„Das schlaue Füchslein“ von Leoš Janácek an der Oper Frankfurt
Realität, Mystisches, Irreales, Träumerisches –
schnelle Momentaufnahmen.
Die Natur ein Kreislauf von Werden und Vergehen
Von Renate Feyerbacher
Fotos: Barbara Aumüller/Oper Frankfurt (3), Renate Feyerbacher (1)
Am 24. April 2016 hatte „Das schlaue Füchslein“ in Frankfurt Premiere. Nachdem die Oper des tschechischen Komponisten Leoš Janácek (1854-1928) nach der Uraufführung in Brünn 1924 dort nur noch zweimal gespielt wurde, dann in Mainz drei Jahre später, dann aber selten aufgeführt wurde, ist sie derzeit auf vielen Opernbühnen präsent. Ist es die Sehnsucht nach der Natur im Zeitalter von Beton und Stahl? Der neue Film „Wild“, eine Beziehungsgeschichte zwischen einer jungen Frau und einem Wolf, macht gerade Furore.
Jenny Carlstedt (Fuchs) und Louise Alder (Füchsin Schlaukopf) sowie im Hintergrund die Statisterie der Oper Frankfurt; Foto © Barbara Aumüller
Was für ein Glück, wenn man eine Haushälterin hat, die in der tschechischen Tageszeitung begeistert eine Fortsetzungsgeschichte mit Zeichnungen vom Füchslein Schlaukopf und Fuchs Goldentupf liest und erkennt, dass das ein Opernsujet sein könnte. So geschehen im Hause Janácek 1920: „Der gnä‘ Herr weiß doch so gut, was sich die Tiere erzählen, er notiert sich doch immer die Vogelstimmen – das hier, mein Herr, würde eine Oper abgeben!“ Janácek nahm den Tipp an und liess sich von der Erzählung „Liška Bystrouška“, geschrieben von Rudolf Tesnohlídek, ebensfalls faszinieren. Die beiden Herren, der Komponist und der Erzähler, trafen sich zwei Jahre später, da hatte der Komponist aber bereits einiges komponiert. Das Libretto schrieb er auch selbst, dessen Handlung nicht stringent ist.
Louise Alder (Füchsin Schlaukopf); Foto © Barbara Aumüller
Der alt werdende Förster, der mit dem Schulmeister und Pfarrer wie immer am Kiosk abhängt, fängt die kleine Füchsin, die sich im Menschendickicht verlaufen hat. Die beiden, aus verschiedenen Welten kommend, empfinden füreinander. Ihm wird bewusst durch die freie Art des Füchsleins, wie falsch sein Leben verlief. Die Füchsin, so ist sie zu deuten, ist ein rotzfreches junges Mädchen aus der Vorstadt. Bei der ersten Begegnung fingert sie bei der Umarmung am Hosenschlitz des Försters. Beide haben die Sehnsucht nach Veränderung. Dennoch bleibt der Förster geradezu standhaft. Eine gelungene Schlüsselszene.
Füchslein erreicht, dass der Förster es mit nach Hause nimmt. Das geht natürlich nicht gut. Mit dem Messer des Försters flieht es wieder in den Wald und vertreibt den Pfarrer aus seiner Wohnung, eine bizarre Szene: überdicke Weiber in schwarzen Bikinis bedrängen den zölibatär Lebenden, der vor der Fleischeslust flieht. Füchsin Schlaukopf lernt den Fuchs Goldmähne kennen. Schnell wird sie schwanger, es wird geheiratet. Viele Füchse und andere Tiere kommen zur Hochzeit, die fantasievoll im Wald gefeiert wird.
Schnelle Momentaufnahmen kennzeichnen die Handlung. Im 3. Akt kommt der Waldarbeiter Haraschta ins Spiel. Er zieht den Förster, der immer introvertierter wird, mit der Mitteilung auf, dass er die allseits begehrte Terynka, die nur namentlich bekannt ist, heiraten wird und zeigt die Halskette, die er ihr schenken wird. Das hält ihn natürlich nicht davon ab, mit der Frau des Kioskbesitzers zu flirten. Dabei vergisst er die Kette. Füchsin Schlaukopf, die mit vielen kleinen Füchsen (Kinderchor) die Kette findet und sich um den Hals hängt, gerät mit dem Waldarbeiter in Streit und zieht das geraubte Messer des Försters. Bei der Rangelei wird die Füchsin erstochen. Der Förster sitzt zusammen mit dem Frosch, der das letzte Wort hat, im strömenden Regen und sinniert. Sein sozialer Abstieg ist gleichsam ein Schritt in die Freiheit. Die Titelheldin stirbt und es gibt kein Lamento, wohl hymnische Klänge. Der Lauf der Natur erscheint erbarmungslos. Der Mörder hat den Körper mit Plastiksäcken zugedeckt, so dass der Förster ihn nicht sieht. Nicht der Tod des Füchsleins ist dramatisch, sondern der soziale Abstieg des Försters.
Simon Neal (Der Förster); Foto © Barbara Aumüller
Originell und aussergewöhnlich ist Janáceks Musik. Es gibt viel Orchestermusik, keine Arien. Es ist keine Märchenoper, sondern eine Fabel über Sehnsüchte, über menschliches Fehlverhalten, über unsere Entfremdung von der Natur.
Obwohl der Komponist in den Brünner Parks die Vogelstimmen studierte, Fröschen lauschte, sich von einem Förster einen Fuchsbau zeigen liess, hat er keine naturalistische Musik komponiert. Allerdings lässt das Vorspiel die Gedanken ganz in die Natur eintauchen: Blätterrauschen, Insektensummen, Vogelschwärme und ihr Gezirpe. Oft sind pentatonische Motive zu hören. Im 3. Akt wird die Musik wehmütiger, emotionsgeladener.
Dirigent Johannes Debus, heute Musikdirektor der Canadian Opera Company in Toronto, war von 2001 bis 2008 Kapellmeister an der Oper Frankfurt. Er ist begeistert von Janáceks Musik, von dieser Oper, die er für ein Meisterwerk hält („die Erzählung verlagert sich in den Orchestergraben“). Das Frankfurter Opern- und Museumsorchester musiziert frisch, nicht aufdringlich.
Regisseurin Ute M. Engelhardt, die vor zwei Jahren im Bockenheimer Depot „Die Krönung der Poppea“ überzeugend inszenierte, hat schöne Einfälle, um die Tierwelt darzustellen. Eine schwierige Aufgabe, da ja Menschen die Tiere darstellen müssen. Es gelingt ihr, das Nebeneinander zweier Welten zu realisieren. Sie macht deutlich, dass Tiere die soziale Umwelt des Menschen mit gestalten. Sie nehmen teil an unserer Gesellschaft. Im Wohnzimmer der Försterfamilie gackern die Hühner aus den Wänden, der Schulmeister fährt Fahrrad in der Luft. Kein Abrutschen ins Märchenhafte, aber ein Spiel mit dem Irrealen.
Unterstützt wird die Regie durch die fantasievollen Kostüme, die Katharina Tasch sich ausdachte. Stephanie Rausch hatte in ihrem Bühnenbild sowohl biedere Realität als auch überbordende Natur geschaffen.
Louise Alder bei „Oper extra“ am 17. April 2016; Foto Renate Feyerbacher
Louise Alder als rothaariges Füchslein und Füchsin ist keck und frech, kommt aus einem wilden Umfeld. Ihr heller, klarer Sopran entspricht ganz dieser Interpretation. Flink ist sie, springt auf dem Holzstapel herum und balgt sich mit Jenny Carlstedt als Fuchs auf dem Bühnenboden. Erfrischend.
Der Förster, ein einfacher Mann, der dem Alkohol zugeneigt ist, versucht, seine Sehnsucht nach dem Füchslein wegzutrinken. Das tote Füchslein sieht er nicht. Beeindruckend, wie der britische Bariton Simon Neal, der schon mehrfach an der Oper Frankfurt gastierte, ihn singt und spielt.
Das Publikum feierte Künstler und Inszenierung.
Eine schöne, poetisch-realistische Aufführung, die am 30. April, am 7., 15., 22., 25. und 26. Mai sowie am 12. Juni 2016 auf dem Spielplan steht, am 22. Mai um 15.30 Uhr mit Kinderbetreuung (anschließend „Oper lieben„).
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Spielzeit 2016/2017
Mitte der Woche stellte Intendant Bernd Loebe in der Jahrespresskonferenz die Spielzeit 2016/2017 vor. Sage und schreibe zwölf Premieren sind vorgesehen, darunter „Eugen Onegin“ von Peter I. Tschaikowski, „Les Troyens“ von Hector Berlioz, „Rigoletto“ von Giuseppe Verdi, „Martha“ von Friedrich von Flotow, aber auch Werke von Ernst Křenek, Claude Debussy, Arthur Honegger, Benjamin Britten, Andrea Lorenzo Scartazzini und ein vierteiliges Projekt mit dem Ensemble Modern. Ein Höhepunkt wird Honeggers „Jeanne d’Arc au bûcher“ (Johanna auf dem Scheiterhaufen) mit dem französischen Weltstar Marion Cotillard sein, die für ihre Rolle der Edith Piaf in dem Film „La vie en rose“ mit dem Oscar ausgezeichnet wurde. Vierzehn Wiederaufnahmen und acht Liederabende sind geplant. Einen wird Johannes Martin Kränzle gestalten, der nach langer Krankheit wieder ins Rampenlicht zurückkehrt.