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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Verena Friedrich: „The Long Now“ im 1822-Forum

Von der Unberechenbarkeit der Seifenblase und des Lebens

Von Erhard Metz

„Unser Leben währet siebzig Jahre, und wenn’s hoch kommt, so sind’s achtzig“; Psalm 90
„Mors certa hora incerta“ (der Tod ist gewiss, ungewiss die Stunde); wohl aus dem Gedanken der cluniazensischen Liturgie entnommener Sinnspruch, u.a. an der Leipziger Rathausuhr

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Was sehen wir? Einen Labortisch mit einer apparativen Anordnung: zuunterst ein einfacher Staubsauger, auf einem Zwischenfach eine selbstgebastelte, recht komplexe Vorgänge steuernde Platine nebst Schalteinrichtungen, auf dem Tisch ein Plexiglaswürfel mit einigen kleineren, aber höchst wichtigen, mechanischen Verrichtungen dienenden Aufbauten, in welchem sich wissenschaftlich Begründbares wie zugleich scheinbar Erstaunliches, metaphysisch aufgeladen, ereignet.

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Unter Laborbedingungen entsteht – ansonsten ein Spass für Kinder, als Pustefix-Röhrchen in Spielzeugläden und auf Jahrmärkten überall erwerbbar – ein so banales Etwas wie eine für gewöhnlich nur wenige Sekunden „lebende“ Seifenblase.

Statt einfach Pustefix zu nehmen – so viel Aufwand für eine Seifenblase?

Verena Friedrich ist künstlerische Wissenschaftlerin – oder anders gesagt: wissenschaftliche Künstlerin. Und – jetzt wird es noch spannender – sie arbeitete am Max-Planck-Institut für Biologie des Alterns in Köln und stellte dort, in Kooperation mit der Kölner Kunsthochschule für Medien, in diesem Frühjahr ihre „VANITAS MACHINE“ aus. Sie erhielt dafür eine Anerkennung (Honorary Mention) der Ars Electronica. In ihrer Installation ging es darum, eine Kerze in einem entsprechend präparierten Raum so lange wie irgend möglich am Brennen und damit am „Leben“ zu erhalten.

Vanitas – die Künstlerin gibt mit ihrem Titel selbst das Stichwort: Wir denken an die vielen Darstellungen des „Memento mori“ vorwiegend in der Barockzeit, symbolisiert durch einen Totenschädel, eine abbrennende Kerze, verwelkende Blumen, blinde oder zerbrochene Spiegel und manchmal auch durch Seifenblasen. Immer wieder greifen Künstlerinnen und Künstler auch heute – Douglas Gordon, Urs Fischer, Nam June Paik, Manuela Kasemir oder etwa Jeroen de Rijke / Willem de Rooij auf diese Symbolik zurück, um nur einige wenige zu nennen.

Zurück zu Verena Friedrichs Seifenblase: Sie schwebt im Würfel, sinkt herab und löst sich irgendwann rascher, als das Auge es zu verfolgen vermag, in ein Nichts (oder nur in Unsichtbarkeit, denn was ist das „Nichts“?) auf. Ihre „Lebensdauer“ kann nur eine oder wenige Minuten betragen oder auch Stunden, gar einen halben irdischen Tag lang oder mehr. Vorhersagbar ist dies nicht.

Ähnlich wie im Fall der zu verlangsamtem Abbrand veranlassten Kerze geht es der Künstlerin auch hier darum, das „Leben“ der von ihrer Natur nach flüchtigen Seifenblase zu verlängern. Und wir sehen: Eine metaphorische Arbeit, von symbolhaftem Charakter für das Bestreben gerade des zeitgenössischen wissenschaftsgläubigen Menschen, das Leben zu verlängern, gar den Tod zu besiegen, Unsterblichkeit zu erlangen, sich selbst an die Stelle des Schöpfergottes zu setzen.

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Eine Seifenblase im 1822-Forum in ihrer vollen Schönheit: nur ein technisches Konstrukt oder – auch und erst recht – ein Kunstwerk?

Die Künstlerin bedient sich dabei einer ausgeklügelten Versuchsanordnung: Mit Trockeneis – also Kohlenstoffdioxid (CO2) – und einer Reihe von physikalischen, chemischen und elektronisch-mechanischen Prozessen stellt sie im Glaswürfel eine kontrollierte „Atmosphäre“ her, die die Seifenblase möglichst lang berührungsfrei-schwebend und damit „lebendig“ erhält. „Stirbt“ sie, so entsteht – dank der Apparatur und ein klein wenig dem Mitwirken des Galeristen – in einem gewissen zeitlichen Abstand eine neue.

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Sie ist ein Kunstwerk, wahrlich, aber im nächsten Moment sinkt die Blase zu Boden und dem bei allem doch unentrinnbaren „Tod“ entgegen. Die Unsterblichkeit bleibt ein Traum – oder ist sie nicht vielmehr ein Alptraum?

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Verena Friedrich, 1981 in Hanau geboren, studierte mit Diplomabschluss an der Hochschule für Gestaltung Offenbach bei Professor Heiner Blum und Professorin Ulrike Gabriel und an der Akademie der Bildenden Künste Wien. Ein weiteres Diplom erwarb sie an der Kunsthochschule für Medien in Köln. Forschungsaufenthalte führten sie zum „SymbioticA – Centre of Excellence in Biological Arts“ in Australien sowie an das „Laboratory of Stem Cell Bioengineering“ in Lausanne. Sie erhielt unter anderem den Internationalen Medienpreis für Wissenschaft und Kunst des ZKM Karlsruhe sowie die bereits erwähnte „Honorary Mention“ beim diesjährigen Prix Ars Electronica in Linz. Die Künstlerin lebt und arbeitet in Frankfurt am Main und Köln, wo sie Artist in Residence am Max-Planck Institut für Biologie des Alterns ist.

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Verena Friedrich; Foto Max Pauer

Verena Friedrich „The Long Now“, 1822-Forum, bis 19. September 2015

Fotos (soweit nicht anders angegeben): Erhard Metz

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