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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Elias Wessel in der Frankfurter Galerie WOLFSTÆDTER

„In the end, though, nothing is lost“

Von Erhard Metz

Wer seine Schritte in die Frankfurter Galerie WOLFSTÆDTER lenkt – das Ligatur-„Ä“ trägt sie stolz im Markennamen – , weiss, dass er seine den schönen Künsten gewidmete Zeit an vergänglichem Leben nicht fehlinvestiert – mag auch der kunstaffine Automobilist noch so sehr über den notorischen Parkplatzmangel im galeristischen Umfeld klagen. Klein, aber fein ist sie, ein White Cube, schnörkellos-puristisch, kaum ein den Kunstgenuss störender Gegenstand befindet sich in dem Raum. Einzig der mit kleinen Kacheln in Schwarz und Weiss belegte Fussboden vermag das Auge abzulenken und gelegentlich vielleicht zu irritieren – erinnert er doch an pflegeleichte Böden etwa einer kleinen Molkerei oder Metzgerei längst vergangener Tage. Aber auch das hat seinen Charme.

Jürgen Georg Wolfstädter ist ein engagierter Galerist, der Blick auf die Liste der ausgestellten Künstlerinnen und Künstler belegt sein hohes Qualitätsbewusstsein. Er hatte – wir möchten gern daran erinnern – als einer der wenigen heimischen Galeristen den Mut, auf der (wenn auch vielleicht nur versuchsweise) wiederbelebten Kunstmesse Frankfurt im Frühjahr 2015 mit einer überzeugenden Präsentation anzutreten. Die Kunstlandschaft in Frankfurt und Rhein-Main bereichern hunderte und mehr, zumeist an den hiesigen Hochschulen in Frankfurt, Offenbach und Mainz ausgebildete Künstlerinnen und Künstler, auf die Wolfstädter ein beobachtendes Auge hat, wiewohl er zugleich auch über den Tellerrand hinausblickt – in diesem Fall nach New York. So hat er für seine aktuelle Ausstellung Elias Wessel ausgeguckt und wieder einmal einen Glücksgriff getan.

Man denkt an Malerei, wenn man zum Galeriefenster hineinschaut, auch dann noch, wenn man den White Cube betreten hat. Erst bei weiterer Annäherung gewahrt man die Alu-Dibond-Platten und korrigiert den ersten Eindruck: es ist nicht Malerei, es sind Fotografien! Allerdings höchst malerische

Elias Wessel hat mit seiner Mittelformatkamera Landschaften fotografiert, im russischen Kursk, wohin ihn im September 2014 eine vierwöchige Künstlerresidenz führte. Entstanden ist daraus eine siebenteilige Werkreihe „Landscapes“. Wessel gewährte uns Einblick in diesen künstlerischen Schaffensprozess und das fotografische Ausgangsmaterial. Aber lassen wir den Künstler selbst zu Wort kommen:

„Inspiriert durch die unterschiedlichen Eindrücke und Beobachtungen nimmt die Werkreihe unter anderem Bezug auf den von 1896 – 1905 in Kursk lebenden Maler Kazimir Malevich und den von ihm gegründeten Suprematismus. Unter Suprematie versteht Malevich die Vorrangstellung der reinen Empfindung vor der gegenständlichen Natur. Picasso verfolgt einen anderen Ansatzpunkt. Seiner Auffassung nach geht ein Künstler stets von etwas Realem aus, um erst im Anschluss die Spuren der Wirklichkeit auflösen zu können. ‚Landscapes‘ versucht diese beiden Positionen zu vereinen:

Intention ist es, gleichsam als Hommage an Malevich, in dieser Werkreihe Vorstellungen und Gefühle, hervorgerufen durch erste Eindrücke einer mir bis dahin unbekannten Landschaft künstlerisch umzusetzen. Methodischer Ausgangspunkt sind wirklichkeitsabbildende Fotografien russischer Landschaften, die sich in einer weiteren Aufnahme durch Bewegung und Kontrastierung auf ihre Farb- und Formkomposition verdichten. In einem anschliessenden Prozess werden die Werke schliesslich vollständig bis hin zur grafischen Abstraktheit auf horizontale Linien reduziert. In der analytischen Geometrie ist eine Linie durch die Position zweier Punkte festgelegt … Aus philosophischer Sicht ist eine Linie von unsichtbarer Natur, eine Spur eines sich bewegenden Punktes (ich), ein Resultat von Bewegung (ich reisend, und durch russische Landschaften wandernd, Eindrücke sammelnd).

Inspiriert ist ‚Landscapes‘ zudem durch die intensive Farbgebung und Lamellenstrukturen der alten Häuser ausserhalb des Stadtkerns sowie die zu erwartende Urbanisierung dieser Gebiete. So kommuniziert die Ansammlung von Linien (erzeugt durch die ‚Zerstörung‘ der abbildenden Funktion der Fotografie) nicht nur ein Gefühl von Bewegung und Zeit, sondern wird zugleich zu einer Visualisierung der Auswirkungen einer bevorstehenden Modernisierung. Zusätzlich greift die Idee zu dieser Werkreihe und deren Entstehungsprozess eine kontroverse Diskussion zwischen den teilnehmenden Künstlern auf, ob technische Perfektion oder Konzeption und Emotion ein Kunstwerk ausmache. ‚Landscapes‘ ist daher auch der Versuch, diese beiden gegensätzlichen Positionen zu überwinden.

Elias Wessel, 1978 in Bonn geboren, studierte zunächst in Heidelberg Kunstgeschichte und anschliessend in Mannheim an der Fakultät für Gestaltung und Visuelle Kommunikation (Vordiplom). Seine Studien beendete er an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach mit dem Diplom-Abschluss (Schwerpunkte: Fotografie, Wahrnehmungstheorie, Kunstgeschichte).

Wessel, der seit 2008 als freischaffender Künstler in New York lebt und arbeitet, kann bereits auf eine überaus reichhaltige Ausstellungs- und Rezeptionsbiografie zurückblicken. Seit seiner Ankunft in New York konzentriert er sich, wie er schreibt, auf die Weiterentwicklung seiner visuellen Sprache und deren Symbolcharakter. Seit 2012 widmet er sich ausschliesslich freien Projekten. In seinen Arbeiten sucht er kontinuierlich „nach einer neuen Sicht auf die Dinge, um zu zeigen, wie sich Wahrnehmung, Interpretation und Bewertung von Welt durch eine andere, neue Sicht verändern“. Sein aktuelles Schaffen sei eine „stete Suche nach einer Antithese zur Massenware Fotografie und der Versuch, einer Verkümmerung der Fotografie entgegen zu wirken“.

Je länger und intensiver wir die „Landscapes“-Arbeiten von Elias Wessel betrachten, umso plausibler erscheint uns der Titel der Ausstellung „In the end, though, nothing is lost“: In der Tat, es ist nichts verloren gegangen in der reduzierenden Verdichtung seiner originären Landschaftsfotografien. Im letzten Ende ist alles noch enthalten und harrt der Entdeckung durch den Betrachter. Und auch hier gilt das oben Gesagte: Nichts von der dieser Entdeckung gewidmeten Zeit an vergänglichem Leben wäre fehlinvestiert!

Elias Wessel „In the end, though, nothing is lost“, Galerie WOLFSTÆDTER, bis 12. September 2015

 

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