„Lionel Röhrscheid/Corinna Mayer: Kilroy was here“ im Kunstverein Familie Montez
Von Erhard Metz
Über das bekannte Frankfurter Künstlerpaar Corinna Mayer und Lionel Röhrscheid zu schreiben, heisst im Grunde „Eulen nach Athen zu tragen“. Auch wir geraten mehr und mehr in Bedrängnis bei dem Versuch, angesichts unserer früheren Beiträge stets neue Formulierungen zu – auch neueren – Arbeiten zu finden. Werke der beiden waren eigentlich schon fast allüberall in der einschlägigen Frankfurter Ausstellungsszene zu sehen, auch weit über Stadt und Rhein-Main hinaus. Ein jeder, der sich für die hiesige Kunstlandschaft interessiert, kennt sie beziehungsweise müsste sie kennen.
Osterfest, 2016, Öl auf Nessel, 200 x 140 cm
Schattenkonferenz, 2016, Öl auf Nessel, 130 x 180 cm
Und doch gibt es bei aller Wiedererkennbarkeit immer wieder Neues und Überraschendes zu sehen, wenn von Corinna Mayer und Lionel Röhrscheid zu hören und vor allem natürlich zu sehen ist. Zum Beispiel auch in den – gerade ist die Ölfarbe getrocknet – auf eine unvergleichliche Weise faszinierenden Gruppenbildern der Malerin, denen sie wohlweislich Titel gibt. Es sind diese Menschen, denen eine bestimmte gesellschaftliche Situation gemeinsam zu sein scheint, ein familiär begangenes Fest etwa, die geschäftige Besprechung vielleicht bei aufgeklappten Notebooks und Kaffeepott in einer Arbeitsgruppe, und die doch stets aneinander – wie übrigens auch an dem Betrachter – vorbeischauen und Letzterem suggerieren, dass man sich eigentlich überhaupt nicht miteinander versteht.
Spektakulär (im wahrsten Wortsinn) wie übrigens deren Platzierung vor einem schwarzen Tuch über einem mit schicker weinroter Lackfolie behangenen Sofa eine Arbeit, ein gestyltes, fast schon wie vom Computer gezeichnetes Gesicht einer von Schönheitswahn getriebenen Frau, die Haut oder Augen „lasert“. Ist es schon so weit, dass man solche Eingriffe eigenhändig per Heimgerät aus dem Versandhandel vornehmen kann?
Lasern, 2015, Öl auf Leinwand, 60 x 60 cm
Auferstehung, 2015, Öl auf Holz, 100 x 70 cm
Auflösung, 2016, Öl auf Nessel, 100 x 80 cm
Zwei Arbeiten neueren und neuesten Datums, die sinnvoll zueinander gehören: „Auferstehung“ – Assoziationen an einen zwar vollbärtigen, aber auch irgendwie androgyn anmutenden Jesus stellen sich ein – und „Auflösung“, hinter der sich ein ebenso vollbärtiges Antlitz abzuzeichnen scheint.
Den Werken Lionel Röhrscheids gehört die rechte Ausstellungshalle, seine der gesamten Schau titelgebende Arbeit „Kilroy was here“ – ein universaler Sternenkreis als Wandarbeit, eine recht irdische Kiste, darin eine Weltkarte, über die bei leisester Luftbewegung leichtgewichtige Kügelchen nach Belieben hin- und herrollen, Länder und ganze Kontinente besetzen und wieder freigeben – haben wir erst allerjüngst vorgestellt.
Kilroy was here, 2016, Wandbild, Acryl auf Wand; Objekt, Pressspan, Weltkarte, Kugeln
Ohne Titel, 2014, Öl auf Nessel, 190 x 140 cm
Ohne Titel, 2016, Öl auf Nessel, 70 x 60 cm
Röhrscheids mit bis ins Kleinste hinein mit hinreissender Präzision und Akribie ausgeführten, unbetitelten, sich der Op art nähernden Arbeiten seiner „transfigurativen“ – wie es der Künstler selbst nennt – Malerei zeugen von seinem schier unermüdlichen Formen- und Ideenreichtum. Ein riesiger Bogen spannt sich zwischen den Makro- und den Mikrokosmen seiner Werke.
Für uns neu eine Textilarbeit: Die handvernähten Tücher mit Malerei informellen Charakters erzeugen eine suggestive Raumwirkung. „Diary“, so der Titel: Tagebuch, Journal, Kalender – Reportagen auch über handwerkliches Geschehen im Atelier, wo allem Anschein nach neue künstlerische Möglichkeiten und Wege ausgelotet werden.
Diary, 2015, Öl auf Nessel/Näharbeit, 61 x 85 cm
Eine reiche, überaus qualitätshaltige Ausstellung, die ausliegenden Werklisten sorgfältig erstellt: Nicht weniger als 27 Arbeiten von Corinna Mayer, darunter zwei Konvolute von Zeichnungen mit Bleistift auf Papier, und 18 Werke von Lionel Röhrscheid sind zu sehen. Der Betrachter sollte also mehr als nur ein Quentchen Zeit mitbringen, wenn er seine Schritte unter die Honsellbrücke zu „Familie Montez“ lenkt, und das sollten jedermann und jedefrau tun, die dies bislang – in eigentlich kaum verzeihbarer Weise – versäumt haben sollten!
Lionel Röhrscheid/Corinna Mayer, „Kilroy was here“, Kunstverein Familie Montez, noch bis 17. April 2016
Werke © Corinna Mayer/Lionel Röhrscheid; Fotos: Erhard Metz (6), Corinna Mayer (3) und Lionel Röhrscheid (1)
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