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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Georg Baselitz: „Die Helden“ im Städel Museum Frankfurt

Helden, die nicht Kopf stehen

Helden faszinieren die Menschheit seit jeher. So auch den Künstler Georg Baselitz, doch auf seine Weise. Anders eben. Vor fünfzig Jahren, zwischen 1965 und 1966 schuf er, bevor er 1969 seine Gestalten auf den Kopf stellte und mit diesem Kunstgriff als „junger Wilder“ weltberühmt wurde, einen untypischen und heute weniger bekannten Helden-Zyklus, dem das Städel Museum in Frankfurt bis zum 23. Oktober 2016 eine Sonderausstellung widmet. Eine Begegnung im Museum mit Georg Baselitz und seinen gewaltigen Bildern

Von Petra Kammann

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Georg Baselitz neben: „Der Baum“, 1966, Öl auf Leinwand, Privatbesitz; Foto: Petra Kammann

Noch im Jahre 1979, also 34 Jahre nach Kriegsende, hielt der Bildhauer Arno Breker in einem Interview mit André Müller an der Faszination von Heldengestalten mit ihren kraftvollen, muskulös durchgestalteten Körpern fest, hatten sie ihm doch durch die Protektion Adolf Hitlers den Aufstieg in die Künstlerhierarchie des Dritten Reiches bis hin zum Vizepräsidenten der Reichskammer der bildenden Künste beschert. Auf die Frage, ob es in der Nachkriegszeit für ihn nicht noch viel Schlimmeres gebe als den persönlichen finanziellen Ruin, nämlich die Vernichtung seiner Ideale, an die er zehn Jahre lang während der NS-Zeit geglaubt hatte, bekannte er klar und deutlich: „Ja, die waren kaputt. Meine Ideale, also das, was mich zur Monumentalplastik getrieben hatte, das war kaputt.“ Diese Äußerung zeigt, dass in Deutschland sogar nach Jahrzehnten vieles noch unaufgearbeitet und nicht im Lot war.

Dabei florierte das Wirtschaftswunder und es hatte fast flächendeckend Optimismus verbreitet, auch unter den Künstlern, die sich von der Last des Krieges wie befreit fühlten. Da wurde nicht mehr zurückgeschaut. Die deutsche Vergangenheit, die war gestern. Die Avantgarde-Künstler genossen die neue Freiheit. Man schaute nach Westen, erst nach Paris, dann in die USA, um dem eher geschichtslosen American Way of life neue Erfahrungen abzuschauen. Es wurde fröhlich – wie bei den Pop-Artisten – und befreit abstrakt gemalt. Umso erstaunlicher, dass sich zwischen 1965 und 1966 ein damals 27-jähriger Künstler wie Georg Baselitz der kaputten und desillusionierten Helden in verwüsteter Landschaft annahm, die er in Berlin und in Florenz in der Villa Romana wie besessen malte.

Der aus dem sächsischen Deutschbaselitz stammende Kunststudent Georg Kern, der die Hochschule für bildende und angewandte Kunst in Berlin-Weißensee wegen „gesellschaftspolitischer Unreife“ hatte verlassen müssen, sah sich zum Wechsel in die Bundesrepublik gezwungen. Er studierte an der Hochschule für Bildende Künste in West-Berlin, setzte sich fieberhaft zunächst mit der französischen, dann der neuen amerikanischen Kunst auseinander. Damit versuchte er, theoretisch den Anschluss an die westliche Avantgarde-Kunst zu finden und diese zu reflektieren, ohne ihren Rezepten zu folgen. Er wollte weiterhin gegenständlich malen. Und er nahm den an seine Heimatstadt erinnernden Künstlernamen Baselitz an.

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Ausstellungsansicht: (li.) Ein neuer Typ, 1996, Öl auf Leinwand, Privatbesitz, © Georg Baselitz; (re.) Schwarzgründig, 1966, Öl auf Leinwand, Leihgabe Sammlung Ströher, Museum Küppersmühle, Duisburg; © Georg Baselitz; Foto: Petra Kammann

Dabei genoss er erst einmal die neu erworbene freie Reisemöglichkeit. Er trampte nach Amsterdam und Paris, weil er dem Berliner Mief entfliehen wollte. „In Berlin gab es damals nichts zu sehen. Alles war noch zerstört,“ sagt er rückblickend. Dabei gab es viel Optimismus in der Welt. „Aber mit dem, was die Maler machten, war ich nicht einverstanden.“ Er wollte auf seine Weise im Konkreten, im Gegenständlichen, bleiben und nicht abstrakt werden. „Dabei“, so räumt er ein, „gab es damals dort großartige Uraufführungen in der Musik. Da inszenierte noch so jemand wie Samuel Beckett am Theater selbst. Verglichen mit heute war das paradiesisch. Aber ich fühlte mich da nicht zugehörig. Und ich habe nicht in die Zukunft, sondern nach hinten geschaut. Und darin steckt für mich etwas Visionäres, auch eine Aktualität, die uns gerade auch heute noch betrifft.“

Seine Schlussfolgerung: Er versuchte, anders aufzufallen: mit schmutziger Farbe und mit schmutzigem Inhalt. Dabei habe er immer sehr kontrolliert und mit den Kopf gearbeitet, bewusst den Hintergrund weiß oder schwarz gewählt, mit scharf umrissenen Konturen und mit malerischen Freiheiten gearbeitet. Zwar war damals der abstrakte Maler Ernst Wilhelm Nay sein großes Vorbild. Aber gleichzeitig empfand er doch immer wieder eine große Isolation. Er blieb Außenseiter. Und dann gab es das „Riesen Missverständnis“ mit seinem Bild „Die große Nacht im Eimer“ von 1962/63, das ihn schlagartig berühmt und berüchtigt machte.

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↑ Georg Baselitz (*1938), Der moderne Maler, 1965, Öl auf Leinwand, 162 x 130 cm, Privatbesitz, © Georg Baselitz 2016; Foto: Frank Oleski

↓ Georg Baselitz (*1938), Der Hirte, 1966, Öl auf Leinwand, 162 x 130 cm, Museum Frieder Burda, Baden-Baden, © Georg Baselitz 2016, Foto: Jochen Littkemann, Berlin

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Eine der Anregungen zu diesem Bild, das bei seiner ersten Ausstellung in der Galerie Werner & Katz in Berlin gezeigt wurde, war eine Zeitungsgeschichte über den rebellischen irischen Dichter Brendan Behan, der besoffen und mit offener Hose auf großer Bühne seine Gedichte deklamiert hatte. Die Kritiken über dieses als obszön empfundene Bild waren nicht nur vernichtend, selbst der Staatsanwalt kam, um „Die große Nacht im Eimer“ wegen des Vorwurfs der „Unsittlichkeit“ zu beschlagnahmen. Das lässt den Künstler bis heute fassungslos zurück: „Ich hätte nicht gedacht, dass so etwas überhaupt möglich ist im freien Westen“. So verließ Baselitz dann auch bald danach das „stickige Berlin, in dem sich kein Mensch für Kunst interessierte“. Gemeinsam mit seinem Malerkollegen Eugen Schönebeck hatte er 1961 zunächst das „1. Pandämonische Manifest“ und dann ein halbes Jahr später 1962 das „2. Pandämonische Manifest“ verfasst, um diese ganze „Harmoniesuppe in Berlin ordentlich aufzurühren“ und stattdessen die nächtlichen Dämonen freizulassen.

Nach der Auseinandersetzung u.a. mit der „Art brut“, der Kunst von „Geisteskranken“, schwebten ihm für seine Malerei Kontraste, eine versoffene, abgesoffene und rauschhafte Ästhetik vor. Provokativ malte er aus programmatischen Gründen bewusst „Schweinereien“ statt neutraler abstrakter Gemälde. Er beschmierte die Leinwand, auf der Dreck bewusst sichtbar werden sollte. Baselitz malte wie besessen. So entstand zwischen 1965 und 1965, in nicht einmal zwölf Monaten, die Serie seiner „Helden“-Bilder, etwa 40 Gemälde und 30 Zeichnungen, die derzeit in konzentrierter Form und auf zwei Ebenen im Peichl-Bau des Frankfurter Städel großzügig gehängt sind. Diese Solitäre mit den gewaltigen männlichen Kolossen mit kleinem Kopf können auf dem farblich variierenden erdigem Hintergrund der Museumswände ihre kraftvolle Wirkung entfalten.

In dieser Gruppe von großformatigen Werken steht oder liegt jeweils eine Figur im Zentrum, ergänzt durch ein paar Accessoires, die verdeutlichen, was die Figur darstellt. Diese schwankenden, zerrissenen und verschlissenen Gestalten, die jegliche ideologische Stütze verloren haben, die ihnen noch Trost spenden könnte, sind gezeichnet von Krieg, Elend und Ausweglosigkeit, durch Ihre Reizbarkeit, ihre Wut und ihre sexuelle Aggression, ja, durch ihr nacktes Dasein, und – das ist hier bisweilen wörtlich zu nehmen – sie sind der Motor ihres Aufbegehrens. Schaut man sich die entlaubten blutenden Bäume an, so wird klar, dass auch die Natur um sie herum zerstört ist. Da wirkten wohl die Bilder vom zerbombten Dresden oder Berlin noch nach …

Panorama

Der Meister beim Presserundgang, Fotos: Erhard Metz

Man nimmt nicht allein das Elend der einsamen verlorenen „Helden“ und „Neuen Typen“, die manchmal auch mit Malerutensilien ausgestattet sind, wahr, sondern durch die wilde heftige Farbigkeit ihr je individuelles Leid. Die Bereitschaft zur Attacke, die frivole Lust, es sich mit Betrachtern und Kritikern zu verderben, wurden seither der Antrieb des Malers, der sich von keinem Stil der Nachkriegskunst vereinnahmen ließ. Kein anderer Maler hat sich in dieser konkreten Weise des Themas der heimatlos gewordenen „Heimkehrer“ angenommen. Um das konzentriert zu schaffen, musste sich der Künstler wohl auch in die frei gewählte Isolation zurückziehen. Er nahm ein Stipendium in der Villa Romana in Florenz an, wo er sich parallel dazu u.a. mit dem italienischen Manierismus auseinandersetzte. Dort konnte er den Helden-Zyklus mit den gescheitert Partisanen, Hirten, Rebellen, „Versperrten“ und Künstlergestalten vollenden. Mitte der 1960er Jahre zog er sich abseits des Kulturbetriebs nach Osthofen in Rheinland-Pfalz in die Nähe von Worms zurück, um die neue Phase seiner Malerei, der auf den Kopf gestellten Menschen, zu entwickelten.

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Max Hollein und Georg Baselitz in der Pressekonferenz, Foto: Erhard Metz

„Anhand einer eindrucksvoll veranschaulichten, selbst empfundenen Isolation, Entwurzelung und Haltlosigkeit etablieren die Arbeiten den prekären Erfahrungszustand des Künstlers in einer gebrochenen Welt und konfrontieren mit einem paradigmatischen Künstlerbild“, kommentiert der ehemalige Städeldirektor Max Hollein die „Helden“-Phase der Baselitz’schen Malerei, die er noch gemeinsam mit Eva Mongi-Vollmer für die Städelschau kuratiert hat. Wie hätte er auch vor zwei Jahren, als die Vorbereitungen zur Ausstellung begannen, wissen können, dass er inzwischen Direktor der Fine Art Museums of San Francisco werden würde und dazu noch ahnen können, dass die Anti-Helden in der Zeit großer Gewalttaten weltweit von neuer brennender Aktualität sein würden. Mit der Abschiedsgeschenk-Schau ist Hollein nicht nur in ästhetischer Hinsicht noch einmal ein großer Coup gelungen.

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So bald wird man ihn in Frankfurt nicht wiedersehen: Max Hollein, jetzt Direktor der Fine Arts Museums of San Francisco und Gastkurator im Städel, Foto: Erhard Metz

Interessant bleibt, wie die Ausstellung der deutschen Anti-Helden wohl im Ausland wahrgenommen wird. Diese in sich so konsistente Zusammenstellung von Gemälden und Zeichnungen reist nämlich weiter ins Moderna Museet nach Stockholm, dann in den Palazzo delle Esposizioni nach Rom und schließlich nach Bilbao ins spanische Guggenheim Museum. Wird Baselitz dort wohl als ein typisch deutscher Maler, der immer noch an den Auswirkungen der NS-Zeit leidet, gesehen oder vielmehr als Künstler, der uns heute, in einer Zeit der Flüchtlingsströme und IS-Bedrohungen quer durch Europa ein universelles Menschendrama vor Augen führt? Man darf gespannt sein.

In einem Welt-Interview zum 20. Einheitsjubiläum antwortete der Künstler auf die Frage, was an seiner Kunst deutsch sei: „Alles, sie ist brutal, so wie Deutschland brutal ist. Diese Brutalität ist in unserer Geschichte nur allzu oft sichtbar geworden. Das hat auch stilistisch Folgen gehabt.“

Elke Kretzschmar drückte die Zeitgenossenschaft ihres Ehemanns Baselitz neutraler aus, als sie über die Schau im Städel urteilte: „Du hast jedenfalls Deine Zeit nicht vertrödelt und nicht vertan. Das sieht man in der Ausstellung“. Ja, Baselitz hat seine Zeit jenseits des Mainstreams genutzt. Und er ist unbeirrbar seinen Weg gegangen.

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Georg Baselitz beim Presserundgang im Städel, Foto: Erhard Metz

„Georg Baselitz. Die Helden“, Städel Museum, bis 23. Oktober 2016

 

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