Von den Fünfzigern bis heute – die Kunstsammlung der Deutschen Bundesbank in der Europäischen Zentralbank
Aus Anlass der „Europa Kulturtage 2016“ mit dem Schwerpunktthema Deutschland nehmen die Bundesbank und die Europäische Zentralbank die Gelegenheit wahr, die kulturellen Schätze der Bundesbank der Öffentlichkeit zugängig zu machen. Seit ihrer Gründung im Jahre 1957 sammelt die Bundesbank Kunstwerke für ihre Mitarbeiter. So ist im Laufe von 61 Jahren dann auch eine stattliche Sammlung zeitgenössischer Gemälde, Papierarbeiten, Plastiken und raumbezogenen Installationen deutscher Künstler zusammengekommen. Und das an unterschiedlichen Standorten mit ganz unterschiedlichen Zielsetzungen.
Ein kleiner Ausschnitt von rund 50 Werken wird derzeit in der neuen EZB gezeigt.
Petra Kammann war bei der Vernissage
Schon die Architektur der ehemaligen Großmarkthalle aus den späten 1920er Jahren, ein Flaggschiff des „Neuen Frankfurt“, hat Gewicht – mit der 220 Meter langen, 60 Meter tiefen und 23 Meter hohen Halle mit den querliegenden Fenstern und den elegant aneinandergereihten Tonnengewölben. Der gläserne Büroturm, der über ein Eingangsbauwerk mit der historischen denkmalgeschützten Großmarkthalle des Architekten Martin Elsässer verbunden ist, setzt noch eins drauf. Hat man die Sicherheitszonen durchquert, geht der Blick des Besuchers in schwindelnde Höhen. Die architektonisch kühnen gläsernen Einschnitte, die schillernd-spektakuläre Architektur der Architektengruppe Coop Himmelb(l)au steigert diesen Eindruck umso mehr, wenn am späten Nachmittag das Abendlicht auf die Scheiben scheint oder die Lichter angehen.
Die frühere Großmarkthalle von Martin Elsässer, verschränkt mit der Erweiterung von Coop Himmel(b)lau im Frankfurter Ostend
Im Inneren kreuzen sich täglich die Wege mehrerer tausend Menschen, die aus den verschiedensten europäischen Ländern kommen. Nun aber hat an ausgewählten Terminen auch das Publikum Zugang. An bestimmten Tagen und nach vorheriger Anmeldung wird bis zum 30. November 2016 Einlass in eine Ausstellung in der ehemaligen Großmarkthalle gewährt, hier werden Teile der Kunstsammlung präsentiert, welche die Deutsche Bundesbank bzw. ihre Vorgängerinstitution, die Bank deutscher Länder – und früheren regionale Landeszentralbanken – seit den 1950er Jahren kontinuierlich für ihre Mitarbeiter aufgebaut haben.
Sowohl der Hausherr, EZB-Präsident Mario Draghi, als auch Bundesbankpräsident Jens Weidmann sprachen anlässlich der Eröffnung der Ausstellung
Beginnt man den Rundgang der Ausstellung mit geschätzt 50 Exponaten chronologisch in den 1950er Jahren des letzten Jahrhunderts, so nimmt sich die Ausstellung geradezu bescheiden aus, wenn man an die großformatigen Parallelwerke der Künstler in zeitgenössischen Museen und gleichzeitig an die räumlichen Möglichkeiten des Hauses der EZB denkt. Die Begrenzung jedoch ist den Sicherheitsvorkehrungen geschuldet.
So wirkt etwa eine kleine Komposition von Ernst Wilhelm Nay aus dem Jahre 1950 oder ein Ölgemälde von Werner Gilles geradezu anrührend, oder die Aquatinta-Komposition von Hans Hartung. Dieser Teil der Sammlung ist der Kuratorin Iris Cramer besonders ans Herz gewachsen, weil sie etwas von deren Anfängen erzählt, von der Befreiung der deutschen Nachkriegskünstler und von dem Eindruck, den sie von Beginn an im Jahre 1957 auf die Mitarbeiter gehabt habe.
Kunst der 50er Jahre auf einer Wand versammelt: die Kuratorin der Deutschen Bundesbank, Iris Cramer
Damals sei die Kunst bewusst für sie gekauft worden, so die Kuratorin, damit sie am Arbeitsplatz ständig präsent ist. Das Darstellungsthema Geld sei ganz bewusst ausgeklammert worden. Die Gedanken sollten frei schweifen können. Und das habe in der Bundesbank bestens funktioniert. Sie konnten sich aus dem jeweiligen Teilbestand, der Artothek, Werke für ihr eigenes Büro ausleihen. Etliche behielten es über Jahre. So haben sich dann beispielsweise Mitarbeiter schon gemeldet, wenn ein anderer in den Ruhestand versetzt wurde, um sich als „Erbe“ für das Bild anzumelden oder aber um bewusst ein anderes in ihr Zimmer zu bekommen. Zeitgenössische Kunst um sich zu haben war damals noch absolut keine Selbstverständlichkeit, erst recht nicht die selbständige Auseinandersetzung mit künstlerischen und avantgardistischen Ansätzen wie zum Beispiel der informellen Malerei, die zunächst nicht sehr akzeptiert wurde. Aber, wie Bundesbankpräsident Jens Weidmann in seiner Begrüßungsansprache betonte, sei Deutschland seit der Barockzeit in künstlerischer Hinsicht immer schon Avantgarde gewesen.
EZB-Präsident Mario Draghi
EZB-Präsident Mario Draghi erwähnte in seiner Rede sowohl den schwäbischen Künstler HAP Grieshaber, der nach dem Zweiten Weltkrieg den Holzschnitt erneuerte und zum eigenständigen, monumentalen Wandbild entwickelte, als auch den Dresdner konstruktivistischen Künstler Hermann Glöckner, der mit einer Collage von 1971 in der Ausstellung vertreten ist. Beide mussten in der NS-Zeit als „entartete Künstler“ arbeiten und erlebten in der Nachkriegszeit verschiedene Arten von Befreiung. Draghi entwickelte anhand dieser Beispiele die Postulate „Diversity, tolerance and openmindness“ als fundamentale Werte, die auch für die EZB gelten und die weiterhin in der angespannten Lage in Europa verbindlich bleiben sollten.
Bundesbankpräsident Jens Weidmann hatte seine Rede mit einem Zitat des romantischen deutschen Dichters Jean Paul begonnen, für den die Kunst nicht das Brot, sondern der „Wein des Lebens“ sei, den wir auch an diesem Ort im doppelten Sinne miteinander teilen sollten. Kultur könne helfen, so weiter sein Credo, unerwartete Aspekte zu sehen. Das gelte nicht nur für die zeitgenössische Kunst, die zum Beispiel u.a. mit einer Arbeit von Tobias Zielony vertreten ist, sondern auch für die Musik, die Literatur, den Tanz, die an anderer Stelle anlässlich der Kulturtage zum Ausdruck kämen.
Tobias Zielony, der jahrelang die Orte des Abstiegs und der Revolte fotografiert hatte, bevor er den deutschen Pavillon auf der jüngsten Biennale in Venedig bespielen durfte, konzentriert sich auf die aktuelle Flüchtlingskrise und porträtiert afrikanische Flüchtlinge. Dafür hat er eigens mit ihnen, die das Dach der früheren Gerhart-Hauptmann-Schule in Berlin-Kreuzberg besetzt hatten, zusammengearbeitet. Er hat Fotos von den Aktivisten gemacht und mit ihnen Artikel geschrieben, die in den Zeitungen afrikanischer Länder, in Uganda, Sudan, Kamerun, Nigeria und Ghana, veröffentlicht wurden. Ein Bild von jemandem zu drucken, der gleich wo in der Welt aus Protest auf dem Dach steht, sei seiner Meinung nach im Sudan schon eine Provokation.
Die Hintergründe dazu lassen sich auch in einer ausgelegten Zeitung – Teil des Projekts – nachvollziehen. In einem ZEIT-Interview äußerte sich der Künstler dazu folgendermaßen: „Die Arbeit hatte für mich auch eine gewisse Ironie. Zu sagen, ich arbeite zwar in Deutschland, aber ich veröffentliche in Afrika. Journalisten machen das sonst genau andersrum. Für die Zeitungen war es sehr ungewöhnlich, dass ein deutscher Fotograf sagt: Ich möchte bei euch veröffentlichen. Ich wollte, dass meine Bilder zirkulieren und an einem normalen Tag an einem normalen Ort in Lagos oder Kampala in einer Zeitung zu sehen sind.“
Die Spanne der ausgewählten Arbeiten aus Ost- und Westdeutschland ist nicht museal, und die einstige Großmarkthalle ist kein White Cube, aber die Zusammenstellung der Arbeiten mit ihren Hintergrundgeschichten stimmt nachdenklich.
Bundesbankpräsident Jens Weidmann schaut sich die Arbeiten vor der Eröffnung der Vernissage an
„Europa hat in den vergangenen Jahrzehnten“, so Bundesbankpräsident Jens Weidmann, „viel für seine Bürgerinnen und Bürger erreicht. Frieden, Freihandel, Freizügigkeit – viele Errungenschaften sind zur Selbstverständlichkeit geworden. Für viele Bürger hat Europa allerdings an Strahlkraft verloren und ist zur Projektionsfläche für überbordende Bürokratie und die Schattenseiten von Globalisierung und Migration geworden. Das Kulturelle ist daher umso wichtiger geworden, ermöglicht es doch eine Rückbesinnung auf die Leitidee der Europäischen Union: In Vielfalt geeint. Hier ist die Integration weit vorangeschritten, ohne das Individuelle und Besondere einzelner Regionen und Kulturen aufzugeben.“
Und sie vermittelt an diesem großzügig angelegten Ort auf bescheidene Weise ein Bild wahrnehmerischer Vielfalt, die sich nach dem Krieg im Herzen Europas, im geteilten wie im wiedervereinten Deutschland, entwickeln konnte.
Zu sehen ist die Ausstellung „Von den Fünfzigern bis heute – die Kunstsammlung der Deutschen Bundesbank“ bis zum 30. November 2016 nach Voranmeldung. Informationen unter: Besuch der Europäischen Zentralbank / cultural-days@ecb.europa.eu
Als Ergänzung zur Ausstellung finden auch in der Zentrale der Deutschen Bundesbank Kunstführungen statt. Informationen unter: www.bundesbank.de/kunstsammlung
Fotos: Petra Kammann