„Dialog der Meisterwerke“ im Städel (3)
Hochkarätiger Besuch zum Jubiläum
Wettstreit unter Gleichen
Von Hans-Bernd Heier
Die außergewöhnliche Präsentation „Dialog der Meisterwerke. Hoher Besuch zum Jubiläum“ ist ein weiterer Höhepunkt des umfassenden Ausstellungsreigens, mit dem das Städel seinen 200. Geburtstag feiert. 65 Meisterwerke aus den renommiertesten Museen der ganzen Welt sind nach Frankfurt gereist, um mit Städel-Glanzstücken in einen anregenden Dialog zu treten.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts fanden Werke von Vilhelm Hammershøi große internationale Beachtung. Arbeiten von ihm wurden auf den Pariser Weltausstellungen von 1889 und 1900 ebenso wie bei der Biennale in Venedig 1903 gezeigt. Rainer Maria Rilke reiste 1905 eigens nach Kopenhagen, um über den dänischen Maler ein Essay zu verfassen.
Vilhelm Hammershøi „Interieur“, 1905, Öl auf Leinwand, 65,5 x 54,5 cm; Ateneum Art Museum, Finnish National Gallery (Collection von Willebrand), Helsinki; Foto: Finnish National Gallery/Hannu Aaltonen
Nach seinem Besuch schrieb Rilke: „Hammershøj ist nicht von denen, über die man rasch sprechen muss. Sein Werk ist lang und langsam und in welchem Augenblick man es auch erfassen mag, es wird immer voller Anlass sein, vom Wichtigen und Wesentlichen in der Kunst zu sprechen“.
Vilhelm Hammershøi „Interieur. Strandgade 30“, 1901, Öl auf Leinwand, 66 x 55 cm; Städel Museum, Frankfurt am Main; Eigentum des Städelschen Museums-Vereins e. V., erworben 2012 mit großzügiger Unterstützung von I. Biermann, Fritz P. Mayer, der Ernst Max von Grunelius-Stiftung sowie der Marguerite von Grunelius-Stiftung; Foto: Städel Museum – ARTOTHEK
Vilhelm Hammershøi (1864-1916) ist vor allem für die rund 80 puristischen Interieur-Darstellungen seiner Wohnung in der Kopenhagener Strandgade 30 bekannt, in der er von 1898 bis 1909 zusammen mit seiner Frau Ida lebte. Insgesamt 18 von ihnen zeigen das Esszimmer. Ein wichtiger Anknüpfungspunkt war für den Künstler die niederländische Genremalerei des 17. Jahrhunderts, deren Werke als Spiegelbilder häuslichen Glücks interpretiert wurden. „In seinen Interieurs ruft Hammershøi diese Tradition zwar auf, doch verzichten seine Darstellungen auf die ‚sentimental-heimeligen‘ Qualitäten dieser Genremalerei“, so Felix Krämer. Nichts zeugt hier von Behaglichkeit, auch gewähren die stillen, minimalistischen Bilder keinerlei Einblick in die private Sphäre der Wohnung. Die im Städel gezeigten fünf Rauminszenierungen sind zwischen 1901 und 1908 entstanden.
Erich Heckel „Gruppe im Freien“, 1910, Öl auf Leinwand, 80 x 95 cm; Merzbacher Kunststiftung; © Nachlass Erich Heckel, Hemmenhofen; Foto: Merzbacher Kunststiftung
Zwischen 1909 und 1911 machten die drei Brücke-Künstler Erich Heckel (1883-1970), Ernst Ludwig Kirchner (1880-1938) und Max Pechstein (1881-1955) wiederholt Ausflüge zu den in der Nähe Dresdens gelegenen Moritzburger Seen. Als eines der Hauptzentren der aufstrebenden Freikörperkultur entsprach der Ort ihren Idealen von einem einfachen, naturverbundenen Leben und dem ungezwungenen Umgang mit Körper und Sexualität.
Max Pechstein „Szene im Wald“, 1910, Öl auf Leinwand, 68 x 79,5 cm; Privatsammlung; © 2015 Pechstein Hamburg/Tökendorf; Foto: Privatsammlung
Dort malten die drei führenden Mitglieder der Dresdner Künstlergruppe die Badeszenen, die jetzt erstmals gemeinsam präsentiert werden und die die Besucher mit ihrer Farbintensität erfreuen dürften. Wie in einem Wettstreit um die beste Darstellung wollte jeder der befreundeten Maler sein künstlerisches Potenzial an dem seiner Kollegen messen. Die Zusammenführung der lebensfrohen Gemälde bietet die einzigartige Möglichkeit, deren Arbeiten in einem unmittelbaren, spannenden Dialog zu betrachten.
Ernst Ludwig Kirchner „Szene im Wald (Moritzburger Teiche)“, 1910/25, Öl auf Leinwand, 78 x 89 cm; Städel Museum, Frankfurt; Foto: Städel Museum – ARTOTHEK
Kirchners später überarbeitete Version befindet sich auf einer beidseitig bemalten Leinwand und wurde erst 2010 entdeckt. Aufgrund einer späteren Überarbeitung weicht sie stärker von den Versionen seiner Kollegen ab.
Von Kirchner ist in den Graphischen Sammlungen auch der Farbholzschnitt „Kopf Dr. Bauer“ zu sehen. Kirchner schätzte – wie die anderen Brücke-Künstler auch – die Technik des Holzschnitts wegen ihrer Expressivität. Bei der Kopf-Grafik von 1933 hat er seine langjährige Erfahrung mit dem Holzschnitt voll ausschöpfen können. Besonderen Reiz gewinnt die Präsentation dadurch, dass „die erhaltenen Druckstöcke einen Blick ‚hinter die Kulissen‘ dieses durchdachten, gebauten Zusammenspiels von Formen und Farben ermöglichen“, so Jutta Schütt.
Die temporäre Zusammenführung von Werken aus verschiedenen Sammlungen ermöglicht auch ein unterhaltsames Wechselspiel von Künstlern und Kunstgattungen: So porträtiert Otto Dix (1891-1969) den Fotokünstler Hugo Erfurth (1874-1948) und dieser fotografiert den Maler und seine Frau Martha.
Otto Dix stand mit dem Dresdner Fotografen Hugo Erfurth in beruflichem Kontakt. Dix, der mit seinem kritischen Realismus seiner Epoche schonungslos einen demaskierenden Spiegel vorhielt, hat Erfurth mit und ohne Hund porträtiert. Umgekehrt hielt der Fotograf seinen Künstlerkollegen in zahlreichen Aufnahmen fest und fertigte neben Reproduktionen von dessen Werken auch Bildnisse seiner Familie an. Diese in den 1920er-Jahren entstandenen Porträtarbeiten sind faszinierende Zeugnisse für das künstlerische Wechselspiel zwischen Malerei und Fotografie.
Auch in der Sammlung Gegenwartskunst (Kunst ab 1945) in den Gartenhallen im Untergeschoss gibt es erstklassige Pendants zu Arbeiten von Martin Kippenberger, Georg Baselitz, Daniel Richter und Corinne Wasmuht sowie Thomas Struth zu entdecken.
Thomas Struth „Louvre 4“, Paris 1989, 1989, Farbfotografie, 137,3 x 173,2 cm; Atelier Thomas Struth; © Thomas Struth
Der Fotograf Thomas Struth, 1954 in Geldern geboren, thematisiert in der präsentierten Werkreihe Museen als Institution: Aus seiner Sicht ist das Museum nicht nur ein Ort des Bewahrens von Kunst, sondern auch einer, an dem Kunst entsteht. Der in der Städel-Sammlung befindlichen Fotografie Louvre 3, Paris, werden in der Jubiläumsausstellung fünf weitere Arbeiten (Leihgaben aus dem Atelier Thomas Struth) aus der Serie der Museumsbilder gegenübergestellt: die National Gallery in London, das Kunsthistorische Museum in Wien und das Art Institute of Chicago.
Thomas Struth „Louvre 3“, Paris 1989, 1989, Farbfotografie, 155 x 172 cm; Städel Museum, Frankfurt, DZ Bank Kunstsammlung im Städel Museum; © Thomas Struth
Struth beleuchtet in den großformatigen Fotoarbeiten das Verhalten von Besuchern und die Beziehung zwischen Museumsexponaten und Betrachter. Die Bandbreite der Szenen reicht von gleichgültiger Haltung touristischer Besuchergruppen bis hin zur meditativen Versenkung eines einzelnen Kunstbetrachters. Die scheinbar zufällige Anordnung der Museumsbesucher und das enge Geflecht zwischen realem und malerischem Raum erweisen sich als genau kalkuliert, als „kalkulierte Zufälligkeit“. Struth befragt die Malerei mithilfe der Fotografie. Die einst miteinander konkurrierenden Medien Malerei und Fotografie treten dadurch in einen spannenden Dialog ein.
Das großartige Jubiläumsprojekt wurde durch die finanzielle Unterstützung der DZ Bank und des Kulturfonds Frankfurt RheinMain, Art Mentor Foundation Lucerne sowie der Kulturstiftung der Länder ermöglicht.
Zur Ausstellung ist im Wienand Verlag ein opulenter Katalog in deutscher und englischer Sprache erschienen.
„Dialog der Meisterwerke. Hoher Besuch zum Jubiläum“, Städel Museum, bis 24. Januar 2016
Bildnachweis (soweit nicht anders bezeichnet): Städel Museum
→ „Dialog der Meisterwerke“ im Städel (1)
→ „Dialog der Meisterwerke“ im Städel (2)
→ „Dialog der Meisterwerke“ im Städel: Eröffnungsansprache von Daniel Kehlmann
→ 200 Jahre Städel-Stiftung – Städel Museum Frankfurt am Main
→ Jubiläumsausstellung im Städel Museum Frankfurt „Monet und die Geburt des Impressionismus“
→ 200 Jahre Städel (1)