Lagerhaltung und Transport zur Verfügung stellen können. Das Ziel muss die Selbstversorgung in den armen Ländern sein“ (Zitat aus dem Tagesspiegel vom 7. Januar 2013). Wie soll das gelingen, wenn die Märkte zerstört werden, wenn aus Europa Hühnchen geliefert werden, die preiswerter sind als die dortigen? Wenn Textilien aus hiesigen Kleidersammlungen nach Afrika geliefert werden, obwohl dort genug Stoffe und ideenreiche und gekonnte Näherinnen und Näher vorhanden sind?
IWC-Präsidentin Susanne Held, Virginia Wangare Greiner und Béatrice Portoff, Erste Vice-Präsidentin und Vorsitzende des Norgall-Preisausschusses
Verteilt hat Virginia Wangare Greiner am Tag der Preisverleihung die Broschüre „Gebete der Hoffnung geflüchteter afrikanischer Frauen und Mädchen in unserer Mitte“. Aus diesen Dankgebeten – gegliedert in die drei Kapitel Beginn der Reise, Gefahren der Reise, Meine Bestimmung – kann das Geschick, das Erlebte, das Erduldete der jeweiligen Frauen nachvollzogen werden.
Eine Afrikanerin klagt, dass ihre Kinder aufgrund der Armut nicht zur Schule gehen können, auch die Verwandten sind arm. Die Familie wurde isoliert und daraufhin habe sie sich entschieden, zu handeln in der Hoffnung, „daß der Fluchthelfer sein Versprechen hält, ich werde ihn von meinem Lohn bezahlen, und dann kann ich Geld nach Hause schicken, um meinen Ehemann, der nicht arbeiten kann, und meinen Kindern zu helfen, denn noch so wenig Geld ist besser als nichts. Ich war niemals eine schlechte Mutter oder eine untreue Frau, so möge meine Familie und mein Dorf mich nicht verdammen.“ Wie gerne würde diese Frau bei ihrem Mann und den Kindern sein. Wir haben kein Recht, sie zu verurteilen, und sollten mehr Verständnis für ihre Flucht und ihren Wunsch nach einem besseren Leben haben. Viele der afrikanischen Menschen würden gerne wieder in ihre Heimat zurückkehren, wenn die Lebensbedingungen dort friedlich und gut wären.
In der Pressekonferenz berichtete die Preisträgerin von einem Beispiel. Eine fünfköpfige Familie, die in Afrika alles verkauft hatte und durch Schleuser nach Deutschland gelangte, erlebte hier elende Flüchtlingsheime und war unglücklich. Die „Maisha“-Frauen konnten die Familie überzeugen, nach Afrika zurückzukehren. Sie vermittelten Rückkehrhilfe, eine weitere Aufgabe, die der Verein verstärkt wahrnimmt. Die Frauen werden bei der Erstellung eines Buisiness-Plans unterstützt und haben damit die Chance, sich mit Hilfe von Mikrokrediten nach ihrer Rückkehr in die Heimat vor Ort eine Existenz aufzubauen. Der fünfköpfigen Familie ist das in ihrem afrikanischen Heimatort gelungen. Etwa 30 kenianische Frauen erhielten in ähnlicher Weise Mikrokredite, die aus Spenden finanziert werden. Es sind vor allem auch diese Frauen, die in Afrika tagtäglich die Wirtschaft in Schwung halten. „Hilfe zur Selbsthilfe“ ist das Motto von „Maisha“.
Die Frauen, die hier ein Bleiberecht erhalten, bekommen die Chance, einen Beruf zu erlernen und auszuüben. Nähkurse, Deutschunterricht, Mitarbeit bei einem Catering-Service für private Kunden im Frankfurter Raum werden geboten. Mütter und Kinder geniessen besondere Unterstützung.
Noch eine weitere wichtige Aufgabe hat sich „Maisha“ gestellt: den Schutz vor beziehungsweise die Verhinderung von rituellen Beschneidungen (FGM – Female Genital Mutilation und FGC – Female Genital Cutting). In fast 30 afrikanischen, aber auch in asiatischen Ländern, in Australien, Brasilien, Peru, in Europa und in Deutschland werden sie praktiziert. Ein qualvoller Eingriff für die Mädchen und Frauen, der sie für ihr Leben lang schädigt. Nach Schätzungen sollen es mindestens zwei Millionen Säuglinge, Kleinkinder und Mädchen sein. Damit wird gegen das Recht der Frau und des Kindes auf körperliche und seelische Unversehrtheit verstossen.
Eine afrikanische Frau, deren Mann starb, wurde von den Großmüttern und Tanten zur Beschneidung der fünfzehnjährigen Töchter gedrängt. Doch nie im Leben wollte das Ehepaar eine Beschneidung seiner Töchter. Die Frau und die Mädchen liessen sich aus dem Land schmuggeln und gelangten nach Übersee. „Wir wollten niemals weggehen, denn trotz allem ist dies unsere Heimat mit allen guten und schlechten Erinnerungen …“ (aus „Gebete der Hoffnung …“). Andere Gründe für Migration sind die Bedrohung durch den Einzug zur Kindermiliz, der Krieg im Land, die Stammesfehden, politische Verfolgung, der Wunsch, hier zu studieren. Oft landen junge Studentinnen hier in der Prostitution, weil ihnen eine „gute Tante“ das auswärtige Studium schmackhaft gemacht hatte. „Dann hörte Tantchen auf freundlich zu sein und machte klar, bevor wir einen Klassenraum von innen sehen werden, müssen wir ihr durch Prostitution die Kosten erstatten.“ Die Magie des Voodoos (Benin hat Voodoo sogar zur Staatsreligion erklärt) spielt oft eine Rolle. Prostituierte, die in ihrem Heimatland die Voodoo-Zeremonien erlebten, werden dadurch in Abhängigkeit gehalten. „So würden Prostituierte aus Nigeria auch dadurch eingeschüchtert, dass sie in einer spirituellen Sitzung in ihrer Heimat Schamhaare und Menstruationsblut opfern müssen, damit die Geister die Verbundenheit mit ihrem ‚Zuhälter‘ bezeugen. Ähnliches könne sie sich auch im Drogenmiliu vorstellen“, so die Hamburger Religionswissenschaftlerin Gabriele Lademann-Priemer in einer Presseveröffentlichung.
IWC-Präsidentin Susanne Held, Virginia Wangare Greiner und Béatrice Portoff, Erste Vice-Präsidentin und Vorsitzende des Norgall-Preisausschusses; auf der Projektionsfläche Elisabeth Norgall, Gründerin des International Women’s Club of Frankfurt
Virginia Wangare Greiner, unermüdlicher Motor von „Maisha e.V.„, ist eine würdige, sympathische Preisträgerin. Die ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Vereins konnten die Lebensbedingungen manch afrikanischer Frauen Familien, die hier leben, wie auch denjenigen, die freiwillig nach Afrika zurückgekehrt sind, verbessern. Und manchem – damit sind nicht die afrikanischen Promis als Fußballer oder Künstler gemeint – gelang die Aufnahme in unsere Gesellschaft. Dennoch werden sie zuweilen immer noch von einem latenten Rassismus gedemütigt.
„I love the German part in me“, sagte Virginia Wangare Greiner bei der Preisverleihung.
Fotos: Renate Feyerbacher
→ Norgall-Preise 2016, 2015, 2014, 2013 und 2011