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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Tobias Ballweg: „ZuTat“ in der Volksbank Dreieich (Neu-Isenburg)

Von Esther Erfert
Kunsthistorikerin

Tobias Ballweg, Künstler aus Dreieich-Buchschlag, ist in seinem künstlerischen Schaffen voller Kontraste und leidenschaftlicher Ausbrüche. Seine Werke bewegen sich zwischen Ornamentalem und Körperlichem, zwischen dem Logischen und Räumlichen und der Gefühlswelt. Ständig um Ausgleich zwischen diesen beiden Polen bemüht, entstehen Arbeiten, die den Betrachter durchaus verwirren können. Ballwegs Bilder schaut man an, aber was der Betrachter vor seinen Werken vor allem macht, ist die Werke zu lesen.

11-500

ZuTat, Mischtechnik auf Leinwand, 2011, 160 x 130 cm

In einer Werkgruppe, die er 1995 bei einem Arbeitsstipendium in Budapest beginnt, arbeitet Ballweg mit Transparentpapier und anfänglich mit einem Atlas. In feinen Linien zeichnet er die Ländergrenzen nach und legt sie teilweise übereinander. Die Schichten überlagern sich und bilden neue Formen. Er spiegelt, faltet und wiederholt sie. Die körperlichen Motive sind durch die speziell bei dieser Serie angewandte Zeichentechnik von einem Hauptmotiv abgeleitet, das durch seine Spiegelung unterschiedliche Figuren entstehen lässt. Es bilden sich zwei Gegenpole heraus: das Körperhaft-Organische wird dem Technisch-Konstruktiven gegenübergestellt.

Die Zeichnungen selbst sind so minimal wie möglich auf die Linie reduziert, so geben sie dem Umfeld den größtmöglichen Freiraum. Das Umfeld der Linie wird so zum Raum. Er wird zum Hauptakteur. Grenzen werden so neu wahrgenommen und unsere Sehgewohnheiten hinterfragt.

Ganz bestimmend ist auch der Hintergrund der Werke. Die beiden Arbeiten aus der Serie „Immerwieder das Eine, Teil A und B“ aus dem Jahr 1995 haben einen gelben Hintergrund. Das Gelb wird einerseits als wärmend empfunden, andererseits lässt es die Linien in ihrer Feinheit gut erkennen. Diesem Gelb werden wir immer wieder, auch zu späteren Zeiten, in den Arbeiten Ballwegs begegnen.

Über das Werk legt er eine Kunstharzschicht, die einen matten edlen Glanz hat.

A, B-670

Immerwieder das Eine, Teil A, 1995, Mischtechnik auf Leinwand, 40 x 40 cm, und Teil B, 1995, Mischtechnik auf Leinwand, 40 x 40 cm

In diesen beiden Werken lässt Ballweg oben und unten die weiße Leinwand in Streifen stehen. Dadurch wird der Blick eingefangen und auf die feine Zeichnung im Zentrum der Bilder fokussiert.

Zwei andere Werke aus dem Jahr 1998 mit den Titeln „Vogelstimme: La La Lassmichraus“ und „Vogelstimme: La La Lassmichrein“ führen den Blick des Betrachters genau gegensätzlich zu den beiden früheren Werken in das Bildgeschehen ein. Der Blick fällt zu allererst auf die weiß stehen gelassenen Flächen. Diese bilden eine Art Ruhezone. Der Blick wird zunächst wie in einen Tunnel hineingezogen. Danach beginnt das Auge nach rechts und links zu schweifen und die Aktion im Bild zu erkunden.

12-450

↑ Vogelstimme La La Lassmichraus, 1998, Mischtechnik auf Leinwand, 120 x 85 cm
↓ Vogelstimme La La Lassmichrein, 1998, Mischtechnik auf Leinwand, 120 x 85 cm

13-450

Wir sehen feine ornamentale Muster, flügelartige Gebilde, wie Ländergrenzen anmutende Umrisse auf gelbem Hintergrund. Sie überziehen das Bild an bestimmten Partien.

Eine Arbeitsweise in Ballwegs Kunst erinnert uns an die wissenschaftliche Methode von Crispr Cas. Dabei handelt es sich um eine Methode, um eine DNA gezielt zu schneiden und zu verändern. Gene können eingefügt, entfernt oder ausgeschaltet werden.

Ähnlich wie bei dieser Methode verwendet Ballweg Abbildungen von menschlichen Körperteilen, z.B. einen Kiefer, Ohren oder eine Wirbelsäule. Er selbst erzeugt Finger- und Fußabdrücke. Er verzerrt sie und fügt sie, wie in dem Werk „Baumfrau erfindet Bienenstock“, zu einem zierlichen Pflanzenstengel zusammen.

2-450

Baumfrau erfindet Bienenstock, 2000, Mischtechnik auf Leinwand, 180 x 140 cm

Das einfachste individuelle Zeichen, das der Mensch besitzt, der Fingerabdruck, mutiert in schwarz-weiß zu einem anderen Wesen.

3-500

Baumtänzer gebiert einen Landschaftsarchitekten, 2000, Mischtechnik auf Leinwand, 160 x 140 cm

In dem Werk „Baumtänzer gebiert einen Landschaftsarchitekten“ sehen wir Fußabdrücke, die sich zu einer Anleitung zum Baumtanz verdichten. Sie wachsen empor und bilden eine Art Baumstamm, der Stabilität suggeriert. Oben entfaltet sich wie eine Baumkrone das Motiv fast symmetrisch nach links und rechts. Rechts oben erkennen wir verzerrt einen in das Bild eingearbeiteten Text. Dabei handelt es sich um einen Artikel aus der Rubrik „Natur und Wissenschaft“ der FAZ. Wieder ein Hinweis Ballwegs auf die beiden Pole des Organisch-Körperlichen und des Technisch-Konstruierten.

Die nächste Werkgruppe, die ich gerne besprechen möchte, ist die der transparenten Rollenbilder. Hier in der Ausstellung haben wir zwei Werke dieser Gruppe: „Dolly“ und „Evram – Bild für Hausgeist“. Es handelt sich dabei um großformatige Bilder, die sich in Schichten aufbauen. Sie bestehen aus mehreren Trägermaterialien und der fertige Bildträger ist keine gerade Leinwand. Er hat ausgefranste Ränder und eine meist unregelmäßige, belebte Oberfläche, die mal mehr, mal weniger grob sein kann. An manchen Stellen sind aufgeworfene Bläschen zu erkennen.

10-550

Dolly – Zeitskulptur, 2013, transparentes Rollbild in Mischtechnik, 195 x 195 cm

Vor Beginn der Arbeit an solch einem Rollenbild muss Ballweg planen, denn das zu verarbeitende Material lässt spätere Änderungen nicht mehr zu. Es ist transparent und vereinigt die Schichten und macht so aus vielen Elementen eins. Die unterschiedlichen Bildschichten lassen neue Zusammenhänge entstehen und die Grenzen verschmelzen.

Ballweg nennt sie Zeitskulpturen, da das Silikon die verschiedenen Zeiten in Form von Zeichnungen in sich einschließt.

Je nach Ausstellungsort, Tageszeit und Lichteinfall verändern sich die Werke. Es entstehen andere Perspektiven. Licht, Dunkelheit und Reflexionen werden ein Teil des Bildes. Sie können gleichwertig von beiden Seiten betrachtet werden, es gibt also keine Vorder- und Rückseite. Die Rollenbilder sind Objekt und Bild in einem und damit raumgreifend; die Bildumgebung wird zum Bildhintergrund.

In den transparenten Rollbildern ist das Zeichnerische nicht mehr das einzig bestimmende Element. Neben die Zeichnung tritt die auf das schnelle Arbeiten bezogene Aktion und die Bildfläche an sich. Der Betrachter wird selbst zum Akteur des Farbspiels.

-450

Evram, Bild für Hausgeist – Zeitskulptur, 2013, transparentes-Rollbild in Mischtechnik, 220 x 140 cm

Nehmen wir als Beispiel das Rollenbild „Evram – Bild für Hausgeist“.

Der Hausgeist steigt aus der Tiefe empor, er selbst ist eine Zeichnung, die eingebettet ist in viele Schichten. Sieht man ihn sich genau an, erkennt man Schicht für Schicht. Die Strukturen und Farben liegen übereinander und bilden ein neues einheitliches Ganzes.

Tobias Ballweg arbeitet mit Gegensätzen, Verfremdung und Vereinigung. Er entnimmt Elemente, kombiniert sie spielerisch und erschafft so neue Erfahrungsräume. Seine Kunst erschließt sich nicht leicht, doch genau das ist es, was sie uns reizvoll macht. Sie erklärt uns nicht die Welt, sondern regt uns an, sie zu erkunden, nachzufragen, zu hinterfragen.

6-670

Diptychon Wundertüte/Bewerbungs-Unterlage, Teil A und B, 2000, Mischtechnik auf Nessel, je 40 x 30 cm

Tobias Ballweg, 1960 in Hardheim/Odenwald geboren, studierte an der Städelschule bei den Professoren Thomas Bayrle und Raimer Jochims sowie den Dozenten Bernhard Jäger und Ernst Caramelle. Er erhielt zahlreiche Stipendien und Preise. Seine Arbeiten wurden vielfach ausgestellt, u.a. wiederholt im Frankfurter Kunstverein.

Tobias Ballweg: ZuTat, Volksbank Dreieich, Neu-Isenburg, bis 29. September 2016

Abgebildete Werke © Tobias Ballweg; Fotos: Tobias Ballweg und Esther Erfert

 

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