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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Hessischer Film- und Kinopreis 2016

Das Filmland Hessen lebt

Von Renate Feyerbacher

Ende Oktober war es wieder soweit: In der Alten Oper Frankfurt wurden die Preisträger verkündet. Und das bereits zum 27. Mal! 185.000 Euro wurden als Preisgelder verteilt.

Zwei weltberühmte Männer schritten am Abend über den Roten Teppich: der grosse Bühnen- wie Filmschauspieler und Regisseur Klaus Maria Brandauer und der ungarische Film- und Opernregisseur István Szabó. Brandauer erhielt den Ehrenpreis des Hessischen Ministerpräsidenten: „Klaus Maria Brandauer hat ein Gesamtkunstwerk geschaffen, vor dem ich mich zutiefst verneige.“ Szabó, sein Laudator, hatte mit Brandauer 1981 den Film „Mephisto“ nach dem Roman von Klaus Mann (1906-1949) gedreht. Darin geht es um die Verstrickungen des Schauspielers Gustaf Gründgens in der Nazi-Zeit. Zehn Jahre später sprach der Regisseur und Drehbuchautor, in jungen Jahren IM der ungarischen Stasi, in einem SPIEGEL-Gespräch über die einflusslose, missbrauchte Rolle der Künstler und Intellektuellen in einem autoritären System. Sie seien nur „Schmuckstücke, Spielzeuge, Puppen … Es ist eine schlechte Rechtfertigung zu glauben, es sei besser, wenn man selbst mitmacht. Es ist der falsche Weg, man schließt einen Pakt mit dem Teufel.“

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Der Film „Mephisto“, der in Cannes Preise erhielt und in Hollywood den Oscar, machte Brandauer weltberühmt. Fortan war er in den USA gefragt. Für die Rolle des Baron Bror von Blixen in „Jenseits von Afrika“ (1985) mit Meryl Streep und Robert Redford wurde er mit dem Golden Globe ausgezeichnet und für den Oscar nominiert. Der 73-jährige Österreicher, Ensemblemitglied des Wiener Burgtheaters, steht auch auf der Bühne des Berliner Ensembles. Unvergesslich sein zehnstündiger Wallenstein in Schillers gleichnamigem Dramen 2007 in Berlin. Für die Darstellung des Dorfrichters Adam im „Zerbrochenen Krug“ von Heinrich von Kleist (1777-1811) wurde er 2008 mit dem Gertrud-Eysoldt Ring in Bensheim geehrt. Beim Gala-Abend fehlte allerdings der Verleiher des Ehrenpreises: der Hessische Ministerpräsident Volker Bouffier. Es wurde auch keine Entschuldigung verlesen. Das rief Brandauers Unmut hervor, der sich zu dem umstrittenen Satz hinreissen liess: „Ich hasse Politik, ich hasse Politiker.“

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Heino Ferch und Klaus Maria Brandauer

Traditionsgemäss hatte die Jury drei Spielfilme für den Hessischen Filmpreis nominiert. Es sind Filme, die einen Bezug zu Hessen haben oder hier gedreht wurden. Favoriten waren „Die Welt der Wunderlichs“ von Dani Levy, „Jonathan“ von Piotr J. Lewandowski und „Fritz Lang“ von Gordian Maugg.

„Die Welt der Wunderlichs“

Mimi Wunderlich, Musikerin, ist alleinerziehende Mutter (Katharina Schüttler) eines hyperaktiven Sohns namens Felix (Ewi Rodriguez). Sie hat gerade ihren Job verloren, wird zur Schule zitiert, weil Felix die Lehrerin in einen Schrank gesperrt hat. Als sie Hals über Kopf zur Schule stürmt, fährt sie einen Kunden (Stephen Groth) an. Ihr psychisch kranker Vater (Peter Simonischek) ist aus dem Krankenhaus getürmt und verwettet sein Hab und Gut auf der Pferderennbahn. Ihre Mutter (Hannelore Elsner) pflegt ihre Depression, die geschäftstüchtige Schwester (Christiane Paul) denkt nur an ihren Friseursalon. Mimis Ex-Mann (Martin Feifel), einst ein Rock-Star, kifft und säuft, eine schräge Type. Beider Erziehungsmethoden könnten nicht unterschiedlicher sein. Wen wundert es, dass Mimi, die realistisch anpackt, für alle da ist, fast durchdreht bei dieser neurotischen Familie. Mimi glaubt nicht mehr daran, ihre Karriere fortsetzen zu können, aber Felix. Er meldet sie heimlich bei einer Castingshow in der Schweiz an und wird eingeladen. Ihre chaotische Familie will sie nicht alleine dort hinfahren lassen. Die Familienkomödie wird zum Road-Movie.

Dani Levy, der auch das Drehbuch schrieb, ist ein Meister tragisch-komischer Alltagsgeschichten („Alles auf Zucker“). Seine Übertreibungen, seine Pointen haben Charme, sind aber manchmal auch unglaubwürdig. Auf Kritik wird verzichtet. Die menschlich-liebenswürdige Art, wie die Ereignisse geschildert werden, lassen eigene Schlüsse zu. Gedreht wurde in Hessen, unter anderem in Darmstadt. Die Castingshow, ein Höhepunkt des Films, hat das Filmteam professionell inszeniert. Katharina Schüttler, die auch als Theaterschauspielerin fasziniert – für ihre Darstellung der „Hedda Gabler“ wurde sie seinerzeit zur Schauspielerin des Jahres gekürt – spielt die Rolle der Mimi quirlig, besinnlich, unglaublich. Nur gesungen hat sie bei der Castingshow nicht. Herrlich Peter Simonischek, der vor Monaten in Cannes im Film „Toni Erdmann“ Furore machte, als spielsüchtiger Vater und Hannelore Elsner als depressive Mutter. Schauspielerisch gelungen, inhaltlich übervoll mit Gags, dennoch macht der Streifen Spass. Den Preis erhielt der Film „Die Welt der Wunderlichs“ nicht.

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Jannis Niewöhner und Thomas Sarbacher

„Jonathan“

Auch „Jonathan“ von Piotr J. Lewandowski, der in diesem Jahr auf der Berlinale im Panorama Premiere hatte, ging leer aus. Ko-Produzenten waren ausser dem Hessischen Rundfunk weitere ARD-Anstalten und Arte. In Ludwigshafen und Salt Lake City gefiel der Film dem Publikum; in San Francisco bekam er den First Feature Award. Auch Nominierung ist eine Auszeichnung. Der in Warschau geborene Lewandowski, der sein Filmstudium an der Offenbacher Hochschule für Gestaltung begann, wurde bereits 2013 beim Hessischen Filmpreis für sein mutiges Drehbuch, in dem es um Tod und Homosexualität geht, ausgezeichnet. Die Geschichte beruhe auf einer wahren Begebenheit, erzählt der Regisseur.

Der 23-jährige Jonathan (Jannis Niewöhner) bewirtschaftet zusammen mit seiner Tante Martha (Barbara Auer) einen Bauernhof und kümmert sich um Burghardt, seinen krebskranken Vater (André M. Hennicke). Der ausgemergelte Vater sitzt triefnass im Wald. Jonathan kommt und nimmt sein Gesicht in beide Hände. Der kräftige Sohn schleppt ihn nach Hause, so beginnt der Film. Eindrücklich diese Bilder. Mehr und mehr ist Jonathan die Überforderung anzumerken: Pflege des Vaters seit Jahren, schwere Arbeit auf Hof und Feldern. Der Vater lässt den Sohn, der immer wieder nach dem frühen Tod der Mutter fragt, jedoch nicht an sich ran. Mit seiner Schwester Martha redet Burghardt gar nicht. Dann taucht sein alter Freund Ron (Thomas Sarbacher) auf, den Jonathan als Eindringling empfindet. So nach und nach wird das Geheimnis der Familie offenbar. Jonathan lernt durch die junge Pflegekraft Anka (Julia Koschitz), die die Fragen des Lebens mit Lockerheit angeht und beantwortet, loszulassen und zu lieben.

Es sind intensive, einfühlsame, ruhige Bilder, die Kameramann Jeremy Rouse von Menschen und Natur einfängt. Stark ist auch die Besetzung. André M.Hennicke, der seine Mutter beim Sterben begleitete, habe die Rolle des schwerkranken Vaters übernehmen wollen, so erzählt der Filmemacher. Die Deutsche Film- und Medienbewertung verlieh „Jonathan“ das Prädikat „Besonders wertvoll.“ In der Begründung heisst es, die präzise Regie „schafft die Balance zwischen harten, realistischen und sehr intimen, anrührenden Szenen. Die atmosphärische Musik unterstreicht die Stimmung … ‚Jonathan‘ ist ein intensives Familiendrama, das am Ende des Lebens mit Lügen und Tabus aufräumt und allen Beteiligten die Möglichkeit zu Abschied und Emanzipation eröffnet.“

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Heino Ferch und Gordian Maugg

„Fritz Lang“

Gewinner des Hessischen Film- und Kinopreises 2016 ist „Fritz Lang“ von Gordian Maugg. Jurybegründung: „… filmtechnisch auf hohem Niveau, … eine ästhetisch gelungene Collage von fiktionalen Schauspielszenen und historischem Archivmaterial.“ Eine Besprechung gab es bereits nach der Preview im Wettbewerb des diesjährigen Lichter Filmfestes. Heino Ferch konnte sich auch über die (undotierte) Auszeichnung „Bester Schauspieler“ in der Kategorie Hessischer Fernsehpreis freuen. Die Rolle des Lebemanns in „Allmen und die Libellen“ überzeugte die Jury. Konkurrenten waren Nicholas Ofczarek in „Tatort: Die Geschichte vom bösen Friedrich“ und Wolfram Koch in „Dead Man Walking“ und „Tatort: Wendehammer“. Sie hätten den Preis ebenso verdient. Kollegin Margarita Broich, Partnerin von Wolfram Koch im Tatort, erhielt dagegen die Trophäe als „Beste Schauspielerin“ für „Aufbruch“ und „Tatort: Wendehammer“. „Und immer ist da diese umwerfende Körperlichkeit, mit der sie aus jeder Figur einen Solitär formt“ (Begründung der Jury).

Dokumentarfilm

Drei aussergewöhnliche Dokumentarfilme waren nominiert: „Meine Brüder und Schwestern im Norden“ von Sung-Hyung Cho  (ebenso bereits besprochen in Rahmen des erwähnten Lichter Filmfestes 2016), „Tokat- das Leben schlägt zurück“, in dem Andrea Stevens und Cornelia Schendel nachfragen, was aus den gewaltbereiten Jungs geworden ist, die Frankfurts Innenstadt in den 1990ger Jahren beherrschten, und „Ghostland – the view of the Ju/Hoansi“ von Simon Stadler und Catenia Lermer.

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Catenia Lermer und Simon Stadler

Den mit 15.000 Euro dotierten Preis gewannen die beiden in Frankfurt lebenden Regisseure. Auf originelle Weise widmen sie sich den Fragen „Was ist Heimat? Wo will ich leben?“ Ohne grosses Budget, nach einem Hinweis von einer Freundin, reisten sie zu dritt in die Kalahari-Wüste, die sich über mehrere westafrikanische Länder erstreckt. Sie nahmen Buschmänner in Touistenbussen mit, damit diese ihr Land kennenlernten. Der Ethnologe Stadler, der in Quito und Frankfurt studierte, führte auch die Kamera, der er schöne Bilder entlockte. Vier Bewohner der Kalahari, eine der ältesten Jäger- und Sammlerkulturen der Welt, zwei Frauen und zwei Männer, nahmen sie anschliessend auf eine Reise nach Europa mit. Die Buschmänner und -frauen, die sonst Touristenattraktionen sind, wurden zu Touristen und schilderten später ihre Sicht auf das Gesehene und Erlebte. Stadler erzählt, wie irritiert sie waren, erschreckt von zu viel Individualismus, von der Zivilisationskühle. Ihnen habe hier das Zwischenmenschliche gefehlt, was ihre Heimat prägt, nach der sie gerne zurückkehrten. Dabei geht es ihnen dort nicht gut. 1989 wurde ihnen die Jagd verboten. Fraglich ist, ob ihnen die Touristen, die ihr Land bereisen, sich mit ihnen fotografieren lassen, ihren Lebensunterhalt sicher können.

„Ghostland“, bereits weltweit gezeigt, in den USA mit einem Publikumspreis ausgezeichnet, kam in Deutschland erst kürzlich auf dem Kasseler Dokumentar- und Videofest zur Aufführung.

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Simon Pilarski

Den Hessischen Hochschulfilmpreis erhielt Simon Pilarski von der Hochschule Darmstadt für „Nächstenliebe“, der den Kindesmissbrauch der katholischen Kirche zum Thema hat. Der Kurzfilmpreis wurde Elisabeth Zwimpfer für ihren Animationsfilm „Ships passing the night“ zugesprochen, der von der zufälligen, kurzen Begegnung eines Paares erzählt, von dessen Angst, Flucht und Zuneigung.

Als bestes Drehbuch zeichnete die Jury „Herr Klee und Herr Feld“ von Michel Bergmann aus, das auf seinem gleichnamigen Roman fusst. Die Geschichte spielt in einer Villa im Frankfurter Westend. Die Hauptfiguren sind zwei ältere Herren, ein emeritierter Sozialpsychologe und ein mittelloser Schauspieler im Dauerzwist, der um die Themen Jung und Alt und den Nahost-Konflikt erweitert wird.

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Pepe Danquart

Pepe Danquart, mehrfach ausgezeichneter Dokumentarfilmer – unter anderem mit dem Oscar für den Kurzfilm „Schwarzfahrer“ (1994) – , rückte mit seiner begeisterten Laudatio das Augenmerk auf die Arbeit der gewerblichen und nicht gewerblichen Kinos, die ihre Säle für die Filme öffnen. Er lobte deren engagierte und erfindungsreiche Arbeit, die Filmkultur überhaupt erst möglich mache. Der Hessische Kinokulturpreis ging an zwölf gewerbliche und an acht nicht gewerbliche Filmtheater.

Der Gala-Abend des Hessischen Film- und Kinopreises war gelungen und interessant, einer der besten der letzten Jahre. Es blieb auch der Eindruck, dass die Bezeichnung „Filmland Hessen“ glaubwürdiger geworden ist, seitdem die auf drei Institutionen verteilten Aufgaben in der „HessenFilm und Medien GmbH“ gebündelt wurden. Das ist seit Anfang 2016 der Fall. Die Hessische Filmlandschaft fördern, Filmproduktionen nach Hessen holen und Voraussetzungen für viele Kreativarbeitsplätze schaffen, steht auf der To Do-Liste von HessenFilm. Es wird versucht, Talente in Hessen zu halten, indem ihnen geholfen wird, sich hier zu etablieren. Und ein stärkeres Augenmerk soll auf herausragende Dokumentarfilme gelenkt werden. Die Förderung von HessenFilm – Hessischer Rundfunk und Ministerium – wird im nächsten Jahr fast 10 Millionen Euro betragen.

Fotos: Renate Feyerbacher

→ Hessischer Film- und Kinopreis 2015
→ 25 Jahre Hessischer Film- und Kinopreis 2014
→ Hessischer Film- und Kinopreis 2013
→ Hessischer Film- und Kinopreis 2012

 

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