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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Archiv für April, 2016

Groningen: ein Klein-Amsterdam ohne Sperrstunde

2016, April 17.

Von Elke Backert

Beste Innenstadt der Niederlande, größtes Kneipenviertel, ungewöhnlichstes Wohnhaus, schönste Sonnenuhr, attraktivster Supermarkt und schönstes Pissoir. So viele Superlative in einer Stadt mit 200.000 Einwohnern fordern zum Überprüfen heraus.

Hinzufügen könnte man: größte Fahrradstadt der Welt, lässt man Chinas Städte mal außen vor. Überall sind sie geparkt, die Fiets. In Massen. In der Bahnhofs-Rad-„Garage“ sogar doppelstöckig. Was liegt also näher, als per Rad die Hauptstadt der gleichnamigen Provinz zu erkunden. Und am Tag darauf die markantesten Stätten noch einmal per Pedes. Aber Achtung! Fahrräder!

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↑ Im 97 Meter hohen Martiniturm, dem Wahrzeichen Groningens, mit vier Umgängen führen unendlich viele Stufen hinauf zu dem sagenhaften Ausblick bis zur Nordsee. Rechts die A-Kirche mit dem goldenen Turm
↓ Das ist einer der Ausblicke vom Martini-Turm Weiterlesen

Das Kunstwerk der Woche (15)

2016, April 16.

 

Die Arbeit einer Künstlerin oder eines Künstlers
aus den Atelierhäusern in Frankfurt am Main

Jörg Ahrnt, AtelierFrankfurt

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Aus der Werkreihe „Ornamental Colours – Coloured Ornaments“, 2015, Farbige Tusche auf Papier, 105 x 105 cm (Totale und Detail); Fotos: Jörg Ahrnt

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Von Erhard Metz

Auch wir sind fehlbar und unterliegen vielleicht einem Irrtum, aber: Soweit wir dieses Werk von rund einem Quadratmeter Fläche absuchen und dabei die Augen bis an die Grenze ihrer Möglichkeiten strapazieren, haben wir nirgends gefunden, dass eines der zeichnerischen Elemente einem anderen gliche oder dass gar Schablonen zum Einsatz gekommen wären. Auf einer Fläche im Grundton beige, die man vielleicht als Hintergrund bezeichnen kann, sehen wir fein ausgeführte arabeske Figuren in den Farben Rot, Gelb und Hellblau. Und obwohl auch wir nur ungern ein Scheitern hier oder da einräumen, so müssen wir doch zugeben, dass wir unsere Absicht, die Anzahl dieser Elemente zu erfassen, weit vor Erreichen der Bildmitte aufgegeben haben. Umso mehr bewundern wir die schier unerschöpfliche Geduld des Künstlers. Und wir bewundern, wie er grosse Strecken an wertvoller Lebenszeit für solcherlei Arbeiten einsetzt, wobei dieser zeitliche Einsatz sich in dem Kunstwerk nicht nur manifestiert, sondern sich mit der zeichnerischen Ausführung erst zum eigentlichen Gesamt-Kunstwerk verbindet.

Es geht also – zumindest auch – im Prozess eines künstlerisch durchlebten, unwiederkehrlichen und unwiederholbaren Ablaufs von Geschehnissen um eine Auseinandersetzung mit der Zeit. Und um ein Weiteres: um die Veränderungen, die ein Werk – jenseits eines Trompe-l’œil – erfährt, wenn sich ihm ein Betrachter nähert oder sich von ihm entfernt, um die Ambivalenz von Nähe und Ferne also, von Gros und Detail.

Herr Ahrnt, Sie kommen gerade zurück aus dem Iran, Sie hatten dort Ausstellungen Ihrer Arbeiten mehrfach in Teheran, ferner in Shiraz, übrigens auch im Museum für Islamische Kunst Berlin. Sie hatten ein Reisestipendium der Hessischen Kulturstiftung in den Iran. Was fasziniert Sie an der gänzlich eigen- und andersartigen, sozusagen „bilderlosen Bildsprache“ der islamischen Kunst?

Jörg Ahrnt: Lange vor der Moderne zeigen sich in der iranisch-persischen Kulturgeschichte zwei gegensätzliche stilistische Tendenzen: die der Geometrisierung bzw. Abstraktion und die der Figuration. Was mich besonders interessiert, ist, dass der Ornamentik die Aufgabe zuzukommen scheint, zwischen diesen beiden Polen zu vermitteln.

Sie beschäftigen sich in Ihren Arbeiten unter anderem mit dem Phänomen, dass Ihre Malerei sich dem Blick des Betrachters – von ferne und im Detail von der Nähe gesehen – so unterschiedlich darstellt: Gibt es eine Verbindung zur Op Art, gar zum Trompe-l’œil?

Jörg Ahrnt: Für die Wirksamkeit  von Massenmedien ist es wichtig, dass eine bestimmte Bildinformation immer dieselbe bleibt, daher darf sich kein Unterschied auftun, wenn man ein Bild bzw. einen Film von Nahem oder Weitem betrachtet. Bei der Betrachtung von Kunstwerken kann sich der Betrachter dieser Normierung entziehen, was ich ganz wunderbar finde und für meine Arbeit nutze.

Anmerkung: Für den Herbst dieses Jahres ist eine Ausstellung von Werken Jörg Ahrnts in der Frankfurter Galerie ARTE GIANI geplant.

→ Jörg Ahrnt: „Maker Unknown“

→ Das Kunstwerk der Woche (16)
→ Das Kunstwerk der Woche (1)

Tjark Ihmels: „Autopilot“ in der Frankfurter Galerie Greulich

2016, April 15.

Von Erhard Metz

Es war ein spannender Abend, nicht ohne Amusement für die Zuhörer: Mutig hatte Galerist Andreas Greulich Christoph Tannert zum Künstlergespräch mit Tjark Ihmels eingeladen. Tannert, studierter Archäologe und Kunstwissenschaftler, Publizist, Kunstkritiker, Ausstellungsmacher, seit 1991 Projektleiter am Künstlerhaus Bethanien in Berlin und seit 2000 dessen künstlerischer Leiter, ist bekannt für Wortgewalt und Streitbarkeit. So geisselte er früher schon mal „Medienintellektuelle“, die „Kulturökonomisierung“ oder eine „Breitwandschweinepunk-Malerei“. Eine „reine Orientierung auf Besucherzahlen“ hält er im Kunstbetrieb – übrigens mit vollem Recht – für verhängnisvoll, und Berlin sieht er als „arrogante labyrinthische Clubzone, unendliche Partymeile, Aufmarschplatz für die militante Spassguerilla im ethischen Vakuum“. Von der Neuen Leipziger Schule samt deren Exponenten und Nachfolgern scheint er auch nicht viel zu halten.

Und was hält er von Tjark Ihmels, 1963 in Leipzig geboren, Studium der Theologie mit Diplom-Abschluss an der Karl-Marx-Universität Leipzig, dann drei Jahre Friedhofsarbeiter, anschliessend Studium der Malerei mit Abschluss Diplom und Meisterschüler bei Professor Arno Rink an der angesehenen Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig (HGB), dann freischaffender Medienkünstler, seit 2000 Professor für Interaktive Gestaltung an der Hochschule Mainz, Leiter des Instituts für Mediengestaltung? Von Beginn an wollte er dem Künstler der aktuellen Ausstellung mit durchaus provokanten Fragen nach Sinn und Qualität seiner Werke sozusagen „auf den Zahn fühlen“. Ihmels erinnerte denn auch gleich zu Gesprächsbeginn mit heiterer Gelassenheit daran, dass der jemals grösste Verriss seiner Arbeiten aus Tannerts Feder stamme, aber das mache ihm nichts aus. Er male halt, wie er male. Und es geriet dann doch alles zu einem freundlich-lebendigen Disput und Gedankenaustausch, das Glas Wein wird dazu beigetragen haben.

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↑ Autopilot, 2016, Öl auf Leinwand, 120 x 140 cm
↓ Wolkenfeld II, 2016 , Öl auf Leinwand, 200 x 160 cm Weiterlesen

„Farbe und …“: Herbert Warmuth in der Galerie Heike Strelow

2016, April 13.

Von Erhard Metz

Herbert Warmuth ist ein aussergewöhnlich vielseitiger Künstler: sein Œuvre umfasst Malerei – berühmt sind seine „Fahnenbilder“ – ; Objekte, insbesondere „Köpfe“ (in grösstmöglicher Vereinfachung zusammengesetzt aus geometrischen Formen), aber auch Toiletten, Waschbecken, Müllsäcke oder allerlei Verpackungen; Wandmalereien und „Kunst am Bau“; ferner „Farbräume“ (Kabinette und Wandgestaltungen); und natürlich seine Arbeiten mit Arzneipackungen, mit denen er durchaus „Furore“ machte: kaum eine Medikamentenschachtel war vor seinem künstlerischen Zugriff sicher. Bei Heike Strelow werden heuer nun Werke aus den Reihen „Fahnenbilder“ und „Plexiglas Serie“ gezeigt. Weiter sind Papierarbeiten der jüngsten Zeit und Zeichnungen aus den 1990er Jahren zu sehen.

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Fahne Blau/Weiss, 2016, Öl, Lack, Stoff, Acryl, Aludibond, 55 x 55 cm; Foto Herbert Warmuth

„Bei meinen aktuellen Fahnenbildern“, schreibt der Künstler, „verbinde ich verschiedene Vorstellungen und Konzepte von Malerei collageartig auf einem Bild. Unterschiedliche malerische Vorgehensweisen werden zueinander in Bezug gesetzt, widersprüchliche, sich scheinbar ausschliessende Vorgaben und Sichten von Malerei und von Wirklichkeit bestehen nebeneinander. Der Prozess und die Begegnung, die der Betrachter in den Bildern erleben kann, ist daher – je nach eigenen Präferenzen – bei jedem anders: eine eigene, komplexe, sinnliche, auch schöne Erfahrung von Wirklichkeit durch die konzentrierte Form eines Bildes, bei dem Ambivalenz, Widersprüchliches, Balance und Labilität letztlich zusammengehören“. Weiterlesen

„Lionel Röhrscheid/Corinna Mayer: Kilroy was here“ im Kunstverein Familie Montez

2016, April 12.

Von Erhard Metz

Über das bekannte Frankfurter Künstlerpaar Corinna Mayer und Lionel Röhrscheid zu schreiben, heisst im Grunde „Eulen nach Athen zu tragen“. Auch wir geraten mehr und mehr in Bedrängnis bei dem Versuch, angesichts unserer früheren Beiträge stets neue Formulierungen zu – auch neueren – Arbeiten zu finden. Werke der beiden waren eigentlich schon fast allüberall in der einschlägigen Frankfurter Ausstellungsszene zu sehen, auch weit über Stadt und Rhein-Main hinaus. Ein jeder, der sich für die hiesige Kunstlandschaft interessiert, kennt sie beziehungsweise müsste sie kennen.

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Osterfest, 2016, Öl auf Nessel, 200 x 140 cm
Schattenkonferenz, 2016, Öl auf Nessel, 130 x 180 cm Weiterlesen

Das Kunstwerk der Woche (14)

2016, April 10.

 

Die Arbeit einer Künstlerin oder eines Künstlers
aus den Atelierhäusern in Frankfurt am Main

Lionel Röhrscheid, AtelierFrankfurt

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„Kilroy was here“, 2016, Wandbild (Teil einer zweiteiligen Arbeit), Acryl auf Wand / Sgraffito, Durchmesser ca. 4 m; Foto: Lionel Röhrscheid

Von Erhard Metz

Kilroy war bekanntlich überall zuvor schon da, bevor andere kamen. Ein vieltausendfach angetroffenes US-amerikanisches Phänomen, eine Legende aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs, für die es letztlich bis heute keine nachweisbar gesicherte Erklärung gibt. Jedenfalls ist Kilroy nicht mit jenem Inspektor James J. Kilroy identisch, der Anfang der 1940er Jahre auf einer Werft in Quincy/Massachusetts die Nieten an Schiffsteilen auf ihre Qualität hin überprüfte und das Ergebnis seiner Arbeit mit einem „Kilroy was here“ gekennzeichnet haben soll – wie es wohl fälschlich überliefert wurde. Kilroy – mit Nase und Augen über eine Mauer lugend, an der er sich mit den Fingern seiner Hände festhält, ganz so, wie wir es auf der Wandarbeit von Lionel Röhrscheid sehen – dieser Kilroy scheint als ein poppiges Symbol für etwas zu stehen, das wir auch wissenschaftlich nicht erklären können: Es muss doch immer noch etwas vor dem Allerersten gegeben, der Urgrund muss einen Ur-Urgrund gehabt haben und so weiter. Zum Beispielt der sogenannte „Urknall“: Wo kam dieser her, wer oder was hat ihn ausgelöst?

Es ist eine fantasievolle, eben fantastische, aber auch eine wie wir meinen philosophische, warum nicht sogar in einem erweiterten Sinn religiöse Arbeit, Röhrscheid bezeichnet sie als einen „Sternenkreis“. Sie ist mehr: vielleicht der Versuch, einen sichtbaren Ausdruck zu finden für das Universum, für das Allumfassende und das Unendliche, für Tranzendenz in etwas dem irdischen menschlichen Verstand nicht Zugängliches.

Und noch etwas: Was geschieht eigentlich nach dem Ausstellungsende mit dem Werk auf der Wand, oder anders gefragt mit der Wand, auf der sich das Werk befindet? Ist das Werk „nur“ temporär wie jeder Blick in das sich ständig verändernde Universum, vergänglich wie die irdische menschliche Existenz?

Der Künstler zu seiner Wandarbeit: „Den ersten Sternenkreis habe ich anlässlich der Abschlussausstellung im alten Kunstverein Familie Montez gemacht. Damals hatte ich zuerst einen schwarzen Kreis gemalt und dann die Sterne mit dem Hammer ausgeschlagen. Um die Wände im neuen KVM nicht zu beschädigen, bin ich auf die Idee gekommen, zunächst die „Sterne“ aufzutragen, indem ich gemörserte Kreidestücke und runde Getreidekörner mit weißer Farbe gebunden habe. Dann habe ich das ganze schwarz übermalt und wieder abgekratzt. Ein echtes ‚Sgraffito‘ also.

Kilroy, der als eines der populärsten Graffiti gilt, über das Sternenrund schauen zu lassen, entspringt aber nicht nur dem Wunsch, Technik und Motiv zu vereinen, sondern mehr noch der Sehnsucht, es möge da Einer groß genug sein, das ‚Ganze‘ zu erblicken.“

Diese einzigartige Wandarbeit sollte man aufsuchen: in der bis zum 17. April 2016 laufenden Ausstellung Lionel Röhrscheid/Corinna Mayer, „Kilroy was here“ im Kunstverein Familie Montez!

→ „Lionel Röhrscheid/Corinna Mayer: Kilroy was here“ im Kunstverein Familie Montez
→ Corinna Mayer und Lionel Röhrscheid in der Frankfurter Oberfinanzdirektion
→ Kunstverein Familie Montez und das grosse Blah Blah Blah
→ Die Künstlerin als Kuratorin: Corinna Mayer und ihr „Gästezimmer“

→ Das Kunstwerk der Woche (15)
→ Das Kunstwerk der Woche (1)

Die Grosse Orgel in der Friedenskirche zu Schweidnitz/Świdnica

2016, April 9.

Ein Juwel erhält seine Stimme zurück

Von Erhard Metz

Im Jahr 2001 wurde die Friedenskirche in Schweidnitz/Świdnica (wie auch die Friedenskirche in Jauer/Jawor) als Kulturdenkmal zum UNESCO-Welterbe erhoben – und mit ihr auch deren Grosse Orgel.

Kirchenorgeln haben ihre Geschichte: Die erste Orgel in der 1655 erbauten Friedenskirche wurde in den Jahren 1666 bis 1669 von Christoph Klose aus Brieg/Brzeg errichtet. Bereits gut 100 Jahre später, von 1776 bis 1784, wurde sie durch ein neues Instrument von Peter Zeitzius aus Frankenstein/Zabkowice Ślaskie ersetzt. Von diesem Instrument blieb bis heute der prächtige hochbarocke Prospekt erhalten, das Orgelwerk wurde indes 1880 bis 1882 von der schlesischen Orgelbauwerkstatt der Brüder Johann Karl und Heinrich Schlag erneuert.  In den Jahren 1909 bis 1912 schliesslich wurde es von der unter dem Namen Schlag & Söhne fortgeführten Orgelwerkstatt generalüberholt, die sich zur bedeutendsten schlesischen Orgelbaufirma entwickelt hatte und bis 1923 existierte. Das Werk hinter dem historischen Prospekt verfügt seitdem über 60 Register, verteilt auf drei Manuale und Pedal. Eine Aufstellung der Register findet man bei „Pipe Organ Taxonomy“ von João Valério. Seit mehr als zehn Jahren nun setzt sich der Musik- und Orgelliebhaber Jürgen Schlag, Enkel des letzten Geschäftsführers dieser Firma, vormals Tonmeister und Technischer Leiter der Fachhochschule für Fernsehfachkräfte in Berlin, in unermüdlichem Wirken für die Restaurierung des seit längerem nicht mehr spielbaren Instruments ein.

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↑ „Orgel in Not“: der fantastisch restaurierte Orgelprospekt – aber im Sommer 2015 noch ohne Werk und Pfeifen (Foto: Erhard Metz)
↓ So soll die Orgel im Sommer 2016 wieder aussehen und erklingen (Bildnachweis: wikimedia commons / Barbara Maliszewska / CC) Weiterlesen

„Radamisto“ von Georg Friedrich Händel an der Oper Frankfurt

2016, April 7.

Schwierige Familienkonstellationen,
unauflösbare Abhängigkeiten wie in einem Spinnennetz,
Tyrannenherrschaft

Von Renate Feyerbacher
Fotos: Barbara Aumüller/Oper Frankfurt

Mit tobendem Beifall, unterstützt durch trampelnde Füsse, endete der Premierenabend von „Radamisto“ am vergangenen Sonntag im Bockenheimer Depot. Händels zweite Fassung (es gab davon vier, den Sängerinnen und Sängern geschuldet), die 1720 in London uraufgeführt wurde, liegt der Frankfurter Inszenierung zugrunde.

Dicht gedrängt sitzen die Musiker des Opern- und Museumsorchesters zwischen Bühne und Publikum und spielen 18 Streichinstrumente, 2 Barockflöten, 2 Barockoboen, 1 Barockfagott, 2 Naturhörner, 2 Barocktrompeten und 2 Cembali. Im Bockenheimer Depot lässt sich ihr Musizieren beobachten und nachvollziehen. Die Leitung hat der Italiener Simone Di Felice, der in der letzten Spielzeit sein Debüt bei der Oper „L’incoronazione di Poppea“ hatte. Er dirigiert stehend vom Cembalo aus und unterstützt die Spezialisten Andreas Küppers (Cembalo), Johannes Osterlee (Violoncello) und Toshinori Ozaki (Laute) beim Basso Continuo. Mit Darmsaiten und Barockbögen sind die Streichinstrumente ausgestattet. Es sind Gäste des Orchesters, die die ventillosen Naturhörner, die ebenso ventillosen Barocktrompeten, die Barockoboen und das Barockfagott erklingen lassen, denn sie sind gänzlich anders zu bedienen als die modernen Instrumente. Zum ersten Mal hat Georg Friedrich Händel (1685-1759) im Theater Hörner eingesetzt: in der Arie „Alzo al volo mia fama“ (Ich erhebe mich auf die Höhe meines Ruhms) des Tyrannen Tiridates, den auch die Trompeten herrschaftlich begleiten.

Händels „Radamisto“, die erste erfolgreiche Oper in der neugegründeten Londoner Opernakademie: Sie gehört zweifellos zu seinen bedeutendsten. Musik und Handlung sind konzentriert und spannend. Händel wollte ein Fest von sieben Stimmen, die alle zum Zuge kommen: Radamisto, Sohn von Farasmane, König von Thrakien, und seine Schwester Polinessa, verheiratet mit Tiridate, der sie loswerden will, sowie Radamistos Frau Zenobia. Tiridate, tyrannischer König von Armenien, führt Krieg gegen Thrakien, um Zenobia, seine Schwägerin, zu besitzen. Tigrane, Verbündeter des Diktators, und Fraarte, sein Bruder, mischen kräftig mit, sowohl in Liebesdingen als auch in Kriegshandlungen. Gedanken an den Krieg zwischen Griechen und Trojanern wegen Helena kommen auf. Die Geschichte soll sich 53 n.Chr. abgespielt haben, wurde dann von einem Franzosen im 17. Jahrhundert in eine Tragikomödie gefasst und von Nicola Francesco Haym, Cellist, Komponist und Librettist, zum Libretto umgearbeitet. Ausser Polinessa sind die Figuren historisch. Ziemlich verwirrend die Geschichte, die dank schlüssiger Obertitel – es wird italienisch gesungen – aber gut zu verstehen ist. Es gibt Arien voller Emotionen, voll tragischem Pathos, voll Wut, dennoch haben die langsamen, pathetischen Arien grosses Gewicht und bleiben im Gedächtnis.

RADAMISTO | Georg Friedrich Händel | Premiere 03.04.2016 | Oper Frankfurt Musikalische Leitung Simone Di Felice Regie Tilmann Köhler Bühnenbild Karoly Risz Kostüme Susanne Uhl Licht Joachim Klein Video Bibi Abel Dramaturgie Zsolt Horpácsy Radamisto Dmitry Egorov Zenobia Gaëlle Arquez Polissena Paula Murrihy Tiridate Kihwan Sim Tigrane Danae Kontora* Fraarte Vince Yi Farasmane Thomas Faulkner* Frankfurter Opern- und Museumsorchester *Mitglied des Opernstudio

Kihwan Sim (Tiridate) und Gaëlle Arquez (Zenobia), Foto © Barbara Aumüller
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AusstellungsHalle: Gabriele Aulehla, Thomas Hartmann, Achim Sakic, Jörg Simon, Gregor Wald

2016, April 6.

Von Erhard Metz

Die Namen der fünf Künstlerinnen und Künstler, meistenteils aus Frankfurt und Offenbach, die sich in der Frankfurter AusstellungsHalle (1A) zusammengefunden haben, bilden selbstbewusst bereits den Titel der Werkschau, die sie auch selbst kuratierten. Rund 40 Arbeiten, allesamt neuesten Datums bzw. aus dem Jahr 2015, versammeln sich in der Halle, Platz ist genug da für alle, auch wenn sich Thomas Hartmanns Skulptur „Habt ihr keine Vase“ – vielleicht aus Frust über den Mangel an einem solchen Gefäss – in der Raummitte mächtig ausbreitet.

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↑ O.T., 2015/2016, Acryl auf Baumwolle, 60 x 70 cm
↓ O.T., 2016, Acryl auf Baumwolle, 80 x 80 cm Weiterlesen

„Mechanismen der Gewalt“: Arcangelo Sassolino und Regina José Galindo im Frankfurter Kunstverein

2016, April 5.

Von Erhard Metz

Schüsse und dumpfe Schläge dröhnen im Frankfurter Kunstverein, fast schmerzen die Ohren und man spürt das Gebäude erzittern. Es geht heftig zur Sache in der Doppelausstellung „Mechanismen der Gewalt“, kuratiert von Direktorin Franziska Nori und Co-Kurator Eugenio Viola vom Museo d’Arte Contemporanea Donnaregina in Neapel.

Im Souterrain und im Erdgeschoss sowie den beiden oberen Etagen werden gemeinsam Skulpturen und Installationen des italienischen Künstlers Arcangelo Sassolino sowie Arbeiten der guatemaltekischen Künstlerin Regina José Galindo gezeigt. Es geht Sassolino und Galindo um ein „Ausloten der Grenzen der Kunst und die Beschäftigung mit der Frage nach ihrer Rolle in unserer Gesellschaft. Sie verweigern sich dabei einer Reduktion auf einen rein symbolischen Raum und konfrontieren ihre konzeptionellen Ideen mit sozialen oder materiellen Realitäten. Während die Auswirkungen von physischer Gewalt und Machtverhältnissen auf den Körper, sowohl auf den individuellen als auch auf den sozialen, ein zentrales Thema der kompromisslosen Performancekunst von Galindo sind, werden die von Sassolino durch Kräfte bestimmt, die jederzeit ihr Gewaltpotential entladen können“, so der Kunstverein.

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„Afasia 2“, 2008, Ausstellungsansicht, Stahl, Stickstoff 250 Bar, 53 x 70 x 70 cm, Foto Erhard Metz, © Frankfurter Kunstverein, Courtesy Pietro Fiorentini

Beginnen wir mit Arcangelo Sassolino. Gleich in der Eingangsebene wird der Besucher mit einem gegenüber dem Lärm aus den oberen Etagen verdächtig stillen Gefäss konfrontiert, dem er sich instinktiv mit Skepsis und Vorsicht nähert. Die Lektüre des Wandtextes bestätigt ihn in dieser Haltung, herrscht in der 600 Kilogramm schweren, mit Stickstoff befüllten Stahlkapsel doch ein Druck von 250 bar (zum Vergleich: dem Hundertfachen etwa eines mit Luft aufgepumpten Autoreifens). Unwillkürlich tritt man ein paar Schritte zurück, denn was wäre, wenn … Nun, das Objekt sei, liest man weiter, von der EU durch eine Fachinstitution geprüft und für Ausstellungszwecke zugelassen worden. Hoffen wir ’s. Weiterlesen