Sabine Kuehnle: „Die Versuchung des Heiligen Antonius“ in der Weissfrauen Diakoniekirche Frankfurt
Von Erhard Metz
Vielleicht mag es nicht ganz statthaft sein, aber es reizt uns denn doch: der grossvolumigen Installation von Sabine Kuehnle „Die Versuchung des heiligen Antonius“ in der Frankfurter Weissfrauen Diakoniekirche eines aus Hunderten von Details des um die Wende zum 16. Jahrhundert entstandenen berühmten Triptychons von Hieronymus Bosch „Die Versuchungen des heiligen Antonius“ gegenüberzustellen: eine Szene hoch am Himmel über einer Landschaft voll schrecklicher Geschehnisse und Heimsuchungen. Der Heilige fliegt, hilflos auf dem Rücken liegend, auf einem Drachenungeheuer, gequält von um ihn herum schwebenden Dämonen und teuflischen Wesen. Der ägyptische Christ Antonius, Begründer des asketischen, einsiedelnden Mönchtums – sein Tod wird auf das Jahr 356 datiert – , lebte und lehrte die Abkehr von leiblichen und weltlichen Begierden. Immer wieder lockten ihn jedoch verführerische Versuchungen und peinigten ihn albtraumhafte Visionen. Die „Vita Antonii“, verfasst von Bischof und Kirchenvater Athanasius (um 300-373), legt davon Zeugnis ab.
Hieronymus Bosch (um 1450-1516): Die Versuchungen des heiligen Antonius (um 1505/10), Triptychon, kleines Detail vom oberen Bildrand des linken Flügels, Museu Nacional de Arte Antiga, Lissabon; Bildnachweis wikimedia commons
Tiefschwarze, zerrissene Zeltplanen hängen in der Weissfrauenkirche von der Decke des hohen Kirchenraumes herab, flankiert von zerrissenen Netzen und trockenen, verkohlten Ästen. Äste, verbrannt und verkohlt, liegen auch auf dem Boden zerstreut.
Ihr Werk ist die nonverbale Sprache der Künstlerin Sabine Kuehnle, in der sie uns ihre Botschaften vermittelt. Wie gross unsere Bereitschaft als betrachtender Empfänger ist, diese Sprache zu ergründen, unseren Assoziationshorizont abzutasten oder uns zu sogenannten Interpretationen zu versteigen, bleibt uns selbst überlassen. So kann und muss es als lediglich eine Möglichkeit offen bleiben, ob Sabine Kuehnle die Antonius-Überlieferungen – Gegenstand einer grossen Anzahl von Werken in der christlichen Ikonographie – etwa in eine heutige Bild- bzw. Formensprache übersetzen will. Wenn überhaupt dann vielleicht in einem Sinne, dass im Hier und Jetzt der partiellen Wohlstands- und Überflussgesellschaft Phänomene von Unsicherheit und Orientierungslosigkeit, Bedohung und Angst, von Schuld und gar Gewissensnot überwiegen. Andere wiederum könnten in den zerrissenen, verkohlten Zeltbahnen, Fischernetzen und Bäumen – einst gewährleisteten sie Schutz, Nahrung und Überleben – ein Symbol für Krieg und Vernichtung, Flucht und Vertreibung erkennen; und wieder andere Fragen der künstlerischen Existenz; oder am Ende gar nur eine formale Komposition von skulpturalen Elementen. Letzteres würden wir nun jedenfalls ganz und gar von uns weisen.
Kehren wir zum Anfang zurück: Nicht unbedingt Hieronymus Bosch, sondern Martin Schongauers Kupferstich „Die Peinigung des heiligen Antonius“ soll der Künstlerin als eine Inspiration zu ihrer Installation gedient haben.
Sabine Kuehnle begegneten wir bereits im Frankfurter Kunstverein – in wunderbaren Werken wie „Ein alter Traum“ oder „Female Metamorphosis“.
Sabine Kuehnle, „Die Versuchung des heiligen Antonius“, Weissfrauen Diakoniekirche, Finissage Freitag, 11. November, 19 Uhr, Ausstellungsende 18. November 2016
Abgebildetes Werk © Sabine Kuehnle; Fotos: Erhard Metz
→ “Vom Dasein & Sosein. Skulptur, Objekt & Bühne” im Frankfurter Kunstverein / 4