„Schaufenster des Himmels“ im Städel Museum
Der Altenberger Altar und seine Bildausstattung
Von Erhard Metz
Eine kleine, wenngleich feine und von manchen Besuchern des Städel Museums vermutlich kaum wahrgenommene Schau in der Ausstellungshalle der Graphischen Sammlung geht am kommenden Sonntag zu Ende. In 37 Exponaten wird eine der eindrucksvollsten Kirchenausstattungen aus dem späten 13. und frühen 14. Jahrhundert gezeigt: der frühgotische „Altenberger Altar“ aus der ehemaligen Klosterkirche Altenberg an der Lahn (zwischen Wetzlar und Solms-Oberbiel) und seine reiche Bildausstattung. In der Schau werden erstmals seit der Säkularisation das Hochaltarretabel mitsamt seinem Schreinkasten, der zentralen Muttergottesfigur und den Flügelbildern mit Passions- und Mariendarstellungen sowie das aus dem ehemaligen Prämonstratenserinnen-Kloster stammende Ensemble kostbarster Ausstattungsstücke rund um den Altar wieder zusammengeführt. Dazu zählen Reliquiare, Altardecken von etwa 1330, Goldschmiedearbeiten und Altarkreuze des 13. Jahrhunderts und figürliche Glasmalereien des Chorachsenfensters aus dem frühen 14. Jahrhundert.
Kirche des Klosters Altenberg bei Solms-Oberbiel, Foto: Philipp Trümper (PTWZ (talk))/wikimedia commons GFDL
Im Zentrum der Ausstellung steht das Flügelretabel des Hochaltars, das diesen ab etwa 1330 schmückte. 1925 erwarb das Städel Museum die Flügeltafeln für seinen Sammlungsbereich Alte Meister; sie zählen zu den frühesten und zugleich herausragendsten Werken der deutschen Tafelmalerei. Der Altar und die übrigen Exponate der Ausstellung befanden sich bis zur Säkularisierung im Kloster Altenberg und gingen 1803 in den Besitz der Fürsten von Solms-Braunfels über. Zahlreiche Stücke befinden sich deshalb noch heute im Schlossmuseum Braunfels. Viele andere dieser Kunstwerke gelangten in bedeutende Sammlungen weltweit – unter anderen des Bayerischen Nationalmuseums in München, der Eremitage in Sankt Petersburg oder des Metropolitan Museum of Art in New York. Der Altarschrein befindet sich seit 2014, die Madonna mit Kind seit 2015 jeweils als Leihgabe des Museums Schloss Braunfels bzw. des Bayerischen Nationalmuseums im Städel. Jetzt in der Präsentation im Städel Museum können sämtliche Objekte vereint und in ihrem ursprünglichen Kontext als Gesamtkunstwerk erlebt werden.
↑ Kölner Meister, Madonna mit Kind (Schreinfigur des Altenberger Altars), um 1320/30, Mischtechnik auf Holz, grösstenteils Originalfassung mit Blatt- und Zwischgoldauflagen, eingelegten Glassteinen sowie Blattsilber mit farbigen Überzügen, 132 × 60 cm; seit 2015 als Leihgabe des Bayerischen Nationalmuseums München im Städel Museum; Bayerisches Nationalmuseum, München © Bayerisches Nationalmuseum, Foto: Bastian Krack
↓ Rheinischer Meister (tätig um 1330), Altarschrein des Altenberger Altars, um 1330, Mischtechnik auf Eichen- und Fichtenholz, Originalfassung mit Blattgold in Matt- und Poliertechnik, Seiten und Rückwand barock überfasst, 155 × 243 cm; seit 2014 als Leihgabe des Schlossmuseums Braunfels im Städel Museum, Museum Schloss Braunfels, © Museum Schloss Braunfels
Altenberger Flügelretabel, um 1330 (Fotomontage), Städel Museum, Frankfurt am Main
Die unterschiedlichen Ausstattungsstücke der Klosterkirche beziehen sich, so das Städel Museum, funktional wie auch inhaltlich aufeinander. Die Darstellung einer auf einem Thron sitzenden, von den Heiligen Drei Königen verehrten Madonna mit Kind findet sich nicht nur prominent platziert auf den schon um 1300 entstandenen Glasmalereien im zentralen Chorfenster, sie ist auch als in reichen Farben gestaltete Skulptur im Zentrum des Retabels von 1330 sowie im Bildprogramm der gestickten Altardecken erkennbar.
„Die bewusste Wiederholung ein und desselben Motivs in unterschiedlichen Medien und an verschiedenen Orten verstärkte die zentrale Bedeutung, die der hier dargestellten Figur – der Gottesmutter als Hauptpatronin des Klosters Altenberg – beigemessen wurde“, so der Kurator der Ausstellung, Professor Jochen Sander, stellvertretender Direktor und Sammlungsleiter holländische, flämische und deutsche Malerei vor 1800. „Dabei funktionierte der Hochaltar mit seinen gestickten, gemalten und plastischen Bildern, vor allem aber mit seinen heilsvermittelnden Reliquien der Heiligen für den mittelalterlichen Betrachter buchstäblich als Schaufenster des Himmels.“
Professor Jochen Sander in der seinerzeitigen Pressekonferenz; Foto: Erhard Metz
↑ Rheinischer Meister, Altenberger Altar (linker Flügel): Verkündigung, Heimsuchung, Geburt Christi, Anbetung der Könige, um 1330, Mischtechnik auf Tannenholz, 153,5 x 119 cm, Städel Museum, Frankfurt am Main, Foto: Städel Museum – ARTOTHEK
↓ Rheinischer Meister, Altenberger Altar (rechter Flügel): Hl. Michael, Marienkrönung, Hl. Elisabeth, Marientod, um 1330, Mischtechnik auf Tannenholz, 153,5 x 119 cm, Städel Museum, Frankfurt am Main, Foto: Städel Museum – ARTOTHEK
Die Flügel des Altarretabels waren in sich faltbar und ermöglichten neben einer vollständigen Öffnung oder Schliessung des Schreins auch eine Teilöffnung. So konnten die im Schrein ausgestellte zentrale Figur der Muttergottes und der sie begleitenden Reliquiare auf verschiedene Weise inszeniert werden.
Die Überlieferung der zugehörigen Altardecken für ein Altarensemble dieser Zeit sei, so das Museum, einmalig. Die Textilien entstanden zeitgleich mit den Tafelbildern; zwei dieser bestickten Leinendecken sind in der Ausstellung zu sehen. Ferner wird das Chorscheitelfenster, das ehemals hinter dem Hochaltarretabel einen eigenständigen Bildzyklus darstellte, in mehreren originalen Fensterabschnitten gezeigt. Sie konnten aus dem Metropolitan Museum of Art in New York für die Dauer der Ausstellung entliehen werden.
„Schaufenster des Himmels“ – Der Altenberger Altar und seine Bildausstattung, Städel Museum, nur noch bis Sonntag, 25. September 2016
Bildnachweis: Städel Museum Frankfurt am Main