Reinhold Ewald: ein Künstler – zwei Ausstellungsorte
Museum Giersch und das Historische Museum Hanau präsentieren Ewalds expressives, experimentelles und eigenwilliges Œuvre
Von Hans-Bernd Heier
Am 30. März 2015 jährte sich der Geburtstag von Reinhold Ewald zum 125. Mal. Aus diesem Anlass widmen das Museum Giersch der Goethe-Universität und das Historische Museum Hanau im Schloss Philippsruhe dem ausdrucksstarken Maler der Moderne eine Doppelausstellung. Während das Museum Giersch in Frankfurt am Main Ewalds Verbindungen zur Mainmetropole beleuchtet, thematisiert das Historische Museum Hanau Ewalds Künstlerleben in seiner Heimatstadt. Beide Ausstellungen ergänzen sich zu einer großangelegten Retrospektive und würdigen das qualitätsvolle Gesamtwerk des vielseitigen Künstlers, dessen außerordentlichen Rang es wieder zu entdecken gilt. Die beiden Präsentationen mit dem Titel „Expressiv. Experimentell. Eigenwillig. Reinhold Ewald 1890-1974“ sind bis zum 24. Januar 2016 in Frankfurt und Hanau zu sehen.
„Zwei stehende Mädchen“, um 1925, Öl auf Holz, 160 x 120,8 cm; Privatbesitz; Foto: Uwe Dettmar, Frankfurt am Main
Es ist das erste Kooperationsprojekt der beiden Ausstellungshäuser. Noch nie wurde das Werk des auch international anerkannten Regionalkünstlers so umfassend gezeigt – darunter auch viele bisher unbekannte Exponate aus Privatbesitz. Der Geschäftsführer des gemeinnützigen Kulturfonds Frankfurt RheinMain, Helmut Müller, nannte deshalb bei der Pressekonferenz die Doppelausstellung „ein außergewöhnliches Ereignis“. Es sei ein Musterprojekt, das hervorragend in das Förderkonzept des Fonds passe, weil es dessen Anliegen sei, die Bedeutung von Künstlern der Region sichtbar und damit national wie international bekannt zu machen.
„Tanzlokal“, 1922 , Öl auf Pappe (zweiteilig), 140 x 99 cm; Privatbesitz; Foto: Markus Hilbich, Berlin
Obgleich der Künstler Reinhold Ewald heute einem breiteren Publikum kaum mehr bekannt ist, „gehört Ewalds expressives künstlerisches Schaffen zu den interessantesten modernen Positionen der Kunst im Rhein-Main-Gebiet“, so Katharina Bechler, Direktorin Städtische Museen Hanau, und Manfred Großkinsky, Leiter des Museums Giersch der Goethe-Universität.
Gemälde, Graphiken, Plastiken und kunstgewerbliche Arbeiten veranschaulichen das komplexe und facettenreiche Schaffen Ewalds, das sich „im Spannungsfeld zwischen Spätimpressionismus, Expressionismus, Neuer Sachlichkeit, Expressivem Realismus und figürlicher Abstraktion“ bewegt, wie Bechler und Großkinsky im Vorwort des reich bebilderten Katalogs mit den neuesten Forschungsergebnissen schreiben. Mit den Ausstellungen wird die lang ausstehende überregionale Würdigung des ausdrucksstarken Künstlers und seines faszinierenden Gesamtwerkes realisiert und auch fundiert kunsthistorisch aufgearbeitet.
Bei der Pressekonferenz informieren (v.l.): Katharina Bechler, Direktorin der Hanauer Museen, Susanne Wartenberg, wissenschaftliche Mitarbeiterin des Museums Giersch, Manfred Großkinsky, Leiter des Museums Giersch, sowie Helmut Müller, Geschäftsführer des Kulturfonds Frankfurt RheinMain; Foto: Hans-Bernd Heier
„Ewalds expressives künstlerisches Schaffen gehört zu den interessantesten modernen Positionen der Kunst im Rhein-Main-Gebiet“, betont Kuratorin Susanne Wartenberg. Als Figurenmaler des pulsierenden zeitgenössischen Lebens widmete sich Ewald Themen wie Café und Tanz, Eislauf und Wassersport. Auch ausdrucksstarke Porträts und religiöse Szenen gehörten zu seinem breitgefächerten Repertoire ebenso wie Landschaften und Stillleben. Zeitlebens bildeten jedoch Frauendarstellungen das zentrale und facettenreichste Motiv seiner künstlerischen Auseinandersetzung.
„Selbstbildnis“, 1909, Öl auf Karton, 46 x 39 cm; Historisches Museum Hanau Schloss Philippsruhe; Foto: Detlef Sundermann
Für Ewald war Hanau der Ort der künstlerischen Produktivität. In seiner Heimatstadt, in der er von seiner Geburt im Jahre 1890 an bis zu seinem Tode 1974 – von Studien- und Kriegszeit abgesehen – lebte, arbeitete und unterrichtete der akademisch geschulte Künstler. Mit der Hanauer Zeichenakademie war er nicht nur beruflich verbunden, sondern auch privat, waren doch alle seine drei Ehefrauen Schülerinnen der Akademie.
Ewald gilt als der bedeutendste Künstler Hanaus des letzten Jahrhunderts. In der Ausstellung im Schloss Philippsruhe wird die ganze Bandbreite seines Schaffens präsentiert – angefangen von Malerei, Grafik, Plastik über Entwürfe für Schmuck, Keramik, Glas sowie Emaille. Sein Frühwerk mit Familienporträts, dem Hanauer Marktplatz oder Schlittschuhläufern ist von der Berliner Sezession geprägt, deren Mitglied Ewald war.
„Dame in Rot und Gelb – Hella Brückner“, um 1950, Mischtechnik auf Leinwand, 111 x 110,3 cm; © Privatbesitz, Foto: Uwe Dettmar
Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs entstanden expressive, farbkräftige Darstellungen – von der Familie, Badenden oder Schülerinnen. In der Burgruine in Wilhelmsbad befand sich Ewalds Atelier, in welchem auch seine Aktmalerei entstand. Mit seiner Heimatstadt blieb er zeitlebens eng verbunden, hier fand er sein „Arkadien“.
Laut Großkinsky bildete allerdings Frankfurt am Main für Reinhold Ewald „ein Leben lang einen Fixpunkt, einen Dreh- und Angelpunkt seiner künstlerischen Öffentlichkeit“. Unmittelbar nach seiner Ausbildung in Hanau und Berlin konnte er hier Fuß fassen. Bereits in jungen Jahren stellte er in der renommierten Kunsthandlung Ludwig Schames und im Kunstverein aus.
„Badende (Am Lido in Venedig)“, 1926, Öl auf Sperrholz, 139 x 150 cm, Historisches Museum Hanau Schloss Philippsruhe; Foto: Uwe Dettmar
Zusätzliche öffentliche Wahrnehmung erfuhr der „Meister der Stile“ durch Aufträge für die Wandgestaltung im Café Bauer sowie für den Kreuzweg in der St. Leonhardskirche in Frankfurt. Namhafte Museumsleute engagierten sich für sein Schaffen wie der Direktor des Städelschen Kunstinstituts, Georg Swarzenski. Er tätigte bereits 1914 den ersten Museumsankauf eines Ewald-Gemäldes. Weitere sollten folgen. Einige sind heute noch in der Dauerausstellung des Städel zu sehen.
„Mondschein in Bayrischzell“, 1938/39, Öl auf Leinwand, 93 x 103 cm; Privatbesitz; Foto: Uwe Dettmar
Der experimentierfreudige Reinhold Ewald begeisterte sich für die Alten Meister. So ließ er sich von der Figurenauffassung von Vorbildern wie Piero della Francesca, Hans Baldung Grien oder Matthias Grünewald inspirieren. Die Werke Leonardo da Vincis sensibilisierten ihn für weiche, malerische Übergänge (Sfumato), Gemälde Rembrandts für Farbtexturen und intensive Helldunkel-Wirkungen. „Nicht die Wiederbelebung tradierter Ikonographie oder Malweise war sein Anliegen, sondern eine zeitgemäße Fortführung zeitloser schöpferischer Formen“, erläutert Großkinsky. In der Auseinandersetzung mit Alten Meistern sowie modernen Bildmedien entwickelte Ewald seine charakteristische Bildsprache zwischen Expressionismus, Neuer Sachlichkeit und Expressivem Realismus. Beeindruckende Papierarbeiten aus dieser Werksphase sind in der thematisch klar gegliederten Schau im Museum Giersch zu sehen.
„Zwei sitzende Mädchen“, 1921, Öl auf Pappe (zweiteilig), 146 x 99,5 cm; Privatbesitz; Foto: Uwe Dettmar
Die sehenswerten Präsentationen in Hanau und Frankfurt widmen sich allen Lebens- und Schaffensphasen des Künstlers mit der spannungsreichen Farb- und Formsprache – auch während des Dritten Reichs. Ewalds Vita weist etliche Parallelen zu Emil Noldes Biografie auf. Wie der norddeutsche Expressionist trat auch er bereits früh der NSDAP bei. Dies bewahrte ihn nicht davor, dass seine Werke in Darmstadt, Frankfurt am Main, Kassel, Mannheim und Stettin beschlagnahmt und als „entartet“ diffamiert wurden. Auch er wurde mit Ausstellungsverbot belegt und verlor zudem seine Professur an der Hanauer Zeichenakademie. Aus diesem Grunde baute Ewald notgedrungen stärker die Porträtmalerei aus, um seine wirtschaftliche Existenz abzusichern.
„Bertel Ewald und Louis Wahn“, um 1940, Öl auf Leinwand, 106 x 112,3 cm; Privatbesitz; Foto: Uwe Dettmar
Im Rahmen des Entnazifizierungsverfahrens 1946/47 stuften die Richter Ewald in die „Gruppe IV der Mitläufer“ ein und verurteilten ihn zur Zahlung von 1.500 Reichsmark an den Wiedergutmachungsfonds. Seine Angaben zu Parteieintritt, Entlassung aus dem Lehramt, Beschlagnahme seiner Werke, Ausstellungsverbot sowie Rückzug beziehungsweise „Innere Emigration“ sollten hingegen seiner Wiedereingliederung in die aktuelle Kunstszene dienen.
„Badeszene“, um 1960, Öl auf Hartfaser, 43 x 49,3 cm; Privatbesitz; Foto: Uwe Dettmar
Doch dies sollte dem eigenwilligen Künstler nur bedingt gelingen. In seinem als weniger bedeutend eingestuften Spätwerk entfaltete der Farbmagier noch einmal eine ganz eigene künstlerische Kraft. Zum Teil im Rückgriff auf bereits erprobte Motive wie Frauendarstellungen und Badeszenen entwickelte er eine leuchtend-farbige oder auch gedämpfte Malerei von besonderer Sinnlichkeit. Mit dem Spachtel aufgetragene Farbtexturen von formbildender Qualität zeugen dabei vom Eigenwert der Farbe und ihrer bildbeherrschenden Ausdruckskraft. An die großen Vorkriegserfolge konnte der „Meister der Farben und Stile“, so titelte die FAZ, allerdings nicht mehr anknüpfen. Gleichwohl war es erklärtes Anliegen der Ausstellungsmacher, erstmals seine späte Schaffensphase umfassend zu präsentieren und zu würdigen.
„Expressiv. Experimentell. Eigenwillig – Reinhold Ewald“, bis 24. Januar 2016 im Museum Giersch der Goethe-Universität und im Historischen Museum Hanau Schloss Philippsruhe
Bildnachweis (soweit nicht anders bezeichnet): Museum Giersch
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