„Max Beckmann kommt nach Frankfurt“
Institut für Stadtgeschichte zeigt Druckgraphiken der Jahre 1915 bis 1925
Von Hans-Bernd Heier
Die Ankunft des schon damals bekannten Malers, Graphikers und Zeichners Max Beckmann in Frankfurt am Main jährt sich heuer zum 100. Male. Aus diesem Anlass zeigt das Institut für Stadtgeschichte bis zum 15. November 2015 die von Professor Klaus Gallwitz, ehemals Direktor des Städelschen Kunstinstituts, kuratierte Ausstellung „Max Beckmann kommt nach Frankfurt. Druckgraphik 1915-1925“. In der sorgfältig arrangierten Schau im Refektorium des Karmeliterklosters sind insgesamt 75 erlesene, hochqualitative Drucke Beckmanns zu sehen.
Nach Kriegsausbruch 1914 meldete sich Max Beckmann (1884 – 1950) freiwillig als Krankenpfleger zum Sanitätsdienst nach Ostpreußen. Bereits im folgenden Jahr wurde er als Sanitätssoldat nach Belgien an die Flandern-Front verlegt. Dort – mit den unbeschreiblichen Kriegsgreueln konfrontiert – erlitt Beckmann im Juli 1915 einen Nervenzusammenbruch und wurde krankheitsbedingt zunächst vom Kriegsdienst beurlaubt und zwei Jahre später entlassen.
Der gemütskranke Beckmann kam nach seiner Beurlaubung als „klägliches Nervenbündel“ auf der Suche nach einer Unterkunft nach Frankfurt am Main. Eines Oktobermorgens stand der damals 31-jährige vor dem Haus in der Schweizer Straße 3, in dem sein Studienfreund aus Weimarer Tagen Ugi Battenberg mit seiner Frau Fridel wohnte, und fragte: „Wollen Sie mich für ein paar Tage aufnehmen?“ Beide sagten spontan zu: Aus Tagen sollten Wochen, Monate und Jahre werden. Aus dem kurzen Besuch wurde ein Aufenthalt von insgesamt 17 Jahren. In keiner anderen Stadt lebte und arbeitete Beckmann länger als in der Mainmetropole.
Der gastfreundliche Heinrich Rudolf Hermann – mit dem Künstlernamen Ugi – Battenberg überlässt dem Studienfreund sein eigenes Atelier in der vierten Etage und ein angrenzendes Zimmer. In dem geräumigen Dachatelier stand auch eine Handdruckpresse. Von Anfang an nutzt der Ankömmling diese eifrig und fertigt in den ersten zehn Jahren seines Frankfurt-Aufenthalts ganz überwiegend Graphiken.
Die Hinweistafel an der Hauswand der ansehnlichen Immobilie Schweizer Straße 3 informiert nicht ganz exakt über die Aufenthaltsdauer des Künstlers; Foto: Hans-Bernd Heier
Das unerwartet lange Bleiben führte keineswegs zu einem Zerwürfnis von Gastgebern und Beckmann. Zeugnisse seiner Freundschaft mit Ugi und Fridel Battenberg sind die zahlreichen Bildnisse des Ehepaars. Die Radierung „Der Abend“ hielt der Künstler nach eigener Einschätzung gar für „eine meiner besten Arbeiten“, wie er seinem Verleger Reinhard Piper schrieb. Seine Wertschätzung für Ugi zeigte sich auch an der Teilnahme an Jahresausstellungen des „Frankfurter Künstlerbundes“, dessen Malerausschuss Battenberg angehörte
In Frankfurt beginnt der als Künstler bereits etablierte Beckmann radikal neu.Stilistisch werden seine Werke kantiger und die Konturen seiner Motive schärfer. Kriegserlebnisse, die Nachkriegszeit und ihre Menschen geben die Themen seiner Graphik vor. Diese wird für ihn mehr als zehn Jahre zum bevorzugten Ausdrucksträger. „Nicht vor der Staffelei, sondern mit der Radiernadel auf der Kupferplatte fasste Beckmann wieder Fuß“, schreibt Kurator Klaus Gallwitz in dem profunden Ausstellungskatalog. Über die Schwarz-Weiß-Graphik findet Beckmann wieder zur Malerei. Dabei liefert ihm die Stadt am Main mit ihren Straßen, Gesichtern und Lokalitäten reiches Bildmaterial.
„In dieser Schau wird sehr deutlich, dass Max Beckmann nicht nur einer der bedeutendsten Künstler des 20. Jahrhunderts gewesen ist, sondern auch ein herausragender Porträtist der Stadt Frankfurt am Main und ihrer Gesellschaft vor 1933“, betonte Kulturdezernent Professor Felix Semmelroth bei der Ausstellungseröffnung. In der Präsentation werde ein spezieller, auf Frankfurt bezogener Ausschnitt aus dem graphischen Œuvre Beckmanns in den Blick genommen, der auch stadthistorisch spannende Aspekte biete, ergänzt Evelyn Brockhoff, Leitende Direktorin des Instituts für Stadtgeschichte.
Dem im Jahr 1884 in Leipzig geborenen Künstler gefiel Frankfurt. Er schätzte besonders die Mischung aus „modernem Großstadtbetrieb“ und „altertümlicher Enge“. In der Stadt fand er offenbar das richtige Umfeld, um seine Kriegserlebnisse künstlerisch zu verarbeiten. „Gerade jetzt habe ich noch mehr als vor dem Krieg das Bedürfnis, unter den Menschen zu bleiben. In der Stadt. Gerade hier ist jetzt unser Platz“, schreibt er in einem seiner vielen Briefe.
Obwohl Beckmann als ein wortkarger Einzelgänger galt, konnte er dank der guten Verbindungen der Battenbergs und Ugis Schwiegervater Julius Carl, Inhaber einer traditionsreichen Textilhandelsfirma, schnell hilfreiche Kontakte knüpfen. Er war, wie es heute heißt, in Frankfurt gut vernetzt. Nicht nur von Galerien, Kritikern und Sammlern wie dem Ehepaar von Schnitzler erfuhr er große Unterstützung. Ebenso nützlich war für ihn, dass er freitags zum Mittagstisch bei Heinrich Simon, dem Chefredakteur der Frankfurter Zeitung, eingeladen wurde, wo er auch auf den Städeldirektor Georg Swarzenski und den Leiter der Städelschule Fritz Wichert traf, der ihm ab 1925 dort einen Lehrauftrag vermittelte.
Vor dem Ersten Weltkrieg hatte der Maler sich bereits in Berlin mit impressionistischen Gemälden einen Namen gemacht. Nun verlegte er sich in Frankfurt nach dem Einschnitt durch den Krieg auf die Druckgrafik. Die ihm von Ugi Battenberg überlassene Handdruckpresse sollte sich für Beckmanns Wiederaufnahme der künstlerischen Arbeit als unschätzbar erweisen. In Radierungen, Lithografien und Holzschnitten verarbeitete er seine Kriegserlebnisse. „Kaum mehr als etwa ein Dutzend Bilder malte Beckmann während der Kriegszeit im Frankfurter Atelier. Im Gegensatz dazu hatte“, so Gallwitz, „die graphische Produktion Hochkonjunktur“. In der Zeit zwischen 1915 und 1925 entstanden mehr als zwei Drittel des graphischen Gesamtwerks. Vier Mappenwerke, Buchillustrationen, zahlreiche Porträts, Caféhaus-Szenen und Stadtlandschaften druckte er auf der Handpresse.
Kaum ein anderer Künstler hat sich so häufig selbst dargestellt wie Max Beckmann. So auch auf vielen druckgraphischen Blättern während der Frankfurter Zeit. Bei den Selbstinszenierungen schlüpfte der selbstbewusste Beckmann in unterschiedliche Rollen. Da im Karmeliterkloster etliche Selbstporträts zu sehen sind, werden für den Betrachter die Unterschiede in dem Duktus des Strichs und der Techniken deutlich. Egal welche Rolle der Künstler wählte, sein markanter Charakterkopf ist unverkennbar.
Bis zu seiner Heirat im Jahre 1925 mit seiner zweiten Frau Mathilde von Kaulbach, die er Quappi nannte, wohnte und arbeitete Beckmann in der Schweitzer Straße 3 im vierten Stock. Zunächst zog das junge Paar in ein Hotel, danach auf den Sachsenhäuser Berg.
1925 übernahm auch die Malerei wieder die Hauptrolle in seiner Arbeit. Der damalige Leiter des Feuilletons der Frankfurter Zeitung, Benno Reifenberg, dazu: „Ich glaube, die Graphik half dem aus dem Krieg auftauchenden und in die Nachkriegszeit taumelnden Mann sich unmittelbar und mit einer wilden Entschiedenheit zurechtzufinden.“ Das hat er mit der ihm eigenen Entschlossenheit auch geschafft. „Die Druckgraphik der Nachkriegszeit sollte sich bald als der Schrittmacher für die Malerei entpuppen … Mit dem Jahr 1925 begannen die Jahre des Erfolgs und des hart erkämpften zweiten Ruhms“, resümiert Gallwitz.
Das Atelier in der Schweizer Straße führte Beckmann bis zu seiner Vertreibung aus dem Lehramt an der Städelschule durch die Nationalsozialisten 1933 weiter. Mit seiner Frau zog er nach Berlin, später nach Amsterdam ins Exil und schließlich 1947 in die Vereinigten Staaten. Obwohl Max Beckmann wie kein anderer Maler der Moderne mit Frankfurt verbunden war, sollte er nie mehr in die Mainmetropole zurückkehren
Die Idee zu der beeindruckenden Ausstellung geht auf Rechtsanwalt Jürgen Conzelmann zurück. Er ist der heutige Eigentümer der Liegenschaft Schweizer Straße 3, in der Battenberg seinen Studienfreund so gastfreundlich aufnahm. Der Großteil der in der Schau präsentierten Blätter (47) stammt aus der Sammlung Jürgen und Antje Conzelmann. Insgesamt sind 75 hochkarätige Arbeiten Beckmanns zu sehen, davon 28 Leihgaben der Graphischen Sammlung des Städel Museums. In den 1950er Jahren erhielt die Grafische Sammlung des Städel von Ugi und Fridel Battenberg eine umfangreiche Schenkung an Beckmann-Grafiken. Eine Auswahl davon ist im Refektorium des Karmeliterklosters zu sehen. Das Schwarz-Weiß der Druckgraphik Max Beckmanns tritt dort in einen Dialog mit den vorbarocken Wandgemälden von Jörg Ratgeb (um 1480 – 1520). Ergänzt werden Beckmanns Arbeiten durch Archivalien und zeitgenössische Fotos, die Einblick in das Frankfurt geben, wie es der Künstler seinerzeit erlebt hat.
Zur Ausstellung ist eine opulente Katalog-Box erschienen, die einen Aufsatzband zum graphischen Werk Beckmanns, einen Katalogband sowie 30 Bildkarten der eindrucksvollsten gezeigten Werke umfasst.
„Max Beckmann kommt nach Frankfurt. Druckgraphik 1915-1925“, bis 15. November 2015 im Institut für Stadtgeschichte – Refektorium des Karmeliterklosters
Bildnachweis (soweit nicht anders bezeichnet): Institut für Stadtgeschichte