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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Dialog der Meisterwerke“ im Städel: Eröffnungsansprache von Daniel Kehlmann

Das Bild im Bild
Verdoppelung und Transformation der Wirklichkeit

Von Petra Kammann

Tout Francfort hatte sich im unteren Gartensaal des Städel, in dem die zeitgenössischen Künstler ihre neue Heimat gefunden haben, versammelt, um die Eröffnung der zweiten großen Jubiläumsausstellung im Frankfurter Städel „Dialog der Meisterwerke“ zu begehen. Der „hohe Besuch“, den sich für diesen Moment das Städel als Festredner eingeladen hatte, war weder ein Künstler noch ein Kunsthistoriker, sondern ein Autor, nämlich der Wiener Schriftsteller Daniel Kehlmann, bekannt durch seine „Die Vermessung der Welt“ sowie seinen jüngst verfilmten Roman „Ich und Kaminski“.

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Begrüßung durch Städel-Chef Max Hollein

Der Titel seiner Rede lautete „Der Apfel, den es nicht gibt – unordentliche Gedanken über Bilder und Wirklichkeit“. Würde er auf die zeitgenössischen Werke dabei Bezug nehmen? Ja und nein. „Natürlich ist es frivol, hier zu stehen. Wer in diesen Tagen eine Ausstellung schöner Dinge eröffnet, muss auch von den hässlichen reden. Wer laut über Schönheit nachdenkt, muss im Verdacht der Gefühllosigkeit stehen, als wollte er sie mit Gewalt nicht sehen, die Fliehenden, die überfüllten Boote, die in Lastwagen Erstickten, die Menschen hinter Stacheldrähten und die Mordbanden, die im Namen der Religion Köpfe abschneiden …“

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Der Schriftsteller setzte sich höchst konzentriert und philosophisch mit dem Vorgang des Malens und der Darstellung der Realität innerhalb der Malerei auseinander

Der Bezug auf die widrige Wirklichkeit mag ein ähnlicher sein wie bei den zeitgenössischen Künstlern, ebenso das Konzeptionelle der Überlegungen, doch Kehlmann stützt sich in seinen Betrachtungen nicht auf so aktuelle Kultkünstler wie Daniel Richter oder Neo Rauch, sondern auf historische Bildbeispiele, die ihm den Bezugsrahmen liefern, wie auf ein Bild, das gerade zu Gast im Städel ist, das Gemälde des Antwerpener Malers Willem van Haecht (1593–1637) 
„Apelles malt Kampaspe“ aus der Zeit um 1630, welches das Den Haager Mauritshuis für die Jubiläumsausstellung ausgeliehen hatte; denn auf ihm können wir eines der Meisterwerke erkennen, das sich schon seit 1829 im Besitz des Städel befindet: das „Bildnis eines Gelehrten“ vom flämischen Maler Quentin Massys, entstanden zwischen 1525 und 1530. Massys wiederum ging vor allem auch wegen seines Porträts des Erasmus von Rotterdam wie auch durch „Die Geldwäger“, welches im Pariser Louvre hängt, in die Kunstgeschichte ein.

Auf dem Gemälde „Apelles“ von van Haecht wird die Bildersammlung, das Privatmuseum des reichen Antwerpener Gewürzhändlers Cornelis van der Geest dargestellt. Darauf entdecken wir nicht nur das im Städel hängende „Bildnis eines Gelehrten“ von Massys, sondern auch die angesagten Meisterwerke der Zeit. Der mit Kunstwerken vollgestopfte Raum zeigt die Bilder in „Petersburger Hängung“ an der Wand: Rubens‘ „Amazonenschlacht“ und Guido Renis „Kleopatra“ sowie Gemälde von Tizian, van Dyck und Domenichino. Die Szenerie ist mit den sich neu bis ins Unendliche öffnenden Perspektiven wiedergegeben und vermittelt gleichzeitig die Intimität eines privaten Innenraums, in den ein besonderes Licht fällt: ein Bild im Bild, das sich ein Bild von der Realität der Neuzeit macht, somit die Realität verdoppelt und gar verdreifacht.

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↑ Willem van Haecht (1593–1637), Apelles malt Kampaspe, um 1630, Öl auf Holz, 104,9 x 148,7 cm, Mauritshuis, Den Haag, Foto: Mauritshuis, Den Haag

↓ Quentin Massys (1465/66–1530), Bildnis eines Gelehrten, um 1525/30, Mischtechnik auf Eichenholz, 68,8 x 53,3 cm, Städel Museum, Frankfurt am Main, Foto: Städel Museum – ARTOTHEK

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Van Haecht malte es als Bürger eines reichen Landes, das jahrzehntelang in die kriegerischen Auseinandersetzungen mit Spanien um die Vorherrschaft verwickelt, das „außerdem seit zwölf Jahren umgeben vom blutigsten Schlachten der Europäischen Geschichte war, das man damals naturgemäß noch nicht das Dreißigjährige nennen konnte“, so der kommentierende Autor. Alles andere also als eine schöne Situation. Wie also die Schönheit hinüberretten?

Kehlmann stellt das Gesamtbild dem individuellen Porträt des Gelehrten von Massys gegenüber, welches den wahrheitssuchenden Ausblick auf eine ferne Gebirgslandschaft mit Burg freigibt. Der Gelehrte hat die linke Hand mit der Brille auf dem aufgeschlagenen Buch abgelegt, um seine Lektüre zu unterbrechen und das Gelesene zu reflektieren. Mit ihm scheint sich Kehlmann zu identifizieren ebenso wie mit dem im Städel hängenden „Geograf“ von Vermeer.

Das nachdenkliche Bild von Massys kann man nun für ein paar Monate im Städel zweimal sehen, einmal „in der Realität“ und einmal gespiegelt in der „Abbildung“ im Museumsbild. Einen solchen Glücksfall der gegenüberstellenden Betrachtung weiß so ein genauer Beobachter wie Kehlmann, der die Dinge hinterfragt, zu schätzen. Und der Applaus zu seiner Rede machte klar, dass das Publikum es auch zu schätzen wusste, dass er uns darauf gestoßen hatte.

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Daniel Kehlmann vor Gerhard Richters „Kahnfahrt“ von 1965

Der Autor hatte das Publikum mit seiner Rede philosophisch herausgefordert, indem er es auf die Wahrheit des schönen Scheins der Dinge stieß, dieser Illusion aus „Licht und Lüge“. Dabei versuchte er dem Malvorgang selbst auf die Schliche zu kommen, der auch in der Abbildung der rätselhaften Wirklichkeit immer auch eine Transformation voraussetzt, und er schlussfolgerte, dass die Kunst von seltsamen Dingen handele, woran die Menschen leiden, von der „frivolen gefallenen Welt“. In gleichem Maß aber faszinierte ihn der Blick des Gelehrten, den er zu kennen scheint. „Mir ist, als kennte ich auch seine Seele, und er mich. Derlei vermag manchmal die Kunst; und wenn ich ihm in die Augen blicke, scheint es mir, als wären wir noch nicht verloren …“

Fotos (soweit nicht anders bezeichnet): Petra Kammann

→ Die Eröffnungsanspreche auf Youtube

→ „Dialog der Meisterwerke“ im Städel (1)

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