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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Museum Sinclair-Haus: „Sünde und Erkenntnis. Die Frucht in der Kunst“

Lust für die Augen“ bringt Sünde und Erkenntnis

Von Hans-Bernd Heier

Und die Frau sah, dass von dem Baum gut zu essen wäre und dass er eine Lust für die Augen wäre und verlockend, weil er klug machte. Und sie nahm von der Frucht und aß und gab ihrem Mann, der bei ihr war, auch davon und er aß. Da wurden ihnen beiden die Augen aufgetan und sie wurden gewahr, dass sie nackt waren, und flochten Feigenblätter zusammen und machten sich Schurze“ (1. Mose 3, „Der Sündenfall“).

Am Anfang war der Apfel. Bis heute ist er ein Symbol für Sünde wie auch für Erkenntnis. Nachdem Adam und Eva verbotenerweise von der Frucht gekostet hatten, wurden sie aus dem Paradies vertrieben, das in der Bibel als ein blühender Garten mit unzähligen Obstbäumen mit verlockenden Früchten dargestellt ist.

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Rainer Fetting, Äpfel aus Karwe II und Äpfel aus Karwe I, beide 1993, Öl auf Leinwand; © Rainer Fetting, Fotos: FeuilletonFrankfurt

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Früchte sind nicht nur als Nahrungsmittel für die Menschheit unentbehrlich. Wegen ihrer mannigfachen Gestalt, Haptik, Farbe und mit ihren Düften haben sie seit jeher auch Künstler aller Gattungen fasziniert. Dichter und Literaten haben sie mit ihrer großen Vielfalt verewigt. Wer hat nicht in der Schule Theodor Fontanes Birnen-Gedicht „Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland …“ aufsagen müssen? Oder kennt nicht aus „Wilhelm Meisters Lehrjahre“ von Johann Wolfgang von Goethe die Sehnsuchtsfrage „Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn …?“ Und Friedrich Schiller hat – eigener Aussage zufolge – faule Äpfel in seiner Schreibtisch-Schublade gelagert, weil er den Geruch der Fäulnis zum Schreiben brauchte.

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Fernando Botero, Bananas, 1975, Öl auf Leinwand; Foto: FeuilletonFrankfurt

Noch häufiger haben sich bildende Künstlerinnen und Künstler von dem Formen- und Farbenreichtum sowie der Verführungskraft der Früchte inspirieren lassen. In ihren Werken haben sie Früchte als Zeichen für Leben und Vitalität, aber auch für Vergänglichkeit und Verfall dargestellt. Das Museum Sinclair-Haus in Bad Homburg widmet unter dem Titel „Sünde und Erkenntnis – Die Frucht in der Kunst“ dem Sujet eine großartige Sonderschau, die bis zum 25. September 2016 zu sehen ist.

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Laura Kuch, Display Cabinet #1 – First ever seen by me, 2011; © Laura Kuch; Bildnachweis: Museum Sinclair-Haus

Versammelt sind im Bad Homburger Museum rund 80 erlesene Werke aus der weltweit einzigartigen Sammlung von Professor Rainer Wild, die das Motiv der Frucht in der Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts in den Fokus genommen hat. Der Wissenschaftler, Unternehmer und Stifter interessierte sich schon während seines Studiums für die Inhaltsstoffe und die pharmakologische Wirkung von Früchten und veröffentlichte darüber wissenschaftliche Arbeiten. Dieses Interesse übertrug sich schließlich auch auf seine Sammlertätigkeit. Angeregt wurde er durch die Malerei der „Jungen Wilden“, besonders die Arbeiten von Rainer Fetting beeindruckten ihn. So baute er seit über 40 Jahren eine höchst eindrucksvolle Kunstsammlung auf, die annähernd 300 Gemälde, Aquarelle, Grafiken, Zeichnungen, Filme und plastische Arbeiten umfasst. Eine wechselnde Auswahl seiner reichhaltigen Privatsammlung ist in den Geschäftsräumen des Heidelberger Unternehmers zu sehen.

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Alexander Kanoldt, Stillleben I, 1930, Öl auf Leinwand; Foto: FeuilletonFrankfurt

Den Ausgangsbestand der hochkarätigen Kollektion bildeten Gemälde der Expressionisten, wie Karl Schmidt-Rottluff, Max Pechstein, Emil Nolde, Alexej von Jawlensky oder Gabriele Münter. Es folgten Werke von Joseph Beuys, Giorgio de Chirico, Rainer Fetting, Lucian Freud, Juliane Gottwald, Jörg Immendorff, Paul Klee, Karin Kneffel, Alicja Kwade, Antje Majewski, Pablo Picasso, Man Ray, Oskar Schlemmer, Andy Warhol und Ai Weiwei, deren Arbeiten alle in Bad Homburg zu bewundern sind.

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Alexej von Jawlensky
↑ Stilleben mit Äpfeln, um 1905, Öl auf Leinwand
↓ Stilleben mit Obstschale, Böhmischem Glas und Empire Tasse, 1907, Öl auf Malkarton;
Fotos: FeuilletonFrankfurt

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Emil Nolde, Stillleben, 1930/1935, Aquarell auf Japanpapier; Foto: FeuilletonFrankfurt

Über die Jahre kamen zunehmend auch plastische Arbeiten von Künstlern der Gegenwart hinzu. Ihre dreidimensionale Perspektive lässt die Früchte zu einem Raumerlebnis werden. „Insgesamt überzeugt die Sammlung mit dem großen Spektrum an Künstlerinnen und Künstlern, in deren Werk die Frucht immer wieder eine bedeutende Rolle oder gar die Hauptrolle spielt“, erläutert Johannes Janssen, Direktor des Sinclair-Hauses.

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Bruno Feger, Kirsche 2-3-04, 2004; Stahl und Kunstharz; © Bruno Feger, Foto: Hans-Bernd Heier

Janssen durfte für die Vorbereitung der Schau in das große Füllhorn der Wild-Sammlung greifen. Jetzt kann er einen repräsentativen Ausschnitt präsentieren. Für ihn sei es, wie er bei der Pressekonferenz sagte, immer wieder spannend, in eine Privatsammlung hineinzuschauen und deren Werke auszustellen. Das Haus zeigt nun nach „Verzweigt – Bäume in der zeitgenössischen Kunst“ Ende 2014 und „Sommernachtstraum – Frauen – Landschaften“ im letzten Jahr bereits die dritte Ausstellung mit Werken aus Privat-Kollektionen, die den Sammlungsschwerpunkt der ALTANA-Kunstsammlung „Natur“ hervorragend ergänzen.

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Ai Weiwei, Watermelon, Porzellan, 2006; © Ai Weiwei; Foto: FeuilletonFrankfurt

Gleich im Hof des schmucken Sinclair-Hauses empfängt den Besucher eine Großplastik aus Stahl und Kunstharz von Bruno Feger. Die ästhetischen roten Kirschen wirken äußerst appetitlich und scheinen zum Verzehr geradezu einzuladen. Makellos sind auch die Äpfel auf Karin Kneffels wandfüllendem Gemälde. Die in fotorealistischer Manier gemalten Äpfel weisen weder Faulstelle noch Wurmloch auf, auch „kein welkes Blatt oder durch Insekten befallenes Blatt stören den Eindruck der vollkommenen Schönheit. Doch es ist gerade dieser betonte Perfektionismus, diese unnatürlich anmutende Vollkommenheit, die verstörend wirkt“, schreibt Ina Fuchs im Ausstellungsbegleitheft. Das trifft auch für Ai Weiweis „Watermelon“ aus Porzellan zu. Der chinesische regimekritische Künstler hat eine ganz Serie von gleichaussehenden Melonen-Plastiken mit perfekten, fast schon unnatürlichen Rundungen und glatter Porzellanoberfläche gefertigt.

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Gavin Turk, Gala (eaten apple), Bronze, 2011; © Gavin Turk; Bildnachweis: Museum Sinclair-Haus

Genauso reizvoll für Künstler, die sich an dem Thema Früchte abgearbeitet haben, sind Darstellungen von überreifem, faulendem und vergammelndem Obst, von dem ein morbider Charme ausgeht. So hat Cony Thies in dem „Bananenzyklus“ Früchte dargestellt, die das Verfallsdatum teilweise schon lange überschritten haben. Von Laura Kuch sind in einem kleinen Schaukasten „Display Cabinet #1 – First ever seen by me“ getrocknete, schrumpelige Früchte zu sehen. Gavin Turk wandelt in seiner Kleinplastik „Gala (eaten apple)“ einen abgenagten Apfel in ein Kunstobjekt aus Bronze um. Dadurch hat er den Verwesungsprozess des Apfelgehäuses dauerhaft „eingefroren“.

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Andy Warhol, Space Fruit: Still Life’s (Lemons), 1978; © The Andy Warhol Foundation for the Visual Arts; Bildnachweis: Museum Sinclair-Haus

Die sehenswerte Schau im Sinclair-Haus mit ihrer Vielfalt, dem Formen- und Farbreichtum der dargestellten Früchte ist auf jeden Fall ein Genuss und dürfte für anregenden Diskussionsstoff sorgen.

Die Frucht in der Kunst“, Museum Sinclair-Haus, Bad Homburg, bis 25. September 2016

 

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