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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Innen – Ansichten“ von Peter W. Schindler im Nebbienschen Gartenhaus

Von Hanneke Heinemann

Die Ausstellung zeigt „Innen – Ansichten“ mit einen Gedankenstrich, der signalisiert, dass es sich mit den hier gezeigten Bildern weder um Interieurs noch um Architektur dokumentierende Ansichten von Innenräumen handeln wird. Das am Anfang stehende abgesetzte Wort „Innen“ gibt einen Hinweis darauf, was man in Peter Schindlers Bildern finden kann. Er selbst lädt uns zur Lektüre seiner Bilder nicht nur „als das, was es ist“ ein, sondern „als das, was es auch sein kann“. Mit diesem Zitat des Fotografen Minor White in Erinnerung schauen wir uns nun einige Fotografien von Peter Schindler an.

TITELBILD, Richard Serra-Plastik, Paris 2009

Richard-Serra-Plastik, Paris, 2009

Trotz der recht klaren Themen wie Räume, von Innen gesehene Ausschnitte von Architektur und bauliche Elemente wie Fenster und Treppen sind Peter Schindlers Bilder keine klassischen Architekturfotos. Der Fotograf bringt mit seinen Blickwinkeln und Ausschnitten immer etwas Zusätzliches in die Bilder hinein, macht das häufig Übersehene oder mitunter sogar das Unsichtbare – vielleicht auch im metaphysischen Sinne – sichtbar. Eine Kuppel zieht ihn an, weil er in ihr einen Tempel sieht, die Lichtquelle in einem runden Wasserreservoir beleuchtet den Raum so geheimnisvoll, dass er dadurch etwas Mystisches bekommt. In anderen Bildern hält Peter Schindler Architekturen von Standpunkten und aus Perspektiven fest, die im alltäglichen Leben den meisten von uns nicht auffallen würden. Er bannt ein Monument oder ein Gebilde so auf den Film, dass uns das Wiedererkennen erschwert wird, uns jedoch immer noch eine Chance bleibt, die Örtlichkeit zu identifizieren. Lokale Charakteristika des Motivs werden nicht betont, um zu erreichen, dass dieser abgebildete Ort für viele stehen könnte. Wir sollen uns von den Motiven lösen und uns ganz auf den Stil und die Form der Bilder konzentrieren. Das Dormitorium des Kloster Eberbach wird nicht etwa abgebildet, um die Schönheit gotischer Gewölbe zu zeigen, sondern weil Peter Schindler mit ihnen Spinnenbeine assoziiert, er in ihnen eine Balance zwischen schweren Körpern und dünneren „Trägern“ erkennt.

Kloster Eberbach 2016

Kloster Eberbach, 2016

Neben Motiv und Inhalt der Bilder sollten wir unseren Blick unbedingt auch auf Anlage und Komposition der Fotografien lenken. Mit der ihm eigenen Kompositionsweise und Verwendung von bestimmten künstlerischen Mitteln bildet Peter Schindler schon fast einen eigenen Stil heraus. An einigen Beispielen lassen sich bemerkenswerte Details ablesen, die vielleicht hilfreich für die Betrachtung der Fotografien sein können.

Peter Schindler fotografiert ausschließlich analog. Er hat so nicht die Möglichkeit, noch vor dem Motiv auf einem Display die Belichtung und weitere Parameter zu prüfen. Er muss auf seine sorgfältige Arbeit vor Ort vertrauen und auf sein Gespür, das er in den Jahrzehnten seiner Tätigkeit immer weiter entwickelt hat. Dieser Zwang zur Konzentration ist nicht nur der technischen Qualität förderlich, sondern zweifellos auch für die Auswahl des Bildes. Konzentration gepaart mit Intuition lässt ihn genau den Ausschnitt finden, der zu Bildern führt, wie wir sie hier sehen. Bei jedem Bild spürt man, dass er genau den richtigen Standpunkt gefunden hat. Selbst wenn er ein Motiv zweimal fast vom selben Standpunkt aufnimmt, sind beide Versionen gut und richtig. Im alten Zollhafen in Mainz fiel ihm in einer alten Halle eine Reihe mit weit geöffneten Fenstern auf, die er auf zwei Fotos festhält, die er hier zeigt. Auf dem einen Foto erscheinen die rhythmisch angeordneten Fenster mit etwas Abstand aufgenommen wie ein fester Block, der etwas Statisch-Beruhigendes ausstrahlt. Der Blick auf dem zweiten Foto daneben führt leicht schräg noch tiefer in die Fensterscheiben hinein, wobei die Schärfentiefe im vorderen Mittelgrund bleibt. Es entsteht ein leichter Sog in das Bild hinein, der allerdings durch das besonders an der Wand vor dem ersten Fenster sichtbare Licht abgelenkt wird. Man schaut in das nahe Licht und gleichzeitig in eine immer kleiner werdende dunklere Ferne. Ein schönes Bild in einer ansprechenden Komposition.

Diptychon-670

Zollhafen Mainz, Diptychon, 2006

Peter Schindler fotografiert ausschließlich in Schwarz-Weiß, und das seit 1985. Das reduzierte Schwarz-Weiß mit allen seinen Grautönen rezipieren wir immer noch wie selbstverständlich. Durch den Gewinn von Klarheit und Konzentration vermissen wir die Farben wahrlich nicht. Obwohl unter den Aufnahmeorten durchaus sehr farbenfrohe zu finden sind: Den Raum in der Fondation Louis Vuitton in Paris lässt Ólafur Elíassons Installation „Inside the Horizon“ (2014) in einem kräftigen Gelb erstrahlen. Als Besucher vor Ort konzentrieren wir uns auf das Gelb, lassen es auf uns wirken. Man ist unwillkürlich positiv-heiter gestimmt und bringt die Farbe mit Licht in Zusammenhang. Darüber kann man leicht die räumliche Situation aus den Augen verlieren, die durch die Position zwischen Enge und Weite und vor allen Dingen durch die minimalistische Anordnung der Dreieckspfeiler bestimmt ist. Diese wiederum betont Peter Schindler in seinen Fotos. In einem bestimmten Moment von einem bestimmten Standpunkt aus aufgenommen, kommt eine helle gebrochene Diagonale in das Bild hinein, die man bei einem Standpunktwechsel von wenigen Metern wohl nicht mehr hätte sehen können. Das Foto zeigt, wie Licht Raum beeinflusst und in einer bestimmten Perspektive sogar einen blitzartigen Reflex in den Spiegeln bildet. Wir als Besucher hätten ihn vielleicht so nicht gesehen, selbst wenn wir genau neben dem Fotografen gestanden wären. Durch seine Fotos macht Peter Schindler ihn uns nun sichtbar. Der so im realen Raum nicht vorhandene helle Durchbruch in den Dreieckspfeilern ist formal eine wunderbare Korrespondenz zum linken Lichteinfall. Doch scheint er nicht noch mehr zu sein? Ein geheimnisvolles Licht, dass man vielleicht sogar metaphysisch deuten könnte? Peter Schindler selbst sieht den Reflex eher nüchtern als das, was er ist: Ein Lichteinfall.

Louis Vuitton-Museum, Paris 2016

Louis Vuitton-Museum, Paris, 2016

Fotografie ist ein faszinierendes Medium für die Abbildung von Oberflächen. Obwohl der Bildträger nicht andeutungsweise die Oberflächeneigenschaft des abgebildeten Objektes aufweist, erhalten wir einen sehr präzisen Eindruck von den Texturen der abgebildeten Oberflächen, meinen vielleicht sogar zu sehen, wie sich die abgebildete Wand, das Rollband oder das Geländer anfühlen würden. Weil wir solch eine klare Vorstellung von den Oberflächen – jedoch nicht unbedingt von den räumlichen Verhältnissen – haben, vergessen wir sehr oft, dass die Oberfläche eines Fotos sich nicht ändert, ob nun die Haut eines alten Menschen oder eines jungen Kindes abgebildet ist, ob Nebel, Diamanten, eine Blumenwiese oder ein Bergmassiv gezeigt werden. Peter Schindler weiß das sehr genau und hebt in einigen seiner Fotografien besonders deutlich die Verschiedenheit von Materialien heraus, um die Aussage der einzelnen Bilder zu steigern.

Schauen wir uns nun das Bild vom Wilhelm-Lehmbruck-Museum in Duisburg in Hinblick auf die fotografierten Oberflächen an. Zunächst schaut man auf eine gewölbte Sichtbetonwand, die vertikal gegliedert ist, was besonders gut im Streiflicht zu erkennen ist. Peter Schindler beschreibt diese Situation fast poetisch mit dem Ausdruck: „Das Licht streichelt die Wand“. Darunter sehen wir ein unruhiges Kiesbett und im Vordergrund einen feintexturierten Boden, auf dem sich der einfallende Schatten weich abzeichnet. Die Belichtung ist so gewählt, dass sogar an den Stellen des stärksten Lichtkontrastes zwischen im Dunkeln liegender Wand und starkem Lichteinfall die Texturen erkennbar bleiben. Peter Schindler berücksichtigt nicht nur in diesem Bild einen Hinweis von Le Corbusier, der besonders auch für Fotografen seine Gültigkeit hat: „Abgegrenztes Licht lässt die Haut des Gebäudes noch deutlicher hervortreten und betont die Poesie des unverputzten Betons“.

Lehmbruckmuseum 2006

Lehmbruck-Museum, 2006

An diesem Bild sieht man auch, wie gut Peter Schindler Lichtregie beherrscht. Durch nur einen einzigen Lichteinfall werden die Mauern lebendig. Anders als in barocken Hell-Dunkel-Inszenierungen bleibt der Raum jedoch zugunsten der Konzentration auf klare Komposition und Texturen frei von Personen oder Gegenständen. Da passt es auch sehr gut, dass die Lehmbruck-Büste, die sonst auf der Wandhalterung steht, gerade vorher entfernt wurde. So ist ein modernes, vielleicht etwas melancholisch wirkendes Bild entstanden, das hervorragend mittels aller erdenklichen Graustufen Texturen zu einem maßgeblichen Ausdrucksträger des Werks macht.

Ähnliches gilt auch für das Titelbild: Sowohl das Spiel der überaus geschickt gegeneinander gesetzten Rundungen, als auch der Helldunkel-Kontrast von Richard Serras 2009 in den Tuilerien aufgenommenen Großskulptur sind der Ausdrucksträger des Fotos. Lebendigkeit erhält das Bild jedoch auch durch das Herausarbeiten der Texturen, die nicht nur ein interessantes unregelmäßiges Muster bilden, sondern an denen man auch die Spuren der Zeit ablesen kann. Man könnte diese Achtsamkeit auf die Oberfläche fast als ein Stilmerkmal von Peter Schindler bezeichnen.

Pinakothek der Moderne, München 2003

Pinakothek der Moderne, München, 2003

Die Kompositionen von Bildern wirken – und das gilt gleichermaßen für Malerei, Grafik und Fotografie – durch das Setzen von unterschiedlichen Flächen und Linien in einem Bildraum. Je nach Anwendung der kompositorischen Mittel wie beispielsweise Symmetrie, Kontrast oder Verschiebung können unterschiedliche Eindrücke und Stimmungen erzeugt werden. Der Aufbau seiner Bilder orientiert sich an den besten Beispielen der klassischen modernen Fotografie. Ihnen ist fast ausnahmslos eine den Raum umdeutende Klarheit inne.

Symmetrie interessiert ihn hingegen weniger. Selbst das auf den ersten Blick symmetrische Bild der Festhallenkuppel ist ganz leicht aus der Achse gerückt und wirkt unter anderem deswegen weniger statisch. Die grandiose Wirkung der Kuppel selbst stellt er allerdings nicht in Frage. Die klare Gliederung des Bildes durch die Stahlträger der Kuppel und die brückenartig hängende Decke geben dem Auge Anhaltspunkte. Damit die Komposition nicht zu streng wirkt, wird am unteren Rand ein Blick auf nicht in das architektonische Schema passende abgelegte Materialien frei.

Messe Frankfurt 2010

↑ Messe Frankfurt, 2010
↓ DZ-Bank Frankfurt, 2016

DZ-Bank, Frankfurt 2016

Auch dem Bild „DZ-Bank“ liegt ein symmetrischer Aufbau zugrunde, der auf dem ersten oberflächlichen Blick zu der Annahme führt, dass es sich sogar um ein achsensymmetrisches Spiegelbild handeln kann. Beim zweiten Blick merkt man die kleinen Unterschiede in der Architektur. Peter Schindler ringt den weißen Mauern des Museums bezaubernde Grauschattierungen ab, die man allerdings erst an zweiter Stelle wahrnimmt, weil einem das Zusammenspiel zwischen dem mittig im Vordergrund zentral platziertem Geländer mit der im Hintergrund liegenden Tür fasziniert und gefangen nimmt. Dieser ungewöhnliche Blick auf das Geländer ist ein Beispiel für die Lust des Fotografen, einen Ort, den wahrscheinlich sehr viele Fotofreunde kennen, so zu verrätseln, dass man ihn nicht wieder erkennt. Oder vielleicht erkennen Sie doch, dass hier der Aufgang zum Art Foyer in der DZ-Bank abgebildet ist?

Würth-Museum 2002

Würth-Museum, 2002

Immer wieder durchbricht Peter Schindler in seinen Bildern eine streng angelegte Komposition, die durch Akzente einen häufig auf den ersten Blick nicht wahrgenommene Belebung erfährt. Andere Fotografen hätten sie aus dem Bild herausgehalten oder vielleicht sogar weg retuschiert. Peter Schindler fotografiert beispielsweise einen mehrfach verwinkelten und abgeschatteten Raum des Museums Würth. Rechts oben scheint der auffällig helle Punkt einer Deckenleuchte die Dunkelheit zu stören. Doch er passt genau dahin. Denken Sie sich den Punkt einmal weg: Die Spannung im Bild würde einen Zug in die Höhe verlieren und in sich zusammensacken. Diese Leuchte korrespondiert nicht nur formal zu den runden Lichtreflexen an der gegenüberliegenden Wand, sondern ist wesentlicher Bestandteil der Komposition. Sie hält – und das hat der Fotograf gut gesehen – die Komposition lebendig und vermeidet so, dass das Bild etwas kalkuliert Konstruiertes erhält.

Lediglich auf dem im Frankfurter Hilton entstandene Bild beleben Menschen die Architektur. Auf den anderen sehen wir leere Rollbänder, leere Sitzreihen und Sessel, leere Treppen, leere Räume. Diese Menschenleere mag vielleicht melancholisch stimmen, vielleicht sind wir aber auch verunsichert, weil wir die Dimensionen des Raumes nicht gut abschätzen können. Denn dazu nehmen wir häufig die uns in ihrer Größe und Proportion vertraute menschliche Figur zu Hilfe. Wirkt die Serra-Skulptur nicht vielleicht noch größer als sie eh schon ist? Schade, dass man nicht mehr zum damaligen Aufstellungsort hinfahren kann, um die Größenverhältnisse zu prüfen. Auf anderen Bildern hilft uns der Fotograf, wenn er ein uns bekanntes Objekt in seinem Bild belässt. Ein Beispiel: Ohne die Baggerschaufel im Marmorbruch Untersberg hätten wir überhaupt keinen Anhaltspunkt über die Dimension des Raumes. Die Schaufel selbst ist ein sicher ins Bild gesetzter Kontrapunkt im Zusammen von Wänden, Schläuchen und Wasserspiegelungen. Das Pendent daneben wirkt durch die Froschperspektive erdgebundener und betont durch das Fehlen eines prominent gesetzten Objektes den annähernd zweiteiligen Aufbau in eine rechte helle Hälfte und eine linke dunkle Hälfte.

Hombroich 2004

Hombroich, 2004

Der Bezugspunkt zur Größe des Motivs auf dem Bild Hombroich I ist der Mensch, der auf den Treppenstufen sitzen könnte. Er ist abwesend. So konzentriert sich die Wirkung auf die runden, wohl steinernen Zuschauersitze mit einem starken Helldunkelkontrast, der durch die Treppen- bzw. Sitzstufen gegliedert wird. Im Katalog kommentiert Peter Schindler dieses Bild mit einem Zitat frei nach dem Fotografen Lucien Hervé: „Nicht das reale, sondern das suggerierte, das konstruierte Bild ist von Bedeutung“. Diese Suggestion lässt sich auf dem Bild erspüren als eine von einem Lichtstrahl erhellte Treppe, die nicht nur durch das Schattenspiel in den Ecken den Blick zu einer nur im Ausschnitt sichtbaren Tür zieht. Es ist ein Bild, in das man eine metaphorische Bedeutung hineinlegen könnte, das vielleicht besondere Erwartungen weckt. Was genau es sein könnte – dafür wird wohl jeder eine andere Vorstellung haben. Und wenn Sie ein gelungenes Fotos sehen und keine höhere Bedeutung verspüren, wird es Ihnen der Künstler bestimmt nicht verübeln.

Erinnern wir uns zum Schluss noch einmal daran, dass Peter Schindler mit seinen Fotografien nicht „reale Architektur“ abbilden will, sondern – wie er sagt – die „Herausarbeitung grafischer Elemente oder ephemerer Situationen“.

So hebt er die Objekte aus der Zeit heraus – sie stehen für sich, brauchen keine Erklärung. Und sie halten den Atem an. Die Zeit scheint für einen Moment still zu stehen, und dieser Moment kann durchaus etwas länger dauern.

Peter W. Schindler, „Innen – Ansichten“, Nebbiensches Gartenhaus des Frankfurter Künstlerclubs, nur noch bis 14. August 2016

Abgebildete Werke © Peter W. Schindler


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