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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Karl Schmidt-Rottluff – Bild und Selbstbildnis“ im Museum Wiesbaden

Farbkräftige, expressionistische Selbstspiegelungen

Von Hans-Bernd Heier

Karl Schmidt-Rottluff gehört als Gründungsmitglied der Künstlergruppe „Brücke“ zu den bedeutendsten deutschen Künstlern des 20. Jahrhunderts. Keiner von der Dresdner Künstlervereinigung hat sich häufiger selbst porträtiert als Schmidt-Rottluff. Zwischen 1906 und 1971 entstand eine Vielzahl von Selbstbildnissen durch alle Schaffensphasen in allen Techniken: Gemälde, Aquarell, Zeichnung, Pastell und Druckgrafik. Umso erstaunlicher ist, dass seine Selbstbildnisse bislang nur einmal im Fokus einer Ausstellung standen: Hanna Bekker vom Rath widmete 1974 in einer Kabinettausstellung – anlässlich des 90. Geburtstags des Künstlers – seinen Selbstbildnissen eine eigene Schau. Die angesehene Hofheimerin, die auch selbst malte, war als Schmidt-Rottluffs langjährige Freundin, Förderin und Mäzenin eine der wenigen Personen, die einen allumfassenden Einblick in sein Schaffen hatte.

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Karl Schmidt-Rottluff, Selbstbildnis, 1920, Öl auf Leinwand, 91 x 75,5 cm; Museum Wiesbaden, Dauerleihgabe der Erben von Robert Graetz; © VG Bild-Kunst, Bonn 2015

Das Museum Wiesbaden und das Brücke-Museum Berlin, das die weltweit bedeutendste Sammlung von Werken des Künstlers beherbergt, greifen nach gut 40 Jahren dieses Thema wieder auf und präsentieren die monographisch angelegte Ausstellung „Karl Schmidt-Rottluff – Bild und Selbstbildnis“. Ausgangspunkt sind die etwa 70 Selbstporträts eines der Hauptvertreter des Expressionismus. Es werden in der außergewöhnlichen Schau mit der überraschenden farblichen Gestaltung der Räume die unterschiedlichen Werkphasen seiner Malerei gezeigt. Selbstbildnisse und Porträts seiner berühmten Weggefährten, wie Erich Heckel, Ernst Ludwig Kirchner, Otto Mueller, Max Pechstein oder Emil Nolde, ergänzen die großartige Präsentation. Für Direktor Alexander Klar ist die Schau „ein Herbst-Juwel“. Gerade in Zeiten der Selfie-Hype ist das Thema Selbstbildnis von größter Aktualität.

Insgesamt sind im Landesmuseum bis zum 17. Januar 2016 rund 125 Exponate zu sehen. Hauptleihgeber ist das Brücke-Museum Berlin; aber auch eine Reihe bedeutender anderer deutscher Museen hat hochkarätige Exponate beigesteuert.

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Selbstbildnis, 1906, Öl auf Pappe, 44 x 32 cm; Nolde Stiftung Seebüll; © VG Bild-Kunst, Bonn 2015

Der Grund für die vielen Selbstdarstellungen dürfte wohl gewesen sein, wie Alexander Klar und Professorin Magdalena M. Möller, Direktorin des Brücke-Museums Berlin, in dem gemeinsamen Vorwort des exzellenten Katalogs schreiben, „dass sich Schmidt-Rottluff gerade in diesen Bildern immer wieder an seiner Kunst sich selbst versichern wollte. Mit bohrendem Blick schaut er, nicht selten eindringlich forschend, auf seine eigene Person sowie sein Tun und überprüft damit gleichzeitig das vor ihm stehende Ergebnis“. Die Selbst-Befragungen spiegeln die unterschiedlichen Stimmungen und auch den Alterungsprozess hervorragend wider.

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„Selbstbildnis mit Cigarre“, 1919, Öl auf Leinwand, 73 x 65 cm; Museum Wiesbaden, Dauerleihgabe des Vereins zur Förderung der bildenden Kunst im Museum Wiesbaden e.V.; © VG Bild-Kunst, Bonn 2015

Schmidt-Rottluff blieb trotz Zugehörigkeit zur „Brücke“-Künstlergruppe ein Einzelgänger. Er war ein zurückhaltender, ja verschlossener Mensch. Um ihm als Künstler und Mensch näher zu kommen, werden auch Bildnisse seiner Freunde, Bekannten und Verwandten gezeigt, die das Schaffen über lange Jahre begleitet haben. „Wir können den Künstler nur verstehen, wenn man sein künstlerisches Umfeld mit einbezieht. Näher kann man ihm nicht kommen“, ist Kurator Roman Zieglgänsberger überzeugt. Besonders nahe standen ihm neben seiner Frau Emy, mit der er über 55 Jahre verheiratet war, die Kunsthistorikerin Rosa Schapire, die Förderin Hanna Bekker vom Rath sowie der Maler Lyonel Feininger, mit dem er eng befreundet war. Von allen sind Porträts in der weitgehend chronologisch gehängten Schau zu sehen.

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„Freundinnen“, 1926, Öl auf Leinwand, 87 x 101 cm; Karl und Emy Schmidt-Rottluff Stiftung im Brücke-Museum Berlin; © VG Bild-Kunst, Bonn 2015

Besonders Hanna Bekker hat den 1884 in Rottluff bei Chemnitz geborenen und 1976 in Berlin verstorbenen Autodidakten unterstützt. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten erhielt der Expressionist Berufsverbot und wurde mit über 50 Werken in der Münchener Schandschau „Entartete Kunst“ diffamiert. Hanna Bekker stellte dem Verfemten in ihrem Hofheimer „Blauen Haus“ ihr eigenes Atelier zur Verfügung. Das war nicht nur großzügig, sondern zugleich mutig, denn sie ermöglichte dem verfemten Maler, weiterhin mit den „verräterischen“, weil stark riechenden Ölfarben malen zu können.

Karl Schmidt-Rottluff Bild und Selbstbild 2015 Museum Wiesbaden/Bernd Fickert

Ausstellungsansicht mit dem 1952 entstandenen Porträt der Mäzenin Hanna Bekker vom Rath; links daneben das Ölgemälde „Nächtlicher Mittelmeerhafen“ von 1930, über dessen Erwerb Hanna Bekker und Schmidt-Rottluff sich kennenlernten; Museum Wiesbaden/Bernd Fickert, 2015

Schmidt-Rottluffs frühes Schaffen war zunächst beeinflusst durch eine Auseinandersetzung mit der Malerei van Goghs, Munchs und dem Neoimpressionismus. Dies wird deutlich an dem abgebildeten Selbstporträt von 1906. Den Durchbruch zu einem eigenen Stil mit kräftiger Farbigkeit und vereinfachter Formgebung fand er 1908/09. Von den Meistern der Künstlergruppe „Brücke“, die maßgeblich zur Weltgeltung des deutschen Expressionismus beigetragen haben, hat der in Rottluff geborene Maler allerdings am längsten auf allgemeine Anerkennung warten müssen. Das mag unter anderem auch an seinem hohen Anspruch gelegen haben: „Ich habe nie Kunst gemocht, die nur ein schöner Augenreiz war und sonst nichts“, wie er einmal selbst sagte. Dazu beigetragen haben dürften auch seine menschenscheue Haltung und der Grundsatz, Auftragsporträts abzulehnen.

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Kustos Roman Zieglgänsberger neben einem Selbstporträt Schmidt-Rottluffs; Foto: Hans-Bernd Heier

Auch während der hoffnungsvollen Zwischenkriegsjahre mit ihrer Aufbruchsstimmung stellte Schmidt-Rottluff sich selbst häufig dar. Als einer der Wegbereiter der Moderne führte er den Expressionismus zu einer Synthese mit der Kunst der Neuen Sachlichkeit, behielt aber seine intensive Farbgebung bei, so Magdalena M. Möller. Es entstanden farbenprächtige Ölgemälde und Aquarelle.

Während des Nationalsozialismus schuf der angefeindete Expressionist nur ein einziges Selbstbildnis. In diesen Jahren, die er im Nachhinein als „dunkle Jahre“ und „Zeit der Behinderung“ bezeichnete, malte er „nicht nur beengte Innenräume, die diese eingeschränkte Situation eindringlich vor Augen führen, sondern auch zerstörte Landschaften mit entwurzelten Bäumen, die den Verlust seines Fundamentes verdeutlichen, und schuf damit spannungsreiche, teilweise sogar apokalyptisch wirkende ,Selbstbildnisse ohne Selbst‘“, kommentiert Zieglgänsberger.

Das Ölgemälde „Entwurzelte Bäume“ von 1934 weist motivisch wie auch von der Farbgestaltung verblüffende Parallelen zu Katharina Grosses raumfüllender Installation „Sieben Stunden, Acht Stimmen, Drei Bäume“ aus dem Jahre 2015 auf, die im Steinsaal zu sehen ist.

Gemälde / Öl auf Leinwand (o.J.) von Karl Schmidt-Rottluff [1884 - 1976] Bildmaß 73,6 x 65,8 cm Inventar-Nr.: 11739 Person: Karl Schmidt-Rottluff [1884 - 1976], Deutscher Maler und Grafiker des Expressionismus Systematik: Personen / Künstler / Schmidt-Rottluff / Porträts, Artist: Karl Schmidt-Rottluff

„Selbstbildnis“, 1928, Öl auf Leinwand, 73,6 x 65,8 cm; Bayerische Staatsgemäldesammlungen, Pinakothek der Moderne, München; © VG Bild-Kunst, Bonn 2015

Nach dem Zweiten Weltkrieg sucht Schmidt-Rottluff, der nach wie vor unglaubliche Freude am Malen hat, seinen Platz in der Kunstszene. Er steigert die Leuchtkraft der Farben in seinem Werk enorm, sie wirken fast grell, gewinnen aber an Energie und Klarheit. „Dass sich der Künstler in jenen Jahren als reiner Farbmaler verstand, verdeutlichen diejenigen Bilder, in welchen er uns seine Palette, Staffelei und Pinsel in leuchtenden Farben vorführt und sich selbst als stillen Herrscher seines Reichs im Künstleratelier präsentiert“, erläutert der Kurator. Allerdings fiel es dem mittlerweile über 60-jährigen schwer, an seine alten Erfolge anzuknüpfen, dominierten doch das Informel und der „Abstrakte Expressionismus“ das Kunstgeschehen der 50er Jahre.

Bevorzugte er bei der Motivwahl zunächst Stillleben und Landschaften, so rückten etwa ab 1960 das Selbstbildnis und das Bildnis seiner Frau Emy wieder stärker ins Zentrum seines Schaffens. Später sind es Arbeiten auf Papier, da der betagte Künstler aus gesundheitlichen Gründen 1964 die Ölmalerei aufgeben musste. Der „Alte Maler“, wie die letzten Selbstbildnisse programmatisch heißen, spiegelt sich immer wieder selbst, auf fast manische Art und Weise. „Die derartig intensive Begegnung mit seinem Gegenüber im Wissen um das bevorstehende Lebensende wirkt gleichzeitig melancholisch resümierend, dabei sich dem Unvermeidbaren stellend, entgegensehend und annehmend“, so Zieglgänsberger.

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Karl Schmidt-Rottluff in seinem Atelier, Berlin, um 1962

Die Aquarelle, Bleistiftzeichnungen und Tuscharbeiten, die Schmid-Rottluff in den letzten Lebensjahren von sich und seiner 1975 verstorbenen Frau Emy gefertigt hat, hängen dicht an dicht und werden zum großen Teil erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt.

Zur Ausstellung, die ab März 2016 auch im Brücke-Museum Berlin präsentiert wird, ist im Hirmer Verlag ein umfangreicher Katalog erschienen, der von der Ernst von Siemens Kunststiftung München maßgeblich mitfinanziert wurde. Weitere Sponsoren der großartigen Schau sind die Sparkassen-Kulturstiftung Hessen-Thüringen, Naspa sowie die Freunde des Museums Wiesbaden e.V.

„Karl Schmidt-Rottluff – Bild und Selbstbildnis“, Museum Wiesbaden, bis 31. Januar 2016

Bildnachweis (soweit nicht anders bezeichnet): Museum Wiesbaden

 

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