home

FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

“Blickachsen 10″ in Bad Homburg und Rhein-Main (4)

Mobil – immobil
Nick Hullegie im Schlosspark, Peter Weidenbaum im Kurpark

Von Erhard Metz

Wir seien eine mobile Gesellschaft, hört und liest man immer wieder. Wir sind stolz darauf. Gemeint ist hier die materielle wie körperliche Mobilität, nicht eine geistige.

Mobilität beginnt im Kleinkindalter, an der Hand der Eltern, im heimischen Haus oder Garten auch im heute wohl eher verpönten Laufstall. Mobilität endet im Alter, am Gehwagen, dem Rollator, wenn man dafür noch „fit“ ist. Im weiten Feld dazwischen liegt unsere heissgeliebte Mobilität im sogenannten Kraftfahrzeug, vorzugsweise im PKW, dem, so scheint es, Alter ego vieler Menschen, die dem Faszinosum „freie Fahrt für freie Bürger“ (und damit oft genug dem vorzeitigen Unfalltod) erliegen. Im Gegensatz zu Laufstall und Rollator erfordert die PKW-Mobilität keine Beinarbeit, im Zeitalter der Getriebeautomatik findet sogar nur noch der rechte Fuss Beschäftigung – werden wir uns in der evolutionären Entwicklung den Kopffüsslern eines Horst Antes nähern?

Zwei Künstler – es mag Zufall sein und nur wir bringen sie in einen vielleicht gar ungewollten Zusammenhang – befassen sich im Rahmen der diesjährigen „Blickachsen“ mit der Mobilität: mit figurativen, Augen und Sinne ansprechenden Skulpturarbeiten.

Nick Hullegie, 1970 im niederländischen Epe geboren, baut einen kombinierten Laufstall-Rollator. Ein praktisches Gerät, sollte man zunächst meinen, gleichsam hilfreich und kostensparend für Jung und Alt. Aber Laufställe sind, wie bereits angedeutet, in der heutigen Kleinkindpädagogik kaum mehr gelitten. Und was ist mit dem Rollator-Anteil am Kunstwerk? Vier Räder sehen wir, die aber ebensowenig benötigt werden wie die zwei Handbremshebel links und rechts am starren Lenker, denn die ganze Konstruktion ist nun einmal ineinander verschränkt und – immobil!

L1270238-650

Nick Hullegie, Walking Frame, 2006, Stahl, Kunststoff, 90 x 180 x 180 cm

„Durch überraschende Eingriffe und das Beschwören von Assoziationen enthebt Hullegie die Gegenstände ihrer Funktion und wirft ein neues Licht auf die Lebenswirklichkeit. Dabei entwickelt er in seinen Objekten Metamorphosen, Ausdehnungen oder Verwandlungen immer aus dem Gegenstand selbst heraus. So auch bei seiner jetzt im Bad Homburger Schlosspark ausgestellten Arbeit ‚Walking Frame‘ (Gehhilfe) – einem erweiterten Rollator, der aber, statt Mobilität zu gewährleisten, in einen umschlossenen Raum mündet“, so lesen wir im Begleittext.

Im kleinkindlichen Laufstall also endet der Aktionsbereich des Rollators, und der hoffentlich in Würde gealterte Rollator-„Fahrer“ wird in seiner Bewegungsfreiheit sogleich wieder eingeschränkt auf den Aktionradius des Krabbelstüblers. Assoziationen führen weiter – ins Pflegeheim, wo der betriebswirtschaftlich unerwünschte Aktionsraum des Gealterten und möglicherweise Dementen oft genug in der berüchtigten Fixierung endet: Personalmangel, so heisst es – infolge Kostenminimierung zum Ziel von Gewinnmaximierung? Eine Arbeit voll bitterer Ironie, gar Sarkasmus – so sehen wir es.

In der Zwischenzeit – zwischen Laufstall und Rollator – aber fährt der Mensch in der mobilen Gesellschaft das Kraftfahrzeug!

L1250465-650

Peter Weidenbaum, Alter Ego, 2007, Bronzeguss, 148 x 176 x 420 cm, Leihgabe Provincie Vlaams-Brabant, Leuven

L1250466-650

Peter Weidenbaum, 1968 in Antwerpen geboren, stellt es, das Kraftfahrzeug und „Alter ego“, skulptural auf den gepflegten Rasen des Bad Homburger Kurparks (wenn das mal gutgeht, der empörte Kurdirektor wird sich alsbald melden“). „Upps!“ – was ist das, fragen wir uns, zeitgeistiger Sprache bedienend: Da gab es wohl eine Karambolage – die „freie Fahrt“ des einen Bürgers endete wohl unsanft an der „freien Fahrt“ des anderen – Kollateralschaden des automobilen Liberalismus? Nach dem peinlichen Crash ist also wiederum Immobilität angesagt. Was nun?

„Das Auto wird häufig als Erweiterung der eigenen Person erlebt, es dient als Statussymbol, ist Traumobjekt oder steht für den Geschwindigkeitsrausch – bis ein Unfall dem Traum ein jähes Ende bereitet. Dieser Moment, der alles verändert, interessiert den Künstler Peter Weidenbaum“ – wie zitieren wiederum aus dem Begleittext.

Und wir kehren zurück zum Laufstall-Rollator: Ist es Zufall oder kuratorische Absicht, dass das immobile Gerät im Bad Homburger Schlosspark ausgerechnet vor einem landschaftsgärtnerisch kunstvoll angelegten Treppenaufgang steht – unüberwindlich für Kleinkind wie auch Greis?

L1270245-650

Nick Hullegie, Walking Frame, 2006, Stahl, Kunststoff, 90 x 180 x 180 cm

Abbildungen: Courtesy Stiftung Blickachsen gGmbH, Bad Homburg; Fotos: Erhard Metz

→ “Blickachsen 10″ in Bad Homburg und Rhein-Main (5)

→ “Blickachsen 10″ in Bad Homburg und Rhein-Main (1)

 

Comments are closed.