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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Der Angriff der Killer-Köter: „Die Show“ am Schauspiel Dortmund

Von Dietmar Zimmermann

Im Dezember 2014 stellte sich der Dortmunder Schauspiel-Intendant Kay Voges zum ersten Mal am Schauspiel Frankfurt vor. Renate Feyerbacher hat an dieser Stelle seine Inszenierung von Tennessee Williams‘ „Endstation Sehnsucht“ rezensiert und beschrieben, wie die riesigen Leinwände, auf denen das Geschehen live übertragen wurde, die kleinen Schauspieler auf der Bühne zu erdrücken drohten. Dieser Effekt war durchaus gewollt. Seit Jahren experimentiert Kay Voges am Schauspiel Dortmund mit der Verschmelzung von Film und Theater. In einer langen Reihe von unterschiedlichen Versuchen zu diesem ästhetischen Ansatz ist der jüngste Coup des Regisseurs am Schauspiel Dortmund einer der konventionelleren. Aber er gerät auch zu einem der unterhaltsamsten Abende seit langem, der auch eher weniger theateraffine Zuschauer ansprechen wird.

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Julia Schubert und Frank Genser in: „Die Show“ am Theater Dortmund; Foto © Birgit Hupfeld

Erinnern Sie sich noch an Wolfgang Menges „Millionenspiel“? Im Jahre 1970 war es, als die so zynische wie visionäre Parodie einer Fernseh-Show über die damals noch sehr biedere Kost gewöhnten bundesdeutschen Mattscheiben flimmerte. In der (fiktiven) Show gab es für den Kandidaten den damals ungeheuerlichen Betrag von einer Million D-Mark zu gewinnen. Voraussetzung: Er musste eine einwöchige Jagd durch ein Killer-Kommando überleben, das im Falle eines erfolgreichen Blattschusses selbst die Million unter sich aufteilen durfte. Wenige Tage nach der Ausstrahlung der Satire hatten sich mehrere Bewerber beim WDR gemeldet, die für eine Million ihr Leben aufs Spiel setzen wollten …

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Auf der Flucht: Sebastian Kuschmann als Bernhard Lotz; Foto © Birgit Hupfeld

Kay Voges sowie seine Dramaturgen Anne-Kathrin Schulz und Alexander Kerlin haben in einer Neuauflage dieses „Millionenspiels“ eine hinreißend schwungvolle Mediensatire auf die Bühne gezaubert. Die Dortmunder „Die Show“ – englisch auszusprechen: es handelt sich um die „Sterbe-Schau“ – weckt mit vielen Zitaten aus dem alten Menge-Film längst verschüttet geglaubte Bilder zum Leben. Doch die meisten Bilder sind neueren Datums – und nur noch halb so visionär: Denn bei den real ausgestrahlten Shows des heutigen Privatfernsehens kann man alles zusammenklauben, was zu einem solch sensationsgierigen, menschenverachtenden Unterhaltungs-Programm gehört.

Robin Otterbein (Kameramann) Frank Genser Björn Gabriel Bettina Lieder Andreas Beck

Die Killer im Studio: v. r. n. l.: Bruno, Natascha und Howie (Andreas Beck, Bettina Lieder, Björn Gabriel). Links Kameramann Robin Otterbein und Moderator Frank Genser; Foto © Birgit Hupfeld

Brutalo-Bruno aus dem Kohlenpott, KGB-Agentin Natascha aus St.Petersburg („Ich töte am liebsten auf High Heels“) und der psychopathische Howie Bozinsky haben die Lizenz zum Töten. Wie eine durchgeknallte Bande von Primaten verfolgen sie Bernhard den Bäcker Lotz, der sich auf der Flucht in einem wahrhaftigen Spiel ohne Grenzen härtesten Prüfungen stellen muss. Ohne Geld und ohne Identität wird er ausgesetzt: Selbst Ausweise und Kleider muss er zu Beginn der Verfolgungsjagd abgeben. Waffen sind ihm verboten, während die Killer-Bande Eierhandgranaten mit Blend- und Splitterwirkung oder ähnlich zierliche Werkzeuge auf ihn ansetzen darf. In dunklen Dortmunder U-Bahnschächten und Kanälen wird Sebastian Kuschmanns Lotz von drei zähnefletschenden Hunde-Bestien namens Mobsi, Tricksi und Hitler angegriffen. Stundenlang muss er auf Eisblöcken oder unter großer Hitze ausharren; in einem wahren House of Horror versucht er, verfolgt von den Killern, seine an eine Zeitbombe angekettete Frau rechtzeitig zu befreien. Im Handgemenge um eine Waffe wird ein unschuldiger Passant erschossen, was zu einer weiteren Eskalation führt: Mit scheinheiligem Mitgefühl erklärt ein Psychologe Bernhards Mutter, dass ihr Sohn sich radikalisiert hat. Die Realität wird pervertiert, das kriminelle Geschehen zur Normalität erklärt und der um sein Leben kämpfende Bäcker kriminalisiert.

Julia Schubert Frank Genser

Wie Sylvie Meis und Markus Lanz: Julia Schubert und Frank Genser; Foto © Birgit Hupfeld

Begleitet wird das alles von perfektem Glamour Glitter Bang Bang im Studio (sprich: auf der Bühne) und Thriller-Trash auf der Leinwand. Mit guter Laune, unzähligen Plattitüden und so dümmlichem wie unsensiblem Geplapper führt ein grandioses Moderatorenpaar durch die Sendung. Wie die Sächsin Julia Schubert drei Stunden lang mit feinstem niederländischem Akzent Sylvie Meis-van der Vaart oder Linda de Mol kopiert, ist so sehr zum Verlieben, dass man glatt die Distanz zum ungeheuerlichen Geschehen zu verlieren droht. Frank Genser ist eine gewisse Ähnlichkeit mit Markus Lanz nicht abzusprechen. Schauspiel-Chef Voges inszeniert die ungeheuerliche Menschenjagd abgründig, mit atemberaubendem Schwung und ganz viel schwarzem Humor. Der mittellose Lotz ist auf Almosen angewiesen – und erhält sie ausgerechnet von einem Asylbewerber. Bernhards Mutter Elisabeth (großartig karikiert von Uwe Schmieder) bangt um ihren Sohn – mehr noch aber um ihre fünf Minuten Ruhm in der Fernsehshow und um ihr Autogramm von dem sektenhaften Heilsverkünder Johannes Rust.

Sebastian Graf Merle Wasmuth

Powackeln für ein Hallelujah: Sebastian Graf („Jesus“ Johannes Rust) und Merle Wasmuth; Foto © Birgit Hupfeld

Bei dem erschossenen Passanten handelt es sich ausgerechnet um Borussia Dortmunds hoffnungsvollsten Nachwuchs-Star, dem Bettina Lieder aus dem Studio ein pathetisch-herzzerreißendes „Heroes“ hinterhersingt. Bernhard Lotz aber wird fortan als Terrorist verfolgt. Doch irgendwie steckt der Humor voller Realitätssinn: Wenn Bernhard beim Angriff der Killer-Köter nur knapp mit dem Leben davonkommt, muss sich der Sendeleiter beim Publikum entschuldigen. Denn Tierschützer haben protestiert. Es „gebietet die Menschlichkeit“, dass Mobsi, Tricksi und Hitler auf Kosten des Senders vom besten Hunde-Chirurgen der Welt gesund gepflegt werden. Der Mensch selbst zählt nichts in diesem Kampf. Manchem PETA-Aktivisten sind ähnliche Denkmuster zu eigen …

Frank Genser Uwe Schmieder Julia Schubert Eva Verena Müller

Auf der Couch der Sterbe-Schau: v. l. n. r. Frank Genser, Uwe Schmieder (Mutter Lotz), Julia Schubert, Peer Oscar Musinowski (Shibuyo) und Eva Verena Müller (Baeby Bengg); Foto © Birgit Hupfeld

Sämtliche Maschen und Gimmicks der verlogenen Privatfernsehshows werden zum Vergnügen des Dortmunder Publikums ausgebeutet – und man staunt, dass das gesittete Theaterpublikum mitgeht als wäre es bei RTL. Show-Einlagen aus der untersten Anspruchs-Schublade amüsieren: Eva Verena Müller als Japan-Schrille Baeby Bengg tritt mit Peer Oscar Musinowsky als dem Bären Shibuyo auf – zwei Pop-Ungeheuer wie von Jeff Koons erschaffen. Einem Störer, der sich mit Blut übergießt, wird wie in ähnlichen Fällen kürzlich bei Günther Jauch oder weiland bei Frank Elstner im Sinne eines verantwortungsvollen, toleranten Journalismus Gelegenheit gegeben, sein Anliegen vorzubringen, ohne dass ihm ernsthaft zugehört wird. Das schlechte Gewissen ob der menschenverachtenden Show wird durch Charity-Aktionen für Afrika beruhigt. Die Pseudo-Seriosität einer Expertenrunde verstärkt die Sensationslust des Zuschauers eher als dass sie zur Versachlichung beiträgt. Irre glaubwürdig und natürlich, aber eben auch so doof wie in der Realität unseres Fernsehlebens wirkt dagegen eine fiktive Publikumsbefragung in der Fußgängerzone. Immer wieder kommt die hochprofessionelle Live Band von Tommy Love and the Smilers zum Einsatz. Eine große Showtreppe, Videos, Werbeeinblendungen und präzise eingesetzte Musik, Licht- und Schnitt-Technik imitieren die Atmosphäre eines Show-Studios perfekt.

Tommy Finke und Band

Rockige Todesmelodien in „Die Show“: Tommy Love and the Smilers; Foto © Birgit Hupfeld

Sechs anstatt wie im 1970er Original sieben Tage dauert die Flucht von Bernhard Lotz, drei statt gut eineinhalb Stunden die Show. Vieles zündet in dieser unterhaltsamen Mediensatire, aber manchmal wird die Ästhetik der Dschungelcamp-Top-Model-DSDS-Let’s-Dance-Verdummungs-Shows auch nur gedoppelt. Doch kaum wird man des Tohuwabohus überdrüssig, erfreut man sich schon an der nächsten intelligenten, ironischen Idee. Das Ende … wird nicht verraten. Es treibt die Menschenverachtung in unermessliche Dimensionen, und wir klatschen rhythmisch mit: Fassungslos beobachtet man seine eigenen Reaktionen. Und klatscht noch einmal, zu einem ganz langen Schlussapplaus. Die ambivalenten Gefühle, die dieser mitreißende Abend hinterlässt, sind fraglos gewollt.

Weitere Aufführungen am 12. und 27. November, am 13. Dezember 2015 sowie am 15. und 24. Januar 2016 im Schauspielhaus Dortmund

 

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