home

FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Thomas Hengelbrocks Weihnachtsoratorium in der Alten Oper Frankfurt

Im Himmel und auf Erden

Petra Kammann

hat das musikalische „Weihnachtswunder“ auf sich wirken lassen

151203 WO Hengelbrock_1-600

Der Gründer und Leiter des Freiburger Balthasar-Neumann-Ensembles und Chefdirigent des NDR-Sinfonieorchesters bei der Aufführung des Weihnachtsoratoriums in der Alten Oper Frankfurt; Foto: © PRO ARTE Frankfurter Konzertdirektion GmbH & Co. KG

Landauf, landab gehört der Besuch des Bachschen Weihnachtsoratoriums fast so unverbrüchlich zum vorweihnachtlichen Ritual wie der festliche Lichterschmuck in den Wohnungen. Kaum eine andere Melodie wurde so sehr zum Erkennungsmerkmal für die festliche Weihnachtszeit wie die mit prächtigen Pauken- und Trompetenklängen unterlegten Auftakte des Weihnachts-Oratoriums. Wer die Musik kennt und liebt, dem erscheinen darüber hinaus viele Passagen so vertraut, als könnte man sie jederzeit selbst mitsingen. Das jedoch verbot sich förmlich beim Pro Arte-Konzert im Großen Saal der Alten Oper Frankfurt unter der Leitung des an der Originalaufführungspraxis geschulten Dirigenten Thomas Hengelbrock samt seines legendären Balthasar-Neumann-Chors und -Ensembles. Bei ihrem Spiel konnte man nur gebannt zuhören …

BWV_248_Autograph

Johann Sebastian Bach, Weihnachts-Oratorium, BWV 248, Autograph der ersten Seite des ersten Teils, Staatsbibliothek zu Berlin, Musikabteilung (Mus.ms. Bach P 32); Bildnachweis: wikimedia commons

Es fing schon mit einer überraschenden Ouvertüre an. So war das bewährte und immer wieder mitreißende „Jauchzet, frohlocket, auf preiset die Tage“ des Anfangs denn auch nicht Hengelbrocks Einstieg. Jedenfalls nicht unmittelbar. Er hatte sich eine raffinierte Hinführung ausgedacht. So stimmte er zunächst einmal das fein instrumentierte Magnifikat in D des sechs Jahre älteren Zeitgenossen Bachs an, des tschechischen Komponisten Jan Dismas Zelenka, für dessen Wahrnehmung als herausragender Barockkomponist sich Hengelbrock schon eine Weile einsetzt.

Bach selbst schätzte ihn durchaus und hatte das Magnificat Zelenkas aus dem Jahr 1725 mehrfach in der Leipziger Thomaskirche aufgeführt. Aber Bachs Ruhm begann bekanntlich ja auch erst durch Mendelssohns Wiederentdeckung im 19. Jahrhundert …

Klar und durchsichtig klangen Chor und Orchester des Balthasar-Neumann-Ensembles beim Lobgesang „Meine Seele erhebt Gott, den Herrn.“ Und als auf das zarte Verstummen des letzten dritten Satzes „et in saecula saeculorum / und in Ewigkeit / Amen“ nun unmittelbar die Wucht des jubelnden Chors „Jauchzet, frohlocket“ traf, war die Spannung des Publikums perfekt. Dabei wurde die Klangfülle lediglich von 37 Orchestermusikern auf historischen Instrumenten und 26 Choristen erzeugt. Aber Hengelbrock brachte die Musiker ebenso dazu, die feinsten Pianissimo-Stellen erklingen zu lassen.

Nach und nach traten dann ganz ohne Stargehabe in den von Hengelbrock ausgewählten Kantaten I bis III die Solisten aus dem Chor heraus wie aus einem feinen alten Genre-Gemälde, um höchst selbstverständlich die Solopartien zu übernehmen. Das ist wahrhaft eine Besonderheit der erfahrenen und bestens ausgebildeten Chorsänger. Das Zusammenspiel von Solopartien und Chorgesang fügt sich dann auch zu einem wunderbaren Gesamtklang von hoher Spiritualität.

Ganz herausragend und von großer Weichheit war aber auch der Sänger Alex Potter, der als Kontratenor die Altpartie übernommen hatte. In der Arie der zweiten Kantate, in der es heißt: „Schlafe, mein Liebster, genieße der Ruh“ erzeugten er und das Ensemble unter dem intensiven und sensiblen Dirigat Hengelbrocks eine geradezu himmlische Spannung der Stille im voll besetzten Saal der Alten Oper.

In den Kantaten I bis III, die Hengelbrock ausgewählt hatte, singen die Choristen stets in der Ich-Form und betrachten betend, dankend, hoffend oder jubilierend das Wunder der Weihnachtsgeschichte aus jeweils individuellen Blickwinkeln.

Die Partie des Evangelisten hat der renommierte Gastsolist Tilman Lichdi übernommen. Auch er ein Glücksfall. Jede Silbe des erzählten Sprechgesangs ist bei dem klaren Tenor hörbar und verständlich. Dazu bewältigte er rasant und fast mühelos seine Koloraturen in der Hirten-Arie der 2. Kantate: „Frohe Hirten, eilt, ach eilet“. Mit der Souveränität seines Auftritts hat er Maßstäbe der Extra-Klasse gesetzt wie auch der leidenschaftlich engagierte Dirigent. Dass Hengelbrock im kommenden Januar den Herbert-von-Karajan-Preis entgegen nehmen wird, ist schlicht die Frucht seiner hervorragenden Arbeit.

IMG_8761-600

Im Januar 2016 wird Thomas Hengelbrock für sein besonderes Engagement und für die Ausbildung junger Musiker mit dem Herbert-von-Karajan-Musik-Preis geehrt. Die von ihm ins Leben gerufene Balthasar-Neumann-Akademie ist hierfür ein Beispiel. Foto: Petra Kammann

→ Thomas Hengelbrocks Kuba-Engagement beim Rheingau Musik Festival 2015

 

Comments are closed.