Die junge niederländische Cellistin Harriet Krijgh zu Gast beim HR-Sinfonieorchester unter Leitung des Gastdirigenten Dominik Beykirch
Töne aus der Tiefe des Raumes
Die 25-jährige Niederländerin Harriet Krijgh mit ihrem ausdrucksstarken, berührenden Spiel ist eine der vielversprechendsten Nachwuchscellistinnen der Gegenwart. Als mehrfache erste Preisträgerin bedeutender Wettbewerbe und als von der European Concert Hall Organisation für die Saison 2015/16 ausgewählter „Rising Star“ spielte die junge Künstlerin bereits in den bedeutendsten Konzertsälen Europas (Concertgebouw Amsterdam, Musikverein Wien, Tonhalle Zürich, Barbican London etc.) und wurde als Solistin vom Deutschen Symphonieorchester Berlin und den Sinfonieorchestern des NDR und des ORF eingeladen. Ferner debütierte sie u. a. mit dem London Philharmonic Orchestra, dem Orchestre de la Suisse Romande sowie dem Münchner Kammerorchester und ging mit der Academy of St. Martin in the Fields unter Sir Neville Marriner auf Tournee. Ihr jüngster Auftritt im Sendesaal des Hessischen Rundfunks gehört zu den gelungenen Momenten. Harriet Krijgk und der Dirigent Dominik Beykirch faszinierten mit ihrem Debüt im Frankfurter HR-Sendesaal.
Von Petra Kammann
Angesichts des Programms, das unter dem Motto „Nationalistische Romantik, sozialistischer Realismus“ stand, war meine Erwartung bei der Auswahl des Cellostücks zunächst leicht getrübt, zählt doch der russische Komponist Dimitrij Kabalewskij bei uns nicht gerade zur russischen Avantgarde. In seiner Biografie liest man, dass er eine lückenlose Karriere im kommunistischen Staats- und Kulturapparat gemacht hat und dreimal mit dem Stalin-Preis, 1972 mit dem Lenin-Preis, dem Staatspreis der UdSSR und dann noch 1974 als „Held der sozialistischen Arbeit“ ausgezeichnet wurde, während Abweichungen von der Lehre als dekadent galten. Sein gerademal zwei Jahre jüngerer Kollege Schostakowitsch etwa, der ein vielfältiges kompositorisches Werk hinterlassen hat, wurde unter dem Druck der stalinistischen Kulturbürokratie wiederholt in seiner künstlerischen Freiheit beeinträchtigt. Gefordert waren vom Regime für die breiten Volksmassen „verständliche eingängige heroisierende, optimistische Werke“. Das 1948 für die Jugend geschriebene 1. Cellokonzert op. 49 in g-moll von Kabalewskij, das bei uns eher selten aufgeführt wird, ist – so habe ich mich überzeugen lassen – alles andere als simpel oder gar platt.
Hessischer Rundfunk, hr-Sinfonieorchester, Saison 2016/2017: Gastsolist Harriet Krijgh (Violoncello), Foto: © HR/Marco Borggreve
So war das Konzert, das die Cellistin Harriet Krijgh mit dem HR-Sinfonieorchester unter Leitung von Dominik Beykirch im Sendesaal des Hessischen Rundfunks gab, ein in jeglicher Hinsicht begeisterndes. Vielleich tritt das politische Argument bei einem so leidenschaftlichen wie innigen Spiel wie dem von Harriet Krijgh einfach in den Hintergrund. Sie kostete die rhythmischen und melodischen Passagen mit großer Souveränität und Reife aus und spielte die temporeichen Tonfolgen äußerst präzise. Ihr Spiel war einfach vorbildlich: Technisch extrem anspruchsvolle Teile meisterte sie mit großer Leichtigkeit und variierte das Tempo so organisch, als sei sie mit dem Instrument verwachsen. Und trotz des breiten dynamischen wie technischen Spektrums gelang ihr eine einheitliche Interpretation mit großen Spannungsbögen, insbesondere in dem melancholisch gestimmten zweiten Satz, wo sie das Cello so warm und melodisch erklingen ließ, dass der junge bemerkenswerte Dirigent sich ihrem Solospiel lauschend hingab. Hinzu kam die hohe Konzentration des Spiels – gerade auch bei den Pianissimi, die das Publikum geradezu den Atem stocken ließen, und schließlich auch bei der Solo-Zugabe, der Bachschen Sarabande. Man spürte eine ähnliche Intensität wie seinerzeit bei der legendären Jacqueline du Pré: Hier spielte jemand, dessen Namen man sich merken sollte.
Die bisherige Entwicklung der jungen Cellistin Harriet Krijgh ist bemerkenswert: 1991 in den Niederlanden geboren, erhielt sie ihren ersten Cellounterricht bereits im Alter von fünf Jahren. Die jüngste von vier Kindern umarmte das Instrument förmlich, als sie es dem Bruder wegnahm, der keine Lust hatte zu üben. Schon mit neun wurde sie in die Klasse junger Talente an der Hochschule für Musik in Utrecht aufgenommen. Vier Jahre später verlegte sie dann bereits ihren Lebensmittelpunkt nach Wien, um am dortigen renommierten „Konservatorium Wien Privatuniversität“ bei Lilia Schulz-Bayrova und Jontscho Bayrov Cello zu studieren, wo sie später ihr Studium erfolgreich mit dem Bachelor abschloss. Dann war sie mit einem Casals-Stipendium bei Frans Helmerson an der Kronberg Academy, wo sie ihr Studium mit dem Master beendete.
Ihre Lehrer und Lehrerinnen – so empfindet sie es heute voller Dankbarkeit – haben sie, angefangen vom ersten Cello-Lehrer Johannes Eisenmeier, jeweils musikalisch weitergebracht. Zwischen 2008 und 2010 gewann Harriet erste Preise bei verschiedenen Wettbewerben, wie z. B. den „Prinses Christina Concours“ in den Niederlanden oder den „Fidelio-Wettbewerb“ in Wien sowie den „Nicole Janigro Preis“ beim internationalen „Antonio Janigro Cello Competition“ in Kroatien. Ihr bislang größter Erfolg waren 2012 der 1. Preis sowie der Publikumspreis der Cello Biennale Amsterdam, was sie besonders gefreut hat, da es ihr eine Heimkehr in ihre niederländische Heimat ermöglichte, „wo ich meine Füße verloren habe“, wie sie es in ihrem charmanten und anschaulichen Deutsch mit niederländischem Akzent ausdrückt.
Schlussapplaus für Harriet Krijgh im HR-Sendesaal; Foto: Petra Kammann
Da „Qualität“, wie die leidenschaftliche Musikerin sagt, „bei mir immer an erster Stelle stand und steht“, initiierte sie bereits 2012 ihr eigenes Kammermusik-Festival 80 km südlich von Wien, auf Burg Feistritz in Österreich: „Harriet & Friends“. Dort übernimmt sie alljährlich die künstlerische Leitung für Kammermusikkonzerte mit befreundeten hochkarätigen Musikern aus der ganzen Welt. An dem für sie mythischen Ort wird dann eine Woche lang zusammen gelebt und musiziert. „Jeder Raum ist da beseelt, nichts ist kitschig.“ Darüber hinaus übernahm sie kürzlich die künstlerische Leitung des Internationalen Kammermusikfestivals in Utrecht.
Neben ihren Auftritten konzertierte die nach wie vor natürlich wirkende Künstlerin in so berühmten Konzertsälen wie dem Wiener Musikverein oder dem Concertgebouw Amsterdam und vergisst dabei nicht, welche Bedeutung für sie das Instrument, das Cello, hat. Harriet Krijgh spielt nämlich auf einem Violoncello von Giovanni Paolo Maggini, Diese ‘Magg’ Stradivari, einst von Jacqueline du Pré gespielt, wurde ihr von einem privaten Sammler zur Verfügung gestellt. Trotz all dieser Erfolge strahlt Harriet Krijgh etwas absolut Selbstverständliches, Unverbrauchtes und Natürliches aus. Und doch hat sie auch schon früh in Wien gelernt, was Disziplin bedeutet, und dass sie noch einen langen Weg vor sich haben wird, bis auch sie „die Musik von innen gehört hat“, wie sie es von Jacqueline du Pré sagte und alle es dann auch hören können.
Harriet Krijgh veröffentlichte bereits mehrere erfolgreiche CDs. Ihre aktuellste CD mit Musik von Sergej Rachmaninow wurde im Herbst 2015 bei Capriccio veröffentlicht.
Das Konzert mit Harriet Krijgh und Dominik Beykirch wird am 29. November 2016, 20.05 Uhr, im Programm hr 2 kultur ausgestrahlt.