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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Gefährliche Liebschaften. Die Kunst des französischen Rokoko im Frankfurter Liebieghaus

Faszination und Ablehnung, Bewunderung und Unverständnis: Bis heute polarisiert die Kunst des französischen Rokoko. Das Liebieghaus präsentiert zentrale Kunstwerke aus der Epoche Ludwigs XV. und legt dabei den Schwerpunkt auf das neu aufkommende Konzept der empfindsamen Liebe, auf den Zauber der Anmut und auf die Leichtigkeit und Verführungskraft dieser Stilrichtung.

Ein Bericht von Petra Kammann

„Gefährliche Liebschaften“. Der Titel dieser Rokoko-Ausstellung im Frankfurter Liebieghaus ist zweifellos dem Titel des berühmten Romans der Weltliteratur von Choderlos de Laclos entlehnt. Maliziös und raffiniert ist dessen Satire über die Dekadenz der Aristokraten am Vorabend der Französischen Revolution. Dieser Liebesroman in Briefform aus dem Jahre 1782 schildert ein gesellschaftskritisches Sittenbild der korrupten höfischen Gesellschaft Frankreichs gewissermaßen als Fallstudie und psychologische Analyse in einem. Durch den geschickten Wechsel der Perspektiven erhebt der Schriftsteller jedoch nicht den moralischen Zeigefinger. Mit der von ihm gewählten Briefform führt er den Leser durch das undurchdringliche Beziehungsgeflecht der Libertinage und des damit verbundenen psychologisch höchst raffinierten Spiels um Wahrheit und Täuschung. Dabei hält er dessen Aufmerksamkeit ständig in der Schwebe und lässt ihn an der Frage teilhaben, wer hier wem vertraut und von wem hinters Licht geführt wird.

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Ausstellungsansichten; Fotos: Petra Kammann

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Die Libertinage als Lebensform des Hochadels war im ausgehenden 18. Jahrhunderts, dem höfischen Zeitalter des Rokoko, durchaus gang und gäbe. Diesem widmet sich nun auch die Ausstellung im Liebieghaus. Dort bekommen wir die Spur einer Ahnung dieser Lebensform, die hier sparsam und höchst effektvoll inszeniert ist. Wenn wir den ersten Saal betreten, können wir uns schon die Pariser Interieurs des 18. Jahrhunderts vorstellen. Der Rokokosalon ist stilgerecht und anmutig mit Sesseln, Kommoden, Gemälden, Spiegeln, Kerzenhaltern und Porzellan eingerichtet. Dezent deutet die blasse Fototapete im Hintergrund das Arrangement der Räumlichkeiten mit ihren verzierten Türen und Spiegeln à la française an. Im Übergang zur Villa Liebieg werden Robes à la française mit dem typischen Ausschnitt, der Queue und den Stoffmengen, die bis zum Boden gehen, gezeigt, die sich dann in den oberen Räumen in den Gemälden Watteaus wiederfinden.

Johann Joachim Kaendler

Figuren: Johann Joachim Kaendler (1706–1775) / Blumen: Porzellanmanufaktur Chantilly / Uhrwerk: François Leloutre (um 1703–1758); Zimmeruhr mit Schäferpaar, 1745–1750, vergoldete und gefasste Bronze, Hartporzellan und Biskuitporzellan, H. 51,5 cm, B. 35 cm, T. 23 c,m Paris, Musée des Arts décoratifs, Foto: Les Arts Décoratifs/Cyrille Bernard

François Boucher

François Boucher (1703–1770), Leda und der Schwan (Léda et le Cygne), 1742, Öl auf Leinwand, 59,5 × 74 cm, Nationalmuseum, Stockholm, © Nationalmuseum, Stockholm

Schnell stellt sich das Gefühl ein, dass im Zeitalter des Rokoko auch der Alltag wie ein Bühnenstück gestaltet wurde, dass man sich mit aufwändiger Toilette bei einer Gastgeberin à la mode einfand, dort eine gepflegte Konversation betrieb, heiter musizierte und zum Diner schritt. Man wollte in allen Lebensformen sowohl seinen Esprit als auch seinen Geschmack unter Beweis stellen, philosophieren, leicht dahin parlieren und einfach das Nichtstun, die Muße und die Lust an der Verführung in allen Variationen zelebrieren. In einem anderen Ausstellungsraum nehmen wir mittels Tapete den Blick aus dem Fenster in den Lustgarten wahr, in dem die Herrscherin Natur regiert, nach der sich die Menschen am Hofe sehnen.

Nicht nur Schriftsteller wie Choderlos de Laclos, auch bildende Künstler machten sich im Ancien Régime über die Bedeutung von Gefühlen und Leidenschaften Gedanken. Im Unterschied zum 17. Jahrhundert, in dem noch standardisierte und mythologisierte Gefühlsdarstellungen vorherrschend waren, spielte nun die Liebe als Empfindung des Individuums eine größere Rolle. So entstanden neue Liebesmodelle, die in der bildenden Kunst mit der Natur als höfisches Arkadien und Sehnsuchtsort einhergingen. Die Figuren der Pastorale waren den einstigen unerreichbar göttlichen Helden gewichen. Stattdessen standen nun Genreszenen mit Schäfern, Hirten und Gärtnern als Liebespaare beispielhaft für die Darstellungen einer beruhigten, innigen Liebe. Die Begeisterung des Adels für solche und ähnliche Szenen und deren beschauliche Ungezwungenheit und Natürlichkeit fand sich sich auch in der Selbstinszenierung wieder. Die Faszination für verkleidete Schäfer und Schäferinnen faszinierte sogar Marie-Antoinette und ließ vorgetäuschte und idealisierte Bauerngehöfte als „hameaux“ (Schäferdörfchen) in den Parkanlagen von Versailles entstehen.

Étienne-Maurice Falconet

Étienne-Maurice Falconet (1716–1791), Die Herzensfreundschaft (L’Amitié au coeur), 1755, Vincennes, Biskuitporzellan, H. 27 cm, B. 14,4 cm, T. 8,8 cm, The Bowes Museum, Durham, © The Bowes Museum, Barnard Castle, Co.Durham, U.K.

In einem Kontext, der im Liebieghaus glücklicherweise nicht süßlich gestaltet ist, kann man die Feinheit der zentralen Kunstwerke des französischen Rokoko mit frischem Blick wahrnehmen, so wie auch die Gemälde von Watteau mit den „Fêtes galantes“ der höfischen Gesellschaft, die sich in der Landschaft zum vergnüglichen Beisammensein einfindet, oder die des Malers der galanten Liebe im Alltag, Fragonard, sowie die Gemälde des Lieblingsmalers der Madame de Pompadour, François Boucher, mit den üppig-lasziven Frauenkörpern. In diesem Umfeld bekommen auch Falconets strahlend weiße Skulpturen ein neues Gewicht, selbst die Porzellanarrangements aus Sèvres , die nach seinen Vorbildern gefertigt worden sind.

Das Band der Liebe vereint die Exponante der verschiedenen Genres. Man sieht überall einander zärtlich zugetane und sich sanft küssende Paare.

Étienne-Maurice Falconet Der zurückgegebene Kuss

Étienne-Maurice Falconet (1716–1791), Der zurückgegebene Kuss ( Le Baiser rendu), 1765, Sèvres,, Biskuitporzellan, H. 18,5 cm, B. 19 cm, T. 16 cm, British Museum, London, © The Trustees of the British Museum

Die über 80 exquisiten Leihgaben – Skulpturen, Biskuitporzellanstatuetten, Gemälde und Grafiken – stammen aus namhaften europäischen Museen wie dem Amsterdamer Rijksmuseum, dem Pariser Musée du Louvre, dem Londoner British Museum und dem Victoria and Albert Museum, dem Museo Thyssen-Bornemisza in Madrid oder dem Wallraf-Richartz Museum & Fondation Corboud in Köln und den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen – Alte Pinakothek in München. Allesamt zum Thema empfindsamer und freizügiger Liebe mit der künstlerischen Vorstellung von Natürlichkeit. In Falconets als Pendants angelegten Figuren sind die intensiven Gefühle und die ländliche Idylle sowohl mit humorvollen Akzenten als auch mit erotischen Anspielungen verknüpft.

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Étienne-Maurice Falconet (Paris 1716–1791), Der drohende Amor (L’Amour menaçant), 1757, Marmor,(Carrara), H. 87 cm (ohne Sockel); H. 185 cm (mit Sockel), Rijksmuseum, Amsterdam, © Rijksmuseum, Amsterdam; Foto: Petra Kammann

Überall, bisweilen versteckt und anspielungsreich, hat Amor die Hand im Spiel. Zurecht ist daher Etienne Maurice Falconets so anmutig wie subtil modellierte weiße Marmorskulptur vom „drohenden Amor“, die der Künstler 1757 für Madame de Pompadour geschaffen hatte, herausragend positioniert und zudem effektvoll beleuchtet. Der gefährlich schelmische Liebesgott, der mit seinem wissenden Blick, fast selbstvergessen nach den Pfeilen in seinem Köcher greift, ist so beleuchtet, dass seine Flügel Schatten werfen. Die Gefahren der Liebe und des Eros werden im Rokoko nicht ausgelebt, sondern lediglich angedeutet. Wie schrieb doch der Kulturkritiker Egon Friedell über das Zeitalter des Rokoko im Gegensatz zum Barock: „Der Barock schreit und plakatiert, das Rokoko flüstert und dämpft“. Fein und diskret auch im Liebighaus, möchte man hinzufügen.

„Gefährliche Liebschaften. Die Kunst des französischen Rokoko“, Liebieghaus Skulpturensammlung, bis 28. März 2016

 

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