„Maniera“: Kunst in der aristokratischen Republik Florenz im Städel Museum
Mit rund 120 bedeutenden Leihgaben und insgesamt 50 Gemälden sowie 81 Zeichnungen, Skulpturen und zusätzlichen Exponaten zeigt das Städel Museum in seiner interessanten Schau „Maniera“ erstmals in Deutschland ein zentrales Kapitel der italienischen Kunstgeschichte in seiner ganzen Bandbreite: den Florentiner Manierismus in der Hochrenaissance. Da sind Werke u. a. von Jacopo Pontormo, Agnolo Bronzino, Andrea del Sarto, Rosso Fiorentino und Giorgio Vasari, der den Begriff „Maniera“erfunden hat, zu sehen.
Petra Kammann
hat sich im Städel umgesehen
Empfängt ihre Besucher bereits im Treppenaufgang des Ausstellungshauses: Städel-Ikone „Dame in Rot“, beiläufig auch als Dame mit dem Hündchen bekannt; Foto FeuilletonFrankfurt
Typische Merkmale der Renaissance: Der Mensch steht in seiner Individualität im Mittelpunkt. Das Individuum gehört so sehr zu dem Spezifikum dieser Epoche zwischen Mittelalter und Neuzeit wie die Rückbesinnung auf die Architektur der Antike mit ihren Gesimsen, Säulen, Nischen und den dem Menschen gemäßen „Goldenen Schnitt“. Alles dies finden wir in der Kunst dieser Zeit wieder, was vom ersten Kunstkritiker und Literaten Giorgio Vasari, der selbst Maler der Medici und Architekt der Uffizien in Florenz war , beschrieben wurde. Sein Schicksal ist in jeglicher Hinsicht eng mit dem der Medici verwoben, die als Herzöge von Florenz eine Art Musterdiktatur errichteten, in welcher die Kunst dem Ruhme des Hauses dienen sollte. Sein eigentliches Werk besteht vor allem aber aus seinen Schriften über die Kunst der anderen, über deren Leben ohne Vasaris biographischen Annäherungen die Nachwelt wohl keine Vorstellung hätte. Vasari hatte natürlich auch seine Maßstäbe, für das, was er für die wahre Kunst hielt:
„Die reichsten und manchmal übernatürlichsten Gaben sehen wir häufig auf natürliche Weise mit Hilfe der himmlischen Einflüsse über menschliche Geschöpfe ausgegossen; wir sehen in ungeheuerlicher Weise, dass sich in einem einzigen Körper Schönheit, Liebenswürdigkeit und Tugend so vereinigt, wohin auch jener sich wendet, jede seiner Handlungen so göttlich ist, dass alle Menschen hinter ihm zurückbleiben und es sich deutlich offenbart: Was er leistet, ist von Gott gespendet, nicht durch menschliches Können erzwungen. Das hat die Welt an Leonardo da Vinci gesehen. Denn, von seiner nie genug gepriesenen Schönheit abgesehen, erfüllt göttliche Anmut all sein Tun.“
Angolo Bronzino (1503 bis 1572)
↑ Bildnis der Eleonora di Toledo,um 1539–1543, Öl auf Holz, 59 x 46 cm, Národní galerie, Prag
↓ Bildnis einer Dame in Rot (Francesca Salviati?), um 1533, Öl auf Pappelholz, 89,8 x 70,5 cm, Städel Museum, Frankfurt am Main, Foto: Städel Museum – ARTOTHEK
Die göttliche Anmut, sie sollte auch im zeitgenössischen Porträt des individuellen Menschen zum Ausdruck kommen. So war das Bildnis einer „Dame in Rot“ von Agnolo Bronzino um 1533, welches zu den kostbarsten Werken des Städel zählt, zweifellos der Ausgangspunkt der Frankfurter Schau „Maniera“. Deshalb prangt dieses Meisterwerk inmitten anderer Damen-Porträts der Zeit, die zum Vergleich von außerhalb hinzugezogen wurden. Das Städel-Bild, Schlüsselwerk der Florentiner Porträtmalerei, verkörpert den neuartigen Typus des monumentalen, repräsentativen Damenbildnisses der Hochrenaissance, dessen Entstehung in der Ausstellung hier erstmalig rekonstruiert wird.
Man kann sich Bronzinos Gemälde „Dame in Rot“ – in der Mitte – nicht entziehen. In dieser Schau hängt das Schlüsselwerk zwischen dem „Bildnis der Lucrezia“ von Foschi und Domenico Puglios „Bildnis der Francesca Capponi als heilige Magdalena“; Foto Petra Kammann
So begegnet die „Dame in Rot“ – man vermutet, es handelt sich um Francesca Saviati – hier ihren „nächsten Verwandten“ aus ihrer gattungsgeschichtlichen „Ahnenreihe“. „Stylish“ wirkt sie, würde man heute sagen, in ihrer majestätischen Haltung, wie sie ihr poussierliches Schoßhündchen auf dem durchdringend roten Kleid mit den bauschigen Puffärmeln drapiert hat. Dabei lässt der Maler beide Protagonisten auf den Zuschauer schauen und gleichzeitig distanziert ins Leere blicken. Bronzinos malerische Komposition ist kühn, elegant, kultiviert, raffiniert, artifiziell und so kapriziös wie extravagant – ganz im Sinne der „Maniera“.
Ihre „Konkurrentinnen“ zur Rechten und zur Linken fallen schon etwas schwächer aus, das blassere dreiviertelfigurige „Bildnis der Lucrezia Panciatichi“ von Pier Francesco Foschi (um 1535-1540), die ähnlich gekleidet und aufgeputzt ist, und Domenico Puglios „Bildnis der Francesca Capponi als heilige Magdalena“ (um 1528/29). Der Maler hat die hoffähig Gewandete kurzer Hand mit Hilfe von Beigaben wie dem kostbaren Salbgefäß in der Rechten und den Heiligenschein über ihr zum Heiligenporträt umgewidmet. Souverän bedient er sich hier der symbolischen Insignien des Heiligen.
Ein echtes Pendant zur „Dame in Rot“, was Opulenz und malerische Qualität angeht, ist im selben Raum Bronzinos leicht gedrehte „Dame in Grün“ in ihrer monumentalen Würde, die jahrelang Bronzinos einstigem Meister und Freund Pontormo zugeschrieben wurde. Ihre Aufmachung, Gestaltung und Farbigkeit sind so eindrucksvoll wie detailgenau. Die raffiniert übereinandergelegten, zum Teil gerafften, plissierten und verzierten Stoffe entfalten vor dem dunkelroten Hintergrund eine besondere Wirkung. Dieses virtuos gemalte Bild, das heute in der Royal Collection in Windsor hängt, zählt zu den Gast-Meisterwerken der Ausstellung ebenso wie Bronzinos Porträt der „Eleonora di Toledo“ (um 1555/6 oder 1560) mit ihrem perlenbestickten rötlichen Samt und den dazu im Gegensatz stehenden melancholisch blickenden Augen, das eigens aus Berlin angereist ist. Das Spiel mit der Ambivalenz von Schein und Sein ist wohl eines der Merkmale manieristischer Malerei. Die spanische Ehefrau Cosimo I. von Medici war für die Florentiner ein „Fremdkörper“, wenngleich sie die Insignien der Macht der Medici an ihrer Hand trägt: den diamantenen Ring und die antike Camee. Geliebt wurde sie deshalb nicht. Dem Maler blieb es wohl nicht verborgen.
Agnolo Bronzino (1503–1572), Bildnis einer Dame in Grün, um 1530–1532, Öl auf Pappelholz, 76,6 x 66,2 cm, Windsor Castle, State Apartments, Windsor, Royal Collection Trust/© Her Majesty Queen Elizabeth II 2015
1539 war der fleißige Schüler Pontormos, Agnolo Bronzino , zum Hofmaler des neuen Herzogs Cosimo I. de’Medici avanciert. Er lässt seine porträtierten Menschen mit majestätischer Haltung und kühler Eleganz distanziert und erhaben auf den Betrachter blicken und lässt ihn die kostbaren Gewände der spanischen Hofmode bewundern. In einer ganzen Serie von Bildnissen hatte er aber nicht nur den Herzog und dessen Gemahlin Eleonora di Toledo, sondern auch – und das war neu zu dieser Zeit – die selbstbewussten Kinder und Höflinge dargestellt. Damit verleiht Bronzinos Malerei der gerade erlangten Herzogswürde der Familie Medici ein Gesicht, das auch unser Bild vom Florentiner Hof in der Epoche der Hochrenaissance, des 16. Jahrhunderts, nachhaltig geprägt hat.
Vasari wiederum hat den mehrdeutigen Begriff der „maniera“ geprägt, der zunächst den persönlichen Stil, die Handschrift (mano dell’artista) , die „Manier“ eines Künstlers bezeichnet. Andererseits steht „Maniera“ auch für einen Epochenstil schlechthin, für den Manierismus in all seinen Facetten: manieriert eben, d.h., bisweilen durchaus auch bizarr, „alla maniera tedesca“, nach deutscher Art, als welche Dürers Kunst, die gerade in Italien bekannt wurde, empfunden wurde. Der Kunstkritiker Vasari konnte sie nicht gutheißen.
Bei Jacopo Pontormo wiederum führte die Beschäftigung mit der Kunst nördlich der Alpen zu einem neuen eigenen Stil. Er hatte die Druckgrafik Albrecht Dürers und Lucas van Leydens als Mischform aus florentinischem und deutschem Stil auf seine Weise in die Malerei übersetzt, ganz besonders in seinen bizarren Fresken im Kartäuserkloster der außerhalb von Florenz liegenden Certosa del Galluzzo, in das er sich vor der Pest, die in Florenz wütete, geflüchtet hatte. Vasari empfand diese wilde Ausdrucksform als zu fremdartig und ging zu Pontormo auf Abstand. Sein Ideal blieb das rein florentinische, an der klassischen Antike geschulte Sehen und Gestalten.
Raffael (1483–1520), Madonna Esterházy, um 1507/08, Öl auf Holz, 29 x 21,5 cm, Szépművészeti Múzeum Budapest 2016; Raffaels ernste Madonnen prägten das Bild der Hochrenaissance vor den Manieristen
Spricht man von der Hochrenaissance zu Beginn des 16. Jahrhunderts, so hat man häufig Leonardo da Vinci, Michelangelo oder Raffael als Höhepunkt der Kunstentwicklung in der Toskana vor Augen. Dass einige der bemerkenswertesten Leistungen jedoch erst in den darauffolgenden beiden Künstlergenerationen zum Ausdruck kamen, haben wir der Frankfurter Ausstellung und deren kompetentem Kurator Bastian Eclercy, der schon 2009 bei der erfolgreiche Botticelli-Ausstellung im Städel war, zu verdanken. Parallel zum Ablauf der Geschichte macht er deutlich, dass die manieristischen Künstler auf den Errungenschaften der Hochrenaissance aufbauten und eigene Wege auf neuem Terrain beschritten.
So verraten Pontormos Jünglingsporträts aus den 1520er Jahren diskret auch etwas über den Beruf der Porträtierten. Mit versteckten Details, die auf ihre Berufe hinweisen, und mit Hilfe seiner Chiaroscuro-Modellierung sind sie von berückender Schönheit, gleich, ob es um das Bildnis eines jungen Mannes in schwarzem Wams (vermutlich Cosimo I.) geht oder um die beiden Lautenspieler, wovon der eine einen wahren „Gentiluomo“ alla Baldassare Castiglione verkörperte und doch die Strenge und Modernität eines Modigliani-Gemäldes hat mit dem leicht aus der Frontalen gedrehtem Gesicht und dem tief melancholischen Blick.
Besucherin zwischen Francesco Salviati (1510–1563), Porträt eines jungen Mannes (1546/48) und Angolo Bronzino (1503–1572), Bildnis der Eleonora di Toledo,um 1539–1543; Foto Petra Kammann
Zwischen 1519 und 1525 hatten die beiden sich etablierenden Maler Pontormo und Rosso jeweils mit einer ganz eigenen und eigenwilligen Bildsprache experimentiert, die sich vom „klassischen“ Stil der Hochrenaissance dezidiert absetzte. Die ganz eigene expressive Bildsprache von großer Sprengkraft Rosso Fiorentinos wurde zwangsläufig weniger von den Medici als von einem kleineren Kreis von Mäzenen geschätzt. Auch Pontormos und Rossos Bildnisse von lässig-eleganten Herren in Schwarz wetteifern in ihrer selbstbewussten Präsenz mit der Porträtmalerei nördlich der Alpen.
Jacopo Pontormo (1494–1557), Bildnis eines jungen Mannes in schwarzem Wams (Cosimo I. de’Medici?), um 1536/37, Öl auf Holz, 100,6 x 77 cm, Privatsammlung, Foto: Damon Cargol
In der Ausstellung bekommen wir neben den für die Zeit so typischen exquisiten Porträts auch einen Einblick in die stadtgeschichtlichen Ereignisse von Florenz. Die Florentiner Kunst- und Stadtgeschichte jener Jahre steht in engem Zusammenhang mit den Entwicklungen im päpstlichen Rom. Insofern ist eine Abteilung dem „Sacco di Roma“ gewidmet. Chronologisch beginnt die Ausstellung aber mit der Rückkehr der Medici aus dem Exil nach Florenz im Jahre 1512 und den gleichzeitigen Anfängen einer neuen Künstlergeneration der „jungen Wilden“ mit Jacopo Pontormo, Agnolo Bronzino, Andrea del Sarto, Rosso Fiorentino und kulminiert in der Darstellung der „Maniera“ in Vasaris Künstlerviten von 1568.
(li.) Rosso Fiorentino (1494–1540), Madonna mit Kind und dem Johannesknaben, um 1515, Öl auf Pappelholz, 102,1 x 77,5 cm, Städel Museum, Frankfurt am Main, Foto: Städel Museum – ARTOTHEK; (re.) Jacopo Pontormo (1494–1557), Studie zweier stehender Frauen, um, 1515, Rote Kreide auf Papier, 39,3 x 26,1 cm, Staatliche Graphische Sammlung München, Inv. 14042Z
Nach dem Ende der Belagerung und einer kurzzeitigen Übergangsregierung war Alessandro de’Medici 1531 in den Familienpalast nach Florenz zurückgekehrt. Durch eine Verfassungsänderung war die Stadt zu einer aristokratischen Republik mit einem Fürsten an der Spitze und Alessandro als erstem Herzog von Florenz ausgerufen worden. Dieser tiefgreifende politische Wandel fiel mit den Umbrüchen in der Florentiner Kunstszene zusammen. Nach dem Tod des Andrea del Sarto (1530) und dem Weggang Rossos nach Frankreich an den Hof Franz’ I. (1530) sowie der endgültigen Übersiedelung Michelangelos nach Rom (1534) war Pontormo der führende Maler in der Stadt geworden. Obwohl er zuvor für eher republikanisch gesinnte Auftraggeber tätig war, porträtierte er nun den unbeliebten neuen Herrscher. Zu dieser Zeit hatte auch der Aufstieg seines Schülers und Freundes Agnolo Bronzino begonnen.
Das Bemerkenswerte an dieser vielgestaltigen Schau ist neben den großartigen Exponaten auch, dass sie uns nicht nur die fertigen Meister vor Augen führt. Sie zeigt gewissermaßen die Entwicklung der Künste in den verschiedenen Genres: in den bewegten und bewegenden Rötelskizzen, in den neuartigen Darstellungen Mariens mit dem Jesuskind und dem Johannisknaben, bei denen die Maria bisweilen als verführerische Venus erscheint, in den naturalistischen Plastiken, in den Tapissiserien der Zeit, in ihrer Architektur, die hier im Städel im Maßstab 1:3 in Form der florentinischen Biblioteca Laurenziana nachgebaut wurde und nicht zuletzt auch in den individuellen Tagebuchaufzeichnungen Pontormos, der darin ebenso über den Fortschritt seiner Malerei berichtet als auch über seine alltägliche Nahrungsaufnahme und seinen psychischen Zustand, so dass wir uns ein realistisches Bild von der Epoche dieses interessanten Umbruchs machen können. Und wir erleben den Künstler und Vater der Kunstgeschichte Vasari auch als Hofkünstler Cosimos I.
Ausstellungsarchitektur: Treppe der florentinischen Biblioteca Laurenziana im Maßstab 1:3; Foto FeuilletonFrankfurt
Spannend, wie auch er hier die Kulturgeschichte Italiens und von Florenz verarbeitet. Auf seinem Bild „Sechs toskanische Dichter“ aus dem Jahre 1544 finden wir die Dichter der Hoch-Zeit toskanischer Dichtkunst verewigt: allen voran der mit Lorbeer gekränzte Schöpfer der „Göttlichen Komödie“, Dante Alighieri, dann Petrarca, den Dichter des „Canzoniere“, auch er bekränzt wie auch Boccaccio und Guido Cavalcanti. Im Hintergrund nehmen wir die unbekränzten Dichter Masilio Ficino sowie Cristoforo Landin wahr. Körperhaltung und Position der Literaten im Bild spiegeln die Debatte unter den Humanisten wider, wer hier die Vorherrschaft in der Poesie genießt: Und das ist nun einmal Dante.
Giorgio Vasari (1511–1574), Die Toilette der Venus, um 1558, Öl auf Holz, 154 x 124,7 cm, Staatsgalerie Stuttgart (Ausstellungsarchitektur Foto FeuilletonFrankfurt)
Diesem gelehrsamen Bildnis Vasaris steht mit seiner „Toilette der Venus“ die Libertinage, die sinnliche und sich selbst bespiegelnde, von den drei Grazien und Engeln umgebenen Liebesgöttin gegenüber. Diese raffinierte Komposition, die vermutlich auf Raffael zurückgeht, und die der 21-jährige Vasari für Ippolito de Medici gemalt hatte, ist die reine Anmut und Grazie. Und Ausdruck der Maniera Moderna, welche sich in seiner Freizügigkeit vom vergangenen Quattrocento, dem 15. Jahrhundert, befreit hat.