Ein neuer – temporärer – Kunst-Tempel: die Kressmann-Halle in Offenbach
Da kann man sich nur die „Augen reiben“ – einmal ganz real wegen des allgegenwärtigen Grossbaustellenstaubs, den an- und abfahrende LKW himmelhoch wie flächendeckend aufwirbeln, dann aber auch metaphorisch: Unglaublich zu sehen – in all dem Abriss- und Aufbau-Chaos – ein schneeweiss leuchtender „Tempel“, ein Tempel für Kunst! Trotzt er nur seiner staubigen Umgebung, sucht er den bewussten Kontrast zu ihr? Aber greift er nicht auch die Formensprache der auf der Hafeninsel heranwachsenden Bebauung auf und liegt hierin vielleicht sogar ein Stück Kritik begründet an dem, was auf dieser Landzunge allgegenwärtig geschieht?
Von welchem „Tempel“ sprechen wir? Von der – temporär errichteten – „Kressmann-Halle“! Und wo, bitteschön, steht diese Halle? In Offenbach, im sich im Prozess vollständiger Umstrukturierung befindlichen Hafengebiet, per Adresse Hafen 13, einer Baustellenstrasse parallel zum Nordring, neben dem Boxclub Nordend und in etwa gegenüber der allen Kunstfreunden geläufigen jenseits gelegenen Heyne Kunst Fabrik.
Auch wenn man sich den Baustellenstaub aus den Augen gerieben hat, traut man denselbigen noch immer nicht: steht doch die Halle in dieser Umgebung wie eine Fata Morgana. Aber sie ist real: Betritt man das Gebäude über eine sauber gezimmerte hölzerne Plattform – sie ist übrigens selbst ein Kunstwerk: „L’Origine Du Monde“ von Dauphine Klein -, staunt man über den grossen, von soliden, vom Boden bis zur Decke reichenden nagelneuen Fenstern und geglasten Türen lichtdurchfluteten, als einen White Cube gestrichenen Raum.
Wer nun hat dies alles hingezaubert? Ein Künstlerkollektiv namens „YRD.Works“, bestehend aus Yacin Boudalfa, Ruben Fischer und David Bausch GBR (Gesellschaft Bürgerlichen Rechts). „Die Kressmann-Halle ist ein Ausstellungsraum für zeitgenössische Kunst im Offenbacher Hafengebiet. Lokalen Künstlern soll hier eine Plattform geschaffen werden, die gleichzeitig eine Verbindung zu einer überregionalen Kunstszene ermöglicht“, schreibt das Kollektiv. Es betreibt die Halle eigenständig und arbeitet bei den Ausstellungen zum Teil mit Gastkuratoren zusammen. YRD.Works sanierte die ehemalige Werkstatthalle über mehrere Monate in Eigenleistung und gestaltete sie zu einer Ausstellungsfläche. „Sie vereint“, so das Kollektiv weiter, „professionelle Rahmenbedingungen eines White Cube mit der postindustriellen Umgebung des ehemaligen Ölhafens. Dieses Spannungsfeld soll den Charakter der Ausstellungen beeinflussen sowie die Grenze zwischen Kunst und Leben thematisieren“. Die Halle wird als ein Zwischennutzungsprojekt am Hafen Offenbach von der OPG Offenbacher Projektentwicklungsgesellschaft mbh gefördert. Deren die schönen Künste seit jeher tatkräftig fördernder Geschäftsführerin, Daniela Matha, sind wir bereits in anderem Zusammenhang – beim Ausstellungsschiff „Schute Vita“ im Offenbacher Hafen und bei dem Projekt „artspace RheinMain @ Ölhalle Hafen Offenbach“ begegnet.
Am 1. Juli 2016 eröffnete YRD.WORKS die Kressmann-Halle unter dem Titel „Whistle While We Are Working“ mit einer Schau eigens für dieses Ereignis gefertigter Arbeiten von David Schiesser und Dauphine Klein, kuratiert von Sophie Yerly.
David Schiesser, 1989 in Frankfurt am Main geboren, studiert an der HfG Offenbach bei den Professoren Eike König und Manfred Stumpf. Mit seinen sehr beachtenswerten figurativen Zeichnungen ist er bereits in mehreren Gruppenausstellungen bekannt geworden. In der neuen Kressmann-Halle präsentiert er aktuell vier Zeichnungen auf Leinwand und eine Skulptur.
David Schiesser:
(oben) Muscle Memory, 2016, Charcoal on canvas (links) und No Title Yet, 2016, Varnish on canvas (rechts)
(unten) @@@@ – But Still With A Bod, 2016, Charcoal on canvas
Dauphine Klein:
(oben) Do Not Worry, 2016, Inox
(unten) True, False Or Slightly Better (Detail), 24 bags, sand, labels
Dauphine Klein, 1995 in Biel geboren, studiert an der Berliner Universität der Künste und war wie David Schiesser bereits in Gruppenausstellungen vertreten. In ihren Arbeiten verbinden sich Schriftkunst mit Skulptur, Installation und Performance. In „True, False Or Slightly Better“ befasst sie sich mit der Sinnlosigkeit von Arbeitsprozessen: Aus Basel schickte sie 24, gemäss Zollerklärung der Schweizerischen Post mit 900 Gramm Sand (Wert 0,30 Franken) gefüllte, transparente Beutel an YRD.WORKS, Hafen 13 in Offenbach, von denen nur wenige – mit allerlei bürokratischen Aufklebern versehen – ihr Ziel erreichten oder als unzustellbar zurückgesandt wurden; sieben Exemplare sind in der Halle ausgelegt.
Respekt und Chapeau also für die Eigeninitiative, die Tatkraft (YRD.Works in einem Interview mit Professor Eike König: „das Schicksal selbst in die Hand … nehmen und nicht passiv auf den Tag … warten, an dem man vom Kunstmarkt entdeckt wird“) und den Mut des Künstlerkollektivs Yacin Boudalfa, Ruben Fischer und David Bausch! Nicht nur nebenbei erwähnt sei die professionelle Ausrichtung der Werkschau mit sehr ausführlichem gedruckten Begleitmaterial mit weiteren Nachweisen (aus dem wir auszugsweise zitierten), einem gelungenen Webauftritt und einem übersichtlichen Lageplan der Exponate! Daran könnte sich so manch anderer Ausstellungsmacher ein Beispiel nehmen.
Die Halle ist zunächst für die Dauer von etwa zwei bis drei Jahren angelegt, bis das Grundstück anderweitig – wahrscheinlich für den neuen Standort der Hochschule für Gestaltung HfG – bebaut wird. Sie ist derzeit dienstags (10 bis 15 Uhr) und donnerstags (15 bis 20 Uhr) geöffnet, ferner voraussichtlich während der Dauer der bevorstehenden Rundgangsveranstaltung (8. bis 10. Juli 2016) der HfG.
Ausstellung „Whistle While We Are Working“, Arbeiten von David Schiesser und Dauphine Klein, Kressmann-Halle Offenbach, bis 23. Juli 2016
Abgebildete Werke © David Schiesser bzw. Dauphine Klein; Fotos: FeuilletonFrankfurt