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FeuilletonFrankfurt

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PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Struwwelpeter zieht in den Krieg – Ausstellung im Frankfurter Struwwelpeter Museum

Von Winfred Kaminski

Im seit 1977 im Frankfurter Westend beheimateten Struwwelpeter-Museum lädt eine lohnenswerte Sonderausstellung zum Thema „Kriegserziehung im Bilderbuch“ ein.

Seit seiner Gründung hat sich das Museum in ausgezeichneter Weise um das illustratorische und schriftstellerische Werk des Arztes, Psychiaters, Schriftstellers und Kinderbuchautors Heinrich Hoffmann (1809 – 1894) verdient gemacht. Momentan zeigt das Haus unter der Überschrift „Struwwelpeter wird Soldat“, wie das Bilderbuch in Dienst genommen wurde. Die Leiterin des Museums, Beate Zekorn-von Bebenburg, hat es mit dieser Ausstellung erneut vermocht, eine weitere Facette der langanhaltenden Wirkungsgeschichte des Kinderklassikers herauszuarbeiten.

Die Ausstellung bezieht sich selbstverständlich auf Hoffmanns Bilderbuch, aber es wird eingebunden in den umfassenderen Kontext von Karikaturen und Bilderbüchern zum Ersten Weltkrieg. Dabei beeindruckt immer wieder zu sehen, dass Heinrich Hoffmanns 1844 mit seinem Struwwelpeter zum einen eine Ikone geschaffen hat und zum anderen, wie ambivalent diese geraten ist. Wer bisher meinte, diese Phantasiegestalt repräsentiere allein das Aufmüpfige, Widerspenstige und sei eben eine Antifigur zur brav-biedermeierlichen Lebens- und Kindheitsidee, der wird durch die Ausstellung eines besseren belehrt.

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„Der Kriegs-Struwwelpeter“, © Sammlung Struwwelpeter-Museum

Die präsentierten Materialien: Bücher, Spielzeug und allerlei andere Gegenstände aus der Zeit vor und um den Ersten Weltkrieg (teilweise entstammen sie dem Fundus des Museums und teilweise sind es Leihgaben von Sammlerinnen und Sammlern) erzeugen mehr als einmal ein Aha-Erlebnis. Denn schon auf der Rückseite des Ur-Manuskriptes des „Struwwelpeter“ (1844) finden, den wenigsten bewußt, sich die Zeilen: „Schön ist’s unter freiem Himmel / Stürzen in das Schlachtgetümmel“, und auf der Vorderseite sehen wir reitende Kavallerie. So harmlos und niedlich wie das Biedermeier gern imaginiert wird, war es dann wohl doch nicht. Von hier aus ist es nicht weit bis zu den patriotischen Jugend- und Volksschriften, den kolonialistischen Jugendbüchern und eben den militaristischen Büchern kurz vor und während des Ersten Weltkriegs.

Die Kinderbuchfiguren Heinrich Hoffmanns wurden damals für den Krieg ausstaffiert, rückten ein und wurden in feldgrau gekleidet. Krieg wurde als Abenteuer, als bloßes Spiel inszeniert und von Marie Waldeck auf die Bühne gebracht als „Kinder-Komödie“. In derartigen Publikationen, die verstärkt seit den 1890er Jahren erschienen, wurde mobilgemacht, Heldenträume bedient und die Pickelhaube aufprobiert. Zudem wurden den Kindern England, Frankreich und Russland als Feinde präsentiert, die auf Raub, Krieg und Tod aus sind.

Ein Clou der Ausstellung sind aber diejenigen Karikaturen, in denen zum Beispiel britische Grafiker Wilhelm II. verspotten und sich dabei aus dem Fundus des „Struwwelpeter“ bedienen: „The Political Struwwelpeter“ (1899), „The Struwwelpeter-Alphabet“ (1900) und nicht zuletzt „Swollen Headed William“ (1914). Aber die karikaturistische Antwort aus Deutschland auf diese Angriffe ließ nicht auf sich warten. Der Illustrator Karl E. Olszewski veröffentlichte „im Kriegsjahr 1915“ das Bilderbuch „Der Kriegs-Struwwelpeter – lustige Bilder und Verse“, eine reine Propagandaschrift mit Durchhalteappell.

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„Swollen-headed William“, © Sammlung Struwwelpeter-Museum

In der Schlussbemerkung des Ausstellungskatalogs konstatiert Beate Zekorn-von Bebenburg, dass Heinrich Hoffmanns mittlerweile 170 Jahre altes Bilderbuch nicht wenige unerfreuliche Nachfolger gefunden hat. Es „wurden zahlreiche manipulative Bücher veröffentlicht, die sich der beliebten Geschichte als Folie bedienten“. „Es gab verhetzende sowie verharmlosende Karikaturen, die an den archetypischen Botschaften … anknüpften.“ Die aktuelle Sonderausstellung im Struwwelpeter-Museum liefert einen wichtigen weiteren Baustein zur allfälligen Mentalitätsgeschichte Deutschlands und Europas im frühen 20. Jahrhundert.

Das instruktive Begleitheft zur Ausstellung ist im Museum erhältlich: Beate Zekorn-von Bebenburg „Struwwelpeter wird Soldat“ (Frankfurt a.M., Struwwelpeter-Museum 2015).

„Struwwelpeter wird Soldat. Der Erste Weltkrieg in Karikaturen und Kinderbüchern“, Struwwelpeter-Museum, bis 31. Oktober 2015

 

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