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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Archiv für Juni, 2016

Frankfurt am Main im kulturellen Umbruch

2016, Juni 14.

Von Erhard Metz

Der Befund mag zunächst erschrecken:

Max Hollein, vormals in Personalunion Direktor von Städel Museum, Liebieghaus Skulpturensammlung und Schirn Kunsthalle Frankfurt, dessen Vertrag im Herbst 2014 bis zum Jahr 2018 verlängert wurde, ist vor wenigen Tagen, zum 31. Mai 2016, aus diesen Positionen ausgeschieden.

Kulturdezernent Professor Felix Semmelroth, dessen Amtszeit bis 31. August 2017 läuft, geht vorzeitig und zu Recht verärgert zum bevorstehenden 1. Juli 2016 in den Ruhestand, nachdem ihm die Frankfurter CDU, der er angehört, nach dem Ergebnis der hessischen Kommunalwahlen vom 6. März dieses Jahres in einer Weise mitgespielt hat, die ihr wahrlich nicht zum Ruhm gereicht. Das Kulturressort fiel im schwarz-rot-grünen Verhandlungspoker künftig der SPD zu, Ina Hartwig, Literaturkritikerin und SPD-Mitglied, wurde bereits zur Nachfolgerin Semmelroths nominiert. So weit, so gut. Hoffentlich.

Oliver Reese, Intendant des so überaus erfolgreichen Frankfurter Schauspiels, kehrt zum 1. August 2017 nach Berlin zurück, um Intendant am weltberühmten Berliner Ensemble zu werden. Sein Nachfolger wird Anselm Weber, hoch angesehener Intendant des Schauspielhauses Bochum. Ebenfalls: so weit, so gut.

Gut zu wissen, dass Intendant Bernd Loebe bleibt, der die Oper Frankfurt mit seiner herausragenden Arbeit mehrfach zum Titel „Opernhaus des Jahres“ und 2013 sogar zum „International Opera Award“ als international bestes Opernhaus geführt hat; sein Vertrag wurde zuletzt bis 2023 verlängert. Das gleiche gilt für Generalmusikdirektor Sebastian Weigle, dem das Frankfurter Opern- und Museumsorchester den dreifachen (!) Titelgewinn „Orchester des Jahres“ verdankt.

Gut zu wissen ebenfalls – wir müssen uns angesichts der vielfältigen Frankfurter Museumslandschaft in unserer Darstellung auf die bildende Kunst beschränken – , dass Susanne Gaensheimer als Direktorin des Museums für Moderne Kunst MMK bis Ende 2018 und mit einer darüber hinausgehenden Verlängerungsoption der Stadt erhalten bleibt.

Bei dem meisten, wenn nicht bei allem hatte Dezernent Felix Semmelroth seine Hand im Spiel. Die Fussstapfen, die er hinterlässt, sind von beachtlichen Ausmassen.

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Aussenansicht Städel Museum (li.), Foto: Städel Museum; Aussenansicht Liebieghaus Skulpturensammlung (re.), Foto: Liebieghaus Skulpturensammlung Weiterlesen

Costa Brava: Wo Salvador Dalí und Gala zu Hause waren

2016, Juni 13.

Von Elke Backert

Einsame Fischerdörfer, felsige Steilküsten, verträumte Buchten, lange Sandstrände, quirlige Ferienorte, Nachtleben. All das bietet die Costa Brava und noch viel mehr. Von Portbou an der Grenze zu Frankreich bis Lloret de Mar und Blanes erstreckt sich Spaniens nördlichste Küste am Mittelmeer. Die „wilde Küste“ faszinierte schon Maler wie Picasso, Chagall und vor allem Dalí.

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Ein Dorado für Wanderfreunde ist der durch duftenden Pinienwald führende Küstenweg „Camí de ronda“. Früher von Fischern benutzt, zieht er sich vom langen Sandstrand der Playa de Aro – auf Katalanisch, das hier gesprochen wird, Platja d`Aro – über Calella de Palafrugell bis Llafranc und bietet herrlichste Ausblicke auf aus dem Meer ragende Fels-Inselchen.

Traumhaft sind die verschwiegenen Sandbuchten, die man über Treppenstufen erreicht und an denen man Robinson spielen kann. Man glaubt sich beinahe im Paradies, wenn man frühmorgens das Meer ganz für sich allein hat. Weiterlesen

„Carmen“ – Opéra comique von Georges Bizet an der Oper Frankfurt

2016, Juni 10.

Eine Frau, die auf Selbstbestimmung in ihrem turbulenten Liebesleben besteht

Von Renate Feyerbacher
Fotos: Monika Rittershaus / Oper Frankfurt, Renate Feyerbacher

Lange Zeit, seit März 1992, hat es keine Neuinszenierung der „Carmen“ in Frankfurt am Main gegeben. Als Intendant Bernd Loebe seinem Kollegen, dem Regisseur Barrie Kosky von der Komischen Oper Berlin, und dem Dirigenten Constantinos Caridys die Bitte für eine Neuinszenierung vortrug, waren die Herren zunächst nicht begeistert. Loebe schaffte es, sie dennoch zu überreden. War es Paula Murrihy als Carmen, die lockte? Sie kennen sie aus „Dido und Aeneas“ vom 5. Dezember 2010 und weiteren Inszenierungen, die sie gestalteten.

Wie dem auch sei: Am Sonntag, den 5. Juni 2016, gab es eine ebenso umjubelte wie mit heftigen Buhrufen durchsetzte Premiere. Die Dame zur linken Seite rührte keinen Finger, als das Regieteam auf die Bühne kam, die Protagonisten indes feierte sie.

Barrie Kosky hatte schon in Oper extra (über Bildschirm von Berlin aus zugeschaltet) verkündet, dass es eine ganz andere Carmen werden wird. In der Tat war die Inszenierung befreit von den Spanien-Klischees, von dem einen oder anderen Kitsch, der sich in über hundert Jahren an Carmens Versen geklebt hatte.

Das Libretto nach der gleichnamigen Novelle von Prosper Mérimée (1845) wurde von Henri Meilhac und Ludovic Halévy 1873 fertiggestellt, aber Georges Bizet (1838-1875) nahm immer noch Textveränderungen vor bis zur Uraufführung 1875 in der Opéra Comique in Paris. Barrie Kosky streicht die Dialoge auf der Bühne und lässt Zwischentexte der Librettisten und des Schriftstellers aus dem Off durch die vorzügliche Schauspielerin Claude De Demo sprechen. Natürlich wird gesungen und gesprochen in der Originalsprache Französisch, aber mit deutschen Übertiteln.

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Paula Murrihy (Carmen) und Joseph Calleja (Don José); Foto © Monika Rittershaus

Dirigent Constantinos Carydis hat nach der kritischen Carmen-Ausgabe von Michael Rot, Professor an der Universität für Musik und Darstellende Kunst in Wien, die Frankfurter Produktion eingerichtet. Michael Rot erinnert, dass die Uraufführung seinerzeit ein Misserfolg war, auch aufgrund des anrüchigen Librettos. Da bevölkern Zigeuner, Diebe, Schmuggler die Bühne. Ein Hauptmann wird zum Deserteur und dann noch ein Mord. Prosper Mérimées Erzählung, obwohl zur Schundliteratur zählend, erfreute sich jedoch eines reissenden Absatzes. Soll das eine Opéra comique sein? Sie sollte doch Gewalt vermeiden und ein versöhnliches Ende haben. Halévy bestand auf dem Mord. Weiterlesen

Albrecht Wild in der Galerie Perpétuel: „Klassiker“

2016, Juni 9.

Sammeln, verfremden, gestalten

Von Erhard Metz

Anthropologen und Ethnologen wissen: Der Mensch ist von seinen Urgründen her nicht nur Jäger, sondern auch Sammler – was ja nicht schlimm ist. Was sammelten und sammeln die Menschen nicht alles: zum Beispiel früher Sanella-, Köllnflocken- und Zigaretten- und heute REWE-Fussballer-Bildchen; Streichholzschachteln, nicht zu vergessen Briefmarken oder Münzen und – na klar, Bierdeckel! Meist eher banale Dinge also. Man befüllt mit einer kunterbunten Welt von Gesammeltem, heimischer bis exotischer Art, Schränke und Schubladen.

Auf Bierdeckel kommen wir später zurück. Beginnen wir mit dem Sammeln von Damen der verschiedensten Art, von Schauspieler- und Sängerinnen, Berühmtheiten, Starlets und Sternchen, solchen, die es bereits sind oder werden wollen oder mangels Befähigung nie werden können, von Pin up- und Glamour-Girls – Sammeln natürlich nicht der Damen selbst, sondern deren Darstellungen auf Fotografien! Zum Beispiel auf Postkarten. Albrecht Wild sammelt solche Postkarten, er erwirbt sie in Antiquariaten und auf Flohmärkten. Früher, als sie noch preisgünstiger waren, kisten- und kastenweise.

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„Girls“, 1993/2016, Kalender-Abrisse auf Postkarten

Aber damit nicht genug. Zwar kommt es dem Künstler auf die Namen der Abgelichteten in aller Regel nicht an. Aber es kommt etwas hinzu: Er beklebt die Postkarten mit „Kalender-Abrissen“: jenen viertelkreismässig perforierten Segmenten am Seitenende mancher Kalender, um nach entsprechenden Abrissen rasch auf das aktuelle Wochen- oder Tagesblatt zugreifen zu können. Aus diesen Vierteln entstehen Halbkreise, geometrische Muster, mittig einen Durchblick auf das Postkartenmotiv zulassend. Bei entsprechend grossen Kalendern sind die Abrisse datiert. Wobei wir vielleicht bei einem Wesenskern dieser verfremdenden Arbeiten angelangt wären: der Dimension der Zeit. Abgelaufener Zeit, aber auch erwarteter, kommender Zeit. Die Abbildungen auf den als Massenware verramschten Postkarten gewinnen eine neue Dimension und Wertigkeit: auch ein memento mori, das bekannte „alles Fleisch ist wie Gras“ aus dem 1. Petrusbrief. Und apropos „Fleisch“: das gibt es auf den meisten dieser Postkarten derart reichlich zu sehen, dass dem Überkleben neben der spielerischen schon fast eine ästhetisch-wohltuende Funktion zukommt. Weiterlesen

Brunnen und Lebensfreude in der Hansestadt Rostock

2016, Juni 6.

Von Elke Backert

Vorzeigestrasse Rostock 2016-04-23 Foto Elke Backert-600

Die Stadtführerin der Hansestadt Rostock weiß Lustiges zu erzählen: Kommen Besucher in die Stadt und fragen nach den Porno-Figuren, wo diese zu finden seien. Sie ist ratlos und wundert sich. Die alte ehrwürdige Hansestadt soll …, nein, nicht zu fassen. Als die Besucher den „Brunnen der Lebensfreude“ mit den Bronzeplastiken der Bildhauer Jo Jastram (1928-2011) und Reinhard Dietrich (1932-2015) erreichen, haben sie nach ihrer Meinung die Porno-Figuren gefunden. Zwei Plastiken stellen ein nacktes Paar dar, das sich artistisch regelrecht „verrenkt“. Das andere Paar liegt still nebeneinander, die Genitalien gut sichtbar. An den blank geriebenen Stellen erkennt man, was die Besucher beeindruckt. Ein Schwein suhlt sich auf dem Rücken und scheint sich selbst zu lecken – so man dies interpretieren möchte. Sicher soll es auch nur pure Lebensfreude darstellen. Weiterlesen

„… and other objects of interest“: Suzanne Wild in der Frankfurter Galerie Nathalia Laue

2016, Juni 3.

Von Erhard Metz

Die Zeiten, in denen man die „anderen Objekte von Interesse“, denen sich Suzanne Wild aktuell malerisch widmet, mit Worten zumindest wie „delikat“ bezeichnet hätte, sind – niemand wird es beklagen – längst vorüber: Unterröcke, Unterhemdchen, BHs oder Bustiers, aus feinsten Geweben, gerade noch eben blickdicht oder auch nicht. Und auch Perücken trägt „frau“, aus welchen Gründen auch immer, heute unbefangen. Keine Tabus mehr also – aber ein Hauch von Sinnlichkeit und Erotik sollte noch bleiben – alles andere wäre doch schade. Einem jeden Betrachter sei die Möglichkeit eingeräumt, solche Garderoben mit Körpern und Charakteren zu füllen und Erzählungen zu lauschen oder zu spinnen. Und vielleicht sollte auch der eine oder andere Voyeur und Spinkser auf seine Kosten kommen – sei’s drum und warum denn nicht.

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Pink Frilly Skirt 2, 2015, Öl auf Leinwand, 50 x 40 cm

So räumt auch die Künstlerin im Interview ein, dass Unterwäsche etwas Verborgenes eigne, dass manche dieser Kleidungsstücke Fantasien freisetzen könnten – etwa über ihre frühere Trägerin und deren Aussehen oder Alter. Sie selbst steht diesen Gegenständen mit künstlerischer Distanz gegenüber, handelt es sich doch um auf Flohmärkten oder bei ähnlichen Gelegenheiten erworbene Objekte, die ihr unmittelbar als Vorlage dienen und deren Vorbesitzerinnen sie nicht kennt. Und so mag ein Bildtitel wie etwa „dirty lace“ – verschmutzte Spitze – nicht verwundern. Weiterlesen

Das Kunstwerk der Woche (19)

2016, Juni 2.

 

Die Arbeit einer Künstlerin oder eines Künstlers
aus den Atelierhäusern in Frankfurt am Main

Suzanne Wild, Städtische Ateliers Schmickstrasse

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Little Blue Pleated Skirt 2, 2015, Öl auf Leinwand, 50 x 40 cm, Foto: Suzanne Wild

Von Erhard Metz

Wir sehen einen Faltenrock, den Blick auf viel „Innenleben“ freigebend und scheinbar aufgehängt an einem Haken an einer etwas grob hellgetünchten Wand. Sollten wir die Farbe definieren, so entschieden wir uns für ein bleu royal, das englische Royal blue, das Königsblau. Eine Farbe, einst beliebt bei höfischem wie auch militärischem Zeremoniell. Und nun verwendet für eine Welt des Femininen, einen beschwingt-leichten Faltenrock für, nehmen wir einmal an, junge bis mitteljunge Damen. Und wir sehen Farbflächen, sehen, wie der Lichteinfall auf dem Königsblau spielt, wie die Falten gleich Gebirgszügen Schatten werfen, wie die grob getünchte Wand an farbigem Leben gewinnt.

Frau Wild, Ihre laufende Ausstellung in der Galerie Nathalia Laue birgt nicht nur für mich einige Überraschungen, nachdem ich Sie vor drei Jahren als Malerin verträumt-romantischer Landschaften und luftiger Interieurs kennengelernt habe – gleichsam als miteinander verbundener Innen- und Aussenwelten. Und jetzt – nun ja – Damenbekleidung samt Unterwäsche, Damenperücken? Gibt es da einen Zusammenhang mit Ihren früheren Werken?

Suzanne Wild: So weit von einander sehe ich die Werkgruppen nicht. Mein Thema ist immer noch Licht. Leicht durchsichtige Gardinen oder schwingende Unterröcke aus Tūll. Ein schwerer Vorhang oder ein Minirock aus Samt. Die Perūcken sind da auch nicht unähnlich, lange glatte, seidige Haare, dicke glänzende Locken.

Es wird schwerlich jemanden geben, der Ihre neuen Sujets nicht als erotisch empfindet. Möchten Sie, jenseits aller künstlerisch-formalen Aspekte, den männlichen Betrachter dieser Bilder mit seinen mutmasslichen Fantasien ein wenig in Verlegenheit bringen, spielen Sie mit ihm ein nettes kleines kokettes Spiel?

Suzanne Wild: Die Stoffe, ihre Durchsichtigkeit und ihren Glanz finde ich sinnlich. Unterwäsche bleibt meistens verborgen, jetzt, wenn man den Luxus hat hinzuschauen, dann mag es schon sein, dass manche Kleidungsstücke sogar Fantasien freisetzen. Natürlich könnte man über die Identität der früheren Besitzerin spekulieren, über ihr Aussehen, ihr Alter usw., aber für mich sind alle Kleidungsstücke Objekte, welche ich porträtiere, seien es Handschuhe, Jacken, Party-Kleider oder eben Unterwäsche.

→ „… and other objects of interest“: Suzanne Wild in der Frankfurter Galerie Nathalia Laue
→ Suzanne Wild – Malerin

→ Das Kunstwerk der Woche (1)