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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Dialog der Meisterwerke“ im Städel (1)

Hochkarätiger Besuch zum 200-jährigen Jubiläum
Städel-Lieblinge treffen „Stars“ aus der ganzen Welt

Von Hans-Bernd Heier

Als Willem II., König der Niederlande, 1849 starb, hinterließ er eine reichhaltige, hochkarätige Sammlung niederländischer Malerei. Diese wurde ein Jahr später in Den Haag versteigert. Aus ganz Europa reisten Interessenten an, darunter auch der damalige „Städel-Inspektor“ Johann David Passavant. Größtes Interesse auf der Auktion erweckte Jan van Eycks „Verkündigung an Maria“. Die Tafel, die die Innenseite des linken Flügels eines ansonsten verlorenen Klappaltars bildete, wurde nach heftigem, preistreibendem Bietergefecht dem Vertreter des russischen Zaren zugeschlagen. Mit den finanziellen Möglichkeiten des Zaren konnte der Frankfurter nicht mithalten. Bis zum Verkauf unter Stalin war dieses detailreiche Spitzenwerk van Eycks ein Glanzpunkt der Petersburger Eremitage, ehe das Gemälde in die National Gallery of Art nach Washington gelangte.

Jan van Eyck (Netherlandish, c. 1390 - 1441 ), The Annunciation, c. 1434/1436, oil on canvas transferred from panel, Andrew W. Mellon Collection

Jan van Eyck „Verkündigung an Maria“, um 1434/36, Mischtechnik, Öl auf Leinwand, 102,2 x 55,9 cm; National Gallery of Art, Washington, Andrew W. Mellon Collection; Foto: National Gallery of Art, Washington

Beim Aufruf des zweiten Loses hatten sich die Gemüter der Auktionsteilnehmer wieder beruhigt und da sollte Passavants Stunde kommen: Für eine vergleichsweise geringe Summe konnte er für das Städel mit der „Lucca-Madonna“ das zweite bedeutende Gemälde van Eycks ersteigern, außerdem Hans Memlings „Bildnis eines Mannes“ und eine Reihe von wertvollen Raffael-Zeichnungen. Nach mehr als 165 Jahren sind diese beiden Gemälde van Eycks (1390-1441), die zu den schönsten und inhaltlich komplexesten Marienbildern des bekanntesten altniederländischen Künstlers zählen, wieder vereint und im Städel nebeneinander zu bewundern. So kommt zusammen, was einmal zusammen gehörte.

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Jan van Eyck „Lucca-Madonna“, 1437, Mischtechnik auf Eichenholz, 65,7 x 49,6 cm; Städel Museum, Frankfurt; Foto: Städel Museum – U. Edelmann – ARTOTHEK

Die Sonderschau „Dialog der Meisterwerke. Hoher Besuch zum Jubiläum“ stellt ein weiteres Highlight im Ausstellungsreigen des Städel Museums dar. Zum 200. Geburtstag hat die Galerie hochkarätigen Besuch aus führenden Museen der Welt: 65 Meisterwerke aus den renommiertesten Museen sind nach Frankfurt gereist, um mit ausgewählten Städel-Werken in einen anregenden Dialog zu treten. „Dies ist ein besonderer Höhepunkt in einem besonderen Jahr“, sagt Städel-Direktor Max Hollein. Der erfolgreiche Museumsleiter und sein Team können ohnehin mit dem laufenden Jahr sehr zufrieden sein, denn schon jetzt steht fest, dass es „das besucherstärkste Jahr des Hauses“ wird.

Freistunde im Amsterdamer Waisenhaus. 1881/1882

Max Liebermann „Freistunde im Amsterdamer Waisenhaus“, 1881/82. Öl auf Leinwand, 78,5 x 107,5 cm; Städel Museum, Frankfurt am Main, Eigentum des Städelschen Museums-Vereins e. V.; Foto: Städel Museum, Frankfurt, ARTOTHEK

Die ausgewählten Städel-Arbeiten stellen einen Querschnitt der Geschichte des Hauses dar und bieten zugleich einen Überblick über die in den zwei Jahrhunderten gewachsene Sammlung. Diesen werden in der einmaligen Schau Pendants aus den weltweit führenden Häusern zur Seite gestellt, um temporäre Partnerschaften zu ermöglichen. Durch diese Zusammenschau wird auch der Blick auf die Städel-Schätze geschärft, die nun in einem veränderten Umfeld präsentiert werden. „Im Jubiläumsjahr treffen Städel-Lieblinge auf Stars aus der ganzen Welt! Dieses große Jubiläumsprojekt ist ein idealer Anlass, um sowohl unsere Sammlung – als Kern und Identität des Städel – neu zu entdecken als auch durch die verblüffenden und kunsthistorisch einmaligen Dialoge der Meisterwerke einen weiteren Höhepunkt in der Ausstellungsgeschichte des Hauses zu erleben. Die kapitalen und in ihrer Qualität, Fülle und Bandbreite einzigartigen Leihgaben sind auch ein Zeichen der internationalen Wertschätzung des Städel“, schwärmt Hollein. Museen trennen sich ja bekanntlich nur ungern – und sei es nur auf Zeit – von ihren für das breite Publikum attraktiven Meisterwerken.

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Max Liebermann „Nähschule, Arbeitssaal im Amsterdamer Waisenhaus“. Erste Fassung, 1876, Öl auf Leinwand, 57,5 x 83 cm; Privatsammlung

Einmalig ist auch, dass die exzellente Schau von allen sieben Städel-Kuratoren gemeinsam konzipiert wurde und sich erstmals über die gesamte Sammlungsfläche und alle Sammlungsbereiche des Hauses erstreckt. Die Werke werden nicht zusammen – wie üblich im Peichl-Anbau, dem Ausstellungsgebäude, – gezeigt, sondern sind in die ständige Sammlung intergeriert und über vier Etagen verstreut. Die Sonderausstellung inmitten der ständigen Sammlung ist die flächenmäßig größte Schau, mit der das ganze Haus bespielt wird. Die Besucher können sich auf eine Art „Schnitzeljagd“ durch die Bilderwelt aus sieben Jahrhunderten freuen. Das verlangt den Kunstfreunden zwar auch „Sportliches“ ab, wie es Hollein bei der Pressekonferenz ausdrückte, aber dafür wird der Streifzug mit einem großartigen Kunsterlebnis belohnt. Damit den Kunstbegeisterten auch kein Meistwerk entgeht, erhalten sie einen Lageplan, in dem die Arbeiten markiert sind. Im Übrigen weisen ockerfarbene Bildlegenden sowie kleine Holzpodeste mit Erläuterungen auf die „Dialog-Kunstwerke“ hin.

Die prominenten „Jubiläumsgäste“ kommen unter anderem aus der Albertina in Wien, dem Museo Thyssen-Bornemisza in Madrid, dem Londoner Victoria and Albert Museum, dem Musée d’Orsay in Paris, der National Gallery of Ireland in Dublin, dem Den Haager Mauritshuis, der Tate in London, den Vatikanischen Museen und der National Gallery of Art in Washington.

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Der Flügelaltar aus dem Prämonstratenserinnen-Kloster Altenberg ist eines der frühesten erhaltenen deutschen Altarretabeln, um 1330. Durch die Zusammenführung seiner Einzelteile ist es jetzt möglich, das Werk erstmals wieder als Gesamtensemble zu erleben. Ausstellungsansicht „Dialog der Meisterwerke. Hoher Besuch zum Jubiläum“; Foto: Städel Museum

Bei der Auswahl der Dialogpartner haben sich die Kuratoren von den unterschiedlichsten Kriterien leiten lassen: Mal haben sie beispielsweise Werke von einem Maler ausgesucht, der ein und dasselbe Motiv unterschiedlich umgesetzt hat, wie Arnold Böcklin „Die Villa am Meer“ oder Max Beckmann „Der eiserne Steg“. Mal haben sie Arbeiten verschiedener Perioden eines Malers gewählt, um die künstlerische Entwicklung zu zeigen, wie bei Edgar Degas. Oder sie favorisieren als Pendants ähnliche Motive von verschiedenen Künstlern bearbeitet, wie die Szenen im Wald bzw. im Freien von Erich Heckel, Max Pechstein und Ernst Ludwig Kirchner. Schließlich sind auch Werke zu sehen, die sich mit Arbeiten künstlerischer Vorbilder auseinandersetzen, wie Andy Warhol, der mit seinem Goethe-Porträt auf Johann Heinrich Wilhelm Tischbeins Gemälde „Goethe in der römischen Campagna“ verweist. Reizvoll sind auch unterschiedliche mediale Darstellungen wie von Picassos Muse Fernande Olivier – als Ölgemälde und als Bronzeplastik. Schließlich sei noch das erhellende Rollenspiel von Otto Dix und Hugo Erfurt erwähnt: Dix hat den Fotografen porträtiert und dieser den Maler.

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Johannes Vermeer „Briefschreiberin und Dienstmagd“, um 1670, Öl auf Leinwand, 71,1 x 60,5 cm; National Gallery of Ireland, Dublin, erworben 1987 als Schenkung von Sir Alfred und Lady Beit (Beit Collection); Foto: National Gallery of Ireland, Dublin

Da bei dem Gipfeltreffen „Stars treffen Stars“, so die Plakatwerbung, Aufsehen erregende Arbeiten aus allen Sammlungsbereichen temporär korrespondieren, seien im Folgenden einige für den Autor besonders markante Dialogpartner kurz vorgestellt.

Bildnummer: 20919 Künstler: Vermeer van Delft, Jan,1632-1675 Bildtitel: Der Geograph. 1669 Maße: 51,6 x 45,4 cm Technik: Lwd. Standort: Städel Museum, Frankfurt am Main Fotograf: © Städel Museum - ARTOTHEK

Johannes Vermeer „Der Geograf“, 1669, Öl auf Leinwand, 51,6 x 45,4 cm; Städel Museum, Frankfurt am Main; Foto: Städel Museum – ARTOTHEK

Johannes Vermeer (1632–1675) zählt neben Rembrandt Harmensz van Rijn und Frans Hals zu den bedeutendsten Vertretern der holländischen Malerei des 17. Jahrhunderts. Seine Genrebilder zeigen häufig Menschen, die völlig in ihre Tätigkeit versunken sind. Als Lichtquelle dient meist ein Fenster, das an den Bildrand gerückt ist, so auch bei der „Briefschreiberin und Dienstmagd“ und dem „Geograf“. Beiden Gemälden gemeinsam ist der Blick aus dem Fenster, durch ihn hat Johannes Vermeer das Alltägliche spannungsvoll inszeniert: Der Geograf hat Maß genommen, hält inne und blickt auf in Richtung Fenster. Die Dienstmagd dagegen schaut zum Fenster heraus, während ihre Herrin tief ins Schreiben versunken ist. „Unter Johannes Vermeers etwa 35 erhaltenen Werken vermögen es diese beiden Gemälde aus seiner späten Schaffenszeit in besonders hohem Maße, die Konventionen des sogenannten ‚Genrebildes‘ zugunsten einer durchdachten Unbestimmtheit zu erweitern“, schreibt Kurator Professor Jochen Sander, stellvertretender Städel-Direktor.

Im Gegensatz zu Vermeers beschaulichen Genrebildern geht es bei einer anderen Zusammenkunft alter Meister erschütternd brutal zu: bei Rembrandts „Blendung Simsons“ und Artemisia Gentileschis Gemälde „Judith enthauptet Holofernes“. Die Gegenüberstellung dieser beiden großformatigen Werke verschlägt dem Betrachter den Atem.

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Rembrandt Harmensz. van Rijn „Die Blendung Simsons“, 1636, Öl auf Leinwand, 206 cm x 276 cm; Städel Museum, Frankfurt am Main; Foto: Städel Museum – ARTOTHEK

Das Alte Testament kennt eine Reihe starker, erotisch anziehender Frauen, die den Männern, die ihnen zu nahe kamen, Tod und Verderben brachten. Die wohl berühmtesten sind Delila und Judith, deren Taten allerdings moralisch ganz unterschiedlich bewertet wurden. Denn während Delila hinterhältig den Philistern bei der grausamen Blendung des jüdischen Helden Simson half, rettete Judith mit ihrer Tat ihr Volk vor der Vernichtung durch den assyrischen Feldherrn Holofernes.

„Sowohl Rembrandt (1606–1669) als auch Artemisia Gentileschi(1593–ca. 1653) haben ihren Gemälden größte emotionale Unmittelbarkeit verliehen. Die drastische Mithilfe der Dienerin bei der Enthauptung des Holofernes in Artemisias Gemälde scheint Rembrandt nicht unbekannt geblieben zu sein, auch wenn wir die genauen Vermittlungswege nicht kennen: Er zitiert diese Figur, in abgewandelter Form, in der Gestalt des Soldaten, der Simson die Augen aussticht“, erläutert Sander.

Mit zwei schonungslosen Zeichnungen eines friedvoll sitzenden Greises ist Rembrandt übrigens auch noch in der Graphischen Sammlung vertreten. Auch diese beiden Arbeiten sind erstmals wieder zusammen zu sehen.

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Artemisia Gentileschi „Judith enthauptet Holofernes“, 1612/13, Öl auf Leinwand, 158,8 x 125,5 cm (links deutlich beschnitten); Museo e Gallerie Nazionali di Capodimonte, Neapel; Foto: Fototeca della Soprintendenza Speciale per il PSAE e per il Polo Museale della Città di Napoli e della Reggia di Caserta

Das großartige Jubiläumsprojekt wurde durch Unterstützung der DZ Bank, des Kulturfonds Frankfurt RheinMain, der Art Mentor Foundation Lucerne sowie der Kulturstiftung der Länder ermöglicht.

„Dialog der Meisterwerke. Hoher Besuch zum Jubiläum“, Städel Museum, bis 24. Januar 2016

Bildnachweis (soweit nicht anders bezeichnet): Städel Museum

→ „Dialog der Meisterwerke“ im Städel (2)
→ „Dialog der Meisterwerke“ im Städel: Eröffnungsansprache von Daniel Kehlmann

→ 200 Jahre Städel-Stiftung – Städel Museum Frankfurt am Main
→ Jubiläumsausstellung im Städel Museum Frankfurt „Monet und die Geburt des Impressionismus“
→ 200 Jahre Städel (1)

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