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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Garten-Oskar“ 2016 für die Frankfurter Gartenarchitektin Ute Wittich

Organisierte Schönheit – gelungenes Wechselspiel

Von Renate Feyerbacher

Die Deutsche Gesellschaft für Gartenkunst und Landschaftskultur (DGGL) – Landesverband Hessen – vergibt seit 2001 jährlich den sogenannten „Garten-Oskar“ für herausragende gartenkünstlerische Leistungen. Den Preis für 2016, mit dem Motto „Grün in der Stadt“, überreichte Mitte November Staatsekretärin Beatrix Tappeser vom Hessischen Ministerium für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz an die Frankfurter Gartenarchitektin Ute Wittich. Zu der festlich-informativen Feier im Wiesbadener Schloss Biebrich hatten sich viele prominente Kenner eingefunden.

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Aufsteller vor dem Biebricher Schloss; Ute Wittich mit der Trophäe „Garten-Oskar“, einem Werk von Bernhard Jäger; Fotos: Renate Feyerbacher

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Farben, vor allem Rot und Lila, begeistern Ute Wittich, Farben inspirieren sie, Farben kombiniert sie meisterhaft. Zu ihrem rostbraunen Haar trug sie bei der letzten Begegnung vor ein paar Tagen den passenden Schal, die passende Hose und den passenden Schmuck. Der rote Knopf am Mantel fällt auf. Den ursprünglichen Knopf habe sie verloren, sagte sie. Kühn nähte sie an dessen Stelle diesen Farbklecks an. Ihr Leben zeichnet sich durch Mut zum Ungewöhnlichen, auch zum Widerspruch aus.

Ute Wittich ist eine Quereinsteigerin. Gelangweilt habe sie die kaufmännische Ausbildung. Bevor sie 1982 ins Berufsleben einer Garten-und Landschaftsarchitektin einstieg, arbeitete sie als Fotografin. Sie besuchte oft das Hüttendorf an der umstrittenen Startbahn West des Frankfurter Flughafens. 1982 veröffentlichte sie darüber das Buch „Hüttendorf – Spontane Architektur im Flörsheimer Wald“.

Bereits nach einem Jahr schaffte sie die Prüfung vor der Hessischen Architektenkammer. Manchmal habe sie, gesteht sie heute, Fortbildungen geschwänzt und sei deshalb ermahnt worden. Sofort jedoch startete sie in dem neuen Beruf durch, zusammen mit dem Frankfurter Künstler Bernhard Jäger. Mit ihm ist sie seit Jahrzehnten liiert und seit 15 Jahren verheiratet.

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Ute Wittich und Staatsekretärin Beatrix Tappeser bei der Preisverleihung; Foto: Renate Feyerbacher

Beachtlich ist die Liste ihrer Auszeichnungen – und nun der „Garten-Oskar 2016“, der ihr mit Recht zuerkannt wurde. Was für eine Leistung hat sie mit ihrem Team, zwei festangestellten und drei freien Mitarbeitern, im Frankfurter Europaviertel auf die Beine gestellt! Ort ist das neue Wohnquartier in der Nähe der Messe Frankfurt, das auf dem ehemaligen Gelände des Güterbahnhofs entstand. Exklusiv, besonders hochwertig, kompetent, begehrt, gelobt und kritisiert. Etwa 30.000 Quadratmeter umfasst die Projektgrösse mit dem Namen „Central & Park“ nahe dem Europa-Park. Hier sollen eines Tages 10.000 Menschen wohnen, tausende dort arbeiten. Die einen preisen das Projekt als moderne, urbane Verdichtung, die anderen sprechen von einem Negativbeispiel. „Stalinallee“ bezeichnet mancher Frankfurter abfällig die Europa-Allee, die den Stadtteil durchzieht. Anwohner beschweren sich über die schlechte Verkehrsanbindung, die erst in einigen Jahren behoben sein wird. Bei der Preisverleihung ist ein Paar dabei, das dort bereits wohnt und von Ute Wittichs gartenarchitektonischen Kompositionen begeistert ist.

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↑↓ Europaviertel; Fotos: © Ute Wittich

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Skulptur im Europaviertel von Bernhard Jäger; Foto © Ute Wittich

Sage und schreibe etwa 21.000 Quadratmeter gross ist die Freianlage. Das heisst ein überdurchschnittlich hoher Anteil an Grün verschönert das Beton-Areal. Der Bauherr habe ihr grosse Freiheit bei der Gestaltung gelassen, sagt Ute Wittich. Er wollte, dass die Freianlage abwechslungsreich und attraktiv gestaltet wird und die Visitenkarte der jeweiligen Gebäude bildet. Fünf Bauabschnitte, von denen der letzte im November 2016 begrünt wurde, gab es. Jeder Bauabschnitt hat seine individuelle Bepflanzung. Es gibt Innenhöfe, Sitzgelegenheiten durch Pergolen intim verdeckt, kleine Spielplätze, die von den Wohnungen einsehbar sind, ein Betonwasserbecken in einem, ein Kiesweg im anderen Abschnitt. Ein weiterer Innenhof wurde durch ein Kunstwerk, die Figurengruppe „Diskussion“ von Bernhard Jäger, zu einem Blickpunkt. Acht rote, übergrosse Blumenkübel mit Zierkirschen umrahmen das Werk, das auch im Sitzen betrachtet werden kann.

Staunend wurden die Fotos bei der Bilderschau während der Preisverleihung betrachtet. Die unvorstellbare Zahl von 122.410 eingegrabenen Pflanzen wurde genannt, ausgesucht unter ökologischen Gesichtspunkten. Darunter sind über 27.000 Stauden, 9.000 Heckenpflanzen und 4.000 Rosen und Kletterpflanzen. Über 73.000 Blumenzwiebeln wurden verbuddelt. Auch grössere Bäume konnten gepflanzt werden. Auf eine ganzjährige Blühdauer von Stauden, Bäumen und Büschen wurde vom Wittich-Team geachtet. Überall bewegen sich Gräser aller Schattierungen im Wind, die eine starre Begrenzung der Gärten verhindern. Es ist ein Paradies für Menschen, für Vögel und Insekten, vor allem auch für die bedrohten Bienen. Da fallen Namen wie Bienenbaum, der Nektar spendet, Zierkirsche, Zieräpfel, Lederhülsenbaum, Esskastanie, Amberbaum und und und. Als Hecken wurden Zierapfelspaliere, Hainbuchen und Zierjohannisbeere gesetzt. Tulpen, Narzissen, Allium, violette übrigens, werden nächstes Jahr wieder blühen, und jede Erdgeschosswohnung hat ein Kräuterbeet für den Eigenbedarf. Möglichst viele heimische Gehölze und Pflanzen wurden ausgewählt. Alles durfte nicht tief wurzeln, denn die Vegetationsflächen befinden sich über der Tiefgarage, deren Dach 80 Zentimeter hoch mit Substrat bedeckt wurde. Die grossen Bäume sind am Rande gepflanzt. Auch die Dächer der 25 Mehrfamilienhäuser wurden begrünt. Dadurch wird Regenwasser gespeichert. Natürlich sind die Wege für Gehbehinderte, Rollatoren und Kinderwagen geeignet und sicher. Fahrradständer gibt es für Besucher vor den Häusern, und selbst Müllcontainer sind von Pflanzen umspielt.

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Festliche Preisverleihung: unter den Gästen die Künstler Bernhard Jäger (links) und Hans Ticha; Foto: Renate Feyerbacher

Das ist Gartenkunst vom Feinsten, eine organisierte Schönheit, ein gelungenes Wechselspiel der Pflanzen, ein Farbenspiel mit aussergewöhnlichem Duft.

Stadtgrün sei weit mehr als nur Verschönerung unserer verbauten Umwelt, sagt Staatsekretärin Beatrix Tappeser, eine nachhaltige Stadtentwicklung ohne grüne Oasen und qualitativ hochwertige durchgrünte Strukturen sei nicht denkbar.

Das gesellschaftspolitische Denken von Ute Wittich ist in jedem Detail des Projektes sichtbar.

 

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