home

FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Hinter dem Vorhang“ im Düsseldorfer Museum Kunstpalast

Vorhang auf, Vorhang zu und alle Fragen offen …

Im Museum Kunstpalast in Düsseldorf widmet sich eine Ausstellung dem Wechselspiel zwischen Zeigen und Verbergen, Enthüllen und Verhüllen: „Hinter dem Vorhang“. Die Palette der Exponate – Gemälde, Zeichnungen, Skulpturen, Installationen, Fotografien – reicht von der Malerei der Renaissance und des Barock über die Kunst der Moderne bis hin zur Gegenwart, von Tizian über Rubens bis Gerhard Richter. Die hochkarätigen Leihgaben aus internationalen Museen und Privatsammlungen sind noch bis zum 22. Januar 2017 in der Ausstellung zu sehen, u. a. Werke von Lucas Cranach d. Ä., El Greco, Jacopo Tintoretto, Arnold Böcklin, Robert Delaunay, Max Beckmann, Cindy Sherman, Christo und Gerhard Richter.

Petra Kammann

hat sie sich angesehen

Vorhang, Schleier oder drapierter Stoff. Es beginnt sicher schon bei der Sorgfalt, welche die fast noch dem Mittelalter verhafteten Maler den schillernd hingegossenen Faltenwürfen eines Rockes der Darstellung der Muttergottes gewidmet haben. Die trennenden wie vermittelnden Stoffe, das Spiel von erster und zweiter Natur, von Realität und Fiktion, hat die Phantasien der Maler und Bildhauer, der Fotografen und Filmemacher immer wieder inspiriert, so auch Beat Wismer, den 2017 scheidenden Generaldirektor des Düsseldorfer Museum Kunstpalast. Ihm ist es nicht nur gelungen, anhand des Themas „Hinter dem Vorhang“ die Fragen der Kunstrezeption noch einmal gründlich neu zu stellen. Er hat auch künstlerische Schätze und Leihgaben nach Düsseldorf geholt, für die man zahlreiche aufwändige Reisen unternehmen müsste – insgesamt 200 ungewöhnliche Exponate von der Renaissance bis heute hat er in Düsseldorf zusammengetragen.

Das heißt nicht komplett alleine. Gemeinsam mit der Professorin am Institut für Kunst- und Bildgeschichte der Humboldt-Universität zu Berlin, Claudia Blümle, kuratierte Widmer die Ausstellung so, dass in sieben verschiedenen thematischen Gruppierungen ein Zusammenhang zwischen den so unterschiedlichen Exponaten hergestellt wird, dass sowohl die Ambivalenz als auch der Reiz des Verhüllens und Enthüllens sowie das sinnliche Verhältnis von bildender Kunst und Wahrnehmung in der Schau sichtbar wird.

Aino Kannisto, Untitled (Translucent Curtain), 2002 C-Print, Aluminium

Aino Kannisto, Untitled (Translucent Curtain), 2002, C-Print, Aluminium, 90 x 113 cm; courtesy Galerie m Bochum © Aino Kannisto

Es beginnt mit Werken, die auf die artistische Virtuosität der beiden wettstreitenden antiken Maler Zeuxis und Parrhasios Bezug nehmen und den Aspekt der künstlerischen Augentäuschung aufgreifen, die in der Antike schon Plinius beschrieben hat: Zeuxis hatte im Wettstreit mit Parrhasius so naturgetreue Trauben gemalt, dass Vögel herbeiflogen, um an ihnen zu picken. Daraufhin hatte Parrhasius seinem Rivalen ein Gemälde vorgestellt, auf dem ein Vorhang zu sehen war. Als Zeuxis ungeduldig bat, diesen doch endlich beiseite zu schieben, um sich das vermeintlich dahinter befindliche Bild zu betrachten, war es dem listigen Parrhasius gelungen, Zeuxis mit dem gemalten Vorhang zu täuschen. Malerei und auch die anderen künstlerischen Disziplinen schaffen Illusionen, die uns betören.

Die Schau widmet sich aber auch anderen Aspekten der Kunst wie dem „Mysterium des Göttlichen“,  der „Macht der Repräsentation“, der „Gewalt der Enthüllung“, dem „Reiz des Verborgenen“, des „Innen und Außen“ sowie dem Thema „ Die Kunst zu enthüllen“.

Der Vorhang – stets ein inspirierendes Element – schirmt aber auch ab vor dem unmittelbaren Angriff des Realen, weshalb die gediegenen Bürgerhäuser im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert mit dichten Vorhängen ausgestattet waren, um die Unbilden der Straße nicht an sich heranlassen zu müssen.

Der Vorhang ist das Medium zwischen Außen-und Innenwelt, zwischen Privatsphäre und Öffentlichkeit, welches nicht zuletzt häufig auch Schamgefühle verdecken soll. Das zeigt sich besonders in der erotischen Malerei. Verhüllen spielt in der Erotik nämlich eine große Rolle: In van Dycks Gemälde von 1617/18 etwa greift Jupiter als Satyr nach dem Stoffzipfel, der die Scham der schlafenden Antiope bedeckt, während Jean-Baptiste Deshays’ Bild einer schlafenden Frau (1756-59) den Betrachter zum Voyeur macht, der gerade mal die entblößte Brust unter einem dünnen Hemd wahrnimmt. Nicht das Nackte, sondern das, was sich hinter dem Vorhang oder dem Schleier verbirgt, ist wohl deshalb erotisch, weil es dazu einlädt, das Unerklärliche, das Geheimnis, lüften zu wollen und dabei die eigene Phantasie in Gang setzt.

Hans Holbein d. Ä. (um 1465 Augsburg; 1524 Basel oder Isenheim) Maria mit dem schlafenden Christuskind, um 1520 Öl auf Lindenholz 73,8 × 55,9 cm

Hans Holbein d. Ä., Maria mit dem schlafenden Christuskind, um 1520, Öl auf Lindenholz, 73,8 × 55,9 cm;
Gemäldegalerie, Staatliche Museen zu Berlin, Preußischer Kulturbesitz, Foto: Christoph Schmidt

Der Vorhang diente aber auch dramaturgischen Zwecken. Da werden in den Madonnendarstellungen bei Holbein (um 1520) und Cranach (1515-20) Mutter und Kind durch Engel von der Welt abgeschirmt. Ganz anders bei Eugène Delacroix. Er enttarnt die infame Geschichte des Liebesverrats und zeigt in „Le Duc d’Orléans montrant sa maitresse“ um 1825 den entblößten Unterleib der Geliebten des Duc d’Orleans und führt sie dem Ehemann ohne Gesicht vor, so dass der Betrogene sie nicht erkennt. Das Thema des Vorhangs und des damit verbundenen Verhüllens treibt die Künstler wieder und wieder um bis in die Moderne, wo ganz reale Objekte in den Raum gestellt werden. Das mag auch den großen Erfolg diverser Christo-Aktionen wie die Verpackung des Reichstages erklären, ein Ereignis, das damals die Menschenmassen neugierig gemacht und angezogen hat.

Christo Wrapped Beetle 1963 (Objekt 2014), 1963 / 2014 Auto, Stoff, Seile 150 x 158,5 x 414 cm

Christo, Wrapped Beetle 1963 (Objekt 2014), 1963/2014, Auto, Stoff, Seile, 150 x 158,5 x 414 cm; im Besitz des Künstlers, © Christo 2014, Foto: Wolfgang Volz

Christo hat mit einigen Beispielen seiner Verpackungskunst auch hier zur gelungenen Ausstellung beigetragen. Der „real“ gelb verpackte VW-Käfer aus dem Jahre 1963 oder die Ladenfassade mit verhängten Fenstern von 1964 erwecken fast nostalgische Gefühle ebenso wie Richters zwielichtiges Bild der beiden Schwestern.

65 x 75 cm

Gerhard Richter, Schwestern, 1967, Öl auf Leinwand (gerahmt unter Plexiglas) H: 65 B: 75, Kunstmuseum Bonn, Dauerleihgabe Jürgen Hall

Gerhard Richter geht aber auch formal noch weiter. Er nennt 1967 sein zwei Meter hohes Werk, bei dem eigentlich die Leinwand nur mit vertikalen grauen Streifen überzogen ist, „Großer Vorhang“. Und Hans-Peter Feldmann spielt mit dem Mythos, indem er das Stück eines realen „Vorhang Rot“ zeigt. Der Vorhang in der Kunst, in seinen künstlerischen Ausprägungen, ist die Schwelle zur Kunst selbst und führt uns an die Anfänge des bewussten Sehens und an den Ursprung der Illusion von etwas, indem man aus- und einblendet.

El Greco Die hl. Veronika mit dem Schweißtuch, um 1580 Öl auf Leinwand 96 x 91 cm

El Greco, Die hl. Veronika mit dem Schweißtuch, um 1580, Öl auf Leinwand, 96 x 91 cm, Museo de Santa Cruz de Toledo. Junta de Comunidades de Castillo-La Mancha; © Museo de Santa Cruz de Toledo. Junta de Comunidades de Castillo-La Mancha

Jahrhunderte früher gab es schon Altarflügel und Tücher, wie die großen Hungertücher, die in den Fastenwochen vor Ostern den Altarraum verhängten, oder aber das legendäre Schweißtuch der Veronika, auf dem das „wahre“ Christusbild plötzlich aufscheint. Da werden die Grenzen zwischen Abbild und Erscheinung endgültig im Mystischen aufgehoben, das Tuch selbst zu einem Bild im Bild. Durch die Illusion eines Tuchs oder Vorhangs eröffnet sich aber jeweils ein neuer dreidimensionaler Raum oder aber ein Illusionsraum, der deshalb häufig auch vielfältige unterschiedliche Deutungen zulässt. Die Malerei selbst ist die Kunst der Täuschung, so ließe sich resümieren.

Vorhang und Verhüllung dienten aber auch dazu, dem Bild im Raum eine Position zu verschaffen. So kann ein Vorhang auch Besitz und Macht bedeuten, da, wo Autorität inszeniert und Gewalt verklärt wird. Das zeigt sich besonders eindrucksvoll in dem sicher kostbarsten Bild der Ausstellung, in Tizians Bildnis des Filippo Archinto von 1558 aus dem Philadelphia Museum of Art, das den Mailänder Bischof hinter einem Vorhang sitzend abbildet. Archinto war zwar zum Bischof von Mailand ernannt worden, doch lehnten die Patrizier und Kleriker der Stadt ihn so stark ab, dass er sein Amt nie wirklich ausüben konnte, weswegen Tizian ihn zur Hälfte mit einem durchscheinenden Vorhang darstellt. Entstanden ist ein Bild, das Rätsel aufgibt, weil es die ansonsten mächtige Figur des Bischofs völlig versteinert und als verwundete Existenz erscheinen lässt.

cid_dee28839-c8e5-4c44-833d-851dd4129c6cspeedport_w_921v_1_42_000-450

Tizian, Bildnis des Filippo Archinto, Öl auf Leinwand, 114,8 x 88,7 cm; © Philadelphia Museum of Art: John G. Johnson Collection, 1917, Foto: Philadelphia Museum of Art

Bemerkenswert in dieser Schau ist nicht allein die Virtuosität verschiedenster Maler der Renaissance oder der des niederländischen „Goldenen Zeitalters“ wie Jan van Rossums Blumenstillleben von 1671. Herausragend sind auch die feinst gemeißelten, fast porzellänern wirkenden Werke einiger Bildhauer wie die verhüllten, zwischen 1752 und 1753 entstandenen durchscheinenden Frauenköpfe von Carmona und Corradini (um 1720). Sie strahlen geradezu etwas Transzendentes aus. Hinter einem Vorhang verbergen sich immer wieder Geheimnisse, die wir gerne kennen möchten.

cid_8da841fa-ba6c-49c8-acc1-892046581437speedport_w_921v_1_42_000-450

Antonio Corradini, Purità (Verhüllter Frauenkopf), um 1720, Marmor Museo del Settecento Veneziano; Foto: Petra Kammann

Bei etlichen anderen Werken schafft der Vorhang andere Illusionen, die etwas Reales vortäuschen sollen. Auf einer Darstellung der Heiligen Jungfrau mit Kind und Engeln aus dem späten 15. Jahrhundert (Ferraneser Schule) sieht man einen gemalten Rahmen mit Resten eines aufgenagelten Papiers. Der Maler adelte das Bild, indem er präzise die vermeintlich aufgeschnittene Verhüllung eines kostbaren Fundstückes malte.

Generaldirektor Beat Wismer, der wie erwähnt demnächst das Museum verlässt, hat Düsseldorf noch einmal gezeigt, was möglich ist, wenn man Kompetenz und Erfahrung mitbringt. Leider endet sein Vertrag 2017. Den Tizian schaffte er aus dem Philadelphia Museum of Art herbei, andere Leihgaben bekam er vom Getty Museum aus Los Angeles, andere wiederum vom Museum of Modern Art in New York, von der Londoner Tate oder vom Prado in Madrid. Wer sein Nachfolger werden wird, steht derweil noch dahin. Vorbereitet und auf den Weg gebracht hat er aber für 2017 eine Cranach-Ausstellung; danach ist im Herbst endgültig Schluss für Wismer. Hätte man den Vertrag des 63-Jährigen nach zehn Jahren erfolgreicher Arbeit nicht noch einmal verlängern können, zumal auch die kompetente Direktorin des K 20 und K 21, Marion Ackermann, nach Dresden abgewandert ist? Stattdessen heißt es nun „Vorhang zu, und alle Fragen offen“.

„Hinter dem Vorhang. Verhüllung und Enthüllung seit der Renaissance läuft im Museum Kunstpalast, Düsseldorf, bis zum 22. Januar 2017

 

Comments are closed.