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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Paul Bunyan“ von Benjamin Britten an der Oper Frankfurt

To Make America Great

Von Renate Feyerbacher
Fotos: Barbara Aumüller / Oper Frankfurt

Alles ist riesig – so wie sich Amerika versteht. Vor allem ist es der Held Paul Bunyan – ein übermenschlicher Riese, der seine Ehestreitigkeiten hat und eine Tochter zeugt. Erfunden hat ihn eine amerikanische Werbefirma, die seine Legenden zu Werbezwecken nutzte und 1922 eine erste Sammlung seiner Geschichten veröffentlichte. Stopp: wirklich erfunden haben diese Figur die Holzfäller im 19. Jahrhundert. Allein in Michigan hatten Holzbarone Holz im Wert von vier Milliarden Dollar fällen lassen. Die Holzfäller, heimatlose Einwanderer, schufteten unter schweren Bedingungen mehr als zwölf Stunden am Tag. Sie dachten sich Paul Bunyan aus und erfanden Geschichten, die sie sich in der wenigen Freizeit erzählten. Die Werbung nahm Paul im 20. Jahrhundert unter ihre Fittiche und machte ihn gross. Dann bemächtigte sich der englische Poet, Dramatiker und Librettist Wystan-Hugh (W.H.) Auden (1907-1973), der später amerikanischer Staatsbürger wurde, des Textes. Der jüngere englische Komponist Benjamin Britten (1913-1976) nahm ihn für seine Chor-Operette „Paul Bunyan“ (Auden schrieb auch für Strawisnky „The Rake’s Progress“).

Auden und Britten hatten in England dieselbe Schule besucht. 1939 verliess Britten Europa, kehrte aber 1942 wieder nach England zurück. „Paul Bunyan“, uraufgeführt 1941 in New York, ist Brittens erstes Bühnenwerk. Im Bockenheimer Depot hatte es jetzt in der Premiere am 9. Oktober 2016 Frankfurts Erstaufführung. Die Kolonialisierung eines Landes und die Nutzbarmachung der Natur: das sind die Grundgedanken dieses Werkes.

America is what you do. America is I and you. America is what you choose to make it”, predigt Paul Bunyan im 2. Akt.

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Michael McCown (Johnny Inkslinger) und Ensemble (Holzfäller); Foto © Barbara Aumüller

Die Operette beginnt mit einem Prolog. Links von der Bühne erscheinen die alten Bäume, mächtig singend, rechts eine kleine Gruppe der jungen Bäume. Dann verkündigen reizende Wildgänse Paul Bunyans Geburt. Per Video präsentiert dieser sich als Riesenbaumgesicht. Er redet, singt nicht und zeigt dabei seine blendend weissen, grossen, fletschenden Zähne. Gross angelegt ist auch das vorzügliche Bühnenbild von Johannes Leiacker. Aufgeschlitzte, ramponierte Campbells-Suppendosen à la Andy Warhol hängen und liegen überall herum, werden bespielt. Suppendosen warum? Im 1. Akt geht es oft ums Kochen, Essen und den Aufstand der Holzfäller gegen die schlechten Köche, die verjagt werden, weil sie ständig Bohnen und Suppe auftischen. Abhilfe naht durch Hot Biscuit Slim.

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Michael McCown (Johnny Inkslinger; Bildmitte) und Ensemble; Foto © Barbara Aumüller

Der 1. Akt schleppt sich inhaltlich dahin. Es dauert bis durchgeblickt wird, um was es wirklich geht. Erst im 2. Akt wird das Anliegen deutlich. Im Vorwort zu „Paul Bunyan“ schreibt W.H. Auden: „Das wichtigste und heute aktuelle Element der Sage von Paul Bunyan liegt in ihrer Widerspiegelung der kulturellen Probleme, wie sie die Kolonisierung eines Landes und die Nutzbarmachung der Natur in der Anfangszeit einer neuen Zivilisation mit sich bringen“ (Zitat aus Programmheft).

Paul Bunyan, dem Nathaniel Webster seine Stimme gibt, ruft die Männer auf, als Holzfäller beim neuen Amerika mitzuwirken. Widerwillig kommt der gebildete Einzelgänger Johnny Inkslinger, den schliesslich der Hunger treibt, und wird Bunyans Buchhalter. Sein Gegenpart ist der Kraftprotz Hel Helson (Sebastian Geyer). Ihn ernennt Bunyan zum Vorarbeiter. Natürlich bleibt in so einem reinen Männer-Camp die Krise nicht aus. Gutes Essen hätte sie wenigstens wenn nicht verhindern, so doch mildern können. Immerhin kommt ein neuer Koch, der Cowboy Hot Biscuit Slim (Michael Porter), der später Tiny (Elizabeth Sutphen), Bunyans Tochter, heiratet.

Im 2. Akt fordert Hel Helson Bunyan heraus, aber er unterliegt dem Übermenschen, versöhnt sich dann mit ihm.

Ausschweifend, mit viel Alkohol wird am Ende Weihnachten gefeiert. Neue Lebenswege beginnen: Tiny und Slim ziehen nach New York, Hel Helson geht nach Washington in die Regierung und Johnny Inkslinger folgt dem Ruf nach Hollywood. Paul Bunyan verabschiedet sich von den Pionieren und mahnt gesellschaftliche Verantwortung eines jeden an. Es ist ein Aufruf, Freiheit zu schützen. Das letzte Wort haben die Tiere, die litaneihaft die Gefahren nennen, die drohen.

Am Ende konnte man an den derzeitigen Wahlkampf denken mit seinen Slogans “Make America Great Again“ (Trump) und „Stronger Together“ (Clinton).

Die Solisten, vor allem der feine Tenor von Michael Mc Cown als Johnny Inkslinger, verhelfen dem Abend zum Erfolg.

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v.l.n.r. Michael McCown (Johnny Inkslinger), Michael Porter (Hot Biscuit Slim) und Elizabeth Sutphen (Tiny) sowie Ensemble (Holzfäller; im Hintergrund); Foto © Barbara Aumüller

Alles ist riesig aufgezogen. Die Bühne quillt geradezu über von Sängern, manchmal stehen um die 20 Sänger auf der Bühne, nur vier Sängerinnen haben es ins Libretto der Operette geschafft: die bereits genannte Tiny, Hund Fido (Sydney Mancasola, neues Ensemblemitglied) und die beiden Katzen Moppet und Poppet (Julia Dawson, Opernstudio, und Cecilia Hall, neues Ensemblemitglied). Die Tiere sind oft klüger als die Männer. Bettina Munzer hat sich ausgefallene Kostüme ausgedacht. 27 Namen verzeichnet allein der Chor, überzeugend einstudiert von Ines Kaun, und gut besetzt ist das Frankfurter Opern- und Museumsorchester, das unter Leitung von Nikolai Petersen, seit dieser Spielzeit Kapellmeister am Frankfurter Haus, meisterhaft musiziert. Links von der Bühne, geradezu an den Rand gedrängt, wurden die Musiker diesmal plaziert. Nur das Bockenheimer Depot kann eine solche Inszenierung aufnehmen.

Britten ist ein Meister der Chorkomposition, so auch in diesem eigenwilligen Werk. Es gibt eine Sprechrolle (Bunyan) und einen mit Gitarre singenden Erzähler. Der aus dem Rhein-Main Gebiet stammende Singer-Songwriter Biber Herrmann erzählt singend im Stil der Country music die Geschichte von Paul. Sehr amerikanisch.

Die Arrangeurin dieser monumentalen Vielfältigkeit, die sie mit Bravour meistert, ist Brigitte Fassbaender. Die Regisseurin inszeniert nach „Ariadne auf Naxos“ zum zweiten Mal an der Oper Frankfurt. Die einst weltweit gefeierte Mezzosopranistin hat sich 1995 von der Bühne verabschiedet, widmet sich seitdem aber der Opern- und Schauspielregie, war Operndirektorin in Braunschweig, Intendantin in Innsbruck und ist seit 2009 künstlerische Leiterin des Richard-Strauss-Festivals in Garmisch-Partenkirchen. Es steckt viel Witz, aber auch Nachdenkliches, dem sie zwischendurch auch Raum gibt, in der Realisierung.

Weitere Vorstellungen des gelungenen Operettenabends am 14., 16., 19. und 22. Oktober jeweils um 19.30 Uhr im Bockenheimer Depot

 

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