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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

STURM-FRAUEN. KÜNSTLERINNEN DER AVANTGARDE IN BERLIN 1910–1932

Eine Ausstellung in der Frankfurter Schirn Kunsthalle (Teil 1)

DER STURM – Zeitschrift und Galerie zeigten Gespür und Verve für die künstlerischen Neuerungen des 20. Jahrhunderts. Von 1912 bis 1932 veranstaltete der Herausgeber und Galerist Herwarth Walden insgesamt 192 Ausstellungen in Deutschland und mehr als 170 im Ausland. Im STURM wurde eine Freiheit der Künste und Stile propagiert und es wurden auch kunsthandwerkliche sowie die Arbeiten künstlerisch arbeitender Frauen zur Geltung. In der Frankfurter Ausstellung, die bis zum 7. Februar 2016 gezeigt wird, spielen 18 der STURM-Frauen die Hauptrolle.

Von Petra Kammann

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Titelblatt der Zeitschrift DER STURM, Jg. 3, Nr. 138/139, Dezember 1912, Foto: Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau, München

Eine neue Zeitrechnung hatte begonnen mit dem temporeichen vorwärtsstürmenden 20. Jahrhundert. Es brodelte auf allen Gebieten: politisch-weltanschaulich, wissenschaftlich, technisch, kosmisch, sozial, psychologisch, lebensreformerisch und so auch in der Kunst. Überall in Europa schlossen sich Künstler zu Bewegungen zusammen. Und in Berlin gab am 3. März 1910 Herwarth Walden (1878–1941) eine deutsche Kunst- und Literaturschrift namens DER STURM heraus. In seiner kritischen Offenheit knüpfte der Pianist, Komponist, Dichter und Nietzsche-Verehrer Herwarth Walden, alias Georg Lewin, an die vom Wiener Schriftsteller Karl Kraus herausgegebene Zeitschrift „Fackel“ an.

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Hintergrundtafel mit den Lebensdaten des Herausgebers und Galeristen Herwarth Walden, Foto: Petra Kammann

In einem Prospekt zur Abonnentenwerbung für seine Zeitschrift heißt es 1910: „DER STURM ist das Blatt der Unabhängigen. Kultur und Kunst der heutigen Zeit werden kritisch bewertet. In dieser Zeitschrift äußern sich nur Persönlichkeiten, die eigene Gedanken und eigene Anschauungen haben. Ausgeschlossen ist jede Art von Journalismus und Feuilletonismus. Die Wochenschrift DER STURM enthält in jeder Nummer Essays über Fragen der Kunst und Kultur. Die produktive Kunst erscheint in Romanen, Novellen und Gedichten bedeutender zeitgenössischer Autoren. Der Polemik und der Kritik in Wort und Linie wird weitester Raum gewährt“. Das war eine klare Absage an die Tradition.

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Holzschnitt von Maria Uhden in der Zeitschrift DER STURM Jg. 6 Nr. 15/16, 1. und 2. Novemberhälfte 1915, S.- 91, Vier Akte, Holzschnitt 22 x 23,8 cm, Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg, Frankfurt am Main, Foto: Petra Kammann

Bereits vor Gründung seiner Zeitschrift 1912 hatte Walden diverse Literatur- und Theaterzeitschriften herausgegeben und schon begonnen, ein Netzwerk mit Gleichgesinnten aufzubauen. Zu den literarischen Mitarbeitern zählten unter anderem so bedeutende Schriftsteller wie Max Brod, Alfred Döblin, Karl Kraus, Heinrich Mann, Rainer Maria Rilke, Knut Hamsun, Anatole France, Selma Lagerlöf und Else Lasker-Schüler. Mit Hilfe seiner ersten Frau und Mitarbeiterin, der extravaganten Lyrikerin Else Lasker-Schüler, konnte er nun dieses Geflecht quantitativ wie qualitativ erweitern. Sie legte ihm das Pseudonym Herwarth Walden nahe. Nach und nach stießen Musiker und Komponisten zum STURM-Kreis sowie auch bildende Künstler und Künstlerinnen, so dass sich die Zeitschrift als Plattform für expressionistische Dramen, Kunstmappen, Künstlermonografien und kunsttheoretische Schriften hervortat.

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Else Lasker-Schüler, Die Flötenspielende, Frontispiz des Briefromans Mein Herz, 1912, Privatsammlung, Marbach, Herwarth Walden, 1918, fotografiert von Nicola Perscheid, Foto: bpk / Nicola Perscheid

Lasker-Schüler hatte Walden nicht nur Zugang zu Dichtern und Schriftstellern verschafft, welche die Zeitschrift als Forum und Sprachrohr nutzten, die gebürtige Wuppertalerin machte ihn auch mit den Künstlern der Gruppe „Blauer Reiter“ bekannt, die 1912 als erste in der neuen STURM-Galerie ausstellen sollten. Nach der baldigen Scheidung von Lasker-Schüler hatte Walden 1912 die schwedische Malerin Nell Roslund geheiratet. Sie sollte fortan die Geschicke der Galerie bestimmen. Am urbanen Ort Berlin sollte nun vor allem die Kunst neu erfunden werden und die Avantgarde strahlen.

Wurden Oskar Kokoschka, „der Blaue Reiter“, Expressionisten, Robert Delaunay und etliche andere noch in der ersten Schau in der STURM-Galerie präsentiert, so stellte der Galerist Walden schon bald Künstler des französischen Fauvismus, des Orphismus, des deutschen Expressionismus, des italienischen Futurismus sowie des französischen und tschechischen Kubismus aus. So bekam schon in seiner zweiten Ausstellung der italienische Futurist Filippo Tommaso Marinetti eine Plattform als Wortführer. Auch die russischen Künstler konnten sich dort darstellen.

Die Galerie wurde dank der charismatischen Gestalt des Galeristen Walden dann schnell auch zum Sammelbecken der europäischen Moderne. Da tauchten so bekannte Namen wie Robert Delaunay, Franz Marc, August Macke, Oskar Kokoschka, Marc Chagall oder Wassily Kandinsky auf. Parallel dazu wurden in der Zeitschrift experimentelle Beiträge aus Frankreich wie Texte von Blaise Cendrars, Apollinaire oder Paul Claudel veröffentlicht. Der STURM spielte nämlich eine entscheidende Rolle im französisch-deutschen Austausch der expressionistischen Künstler zwischen Berlin und Paris. Regelmäßig wurden dort Gedichte und Texte französischer bzw. französischsprachiger Expressionisten veröffentlicht. Das veränderte sich schlagartig durch den Ersten Weltkrieg.

Ab 1918 wurde das Programm dann noch durch die STURM-Bühne und STURM-Abende erweitert, an denen futuristische Lyrik vorgetragen wurde. Wie es Walden jedoch gelingen konnte, auch in den so schwierigen Kriegsjahren ab 1914 überhaupt Ausstellungen zu organisieren, Künstler zu protegieren und deren Bilder zu verkaufen, mit diesen Fragen hat sich schon anlässlich des 100. STURM-Jubiläums 2012 das Wuppertaler Von-der-Heydt-Museums mit der spektakulären Ausstellung „Der STURM – Zentrum der Avantgarde“  und einem zweibändigen Katalog kritisch auseinandergesetzt.

Nach dem Ersten Weltkrieg wurde der STURM Anlaufstelle für die Dadaisten und Konstruktivisten. Walden stellte verstärkt auch osteuropäische Künstler aus, heiratete die Russin Mila, die 1930 an Tuberkulose starb. Die Weimarer Jahre waren dann aber auch die Zeit der politischen Radikalisierung Waldens, der für den Kommunismus entbrannte. Seine Ausstellungen wurden seltener, und DER STURM musste 1932 schließen. Daraufhin verließ Walden Deutschland und ging nach Moskau, wo er als Lehrer und Verleger arbeitete und sich in der Antituberkuloseliga engagierte. Anfang 1941 wurde er – wie vor ihm viele deutsche Emigranten – ein Opfer des Stalin-Terrors und kam im Oktober in einem Lager an der Wolga um.

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Informationstafel über die STURM-Künstlerinnen, deren Werke nicht ausgestellt sind; Foto: Petra Kammann

Die avantgardistischen STURM-Frauen haben Walden zu verdanken, dass er ihre künstlerischen Fähigkeiten ernstgenommen hat. Aber auch Walden hat seinen Frauen etwas zu verdanken: der Namensgeberin Else Lasker-Schüler das erfolgreiche Pseudonym Herwarth Walden und die wertvollen Kontakte, die ihm zum Durchbruch verhalfen; und seiner Frau Nell Walden, die von 1912 bis 1924 mit ihm verheiratet war. Sie schaffte 1933 eine große Sammlung der künstlerischen Produkte in die Schweiz und rettete sie damit vor der Zerstörung durch die Nazis.

Bemerkenswert ist – und das ist für die Frankfurter Ausstellung von Bedeutung -, dass Walden auch die kreativen Talente der Frauen entdeckte und förderte. Sie spielten sogar eine herausragende Rolle. Und für sie wiederum war es eine große Chance. Denn Frauen waren Anfang des 20. Jahrhunderts weder gesellschaftlich anerkannt, noch war für sie eine akademische Ausbildung so selbstverständlich wie für ihre männlichen Kollegen vorgesehen. Daher ist es umso ungewöhnlicher, dass etwa ein Fünftel der STURM-Künstler Frauen waren.

Bekannt wurden bei uns zwar vor allem aus dem Murnauer Umkreis Persönlichkeiten wie Gabriele Münter, die zeitweilige Lebensgefährtin Kandinskys, und Marianne von Werefkin, Lebensgefährtin von Jawlensky, oder Natalija Gontscharowa, Lebensgefährtin Larionows, die später in Paris Bühnenbilder für die Ballets russes schuf. Aber Künstlerinnen wie der belgischen Malerin Marthe Donas oder Maria Uhden, deren Holzschnitte Walden unter anderem als Postkarten verkaufte, sowie der niederländischen Malerin, Glasmalerin und Grafikerin Jacoba van Heemskerck schenkte Herwarth Walden in seiner Galerie eine ebenso große Beachtung.

Insgesamt waren unter den im STURM vertretenen Künstlern über 30 Frauen; 18 von ihnen – Künstlerinnen des Expressionismus, des Kubismus, des Konstruktivismus und der Neuen Sachlichkeit – werden nun in der Frankfurter Schirn als große Themenausstellung präsentiert, wobei jeder dieser 18 Künstlerinnen, welche aus Deutschland, Belgien, den Niederlanden, Schweden, der Ukraine oder Russland stammen, ein eigener Raum mit einem entsprechenden farblichen Fonds und mit den Hauptwerken zugestanden wird. Warum aber die Auswahl von über 30 auf nur 18 Künstlerinnen? Ausschlaggebend war wohl, dass deren Œuvre sowohl zugänglich als auch weitgehend erforscht und dokumentiert war. Die 280 Exponate – Gemälde, Grafiken, Bühnenbilder und Masken – bieten auf jeden Fall einen guten Überblick über die klassische Moderne.

→  STURM-Frauen. Künstlerinnen der Avantgarde in Berlin 1910-1932 (Teil 2)

 

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