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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Der Fliegende Holländer“ von Richard Wagner an der Oper Frankfurt

Landgang mit Motorradgang

Von Renate Feyerbacher
Fotos: Barbara Aumüller/Oper Frankfurt, Renate Feyerbacher

Fulminant beginnt das Vorspiel und geht schliesslich über in zelebrierendes Musizieren. So wie Bertrand de Billy, der Erste ständige Gastdirigent des Frankfurter Opern- und Museumsorchesters, die Musiker führt, lässt aufhorchen. Neu interpretiert: wie anders erklingt die Musik, die doch bekannt ist. Ohne durch Handlung, Videos oder Bilder gestört zu werden, kann sie ihre Klangschönheit entfalten. Gespielt wird die Musik der Urfassung von 1843 in Dresden. Das heisst, es gibt keine Aktschlüsse, keine Pause, keine Erlösung. Allerdings wird eine von Wagner korrigierte spätere Instrumentierung eingesetzt, denn die erste Fassung ist vor allem fortissimo, die Korrekturen der späteren Fassung nennt Bertrand de Billy in Oper extra viel klüger, weil Wagner die Dynamik reduziert hat. Mehrfach hat der Komponist die Musik verändert. Der Holländer beschäftigte ihn ein Leben lang.

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Wolfgang Koch (Der Holländer) und im Hintergrund die Statisterie der Oper Frankfurt; Foto © Barbara Aumüller

Fulminant, spektakulär beginnt die Szene. Wehende Segel von der Matrosencrew mühsam gebändigt, dann erscheint eine riesengrosse Schiffsschraube. Bedrohung total. Zwanzig Minuten nach Beginn der romantischen Oper erscheint der Holländer angekündigt durch eine Motorradgang auf Harley-Davidson-Maschinen. „Die Frist ist um … und abermals verstrichen sieben Jahr.“ Der Holländer beginnt seine Erzählung mit den Worten: „Wie oft in Meeres tiefsten Schlund.“ Zerrissen ist dieser Mensch, die Musik entspricht diesem seelischen Zustand. Er spricht vom Fluch des Teufels, er ist ein Opfer der bösen Macht. Faust und Mephisto in einer Person.

Richard Wagner (1813-1883), der auch ein Leben lang auf der Flucht war, floh mit seiner Frau 1838 von Riga aus mit einem Segelschiff nach London, um nach Paris zu gelangen. Es ging in Riga wieder um grosse Schulden, die er gemacht hatte. Die Fahrt, so schilderte er Jahre später, war mit mehreren Unfällen verbunden, mit heftigsten Stürmen. Die Eindrücke verarbeitete er in seiner Oper „Der Fliegende Holländer“.

In Paris machte er die Bekanntschaft mit Heinrich Heine, der in „Aus den Memoiren des Herren von Schnabelewopski“ im Kapitel VII schreibt: „Jenes hölzerne Gespenst, jenes grauenhafte Schiff führt seinen Namen von seinem Kapitän, einem Holländer, der einst bei allen Teufeln geschworen, daß er irgendein Vorgebirge, dessen Namen mir entfallen, trotz des heftigsten Sturms, der eben wehte, umschiffen wolle, und sollte er auch bis zum jüngsten Tage segeln müssen. Der Teufel hat ihn beim Wort gefaßt, er muß bis zum jüngsten Tage auf dem Meere herumirren, es sei denn, daß er durch die Treue eines Weibes erlöst werde.“ Wurde er wegen Überheblichkeit zu dieser harten Strafe verdammt? Heines Fabel ist tatsächlich der Kern der Handlung der Oper, die Wagner 1841 in Paris beendete. Angeblich, so behauptete er später, hatten ihm Matrosen auf dem Segelschiff bereits von der wundersamen Mär des Holländers erzählt.

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Wolfgang Koch (Der Holländer), Erika Sunnegårdh (Senta) und Daniel Behle (Erik) sowie die Statisterie der Oper Frankfurt; Foto © Barbara Aumüller

Kaufmann Daland verspricht dem Fremden, nachdem er dessen Schicksal vernommen hat, seine Tochter Senta zur Frau. Die enormen Schätze des „Holländers“ blenden ihn. Er tauscht Senta gegen Juwelen. Senta und die anderen jungen Frauen arbeiten in der Spinnstube. Alle erwarten die Rückkehr der Seeleute. Senta singt die Ballade vom Schicksal des Holländers und bekennt, dass sie die Frau sein will, die ihn erlöst. Eine Kranke, eine Verrückte, eine Erleuchtete, eine Heldenhafte? „Die Moral des Stückes ist für die Frauen, daß sie sich in acht nehmen müssen, keinen Fliegenden Holländer zu heuraten; und wir Männer ersehen aus dem Stücke, wie wir durch die Weiber im günstigsten Falle, zugrunde gehn“, so beschliesst Heinrich Heine die Mär.
Wagner hat der Fabel die Figur des Erik hinzugefügt. Der Jäger ist Sentas Verlobter. Seit sie den Holländer traf, will sie von Erik nichts mehr wissen, der daraufhin von seinem Traum erzählt, in dem Senta und der Holländer gemeinsam im Meer versinken. Senta lässt sich nicht beirren. Sie und der Holländer wollen sich vereinen, sie schwört ihm ewige Treue.

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Erika Sunnegårdh (Senta; auf dem Stuhl stehend) und der Chor der Oper Frankfurt; Foto © Barbara Aumüller

Im dritten Aufzug ist viel, fast zu viel los auf der Bühne: Hochzeitsfeierlichkeiten, Senta im weissen Kleid. Erik versucht erneut, Senta zurückzugewinnen. Vergeblich. Der Holländer fühlt sich verraten, als er die beiden sieht. Die Männerrivalität bringt das Geschehen auf einen Höhepunkt: Sowohl Erik als auch der Holländer outen sich als Gewaltmenschen. Brutal legen sie Hand an Senta. Diese Szene ist in der Inszenierung von David Bösch eine der stärksten. Erik verschwindet, die Motorradgang hantiert mit Kanistern und verschüttet Benzin. Senta entzündet es. Sie folgt dem Holländer nicht, indem sie ins Meer springt, sondern sie stirbt in Feuersbrunst beziehungsweise sie sinkt in sich zusammen. Ein schrecklicher Liebestod – der Gedanke an die islamistischen Attentäterinnen kommt auf.

Bösch, ein Wagner-Debütant, baut immer wieder aktuelle Bezüge ein, so in der Spinnstube. Da sitzen die jungen Frauen an Nähmaschinen, beaufsichtigt von Mary. Die Textilfabriken in Asien kommen in den Sinn. Ideenreich sind Patrick Bannwarts Bühnenbilder und Meentje Nielsens Kostüme. Olaf Winter spielt teuflisch gut mit dem Licht.

Seit mehreren Jahren singt die schwedisch-amerikanische Sängerin Erika Sunnegårdh die Senta. In Frankfurt sang sie bereits die Titelpartie von Euryanthe und die Leonore im Fidelio. Für die Frankfurter Holländer-Aufführung hat sie akzeptiert, die Arie in der originalen höheren Version zu singen. Präzise setzt sie die hohen Töne an. Erstaunlich sind die Pausen, die sie einhält. Dadurch bekommt die Arie „Johohoe! Johohoe! Hohohoe! Johoe! Traft ihr das Schiff im Meere an, blutrot die Segel, schwarz der Mast?“ eine starke Wirkung.

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Erika Sunnegårdh bei „oper extra“, Foto: Renate Feyerbacher

Wolfgang Koch, international auf den Bühnen agierend, der auch schon mehrfach in Frankfurt sang, ist der Ruhelose, Herumirrende. Finster und bleich, angstmachend ist seine Gestalt. Prägnant ist diese Rolle gestaltet. Kein Typ, in den man sich verlieben könnte. Koch, der den Holländer zum ersten Mal singt, besticht durch einen ausgewogenen Bariton. Brutal ist gegen Ende sein Spiel.

Erik, gesungen von Daniel Behle, er ist ein gepriesener Mozartsänger, gibt sein Wagner-Rollendebüt erstaunlich gut. Wie der Holländer hat er lange Haare, kommt zwar mit dem Mofa auf die Bühne, ist aber auch so brutal wie dieser gegenüber Senta. Ist er auch bereits auf dem Weg zum Aussenseiter wie der Holländer und Senta? Andreas Bauer, der seit 2013/2014 zum Ensemble gehört, singt klar artikuliert erstmals den Daland, den Vater von Senta. Tief gefärbt ist sein Bass.

Michel Porter, bisher im Opernstudion, jetzt Ensemblemitglied, erfreut durch einen erfrischenden Steuermann. Klein ist Tanja Ariane Baumgartners Rolle der Mary, die sie aber ausdrucksstark realisiert.

Die eine oder andere Kleinigkeit gäbe es vielleicht zu monieren in der Inszenierung, aber das tut nichts zur Sache. Das Publikum feierte das Regieteam ebenso wie die Sängerinnen und Sänger – und den Chor, wie so oft grandios, einstudiert von Tilman Michael.

Nächste Vorstellungen am 7., 10., 13., 16. und 19. Dezember 2015, jeweils um 19.30 Uhr. Weitere Aufführungen im April 2016.

 

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