„Aus dem Neunzehnten – Von Schadow bis Schuch“ im Museum Wiesbaden
Kompakte Überblicksschau mit vielen Unbekannten
Landesmuseum lockt mit weiteren sehenswerten Sonderausstellungen
Von Hans-Bernd Heier
Das oft als das „lange Jahrhundert“ bezeichnete 19. Jahrhundert gilt als Ursprung der Moderne und damit als Epoche, die unser heutiges Sehen und Denken in vielerlei Hinsicht geprägt hat. In dieser Zeitspanne, die von der Französischen Revolution bis zum Ausbruch des 1. Weltkriegs reicht, erfolgten sowohl politisch als auch künstlerisch enorme Umwälzungen. Die Kunst spiegelt die gesellschaftlichen Verhältnisse und Umbrüche eindrucksvoll in einer wahren Bilderflut wider. Die stilistische Entwicklung erstreckt sich von der Romantik über das Biedermeier zu den Anfängen des Historismus, um dann ab den 1850er Jahren mit dem Realismus und dem Impressionismus die entscheidenden Weichen für die Moderne zu stellen. Es war wohl eine der fruchtbarsten Zeiten der Malerei.
Otto Scholderer „Bildnis einer jungen Dame mit Sonnenschirm / Luise Scholderer“, 1870, Öl auf Leinwand, 41 x 31 cm; Museum Wiesbaden
Die Ausstellung „Aus dem Neunzehnten – Von Schadow bis Schuch“ im Hessischen Landesmuseum für Kunst und Natur in Wiesbaden führt die Besucher durch das „lange“ 19. Jahrhundert, das sich durch enorme künstlerische Produktivität auszeichnet. Exemplarisch werden in der dicht gehängten Schau die jeweiligen künstlerischen Positionen thematisiert. Gezeigt werden über 120 Werke, die teils zum eigenen Bestand des Hauses gehören, wie auch Leihgaben aus bedeutenden Privatsammlungen, die eine einzigartige Ergänzung darstellen. Die versammelten Gemälde bieten einen facettenreichen und lebendigen Einblick in das künstlerische Schaffen jener Zeit. Die beeindruckende, thematisch gegliederte Präsentation im Untergeschoss des Landesmuseums ist bis zum 22. Mai 2016 zu sehen.
Hans Thoma „Hochsommer“, 1883, Öl auf Leinwand, 116 x 86 cm; Privatsammlung
Mit dieser Schau kehrt das Museum Wiesbaden gewissermaßen zu seinen Wurzeln zurück. Denn das am 1. April 1825 gegründete Museum war mit seinen naturhistorischen Kollektionen, der Sammlung Nassauischer Altertümer und der Kunstsammlung „als ein ,Universalmuseum‘ ein typisches Kind des 19. Jahrhunderts. Dies in einer Stadt, die ihren Aufstieg zu einer der bedeutendsten Kurstädte ebenfalls im 19. Jahrhundert erlebte“, schreibt Kurator Peter Forster, Kustos der Altmeistersammlung des Museums, in dem opulenten, mit 520 Seiten im wahrsten Sinne schwergewichtigen Begleitkatalog. Eine Ausstellung zur Kunst des 19. Jahrhunderts stellt „nicht allein eine retrospektive Rückschau auf eine vergangene Epoche dar, sondern führt uns auch deren kulturellen Hintergrund anschaulich vor Augen“, so Forster.
Carl Schuch „Ingwertopf mit Flaschen und Serviette“, 1888, Öl auf Leinwand, 76,5 x 62 cm; Museum Wiesbaden
Das Wiesbadener Museum besitzt einen umfangreichen Bestand an Gemälden dieser Epoche. Dennoch weist die Sammlung zahlreiche Lücken auf. Eine bedeutende, hochkarätige Privatsammlung aus Süddeutschland mit über 70 Bildern, die noch nie öffentlich gezeigt und die dem Museum als Dauerleihgabe überlassen wurden, ergänzt laut Museumsdirektor Alexander Klar „unseren Sammlungsbestand auf das Schönste“. Die zeitweise Überlassung dieses Konvoluts war, wie Forster betont, „der eigentliche Ausgangspunkt, sich des Themas der deutschen Kunst des 19. Jahrhunderts anzunehmen. Aus der ursprünglich geplanten kleinen Präsentation entwickelte sich im Zuge der Vorbereitung eine große Überblicksausstellung mit reizvollen Zusammenführungen“.
Bei der Vorbereitung der umfangreichen Epochenausstellung, die die ganze Bandbreite zeigt und eine Mischung aus bekannten und unbekannten Arbeiten ist, kam es zu überraschenden Erkenntnissen, wie der Kurator zu berichten weiß: „Einige Werke laufen nun unter neuen Zuschreibungen und es gilt, sich sowohl von manchen vertrauten Namen zu verabschieden und im Gegenzug sich über neu gewonnene Bilder diverser Künstler zu freuen“. Bei der akribischen Recherche kam auch die Provenienzforschung nicht zu kurz, da doch etliche Werke unter dem vormaligen Direktor Hermann Voss in der Nazizeit in das Haus kamen.
Kurator Peter Forster vor Schuchs Ingwertopf-Serie; Foto Hans-Bernd Heier
Zwei große Schwarz-Weiß-Fotografien verdeutlichen, wie dicht die Kunstwerke damals gehängt wurden. Sie stimmen die Besucher anschaulich auf den Kunstparcours ein: Denn auch die Überblicksschau folgt dieser kompakten Hängung.
Die Exponate sind nach Themenbereichen geordnet. Im ersten Raum sind beeindruckende Porträts zu sehen – Bildnisse, wie sie stilistisch unterschiedlicher kaum sein könnten. Da hängt beispielsweise Wilhelm von Schadows introvertiertes Bildnis einer anmutigen jungen Römerin (seiner Tochter) neben Franz von Stucks symbolistischer Porträtstudie „Das böse Gewissen“, das einen kraftvollen Mann mit wildem Blick darstellt. In den folgenden Räumen sind romantische und reale Landschaften zu sehen, Historienbilder, Genremalerei sowie Bilder von Sehnsuchtsorten. Ein weiterer Themenschwerpunkt widmet sich der Münchner Malerschule sowie der Spätzeit dieser Malepoche in ihrer ganzen Vielfalt.
Adolf Ehrhardt „Die Töchter Clara und Anna“, 1844; Öl auf Leinwand, 34 x 39 cm; Museum Wiesbaden
Nicht gezeigt werden Bilder von Lovis Corinth, Max Liebermann und Max Slevogt, den bekanntesten Vertretern des deutschen Impressionismus, obwohl das Landesmuseum bedeutende Werke dieser Künstler besitzt. Ihre Arbeiten sollen in einer künftigen Schau präsentiert werden, wenn der Weg in die Moderne im 19. Jahrhundert thematisiert wird. „Dieses Vorhaben ergibt“, laut Forster „nur einen Sinn, wenn dabei die französische Seite mit bearbeitet wird“. Bereits in der derzeitigen Überblicksschau sei der „Schatten der französischen Kunst“ nicht zu übersehen.
Ein Highlight: die gutbestückte Wand mit Thoma-Gemälden; Foto: Hans-Bernd Heier
Highlights der vorzüglichen Epochenausstellung der Kunst des 19. Jahrhunderts sind zwei Themenwände, die den Werken von Carl Schuch sowie Hans Thoma gewidmet sind, sowie der nur Arbeiten von Louis Eysen vorbehaltene Raum. Carl Schuch, dessen an niederländische Vorbilder orientierte Stillleben bisweilen altmeisterlichen Charme ausstrahlen, ist ebenso einem breiten Publikum bekannt wie Hans Thoma, den Meyers Grosses Konversationslexikon von 1909 gar als „Lieblingsmaler des deutschen Volkes“ bezeichnet. Thoma ist mit „Arbeiten von unglaublicher Qualität“ vertreten, schwärmt Forster. Weniger bekannt ist dagegen das Werk des großen Landschafts- und Stilllebenmalers Louis Eysen, der im Kreis der Kronberger Malerkolonie wirkte. Das mag auch daran liegen, dass der Künstler wohlhabend war und nicht zu verkaufen brauchte. Eysens überschaubares Œuvre zeichnet sich durch herausragende malerische Qualität aus.
Die vielschichtigen Strömungen und die hohe künstlerische Produktivität im 19. Jahrhundert spiegeln die Werke von rund 40 Künstlern wider – wie von Andreas Achenbach, Oswald Achenbach, Carl Blechen, Arnold Böcklin, Louis Eysen, Anselm Feuerbach, Johann Peter Hasenclever, Edmund Kanoldt, Hermann Kaulbach, Ludwig Knaus, Louis Kolitz, Wilhelm Leibl, Franz von Lenbach, Hans von Marées, Adolph Menzel, Carl Morgenstern, Wilhelm von Schadow, Johann Wilhelm Schirmer, Otto Scholderer, Carl Schuch, Moritz von Schwind, Carl Spitzweg, Franz von Stuck, Hans Thoma, Wilhelm Trübner und Fritz von Uhde. Damit der Besucher leichter durch diese Bilderflut findet, gibt es zur Orientierung eine kostenlose Begleitbroschüre.
In dem vollbespielten Hessischen Landesmuseum für Kunst und Natur in Wiesbaden sind drei weitere sehenswerte Sonderausstellungen zu sehen: „Karl Schmidt-Rottluff – Bild und Selbstbild“. Wegen des großen Erfolgs ist diese herausragende Schau bis zum 31. Januar 2016 verlängert worden.
Karl Schmidt-Rottluff, „Selbstbildnis“, 1920, Öl auf Leinwand, 91 x 75,5 cm; Museum Wiesbaden, Dauerleihgabe der Erben von Robert Graetz
Karl Schmidt-Rottluff (1884–1976) ist das Gründungsmitglied der Dresdner Künstlervereinigung „Die Brücke“, das sich am häufigsten selbst porträtiert hat. Zu sehen sind rund 70 Selbstbildnisse des Künstlers (Gemälde, Zeichnungen, Druckgrafiken).
Katsura Funakoshi „A Tale of the Sphinx“, 2004; erworben mit Unterstützung der Freunde des Museums Wiesbaden e,V; © Katsura Funakoshi; Foto: Museum Wiesbaden / Bernd Fickert
Bis zum 14. Februar 2016 ist Katsura Funakoshis „Sphinx“ zu sehen. Das Museum Wiesbaden besitzt seit 2005 die faszinierende Skulptur „A Tale of the Sphinx“ des 1951 in Japan geborenen Künstlers. Dieser expressive Torso aus Kampferholz nimmt im Werk Funakoshis eine Schlüsselrolle ein. Gemeinsam mit ausgewählten Zeichnungen des Künstlers und weiteren Skulpturen geben die Exponate in der kleinen, aber feinen Schau Einblick in sein aktuelles Schaffen.
Matis beim Jagen mit dem Blasrohr, Brasilien 1993; Foto: © Werner Hammer
Die längste Zeit der Menschheitsgeschichte war das Jagen und Sammeln die bestimmende Lebensform der Menschen und erst vor etwa 12.000 Jahren fand ein radikaler Wechsel statt. Bis um das Jahr 1500 lag der Anteil der Jäger und Sammler an der Weltbevölkerung nur noch bei einem Prozent. Gegenwärtig wird ihre Kultur noch weiter zurückgedrängt und droht ganz zu verschwinden. Die große Schau der Naturhistorischen Sammlungen des Zweispartenhauses „Jäger und Sammler – Vom Ende einer Kultur“ bietet den Besuchern eine spannende Reise um die Welt der verschiedenen Jäger- und Sammlerkulturen. Diese führt beispielsweise nach Afrika zu den San und Pygmäen, zu den Stämmen der Aborigines in Australien, den Semang in Asien sowie den Avá Guajá und Inuit Amerikas. Die beeindruckende Ausstellung mit vielen Leihgaben von international renommierten Museen wird noch bis zum 22. Mai 2016 in Wiesbaden gezeigt. Im Fokus der Präsentation stehen die völkerkundlichen Sammlungen von Werner Hammer aus Wiesbaden, der selbst über 30 Jahre lang zahlreiche Expeditionen zu den Jägern und Sammlern der Urwälder Südamerikas und anderer Regionen durchführte.
Bildnachweis (soweit nicht anders bezeichnet): Museum Wiesbaden