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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

14 Jahre Frankfurter Integrationspreis

Die Losung heisst Eigeninitiative

Von Renate Feyerbacher

Zum vierzehnten Mal wurde Ende November 2015 im Kaisersaal des Frankfurter Römer der Integrationspreis verliehen. Drei Einrichtungen teilen sich den Preis in Höhe von 15.000 Euro. Zusätzlich wurden zwei Ehrenurkunden überreicht. Die Dezernentin für Integration, Nargess Eskandari-Grünberg, sprach von einer starken Zivilgesellschaft, der Zusammenarbeit und Solidarität der Stadtgemeinschaft angesichts aktueller Ereignisse in Europa wichtiger denn je seien. Dabei sei es grossartig, wie Bürgerinnen und Bürger mit sogenanntem Migrationshintergrund selbst aktiv würden.

Die Preise

Ausgezeichnet wurde das Projekt „Moses e.V.“, 2006 von Zerai Kiros Abraham gegründet. Der heute 38jährige wurde 1990 von seiner Mutter aus seinem Heimatland Eritrea gebracht. Dies geschah gegen seinen Willen. Die Mutter jedoch wollte vor allem, dass die Kinder eine gute Schulausbildung erhalten. Er habe, sagte er, lange gebraucht, bis er sich mit Deutschland arrangiert hatte.

Zwischen Dezember 2014 und März 2015 hatte ein „HannusM“, ein anonymer Spender, 50-Euro-Scheine in der Stadt versteckt und gab auf Twitter Hinweise, wo sie denn zu finden wären. Hinter HannusM steckten Zerai Kiros Abraham und eritreische Freude. Eine Erbschaft soll sie zu dieser Aktion motiviert haben. Die Frankfurt Allgemeine Sonntagszeitung kam schliesslich dahinter. Abraham begründete die Aktion: „Wenn die Menschen im reichen Deutschland schon für 50 Euro stundenlang durch die Kälte laufen, dann müssen sie doch verstehen, dass wir uns auf den Weg nach Europa machen, wenn unser Leben und unsere Freiheit bedroht sind.“

Aus Eritrea, das knapp sieben Millionen Einwohner hat, sind über 360.000 Menschen geflohen – so die Daten von 2014. Dort herrscht zwar kein Krieg, aber seit 22 Jahren der Diktator Isayas Afewerki. Eritrea steht heute auf dem letzten Platz der Liste bezüglich Pressefreiheit. Amnesty international und Human Rights Watch sprechen von Folter und willkürlichen Verhaftungen in dem Land. Einige vergleichen die Situation mit Nordkorea.

„Moses e.V.“ mit den Aktiven, Zerai Kiros Abraham, Letebrhan Haile und Kathrin Rietmann als Kernteam, fördert in Frankfurt die Selbsthilfe im Bereich der gesellschaftlichen und beruflichen Integration. Der Verein gibt Beratung bei Beziehungs- und Familienproblemen oder Behördengängen und alle Hilfestellungen, die Migranten beziehungsweise Asylanten brauchen.

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„Teachers on the road“ mit Ulrich Tomaschowski (mitte)

Ausgezeichnet wurde ferner die Initiative Teachers on the road. Projektgründer Ulrich Tomaschowski, der Germanistik studierte, startete vor zwei Jahren mit Gleichengagierten eine Tour durch mehr als 50 Flüchtlingsunterkünfte in ganz Rheinland-Pfalz und Hessen. Sie sahen heruntergekommene Sammelunterkünfte und -lager. Die medizinische Versorgung war mangelhaft, aber sie hörten vor allem den Wunsch der Flüchtlinge, möglichst schnell Deutsch zu lernen, um aus ihrer gesellschaftlichen Isolation zu gelangen und um arbeiten zu können.

Heute unterrichten etwa 300 ehrenamtliche Teachers mehr als 700 Flüchtlinge in Rheinland-Pfalz und Hessen, davon 150 Teachers in Hessen. Sie engagieren sich nicht nur für den Deutschunterricht, sondern vermitteln deutsche Kultur und kümmern sich um Behördengänge, Wohnungssuche und vieles mehr. Die 5.000 Euro Preisgeld kommen gerade recht, um die Anschaffung von Deutschbüchern, die Deckung von Fahrt- und Druckkosten für selbsterstellte Materialien und für die Miete des kleinen Büros in Frankfurt-Höchst zu bezahlen. Das Projekt lebt von Spenden und von Menschen, die solidarisch sind. Davon kann es derzeit nicht genug geben.

Das Eltern-Kind Zentrum „Al Karama“ („Jeder Mensch verdient es, geachtet zu werden“), besteht seit 2009 und wurde, mit Unterstützung von Zamira Benjelloun, von Fatima Bousrouf gegründet. Die Gründerin, in Deutschland geboren und aufgewachsen, deren Eltern einst aus Marokko kamen, hatte die Idee, arabischstämmige Familien in der Nordweststadt aus ihrer Isolation zu holen.

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Das Team von „Al Karama“ (links die Projektgründerinnen Fatima Bousrouf und Zamira Benjelloun)

Es gibt Beratung für Eltern, Mütter-Kind-Gruppen, Deutschkurse für Kinder, Kurse „Mama lernt Deutsch“, aber auch eine arabische Schule. Es werden Ausflüge unternommen, Kindergeburtstage organisiert und manches andere mehr. Vor allem werden Frauen weitergebildet. Mehrere Frauen haben sich bereits als Erzieherinnen qualifiziert und sind jetzt berufstätig. Schon die Tatsache, dass eine arabische Frau hier den Führerschein erwirbt, ist ein grosser Erfolg. Auch die Männer konnten überzeugt werden, dass ihren Frauen keine Gefahr droht, wenn sie alleine unterwegs sind. Einige arabische Väter wurden sogar selbst aktiv. Mit der Familienbildungsstätte „der hof“ in Frankfurt-Niederursel gibt es eine enge, langjährige Zusammenarbeit.

Lobende Erwähnungen

Lobende Erwähnungenin Form von Ehrenurkunden wurden Yilmaz Karahasan und der Arbeitsgemeinschaft IG Südend zuteil.

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Yilmaz Karahasan mit seiner Frau und Nargess Eskandari-Grünberg

Yilmaz Karahasan war Vertrauensmann der IG-Metall und Gewerkschaftssekretär und leistete vorbildliche Integrationsarbeit. Ihm war es zu verdanken, dass ausländische Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen verstärkt gewerkschaftlich aktiv wurden. Nach seiner Pensionierung war er keineswegs untätig: Zusammen mit seiner Frau rief er im Frankfurter Stadtteil Sossenheim das Zentrum der Arbeiterwohlfahrt ins Leben. Vor drei Jahren erhielt er das Bundesverdienstkreuz.

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Schüler der IGS Nordend mit ihrem Lehrer Florian Neukirchen und Nargess Esakandari-Grünberg

Die Schülerinnen und Schüler der Integrativen Gesamtschule Nordend führten mit dem Lehrer Florian Neukirchen eine Projektwoche zum Thema Flucht durch. Dabei wurde auf ihrem Schulhof eine authentische Flüchtlings-Zeltstadt errichtet. Sie konnte von den Schülern besichtigt werden und diese erfuhren, dass Menschen in diesen kleinen Zelten oft Monate lang leben müssen. Es gab Workshops, Veranstaltungen und Kontakte mit bundesweiten Organisationen, zum Beispiel mit medico international. Ferner veranstalteten sie einen Spendenlauf, der 6.500 Euro erbrachte. Das Geld erhielt „Teachers on the road“.

Fotos: Renate Feyerbacher

→ 13. Integrationspreis der Stadt Frankfurt am Main

 

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