Starke Stücke im Schauspiel Frankfurt (9)
Spielzeit 2015 / 2016 – eine Auswahl
Von Renate Feyerbacher
Fotos: Birgit Hupfeld / Schauspiel Frankfurt
Wer hat Angst vor Virginia Woolf? (Premiere 8. November 2015)
Der zerbrochene Krug (Premiere 2. Oktober 2015)
Terror (Uraufführung 3. Oktober 2015)
Penthesilea (Premiere 4. Dezember 2015)
Die Spielpläne am Schauspielhaus sind voll beklebt mit den Hinweisen „Ausverkauft“. Intendant Oliver Reese konnte in der Spielzeit 2014/2015 die Bilanz noch einmal deutlich steigern. 181.000 Zuschauer, 10.000 mehr als in der vergangenen Spielzeit, haben die Vorstellungen besucht. Die jährliche Auslastung lag bei 87,5 Prozent und die Einnahmen stiegen. Fast 7.000 Abonnenten hat das Schauspiel heute. Bedeutend ist der Zuspruch durch junge Menschen, Schüler und Studenten: 50.000 Karten wurden an sie verkauft.
„Das macht einen Intendanten ziemlich glücklich“, so Oliver Reese, der in der Spielzeit 2017/2018 das Schauspiel Frankfurt verlassen und als Intendant das Berliner Ensemble übernehmen wird. Sein Nachfolger in Frankfurt wird Anselm Weber, derzeit Intendant in Bochum. Seine Inszenierung der Oper „Die Passagierin“ 2015 in Frankfurt war grandios.
Für die Spielzeit 2015/2016 sind 27 Neuproduktionen, darunter 8 Uraufführungen, und 34 Wiederaufnahmen geplant.
Wer hat Angst vor Virginia Woolf?
Sie geben keine Ruhe. Seelengemetzel.
„Du wirst es noch bereuen, dass Du mich geheiratet hast!“
Als vor über 50 Jahren „Wer hat Angst vor Virginia Woolf“ uraufgeführt wurde, da faszinierte das Stück. Und heute? Wie relevant ist die Lebenslüge von Marthas und Georges Sohn, den es nie gab? Sie steht im Mittelpunkt des Stückes. Letzte Sätze der feuchtfröhlichen Party, an der das junge Paar Nick und Honey (Putzi) teilnehmen, machen es noch einmal deutlich. George spricht von einem Telegramm, das es auch nicht gab, und das den Tod des Sohnes mitteilt. George: „Ich habe das Recht, ihn jederzeit zu töten.“ Martha:„Du musstest ihn nicht sterben lassen, George“. Nick zu George: „Konnten Sie … konnten Sie … keine [Kinder] haben?“ George: „Wir beide nicht.“ Dann endet es, als „das vierstimmige Requiem für den gestorbenen, niemals geborenen Sohn“, schreibt Literaturkritiker Ivan Nagel (Zitiert aus Spectaculum 7 – Moderne Theaterstücke, Suhrkamp Verlag 1964).
WER HAT ANGST VOR VIRGINIA WOOLF?
Regie: Stephan Kimmig; Wolfgang Michael, Lukas Rüppel, Corinna Kirchhoff; Foto © Birgit Hupfeld
Die verbale Tötung des ungeborenen Sohnes geschieht in Anwesenheit von Nick und Honey, die Martha, Ehefrau des Geschichtsprofessors George, nach der Samstagabendfeier ihres Vaters, Präsident des College mit dem vielsagenden Namen Neu-Karthago, an dem George und auch Nick lehren, noch zu sich nach Hause einlud. Noch sind Martha und George allein, bevor das junge Paar kommt, und werfen sich erniedrigende Scheusslichkeiten an den Kopf. George warnt Martha, den Besuchern ihre Lieblingsnummer, die Mär vom Sohn, aufzutischen. Er: „Der Junge. Sprich nicht von unserem Jungen“. Sie: „Wenn ich will, red ich von ihm.“ Natürlich erzählt Martha von ihrem Sohn. Dieses Thema beherrscht das gesamte Stück. Verbitterung über die Unfruchtbarkeit hält die Ehe zusammen. Und es will schier nicht enden in den dreieinhalb Stunden mit Pause.
Der Titel des Skandalstückes, so wurde es vor über 50 Jahren bezeichnet, fiel Albee ein (so erzählte er 2006 in einem Interview), als er auf einem Toilettenspiegel geschmiert las „Who’s afraid of Virginia Woolf“. Natürlich sei das Kinderlied „Who’s afraid of the big bad Wolf“ gemeint gewesen. „Wer fürchtet sich vor einem Leben ohne falsche Illusionen. Und ich hielt es für einen ziemlich universitätstypischen intellektuellen Witz.“
Dieses Stück des amerikanischen Autors Edward Albee (1928 in Washington D.C. geboren), das 1963 in Berlin die deutsche Erstaufführung hatte, ist eines der meistgespielten Theaterstücke. Die Kritiker damals zogen Ibsen heran, der die Lebenslüge in seinen Stücken zum Thema machte, auch Strindberg wurde zitiert. Das Stück hat Albee berühmt gemacht. Es war ein einmaliger, grosser Wurf, den er nicht mehr wiederholen konnte. Es hält seinen Namen jedoch wach. Autobiographisches soll das Stück nicht erhalten, obwohl es zu vermuten wäre: Albee wurde kurz nach seiner Geburt von seinen Eltern weggeben und von einem Ehepaar aus einem Tingeltangel-Theater adoptiert.
WER HAT ANGST VOR VIRGINIA WOOLF?
Regie: Stephan Kimmig; Lukas Rüppel, Corinna Kirchhoff, Wolfgang Michael, Katharina Bach; Foto © Birgit Hupfeld
Regisseur Stephan Kimmig, mehrfach ausgezeichnet (FAUST-Theaterpreis), der an allen grossen deutschsprachigen Theatern inszeniert, hätte gut daran getan, sich nicht auf die Originallänge des Stücks einzulassen. Es kehren immer die gleichen Beleidigungen in veränderter Redensart wieder.
Die Bühne: Honey: „Ach hübsch ist es bei Ihnen.“ Diesen Eindruck gibt das Bühnenbild von Katja Haß nicht her: Zugemauert ist der Bühnenraum mit Holzschränken, die Bühne stark verkleinert, vorne ein wenig erweitert, wo sich das Ehepaar meistens seelisch zerfleddert, ein Gang nach hinten ins Ungewisse. An der Seite rechts die Bar, links der Plattenspieler. Eine undefinierbare, kalte Behausung. Von hübsch keine Rede, aber passend.
Corinna Kirchhoff spielt die Martha, schrill, gemein, aber auch leidend und gelegentlich sympathisch – bis zur Erschöpfung. Ihre Wandlungsfähigkeit ist enorm: Mal wirkt sie jung und beschwingt, mal wie eine ältere Frau. Diese aussergewöhnliche Schauspielerin, die auf allen bedeutenden deutschsprachigen Bühnen in Berlin, in Wien, in Salzburg und zuletzt in Zürich stand, Trägerin renommierter Auszeichnungen, ist seit 2015 Mitglied im Frankfurter Ensemble. Sie und Wolfgang Michael, der den George spielt und schon seit einigen Jahren dem Ensemble angehört, sind jenseits der Bühne auch ein Paar (wie Elizabeth Taylor und Richard Burton, die 1966 im Film als Martha und George sich seelisch zerfleischten). Zynisch, gleichgültig, müde wirkend, langsam sich bewegend, aber auch verletzbar gestaltet Wolfgang Michael die Rolle des George. Bösartig entlockt er Nick private Begebenheiten, um dann ihn und Honey zu verhöhnen. Lukas Rüppel als Nick, zunächst angepasst, fleissig trinkend, gibt ihm Contra, ist witzig, und die oberflächliche, mäuschenhafte Honey, die Katharina Bach realisiert, entwickelt sich, zeigt Gefühle. Beide überstehen diesen langen Abend.
Weitere Vorstellungen am 6. und 14. Februar 2016
Als Doppelprojekt: „Der zerbrochene Krug“ und „Terror“
Es sind zwei Stücke, die sich mit der Justiz befassen: das Lustspiel „Der zerbrochene Krug“ von Heinrich von Kleist (1777-1823) aus dem Jahr 1811 sowie „Terror“ von Ferdinand von Schirach (geboren 1964), 2015 uraufgeführt sowohl in Frankfurt als auch im Deutschen Theater Berlin.
Um Lüge, Täuschung, Vertrauensmissbrauch, Amtsmissbrauch, gar sexuelle Nötigung geht es im Kleistschen Stück. Kleist hat seine Kritik an der Justiz in ein Lustspiel verpackt, sonst hätte er vielleicht Schwierigkeiten mit der Obrigkeit bekommen. Wäre Gerichtsrat Walter, im Dorf als übergeordnete Instanz angesehen, bei seiner Revisions-Tour nicht in Huisum erschienen, so wäre wahrscheinlich ein schwerwiegendes Fehlurteil gefällt worden. Adam: „Wir haben hier, mit Eurer Erlaubnis, Statuten, eigentümliche, in Huisum, nicht aufgeschrieben muss ich gestehn, doch durch bewährte Tradition uns überliefert.“
Wer hat den Krug zerschlagen? Ruprecht, der Verlobte von Eve, deren Mutter Marthe Rull den Fall von Dorfrichter Adam geklärt haben will? Der hat sein Urteil schon gefällt und schiebt alles auf Ruprecht, den Lukas Rüppel leidenschaftlich aufführt. Aber Gerichtsrat Walter insistiert, und so wird Adam selbst als Täter entlarvt.
DER ZERBROCHENE KRUG
Doppelprojekt; Regie: Oliver Reese; Martin Rentzsch, Carina Zichner, Max Mayer, Constanze Becker, Nico Holonics; Foto © Birgit Hupfeld
Intendant Oliver Reese lässt Max Mayer den Dorfrichter Adam wie einen Psychopathen spielen, zumindest dann, wenn Gerichtsrat Walter erscheint, den Martin Rentzsch unten vor dem Publikum stehend belehrt und befragt. Hat er eine Persönlichkeitsstörung, die vor Gericht berücksichtig werden müsste? Nein, er ist ein gerissener Typ. Diese Darstellung ist brillant, sie verstört und doch auch wieder nicht, wenn Adam dem Gerichtsrat die Mär vom Perlhuhn, das ihm den Pips einflösste, erzählt. Das Gericht ist Theater. Nichts bürgt dafür, dass das Versprechen nach Gerechtigkeit eingelöst wird.
Oliver Reese ist Regisseur beider Stücke, die an verschiedenen Abenden, manchmal aber auch an einem Abend aufgeführt werden. Er arbeitet in beiden Stücken mit derselben Besetzung. Exellente Schauspieler sind am Werk.
„Terror“ behandelt ein aktuelles Thema. Es geht um die Not von Soldaten, die zwischen Befehl und Gewissen stehen, die durch Eid sich verpflichten, der Bundesrepublik treu zu dienen. Die Verteidigung von Recht und Freiheit des deutschen Volkes ist ihre Aufgabe.
Lars Koch, Major der Luftwaffe, ist angeklagt. Er hat mit seinem Kampfjet das Passagierflugzeug mit 164 Menschen abgeschossen, das ein Terrorist ins mit 70.000 Menschen vollbesetzte Münchner Stadion abstürzen lassen wollte. Durfte er das? Darf Leben gegen Leben stehen? Wenn das wirklich geschehen wäre, wären allerdings auch die 164 Menschen im Flugzeug gestorben.
2005 wurde das Luftsicherheitsgesetz erlassen. Es besagt, dass die Sicherheit im deutschen Luftraum gewährleistet werden muss und Terroranschläge wie die in New York am 11. September 2001 verhindert werden sollen. Hierzulande wurde die Diskussion verschärft, nachdem zwei Jahre später ein Motorsegler die Hochhäuser am Frankfurter Willy Brandt-Platz umkreiste und mit dem Absturz in das Gebäude der EZB drohte. Der Flugverkehr wurde ausgesetzt, Kampfjets der Bundeswehr stiegen auf. Die Frage, ob das Flugzeug hätte abgeschossen werden sollen, habe sich nicht gestellt, antwortete der damalige Frankfurter Polizeipräsident. Der Student, der das Flugzeug gestohlen hatte, landete mit Hilfe eines Polizeipsychologen und eines Fluglotsen, der ihn leitete, nach zwei Stunden auf dem Frankfurter Flughafen.
In „Terror“ spielt der Strafverteidiger und Schriftsteller Ferdinand von Schirach die Unzulässigkeit des Luftsicherheitsgesetzes durch. Da heisst es § 14 Abs.3: „Die unmittelbare Einwirkung mit Waffengewalt ist nur zulässig, wenn nach den Umständen davon auszugehen ist, dass das Luftfahrzeug gegen das Leben von Menschen eingesetzt werden soll, und sie das einzige Mittel zur Abwehr dieser gegenwärtigen Gefahr ist.“ Nach Verfassungsbeschwerde zweier Politiker revidierte das Bundesverfassungsgericht den Paragraphen und fällte am 15. Februar 2006 ein Urteil. Darin erklärte es „die in § 14 Abs. 3 LuftSiG festgeschriebene Ermächtigung zur unmittelbaren Einwirkung mit Waffengewalt für in vollem Umfang unvereinbar mit dem Grundgesetz und daher für nichtig.“ Das heisst: die Abschussermächtigung verstösst gegen das Menschenrecht. Aber die Diskussion ist in Zeiten des Terrors nicht beendet.
TERROR
Doppelprojekt; Regie: Oliver Reese; Nico Holonics, Max Mayer, Martin Rentzsch, Viktor Tremmel, Bettina Hoppe, Constanze Becker; Foto © Birgit Hupfeld
Dem Programmheft ist ein Gespräch mit Professor Matthias Jahn, geschäftsführender Direktor des Instituts für Kriminalwissenschaften und Rechtsphilosophie der Goethe-Universität Frankfurt beigefügt. Darin wird auch die Frage nach dem Fehlverhalten des Soldaten gestellt. Jahn antwortet: „’Falsch‘ im strafrechtlichen Sinne verhält er sich allenfalls, wenn er auf den Knopf drückt – er hat gegenüber den 70.000 Stadionbesuchern keine Garantenpflicht und macht sich auch nicht wegen unterlassener Hilfeleistung strafbar, wenn er das gerade nicht tut. ‚Falsch‘ verhält er sich gegenüber den Stadionbesuchern aber in einem moralphilosophischen Sinne, wenn er etwas nicht tut, was in seiner Macht stünde.“
Autor von Schirach bringt den Gerichtsprozess gegen Lars Koch mit Pro und Contra auf die Bühne ohne jegliche Beeinflussung des Publikums. Jeder einzelne Theaterbesucher muss am Ende mittels eines kleinen elektronischen Apparats, den er vor der Aufführung erhielt, seine Stimme abgeben; das Publikum fällt das Urteil: Freispruch oder Verurteilung. Sowohl in Frankfurt als auch in Berlin gab es eine fast Patt-Entscheidung, die nicht mitgeteilt werden soll. Ich diskutierte anschliessend mit meiner jungen Nachbarin, die anders als ich gestimmt hatte.
Das Stück lässt einen nicht los: Die Argumente der Staatsanwältin, verkörpert durch Bettina Hoppe, die im Kleistschen Stück die Klägerin Marthe Rulle grandios darbietet, waren sämtlich nachvollziehbar. Sicher führend erscheint Martin Rentzsch als Vorsitzender des Gerichts (der auch später wieder unten vorm Publikum steht). Max Mayer, der verrückte Dorfrichter Adam, legt – nun als Verteidiger des angeklagten Majors – seine Sicht sachlich, aber gelegentlich scheinbar desinteressiert dar. Nico Holonics verkörpert den Lars Koch, bei Kleist hingegen die schmierige Gestalt des Schreibers Licht. Ruhig, aber nicht emotionslos, schildert er, wie er zu der Entscheidung kam. Es wird erkennbar, dass er bei seinen mehrfachen Anfragen von seinen obersten Dienststellen hingehalten wurde – der Major wurde im Stich gelassen. Das wird aus der Zeugenaussage des Christian Lauterbach alias Schauspieler Viktor Tremmel, einem Militär, deutlich. Constanze Becker, bei Kleist die nervende, aufgetakelte Frau Brigitte, spielt in „Terror“ die verzweifelte Nebenklägerin, die durch den Abschuss des Flugzeugs ihren Mann verlor.
Durch die klare Diktion der Regie von Oliver Reese bekommt die Aufführung eine unglaubliche Wucht, die keinen unberührt entlässt. Sehenswert.
Weitere Aufführungen: 7. (Zerbrochene Krug + Terror), 11. (Terror), 27. (Zerbrochene Krug), 28. (Terror) und 29. Februar 2016 (Terror)
„Penthesilea“
Selbstzerstörung – ein brutales, blutiges Liebesdrama
Regisseur Michael Thalheimer ist ein Freund des antiken Theaters, der Dichter-Sprache und ein Meister der psychologischen Umsetzung. Die Monologe, die Dialoge von Penthesilea und Achill sind Kleistscher Text. Neun Figuren hat er in einer einzigen Person fokussiert, genannt „Frau“. Sie spricht deren Texte, berichtet von den Ereignissen. Josefin Platt, die oft am Bühnenrand oder ganz vorne über die Bühne schreitet, hat diesen Part übernommen. Sie berichtet und verdeutlicht die Geschehnisse wie eine Vertreterin des antiken griechischen Chors. Eine verkürzte, aber kluge Form ist Thalheimer gelungen, die durch ihre Raffung ausserordentliche Spannung erzeugt. Penthesilea, die Amazone, und der griechische Held sprechen nicht immer in der Ich-, sondern oft in der erzählenden Wir-Form.
Das grausame Ende ist auch der Beginn: Hoch oben auf einem Hügel in Form einer Pyramide sitzt Penthesilea, die Königin der Amazonen, und hält den toten griechischen Kriegshelden Achill im Schoss. Sein Körper ist voller Wunden. Den, den sie liebte, hat sie brutal getötet. Allmählich kommt sie zu sich und kann nicht fassen, was geschehen ist. Ein Moment, der tiefes Mitleid hervorruft. Verzweiflung pur. Diese Schlussszene des Trauerstücks ist hier der Prolog. Dann lässt sich Achill den Hügel herunterrollen und stellt sich nackt dem Publikum. Die Geschichte nimmt ihren Anfang.
Achill, nun im Anzug, und Penthesilea treffen aufeinander. Achill, auch blind vor Liebe, stellt sich ihr erneut – diesmal unbewaffnet. Sie gestehen sich ihre Liebe – leidenschaftlich, sich verzehrend, zart, ein eindringliches Liebesspiel. Sie erzählt ihm vom Frauenstaat, von seinen Gesetzen: „Im blutgen Feld der Schlacht muß ich ihn suchen, den Jüngling, den mein Herz sich auserkor.“ Ganz Liebende ist sie. Er gibt sich ihr als Unterlegener preis, aber sie nimmt es nicht wahr.
PENTHESILEA
Regie: Michael Thalheimer; Felix Rech, Constanze Becker; Foto © Birgit Hupfeld
Dann wendet sich die Stimmung: Penthesilea will Achill in ihr Amazonenreich mitnehmen, er denkt aber nicht daran: „Zwar durch die Macht der Liebe bin ich dein und ewig diese Banden trag ich fort; doch durch der Waffen Glück gehörst du mir; bist mir zu Füßen, Treffliche, gesunken, als wir im Kampf uns trafen, nicht ich dir … Gefangen bist du mir, ein Höllenhund bewacht dich minder grimmig als ich dich.“ Worte, die Achills Vernichtung einläuten. Sie: „Entsetzlicher! … Verflucht jedwede Zunge, die ihn feiert!“ Penthesileas Wut steigert sich ins Unermessliche, in Extase. Achill hat das kriegerische Wesen von Penthesilea, ihren Drang nach Selbstbestimmung unterschätzt. Sie wollte ihn dominieren, nicht von ihm besiegt sein. Sie rast blind vor Leidenschaft und nimmt nicht mehr Achills Liebesgeständnis wahr. Sie zerfleischt ihn regelrecht. Als sie sich ihrer Tat bewusst wird, sagt sie sich vom Amazonenstaat los und tötet sich.
PENTHESILEA
Regie: Michael Thalheimer; Felix Rech, Constanze Becker; Foto © Birgit Hupfeld
Kleist schrieb in einem Brief über sein Trauerspiel: „Es ist wahr, mein innerstes Wesen liegt darin, der ganze Schmutz zugleich und Glanz meiner Seele.“ Er selbst hielt das Stück für unaufführbar.
Selten wird auf der Bühne so blutrünstig gemordet. Wie Constanze Becker als Penthesilea diesen Moment der Extase spielt, hinterlässt eine Gänsehaut. Es dünkt, das Publikum hielte den Atem an. In „Medea“, das Thalheimer ebenfalls inszenierte, rast sie, aber als Amazonenkönigin ist sie nicht mehr bei sich. Sie ist entrückt, schon jenseits der Welt.
Unglaublich ist Constanze Beckers Verwandlung von der Liebenden zur Täterin. Felix Rech, seit dieser Spielzeit neu im Frankfurter Ensemble, tritt nicht als Krieger auf, sondern als Liebender. Dennoch: er strotzt vor Selbstbewusstsein und fühlt sich Penthesilea überlegen. Das wird ihm zum Verhängnis. Das Ende ist der Anfang.
Ein Bühnenabend, der langes Nachdenken und Staunen über die Leistung dieser beiden Schauspieler hervorruft.
Weitere Aufführungen am 5., 12., 13., 25. und 26. Februar 2016
→ Starke Stücke im Schauspiel Frankfurt / 1 (2009-2010)
→ Starke Stücke im Schauspiel Frankfurt / 2 (2010/2011)
→ Starke Stücke im Schauspiel Frankfurt / 3 (2011/2012)
→ Starke Stücke im Schauspiel Frankfurt / 4 („Faust“ I und II)
→ Starke Stücke im Schauspiel Frankfurt (5) – 2012/2013
→ Starke Stücke im Schauspiel Frankfurt (6) – 2013/2014
→ Starke Stücke im Schauspiel Frankfurt (7) – 2014/2015
→ Starke Stücke im Schauspiel Frankfurt (8) – 2014/2015
→ Starke Stücke im Schauspiel Frankfurt (10) – 2015/2016 und 2016/2017)