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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Kommen und Gehen – von Courbet bis Kirkeby“ im Museum Giersch (2)

Künstleraufenthalte in der Region Frankfurt/RheinMain aufgespürt

Von Hans-Bernd Heier

Unter dem Titel „Kommen und Gehen – von Courbet bis Kirkeby. Künstleraufenthalte in der Region Frankfurt/RheinMain“ beleuchtet das  Museum Giersch der Goethe-Universität das facettenreiche Thema. An über 50 ausgewählten Künstlerpersönlichkeiten von Mitte des 19. bis Ende des 20. Jahrhunderts thematisiert die Ausstellung die spannenden Wechselbeziehungen zwischen den Kunstschaffenden und ihrer temporären Wahlheimat. Neben monografischen Räumen bieten in der klar strukturierten Schau sogenannte „Themenräume“ wie beispielsweise „Freilichtmalerei“, „Künstlerfreundschaften“, „Künstlerkolonie Darmstadt“, „Rheinländische Künstler in Frankfurt“, „Vertreibung“ oder „Anschluss an die internationale Moderne nach 1945“ Einblicke in die lebendige Kunstszene

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Hans Thoma „Wächter vor dem Liebesgarten“, 1895; Öl auf Leinwand, 79 x 68,5 cm; Privatbesitz; Foto: Uwe Dettmar, Frankfurt a. M.

Großen künstlerischen und finanziellen Erfolg konnte Hans Thoma verzeichnen, der von 1877 bis 1899 in Frankfurt lebte und arbeitete. Ein kleiner Kreis Frankfurter Bürger ermöglichte ihm durch Aufträge und intensive Sammeltätigkeit einen gesicherten Lebensstandard – ein in Künstleraugen idealer Zustand. Im Gegensatz zu seinen Künstlerfreunden Albert Lang und Karl von Pidoll, die Thoma in die Mainmetropole folgten, gelang ihm der triumphale Durchbruch zu nationaler Anerkennung. Meyers Großes Konversationslexikon von 1909 bezeichnete ihn gar als „Lieblingsmaler des deutschen Volkes“. Das Städel würdigte den populären Künstler vor drei Jahren mit einer großen Überblicksschau.

Auch nachdem Thoma zum Direktor der Großherzoglichen Gemäldegalerie in Karlsruhe (heute Staatliche Kunsthalle) berufen wurde, hat er wohl Künstlerfreunden seine frühere Wahlheimat noch empfohlen. Denn Frankfurt am Main war – und ist  – ein attraktiver Standort aufgrund seiner lebendigen Kunstszene mit renommierten Kunsthandlungen, potenten Sammlern und engagiertem Kunstvereinen. Neben Fragen nach künstlerischen Aus- und Fortbildungsmöglichkeiten, nach gleichgesinnten Kunst- und Kulturschaffenden sowie Ausstellungsmöglichkeiten bewog vor allem die Aussicht auf Verkaufs- und Verdienstmöglichkeiten Künstler  zum Ortswechsel. Dabei sorgte auch der 1904 gegründete „Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein“ für positive Impulse. Mit Ausstellungen, Aufträgen, Wettbewerben und Stipendien förderte dieser den vielfältigen Kontakt und den Austausch unter der Künstlerschaft in den deutschsprachigen Ländern entlang des Rheines.

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Porträtfotos und -gemälde der ausgestellten Künstler empfangen den Besucher am Ausstellungseingang; Foto: Hans-Bernd Heier

Besonders großzügig war der kunstsinnige Großherzog Ernst Ludwig von Hessen. Mit der 1899 gründeten Künstlerkolonie Darmstadt wollte er seine Residenz zum Zentrum moderner Kunst machen und so das Ansehen des Großherzogtums steigern. Er berief junge Künstler nach Darmstadt, deren Tätigkeit nicht mehr die Trennung von freier und angewandter Kunst prägen sollte. Vielmehr strebten sie nach der Einheit von Kunst und Leben im Sinne des Gesamtkunstwerks, indem sich alle Lebensbereiche einem ästhetischen Prinzip unterordneten. Diese Architekten, Bildhauer, Designer und Graphiker wie Peter Behrens, Josef Maria Olbrich, Rudolf Bosselt und andere genießen mittlerweile Weltruhm. Die wichtigsten Gebäude prägen bis heute das Erscheinungsbild der Mathildenhöhe in Darmstadt: Das Ernst-Ludwig-Haus, die Künstlerhäuser, der Hochzeitsturm, weitere Architekturen und der Platanenhain dokumentieren das weitsichtige Engagement des Großherzogs, dessen Vision als „Weltentwurf“ Aufnahme in die Liste des Weltkulturerbes anstrebt.

Ausgestattet mit einem festen Einkommen und großen künstlerischen Freiheiten sollten die Künstler moderne Entwürfe für handwerkliche Betriebe entwickeln, um auch die Wirtschaft des Herzogtums zu fördern. Statt industrieller Massenware sollten funktionale Gegenstände des täglichen Lebens mit ästhetischem Anspruch produziert werden. Gleich in zwei Ausstellungsräumen sind ausgewählte Exponate zu sehen.

Stets bereicherte und stärkte private Sammeltätigkeit die Kunstszene. Zu den bedeutendsten modernen Privatkollektionen im Rhein-Main-Gebiet gehörte in den 1910/20er Jahren die Sammlung von Heinrich Kirchhoff in Wiesbaden. 1909 war der Sohn eines Bauunternehmers aus gesundheitlichen Gründen von Essen in die Kurstadt gezogen. In den folgenden Jahren baute er eine qualitätsvolle Kollektion auf, die vor allem Arbeiten des Expressionismus umfasste. Erwerbungen von Max Beckmann, Erich Heckel, Alexej von Jawlensky, Wassily Kandinsky, Ernst Ludwig Kirchner, Paul Klee, Oskar Kokoschka, Franz Marc, Emil Nolde, Max Pechstein und Christian Rohlfs zählten ebenso zu ihr wie solche aus dem Umfeld der Neuen Sachlichkeit, so von Otto Dix und George Grosz. Einige der von ihm unterstützten Künstler band Kirchhoff zeitweise an die Region, wie Josef Eberz, Conrad Felixmüller und Walter Jacob. Einige ihrer Arbeiten sind in der ehemaligen Holzmann-Villa ausgestellt.

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Louise Rösler „Frühlingslandschaft mit blauem Zaun“, 1952/53, Öl auf Leinwand, 50 x 69 cm; Museum Atelierhaus Rösler-Kröhnke; Foto: Uwe Dettmar, Frankfurt a. M.

Für die avantgardistische Kunst der Moderne setzte sich in den Dreißiger Jahren und nach dem Zweiten Weltkrieg besonders die Künstlerin, Kunsthändlerin und -sammlerin Hanna Bekker vom Rath ein. Bereits während der Diktatur des Nationalsozialismus veranstaltete sie in ihrer Berliner Atelierwohnung heimliche Ausstellungen verfemter Künstler und scharte in ihrem „Blauen Haus“ in Hofheim am Taunus Kunst- und Kulturschaffende um sich. Mit drei Künstlern pflegte sie tiefe und lebenslange Freundschaften: mit Ida Kerkovius, mit dem in Wiesbaden lebenden Alexej Jawlensky sowie Karl Schmidt-Rottluff, dem sie in Hofheim sogar ihr Atelier überließ. 1947 gründete sie das „Frankfurter Kunstkabinett Hanna Bekker vom Rath“. In den 1950er und 1960er Jahren unternahm sie darüber hinaus Ausstellungsreisen mit Werken deutscher Künstler durch Nord- und Südamerika, Südafrika, Indien, Spanien, Ägypten, Griechenland, Marokko und dem Libanon.

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Paul Fontaine „Ohne Titel,1964“, Öl auf Leinwand, 90,1  x 70,6 cm; Privatbesitz; Foto: Uwe Dettmar, Frankfurt a. M.

Wie andernorts erfolgte nach 1945 im Rhein-Main-Gebiet eine „Neuformierung der Kunst- und Kulturszene, innerhalb derer eine rasche Wiederaufnahme des kulturellen Lebens gelang“, so  Susanne Wartenberg. Bereits im Oktober 1945 wurde die Neue Darmstädter Sezession gegründet und 1953 folgte die Frankfurter Sezession. Hitzig diskutiert wurde die grundsätzliche Neuausrichtung der aktuellen bundesdeutschen Kunst, die sich zwischen den Polen Figuration und Abstraktion bewegte.

Den Anschluss an die von der Abstraktion dominierte internationale Kunstentwicklung gewährleisteten in der Rhein-Main-Region nicht zuletzt zugezogene Künstler wie Karl Otto Götz und Bernard Schultze, die deutschlandweit zu zentralen Vertretern der gegenstandslosen Malerei werden sollten. In der 1949 eröffneten „Zimmergalerie Franck“ fanden ihre Werke eine Ausstellungsplattform. Nach einer Schau im Jahre 1952 gemeinsam mit den Frankfurtern Otto Greis und Heinz Kreutz wurde das Quartett als „Quadriga“ bezeichnet. Diese Gruppierung gilt als „Keimzelle“ des deutschen Informel. In Anlehnung an den amerikanischen Abstrakten Expressionismus und den französischen Tachismus standen bei dieser Kunstbewegung der spontane malerische Gestus und seine Materialität im Mittelpunkt. Demgegenüber bezog sich die geometrische Abstraktion, zu der der ebenfalls zugezogene Georg Meistermann tendierte, auf klar abgegrenzte geometrische Flächen.

Parallel zu der Avantgarde der Nachkriegszeit, die sich der Abstraktion verschrieb, gab es auch Künstlerinnen und Künstler, die weiterhin eine gegenständliche Position verfolgten. Zu ihnen gehörten die Maler Eberhard Schlotter und Heinrich Steiner sowie der Bildhauer Toni Stadler, die trotz abstrahierender Elemente in ihrer künstlerischen Produktion der menschlichen Figur, dem Gegenstand verpflichtet blieben. Sie trugen laut Wartenberg mit Werken zum facettenreichen Erscheinungsbild der Kunstszene der Rhein-Main-Region in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts bei.

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Hans Pellar „Ninon (de Lenclos)“, 1911, Öl auf Leinwand, 97 x 93 cm; Privatbesitz; Foto: Uwe Dettmar, Frankfurt a. M.

Die zunehmend gleichberechtigte Existenz verschiedenartiger Kunstformen und -tendenzen vollzog sich vor dem Hintergrund einer voranschreitenden Internationalisierung des Kunstgeschehens. Diesen Entwicklungen tragen auch die künstlerischen Ausbildungsinstitutionen durch die Berufung international bekannter Künstlerinnen und Künstler als Lehrende Rechnung. So kamen der Däne Per Kirkeby, der Österreicher Hermann Nitsch, aber auch die Bildhauer Michael Croissant und Ulrich Rückriem aufgrund ihres Lehrauftrags an der Städelschule von außerhalb nach Frankfurt. Hier nahmen sie entscheidenden Einfluss auf zahlreiche Schülerinnen und Schüler. Darüber hinaus sind einige von ihnen mit Arbeiten im Stadtraum präsent. Ausgewählte Arbeiten von allen genannten Künstlern werden in der sehenswerten, höchst informativen  Themenschau gezeigt. Die Heterogenität und künstlerische Bandbreite der ausgestellten Werke führt beeindruckend vor Augen, welche Bedeutung die temporäreren Aufenthalte im Rhein-Main-Gebiet für die Künstler hatten und welche Spuren sie hier hinterlassen haben.

„Kommen und Gehen – von Courbet bis Kirkeby. Künstleraufenthalte in der Region Frankfurt/RheinMain“, Museum Giersch der Goethe-Universität, bis 22. Januar 2017

Bildnachweis (soweit nicht anders bezeichnet): Museum Giersch der Goethe-Universität

→ „Kommen und Gehen – von Courbet bis Kirkeby“ im Museum Giersch (1)

 

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