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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Abschied von der Europäischen Kulturhauptstadt 2015 Pilsen / Plzeň (Teil 2)

Liebeserklärung an eine liebenswerte Stadt (Teil 2)

Von Erhard Metz

Pilsen / Plzeň – welch überraschende Anblicke bietet diese Stadt, wie hier zum Beispiel die Grosse Synagoge:

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Nach der Synagoge in Budapest ist sie die zweitgrösste in Europa und – wie wir lesen – die drittgrösste weltweit. Entworfen hat sie der Architekt Emanuel Klotz, im maurisch-romanischen Stil mit Elementer der Neorenaissance errichtet wurde sie in den Jahren 1888 bis 1893. Ursprünglich sollten ihre Türme um 20 Meter höher sein, was der damalige Stadtrat allerdings mit Rücksicht auf die St. Bartholomäus-Kathedrale auf dem Hauptmarkt ablehnte. Aber auch so ist sie ein überaus imposantes Bauwerk.

Eine grüne Oase um die Altstadt herum bildet der dem Verlauf der früheren Stadtmauern folgende Parkanlagenring mit reichem Baumbestand, üppigen Blumenbeeten, Brunnen und Denkmälern und manchen Cafés zum Verweilen und Entspannen.

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Denkmal für Bedřich (Friedrich) Smetana (1824 bis 1884), den in Tschechien hoch verehrten und europaweit geschätzten böhmischen Komponisten der Romantik, Schöpfer des sinfonischen Zyklus‘ „Má vlast“ (Mein Vaterland) mit der einem jedem bekannten Abschnitt „Vltava“ (Die Moldau)

Einen der Höhepunkte unter zahlreichen prächtigen Architekturen – immer wieder überrascht eine andere pastellene Farbgebung der Fassaden – entlang der Anlage im Abschnitt Kopeckého sady bildet das Kultur- und Bürgerhaus Mestanská beseda, im Jahr 1901 im Stil der Neorenaissance mit zahlreichen Anklängen an den Jugendstil errichtet. Neben einer Theaterbühne und einem Kino sowie Salons und Sälen für gesellschaftliche Anlässe findet man dort auch ein wunderschönes Jugendstil-Café.

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Kultur- und Bürgerhaus Mestanská beseda

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Bereits von aussen einen imposanten Anblick bietet die Eingangsfassade im Stil der Neorenaissance des Westböhmischen Museums am Parkanlagenring, zwischen 1893 und 1902 errichtet, einem der grössten Museumskomplexe in der Tschechischen Republik. Über zwei Millionen Exponate aus den Bereichen Volkskunde, Neuere Geschichte, Urgeschichte, Mittelalter, Paläontologie, Botanik, Zoologie, Restaurierung und Archäologische Grabungen finden sich unter seinem weitläufigen Dach vereint, ebenso ein Lapidarium und ein Museum für Kunsthandwerk. Einen besonderen Wert stellt die einzigartige Sammlung von Waffen vom 14. bis hin zum 17. Jahrhundert dar, ebenso die Jugendstil-Bibliothek. Und: Gleich hinter dem Eingang sehen wir als ein Unikat die erste von František Křižík, dem „tschechischen Edison“, im Jahr 1880 erfundene Lichtbogenlampe („Pilsen-Lampe“), für die er auf der Weltausstellung 1881 in Paris die Goldmedaille erhielt.

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Eingang des Westböhmischen Museums Pilsen

Wer Pilsen besucht, kommt an der berühmten Brauerei Plzeňský Prazdroj / Pilsner Urquell nicht vorbei: Sie ist bei weitem nicht die älteste Brauerei, aber sicherlich die weltweit bekannteste, die ihr wohlschmeckendes Produkt in über 50 Länder dieser Erde exportiert.

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Das Tor zum weitläufigen Brauereigelände, oft begegnet man dem werkseigenen Omnibus

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Alles begann mit der Unzufriedenheit der Pilsener Bürger über die als nur mässig empfundene Qualität ihrer Biere. So besann man sich auf Abhilfe – und wo anders wenn nicht in Bayern wurde man fündig: 1882 berief man den in Vilshofen geborenen bayerischen Braumeister Josef Groll nach Pilsen an das neu gegründete „Bürgerliche Brauhaus“. Er entwickelte dort das berühmte untergärige Bier, unter Verwendung von nordböhmischem Hopfen, das als „Pilsner Urquell“ (seit 1898 Schutzmarke) den Weltmarkt eroberte und welches dem nach „Pilsner“ Art gebrauten Bier seinen Namen gab. Und heute besuchen jährlich rund 250.000 (!) Besucher aus der ganzen Welt im Rahmen von Werksbesichtigungen die Geburtsstätte des „Pils“.

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Schönes Museumsstück am Eingang zum Brauereibereich: ein historischer Güterwagen für den damals üblichen Biertransport

Im äusserst sehenswerten Werksmuseum wie auch in den modernen Gebäudekomplexen erblicken die Besucher unter anderem die Sudpfanne aus dem Jahr 1842, in der das erste „Pilsner“ gebraut wurde, ferner inzwischen stillgelegte Kupferpfannen – ein nostalgischer Anblick gegenüber den heutigen, futuristisch anmutenden Edelstahltanks.

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Die historischen Keller der Brauerei umfassen bis in 12 Meter Tiefe unter der Altstadt ein fast 14 km langes Gangsystem. Etwa 800 Meter davon kann man im Rahmen einer Führung besichtigen. Die Besucher können das noch unfiltrierte und nichtpasteurisierte Bier nach dessen Gärung in offenen Holzbottichen und Reifung in Eichenholz-Lagerfässern unmittelbar vor Ort verkosten – noch heute stellt die Brauerei einen kleinen Teil ihrer Produktion in diesem traditionellen Verfahren her.

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Nostalgie auf dem Brauereigelände: der alte Wasserturm

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In einer mehrere Fussballfelder grossen Halle befindet sich die neue Abfüllanlage, die bis zu 120.000 Flaschen in ihrem charakteristischen „Urquell“-Grün und 60.000 Dosen pro Stunde befüllen kann

Na dann: „Na zdraví“ und „Prost“!

Fotos: Erhard Metz

→ Abschied von der Europäischen Kulturhauptstadt 2015 Pilsen / Plzeň (Teil 1)

→ Breslau / Wrocław: Europäische Kulturhauptstadt 2016 (1)

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