„Eat here“ von Heather Phillipson in der Schirn Kunsthalle Frankfurt
Eine heiter-surreale multimediale Installation
Von Petra Kammann
Die Installation „Eat Here“ von Heather Phillipson in der Rotunde der Schirn Kunsthalle
In der Rotunde der Schirn schweben, befestigt an roten Gummischnüren, in luftiger Höhe rot aufgespannte Regenschirme neben schwarzumrändert gezeichneten Augen. Tennisschläger und -bälle, Wärmflaschen, Blitze und Spermien, mit roten Seilen verbundene zusammengeknotete Müllsäcke hängen wie ein Mobile von der Decke herab, während zweidimensionale, auf Holzplatten aufgetragene Walfische die Eingänge der Rotunde flankieren. Und auf dem Boden, der mit einem dicken roten Teppich bedeckt ist, dreht sich ein gigantischer Fuß aus grauem Styropor auf einer Scheibe. Er scheint dem linken Fuß der Kolossalstatue Kaiser Konstantins in den Kapitolinischen Museen entlehnt zu sein.
Der rotierende Fuß
Fast unweigerlich steigen einem beim Anblick dieses Arrangements die surrealen Bilder eines René Magritte ins Gedächtnis, wenngleich bei der Installation von Heather Phillipson „Eat here“ die weitere Dimension der Bewegung ganz real ist. Denn Zuschauer und Gegenstände sind in ständiger Bewegung. Man geht im Kreis um die Dinge herum, schaut nach oben und nach unten. Zudem kann der Besucher von zwei gegenüberliegenden erhöhten, über Treppen zu erreichenden Tribünen auf Leinwände schauen, die von einem quer gespannten Seil gehalten werden und auf die Phillipsons jüngste 2-Screen-Videoprojektion „Commiserations“ (Beileid) projiziert wird. Auf ihnen tauchen unter anderem immer wieder Bilder des Herzens, des – wie im Klischee – emotional besetzten wie des medizinischen Herzens auf, begleitet von einem Hintergrundsound, beispielsweise mit dem wiederkehrenden bekannten Chanson von Françoise Hardy über die erwachenden Jungs und Mädchen, die auf der Suche nach der Liebe sind, und denen, die allein zurückbleiben: „Tous les garçons et les filles de mon âge se promènent dans la rue deux par deux …“
Video-Projektionen auf den oben hängenden Leinwänden
Gibt es zwischen den nur durch Schnüre verbundenen Gegenständen, dem Video und dem Sound einen Zusammenhang? Die Dinge erscheinen nach einem unerklärlichen Prinzip zusammengestellt. Oder kann die gesamte Installation als Bild für die Nachbildung des menschlichen Körpers gesehen werden? Der Fuß, der den Boden berührt, über dem das zentrale Herz pocht? Die britische Künstlerin, Schriftstellerin und Multimediaaktivistin, die auch in anderen Städten wie London, Paris und Basel bekannt ist, hat sich vor allem mit ihren Camouflagen hervorgetan, anhand derer sie neue Realitäten schafft, die aus realen und fiktionalen Anteilen bestehen. Hier in Frankfurt sind verschiedene Stufen von Wirklichkeit oder Fiktion auf einmal zu erleben.
Der Titel der Installation „Eat here“ ist jedenfalls nicht wörtlich zu nehmen, es sei denn in dem Sinne, dass Essen für den immerwährenden Kreislauf des Lebens steht. Oder aber exemplarisch für Heather Phillipsons Arbeitsweise, die der Kurator Matthias Ullrich so beschreibt: „Vielmehr geht es darum, durch die Zusammenführung und das besondere Arrangement zum Teil völlig disparater Elemente und Objekte – von Alltagsgegenständen aus den unterschiedlichsten Kontexten, Darstellungen von Tieren, Abbildungen menschlicher Organe usw. – gewohnte Wahrnehmungsweisen zu irritieren. Auf diese Weise entstehen neue Bedeutungsebenen.“
Und Schirn-Direktor Max Hollein erklärt: „Mit der speziell für die Schirn entwickelten Installation von Heather Phillipson in der öffentlichen Rotunde bietet unser Haus seinen Besuchern ein synästhetisches Erlebnis, das auf der Koppelung ganz verschiedener künstlerischer Genres beruht und die Betrachter mit einem Zuviel an Eindrücken konfrontiert – einem Exzess gleich: Sie selbst werden Teil oder besser Protagonisten ihres überwältigenden Werks und tauchen vollkommen in Phillipsons Welt ein“.
Die Londoner Multimedia-Künstlerin Heather Phillipson und Schirn-Chef Max Hollein bei der Eröffnung der Ausstellung
Mit der Frage, wie unsere Wahrnehmung funktioniert, setzen sich eben nicht nur Philosophie, Psychologie, Biologie oder Medizin auseinander, sondern immer wieder auch die Kunst. Der Umgang der 1978 in London geborenen Künstlerin und Schriftstellerin Heather Phillipson mit der Schnittstelle von Wahrnehmung, Raum und Sprache ist so spielerisch wie reflektiert, so dass sich eine gewisse Heiterkeit beim Eintreten in die frei zugängliche Rotunde und beim Wiederheraustreten einstellt. An diesem zentralen Ort zwischen Öffentlichkeit und Intimität kommt man im Herzen Frankfurts einfach nicht vorbei, ohne aufzumerken.
Im Gespräch: Heather Phillipson und die Autorin Petra Kammann
Heather Phillipson, „Eat here“, Schirn Kunsthalle Frankfurt, bis 14. Februar 2016; für den 14. Februar (Valentinstag) lädt die Schirn ab 18 Uhr zu einem „Valentines Day Happening“ ein
Abgebildete Werke der Installation © Heather Phillipson; Fotos: FeuilletonFrankfurt