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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Xerxes“ von Georg Friedrich Händel an der Oper Frankfurt

Krankhafter Liebeskummer, Chaos, Intrigen, Verkleidung – eine königlich-durchgeknallte Gesellschaft

Von Renate Feyerbacher
Fotos: Barbara Aumüller / Oper Frankfurt

Die Oper ist eine der letzten und eine der meistgespielten des Komponisten. Am 8. Januar 2017 hatte sie Premiere in Frankfurt am Main. Es war eine umjubelte Erstaufführung – anders als bei der Uraufführung 1738 in London. Händel hatte „Xerxes“ nach seinem Aufenthalt in Aachen, wo er sich nach seinem Schlaganfall wieder erholt hatte, komponiert. Gefiel den Londonern diese neue Sicht auf die Gesellschaft nicht? Denn die Musik hat mehr zu bieten als das gleich zu Beginn nach der Ouvertüre gesungene Largo (Larghetto) „Ombra mai fu“ des Titelhelden, auch heute immer wieder zu hören. Ein Liebeslied an eine Platane, um deren Vergänglichkeit er bangt. Danach geht es aber rund: Xerxes demonstriert Macht. Eine Brücke zwischen Asien und Europa hat der persische Herrscher errichten lassen. Die Historie weiss, dass Xerxes den Brückenschlag nicht schaffte. Dennoch „Jubelchöre“ auf der Bühne – Missverständnisse musikalisch und inhaltlich.

Von Anfang an zeichnet sich die Einsamkeit in Sachen Liebe der sieben handelnden Personen ab sowie ihr Misstrauen gegeneinander, ihre Eifersucht, ihre Angst vor Xerxes.

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Gaëlle Arquez (Xerxes; in schwarzem Anzug) und Elizabeth Sutphen (Romilda); Foto © Barbara Aumüller

Da sind zwei Brüder, zwei Schwestern und ihr Vater, die verlassene Braut und ein zwar treuer, aber nicht ganz cleverer Diener. Die Brüder, das sind Xerxes und Arsamene, der Romilda, eine der Schwestern liebt und von dieser geliebt wird, Atalanta aber zurückweist, von der er geliebt wird. Wieso bekennt Arsamene sich nicht zu Romilda, als sich Xerxes Knall auf Fall in sie verliebt, und seinem Bruder befiehlt, die Hochzeit vorzubereiten? Romilda verweigert sich jedoch Xerxes – und das mehrmals – standhaft, verschmäht den Thron. Sage doch keiner „Cosi fan tutte“. Intrigant mischt das Biest Atalanta mit, die Arsamene haben will, und Amastre, die verlassene königliche Braut, versucht es mit Verkleidung, um Xerxes zurückzugewinnen beziehungsweise sich zu rächen. Ende gut, alles gut durch ein Missverständnis des Vaters: die Paare finden sich wieder, nur Atalanta bleibt solo. Fast drei Stunden dauert dieses italienisch gesungene Tohuwabohu – natürlich mit deutschen Übertiteln. Wobei Händel diesmal auf lange Da Capo-Wiederholungen verzichtete. Es ist ein frisches Werk wie aus einem Guss mit einer starken Prise von Witz und Humor.

Wie kam es dazu, dass Händel, der unermüdlich produzierende Komponist und geschäftstüchtige Opern-Unternehmer eine andere Musikfarbe einführte? Was war passiert? Politische Skandale wie auch die Veränderung des Operngeschmacks hatten ihm geschadet. Zum Beispiel das Balladenwerk „The Beggar‘s Opera“ (von John Gay und Johann Christoph Pepusch, London 1728) wurde ein Hit. So eine Musikart wurde von den Bürgern fortan bevorzugt. 1737 ging zum dritten Mal Händels Opern-Unternehmen bankrott. Besagter Schlaganfall folgte, dessen Auswirkungen er in Aachen erfolgreich behandeln liess.

Dieser umtriebige Georg Friedrich Händel (1685 in Halle an der Saale geboren, wo er schon sehr früh als Organist und Geiger tätig war,1759 in London verstorben), wirkte als erster deutscher Komponist europaweit. Er ging nach Hamburg, wo er mit 19 Jahren seinen ersten Opernerfolg hatte, verliess die Stadt aber bald nach späteren Misserfolgen und verbrachte einige Jahre in Italien, in Rom, Neapel, Venedig, Florenz. Seine Oper „Agrippina“, geschrieben mit 24 Jahren, wurde dort begeistert aufgenommen. Danach liess er sich an den Hof von Hannover verpflichten, den Sitz des Kurfürsten Georg Ludwig, der 1714 König von England wurde. Bereits 1710 war Händel in London, wo ihn der Adel und das Königshaus unterstützten. Nach Deutschland kam er immer wieder zurück, wurde aber 1727 englischer Staatsbürger. Er wurde der grosse Oratorien-Komponist – nach seiner Gesundung hatte er sich darauf konzentriert (z.B. „Der Messias“ „Judas Makkabäus“, „Jephta“). Trotz seiner Erblindung ab 1751 arbeitete der Komponist mit Hilfe eines Schülers weiter.

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v.l.n.r. Louise Alder (Atalanta), Lawrence Zazzo (Arsamene), Elizabeth Sutphen (Romilda) und Thomas Faulkner (Elviro; im Hintergrund) sowie Constantinos Carydis (Musikalische Leitung; rechts) und Mitglieder des Frankfurter Opern- und Museumsorchesters; Foto © Barbara Aumüller

Regisseur Tilmann Köhler kommt der lockereren Musikform vorzüglich nach. Während der Ouvertüre lässt er auf den Theatervorhang bereits ein Video (Videos Marlene Blumert) projizieren, das ahnen lässt, was kommt. Da sitzen alle sieben Protagonisten um einen üppig gedeckten Tisch, den Xerxes abrupt verlässt. Ein langsamer Schwenk fährt über die Delikatessen. Dann wechselt das Video und die Blätter einer Platane sind zu erkennen. Xerxes besingt sie und hüllt sich dabei in den Theatervorhang. Am Ende der Vorstellung rotiert noch einmal ein Video, das die Gesichter der Künstler zeigt. Ein einmaliges Zeigen hätte genügt.

Die Tafel, auf der die feine Gesellschaft später herumspaziert, sich tätlich attackiert, mit Essen herumwirft, ist Mittelpunkt der ersten beiden Teile des Werkes. Eine hohe, gerundete, blaue Wand mit zwei Türen rechts und links, die zum schnellen Abgang oder zur Flucht dienen, grenzt das Geschehen ein und wird auch im letzten Teil beibehalten. Später verschwindet die Tafel, nur restliche Polsterstühle stehen herum (Bühnenbild Karoly Risz). Katerstimmung. Das Fenster mit der Platane, die nachher zerfleddert ist, bleibt. Ein interessantes Lichtspiel von Joachim Klein verleiht dem Bühnenbild einen besonderen Effekt. Susanne Uhl hat die Darsteller in moderne, nicht opulente Gewänder gesteckt. Das passte.

Das Orchester wurde aus der Versenkung geholt. Die Musiker und ihr Dirigent sind für das Publikum sichtbar. Der Zuschauerraum wird immer wieder einbezogen. Vor allem der Steg, der den Orchestergraben begrenzt, wird zum Laufsteg umfunktioniert. Hier wird gestritten, geküsst, gerannt. Diener Elviro verteilt Kunstblumen an Besucher der 1. Reihe. Die Mitglieder des Vocalensembles kommen und gehen durch den Zuschauerraum.

Tilmann Köhler hat im Bockenheimer Depot bereits Händels „Teseo“ und „Radamisto“ realisiert. Das Arbeitspensum des 1979 in Weimar Geborenen ist enorm. Bevor er 2009 Hausregisseur am Dresdner Staatsschauspiel wurde, inszenierte er an verschiedenen deutschen Bühnen. An der Führung der Personen ist sein Ursprung als Schauspielregisseur zu erkennen.

Aus den vorzüglichen Sängerinnen und Sängern hat Köhler sarkastische, ruppige, gefühlvolle, humorvolle Momente heraus geholt. Wie Thomas Brandon als Cedel, Feldherr, Vater der beiden Schwestern, und Thomas Faulkner als Elviro ihre Bässe ertönen lassen, gefällt. Louise Alder als Atalanta offenbart ein komödiantisches Talent. Die britische Sopranistin, seit der Spielzeit 2014/15 Ensemblemitglied, überzeugt mit ihrer glockenklaren Stimme, kann aber auch zickig. Wie die amerikanische Koloratursopranistin Elizabeth Sutphen – Absolventin der renommierten New Yorker Juilliard School und neues Mitglied im Frankfurter Opernstudio – die Rolle der Romilda meistert, ist grandios. Keine einfache Aufgabe für die junge Sängerin. Sie ist für Kateryna Kasper eingesprungen, die unlängst Mutter wurde. Eine Entdeckung! Tanja Ariane Baumgartner, die bedeutende Mezzosopranistin im Ensemble der Oper, singt Amastre, die verlassene Braut, nicht ganz so homogen, wie man das von ihr gewohnt ist. Die männliche Rolle des Xerxes wird interpretiert von einer Frau, von der französischen Mezzosopranistin Gaëlle Arquez. Fulminant, eine Wucht. Das Frankfurter Publikum kennt sie bereits aus „Teseo“, „Radamisto“ und „L’incoronazione di Poppea“. Ein Despot ist sie nicht, dennoch kuschen alle vor ihr. Countertenor Lawrence Zazzo, einer der bedeutendsten Interpreten seines Faches und weltweit gefragt, brilliert als Arsamene, Bruder von Xerxes, jammert auf hohem Niveau – eine Memme. Herrlich auch schauspielerisch. Im Streit mit Romilda vorne auf dem Laufsteg geht es aber zur Sache.

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v.l.n.r. Gaëlle Arquez (Xerxes) und Lawrence Zazzo (Arsamene) sowie Constantinos Carydis (Musikalische Leitung; rechts) und Mitglieder des Frankfurter Opern- und Museumsorchesters; Foto © Barbara Aumüller

Und die Musik?

Der in Athen geborene Constatinos Carydis, auch kein Unbekannter in Frankfurt, leitet das kleine Barockensemble, bestehend aus Musikern des Frankfurter Opern- und Museumsorchester, ergänzt durch die Continuo-Gruppe Cembalo und Orgel (Andreas Skouras, Felice Venanzoni), Laute und Gitarre (Axel Wolf, Danile Caminiti) sowie Cello (Kaamel Salah-Eldin). Abwechslungsreich, manchmal mit Überraschungseffekten präsentiert Carydis die Händelsche Musik. Sein ruhiges, konzentriertes Dirigat überzeugt.

Weitere Vorstellungen am 12.,15.,18., 21. (anschliessend „Oper lieben“), 26. und 29. Januar 2017, jeweils um 19 Uhr

 

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