home

FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Preis der Autoren“ 2016 an Lutz Hübner

Theater als Ort gesellschaftlicher Auseinandersetzung

Von Renate Feyerbacher

Vor zwei Jahren wurde der Frankfurter Verlag der Autoren (der diesen unmittelbar gehört) mit dem Binding-Kulturpreis 2014 ausgezeichnet. Mitte Juni 2016 hat die Jury der Autorenstiftung ihrerseits ihren 10. „Preis der Autoren“ (es ist der einzige Preis von Autoren für Autoren im Bereich der Darstellenden Künste) an einen Autor verliehen, dotiert mit 5.000 Euro. Der Ausgezeichnete ist der Dramatiker Lutz Hübner und, auch wenn sie nicht offiziell genannt wird, seine Ehefrau Sarah Nemitz als Co-Autorin vieler Stücke.

Annette Reschke, Mitjurorin der seit 43 Jahren bestehenden gemeinnützigen Autorenstiftung: „Der Preis heißt so, weil die Stiftung von den Gesellschaftern des Verlags getragen wird, ihr Vorstand sich immer zu drei Vierteln aus dem Kreis der Autoren zusammensetzt, und dieser Vorstand in gewählter Vertretung aller Gesellschafter des Verlags einen Preisträger bestimmt. Es ist also ein Preis aller Autoren.“ Eine Auszeichnung, die einen Autor stolz machen kann.

Der 1964 in Heilbronn geborene Preisträger Lutz Hübner studierte, bevor er zur Hochschule des Saarlandes für Musik und Theater in Saarbrücken ging, um Schauspieler zu werden, Germanistik und Philosophie in Münster. Er war engagiert in Saarbrücken und Karlsruhe und ab 1990 Schauspieler und Regisseur am Rheinischen Landestheater Neuss, wo seine spätere Frau Sarah Nemitz als Schauspielerin engagiert war, und anschliessend am Theater der Landeshauptstadt Magdeburg. Seit 1996 lebt er als freier Schriftsteller, Dramatiker und Regisseur mit Frau und Kind in Berlin.

017vda

(v.l.) Intendant Anselm Weber, Sarah Nemitz und Lutz Hübner; Foto: Renate Feyerbacher

Hübners Geschichten beruhen oft auf realen Vorgängen, sind aus dem täglichen Leben gegriffen. Es geht um Bankenskandal, Midlife Crisis, Knast, Politikfilz, Älterwerden, Abstiegsängste, Schulsystem, Ehrenmord, Generationenkonflikt und und und. Es sind Themen unserer Zeit. Die Theaterbesucher fühlen sich von den Stücken angesprochen und einbezogen, erkennen sich selbst. Hübner und seine Frau Sarah Nemitz, Regisseurin und, wie gesagt, auch Co-Autorin, treffen deren Sprache, kennen deren Nöte, Träume, Wünsche. Sie sind nicht überheblich und bewerten nicht. Alle Figuren müssten einmal wenigstens recht haben, es gebe keine Helden und keine Schurken, so der Autor.

Lutz Hübner hatte seine Dankesrede in zehn Punkte gegliedert. Im Punkt 7 „Partitur“ wehrt er sich gegen Kritiker: „Ein Theaterstück ist ein Gebrauchsgegenstand, ein Rezept, eine Gebrauchsanweisung, ein Spickzettel und ein Materialblock. Die Komposition des Nichtgesagten verschlingt mindestens so viel Zeit wie die Niederschrift des zu Sagenden. Ein Theaterstück, das als stille Lektüre hervorragend funktioniert, ist meist falsch für die Bühne. Ein Theaterstück ist immer ein offenes, unvollendetes Kunstwerk.“

Vielen Deutschen ist Lutz Hübner ein Begriff. Er ist derzeit der meistgespielte Dramatiker hierzulande. 45 Stücke hat er in 20 Jahren geschrieben. In vielen Sprachen übersetzt, werden sie auf der ganzen Welt aufgeführt. Renommierte deutsche Theater wie aktuell das Bochumer Schauspielhaus zählen zu seinen Auftraggebern.

Das Herz eines Boxers von Lutz HŸbner UA am 19.10.1996 im Bild: Prahl

„Das Herz eines Boxers“ von Lutz HŸübner, uraufgeführt am 19. Oktober 1996 am Berliner Grips Theater; im Bild Axel Prahl; Bildnachweis: Grips Theater Berlin, Foto © David Baltzer

Zuerst schrieb Hübner Theaterstücke für junge Leute. „Das Herz eines Boxers“, eine generationenübergreifende Geschichte, wurde 1996 im legendären Berliner Grips Theater uraufgeführt. Zwei Jahre später erhielt der Autor dafür den Deutschen Jugendtheaterpreis.

Furore hat das Theaterstück „Frau Müller muss weg“ gemacht, das im Januar 2010 am Staatsschauspiel Dresden uraufgeführt wurde und 172 Vorstellungen erlebte. Sönke Wortmann inszenierte es 2012 am Berliner Grips Theater und verfilmte es 2014 mit ausgezeichneter Besetzung – Gabriela Maria Schmeide, Justus von Dohnányi, Anke Engelke, Ken Duken, Mina Tander und Alwara Höfels – .

Titel: Frau Mueller muss weg. Autor: Lutz Huebner. Ort: Grips Theater Berlin. Regie: Soenke Wortmann. Ausst.: Thurid Peine. No model release. Copyright: david baltzer/bildbuehne.de. Premiere: 4. Februar 2012. Hier die zweite Umbesetzungspremiere vom 8. Juni 2016. Darst.: Esther Agricola / Katja Grabowski, Rene Schubert / Wolf Heider und Katja Hiller / Jessica Hoefel u.a..

„Frau Mueller muss weg“, Grips Theater Berlin, Esther Agricola, René Schubert und Katja Hiller; Bildnachweis: Grips Theater Berlin, Foto © David Baltzer

Die SPIEGEL-Kritik zum Film „Frau Müller muss weg“ war verhalten, weil der anfangs spannungsgeladene, geradezu bösartige Film das Druckventil öffnete und im „Wortgeplänkel“ verlaufe. In Wien wurde der Film dagegen mit der „Goldenen Romy“, der höchsten Auszeichnung für Film- und Fernsehproduktionen in Österreich, belohnt. Über eine Million haben ihn bereits gesehen.

Alwara_Höfels,_Gabriela_Maria_Schmeide,_Justus_von_Dohnányi,_Mina_Tander,_Anke_Engelke,_Ken_Duken-600

Alwara Höfels, Gabriela Maria Schmeide, Justus von Dohnányi, Mina Tander, Anke Engelke und Ken Duken bei der Kinopremiere von „Frau Müller muss weg“, Januar 2015, Cinedom Köln; Bildnachweis: 9EkieraM1/wikimedia commons CC

Creeps“, uraufgeführt 2000 am Hamburger Schauspielhaus, beschäftigt sich mit den Medien und deren Umgang mit jungen Leuten, die sich einem Casting stellen. Es wurde zwei Jahre später mit dem „Theaterzwang-Preis“ des Festivals Freier Theater in Nordrhein-Westfalen ausgezeichnet.

Viele Preise erhielten Lutz Hübner und Sarah Nemitz für ihre Kinder- und Jugendtheaterstücke, wenige bisher dagegen für die Erwachsenenstücke.

Dabei sind es die Stücke für Erwachsene, mit denen die Autoren mehr und mehr wahrgenommen und bekannt wurden: „Hotel Paraiso“, die Geschichte von einem Urlaub, der zum Albtraum wird, erhielt 2005 die Einladung zum Berliner Theatertreffen, zu dessen Jury Hübner zehn Jahre später selbst gehört. Zur selben Zeit spielte das Berliner Gorki-Theater die Uraufführung von „Gotteskrieger“, das über die Radikalisierung der Muslime nachdenkt. Es wird zum Mülheimer Theatertreffen eingeladen.

In Frankfurt hatte Regisseur Alexander Brill Hübners Stück „Ehrensache“ aufgeführt. Es geht um zwei türkische Mädchen, die mit zwei jungen Männern einen schönen Tag erleben wollen. Später ist eines der Mädchen tot, das andere schwerverletzt. Woher kommt die Brutalität, mit der die beiden türkischstämmigen Jungen, die als freundlich und angepasst galten, zugestochen haben? Welche Rolle spielen Frauen- und Männerbilder in dieser Geschichte? Ein psychologisches Spiel über gekränkte Ehre und Männerfreundschaft.

Alexander Brill, der seine Stücke mit Laien besetzt, hatte eine unter die Haut gehende Inszenierung in der Frankfurter Jugend-Kirche St. Peter geschaffen. Sie gastierte in vielen deutschen Städten, wurde zum Theaterfestival nach Istanbul eingeladen und erhielt 2010 den Günther Rühle-Preis in der Woche der jungen Schauspieler in Bensheim.

In „Blütenträume“, ein Auftragswerk von Theater Essen 2007 und dort uraufgeführt und seitdem landauf, landab gespielt, geht es um die Generation 50 plus beziehungsweise 60 plus. Sieben Personen finden sich zum Kurs in der Volkshochschule ein. Sie sind jetzt ohne Arbeit, verwitwet, einsam, weil alleine lebend. Diese Frauen und Männer hoffen mit professioneller Hilfe, beim Flirtkurs, der Einsamkeit zu entkommen. 2015 folgte der gleichnamige Spielfilm – wieder mit grossartigen Schauspielern. Der Film wurde im letzten Jahr in der ARD ausgestrahlt. „Solche fein gewebten Stoffe im Fernsehen sind selten“, hiess es in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

Anselm Weber, der im nächsten Jahr die Nachfolge von Oliver Reese am Schauspiel Frankfurt antritt, hat in den Bochumer Kammerspielen im Mai 2016 das Stück „Wunschkinder“ des Autorenehepaares uraufgeführt. Die finanziell gutsituierten Eltern von Marc fragen sich, was sie bei der Erziehung ihres Sohnes falsch gemacht haben. Der lässt sich nach dem Abitur hängen, kifft, feiert, schläft und futtert den elterlichen Kühlschrank leer. Er lernt Selma, die aus einfachen Verhältnissen kommt, kennen. Sie ist aktiv, holt das Abitur nach, jobbt, kümmert sich um die psychisch labile Mutter und engagiert sich sozial. Die beiden verlieben sich und Selma wird schwanger. Marcs Eltern greifen forsch ein und lösen eine Kettenreaktion von Katastrophen aus. Die Kritiken waren einhellig voll des Lobes. Der Stoff schreie nach Verfilmung, so die Kritikerin von Deutschlandradio Kultur.

Bereits 2017 harrt im Hans Otto-Theater Potsdam ein neues Stück auf die Uraufführung: „Abend über Potsdam“ ein Auftragswerk des Theaters.

Die Idee schöpfte Lutz Hübner und seine Co-Autorin Sarah Nemitz aus dem Bild der Malerin Lotte Laserstein (1898 -1993) „Abend über Potsdam“. Das Gemälde hängt seit einiger Zeit in der Neuen Nationalgalerie Berlin. Massgeblich beteiligt an der Aktion, es nach Berlin zu holen, war Philipp Demandt. Er entdeckte das Gemälde vor sechs Jahren im Versteigerungskatalog von Sotheby und setzte alle Hebel in Bewegung, um es nach Berlin zu holen.

Mit dem Intendanten Anselm Weber, der die beeindruckende Inszenierung der Oper „Die Passagierin“ in Frankfurt verantwortete, der eng mit dem Ehepaar Hübner-Nemitz zusammenarbeitet, wird höchstwahrscheinlich das Frankfurter Publikum mit dem Werk des Autorenteams näher bekannt gemacht werden. Eine neue, andere Theaterfarbe würde damit eingebracht, aber einvernehmlich mit dem Motto: Theater lebt vom Konflikt, so wie es Oliver Reese handhabt.

 

Comments are closed.