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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

18. Skulpturenausstellung 2015 in Mörfelden-Walldorf (1)

Dampflokomotive oder U-Boot: „Stuttgart 21“ inspiriert Thomas Putze

Von Erhard Metz

Nicht wenige Ausstellungsbesucher, die sich allzu nahe und allzu lange an Thomas Putzes skulpturaler Installation „Dampfgetriebenes U-Boot ‚freie bahn‘ “ aufhielten, werden nach Heimkehr erst einmal ihre von dicken Rauchwolken verräucherte Garderobe gewechselt haben. Die witzig-skurrile, zugleich jedoch – entgegen dem ersten Anschein – überaus ernste wie hintergründige Arbeit war der „Aufreger“ und „Hingucker“ des Eröffnungsvormittags.

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Die Skulptur-Installation, eine „politische“ Arbeit: mehrere Meter Stamm eines mächtigen, alten Baumes, gefällt im Schlosspark Stuttgart zugunsten des Mega-Projekts „Stuttgart 21“ einer von Grössen- und Wachstumswahn getriebenen Gesellschaft und ihrer Politiker. Eingebaut je ein Heizkessel, Dampfkessel, Überdruckventil, Dampfpfeife und Turbine. Die Handlung: Der Künstler und ein Helfer schlagen mit kräftigen Axthieben Holzschnitzen aus dem Stamm, mit denen der Heizkessel befeuert wird; dieser erzeugt Dampf, der die Turbine mit dem Propeller antreibt, der an einem Ende in den Baumstamm eingebaut ist. Am anderen Ende ist eine Platte ähnlich der Rauchkammertür einer Dampflokomotive montiert, mit zwei Rohröffnungen, wir assoziieren zwei Puffer, Dampfzylinder oder auch Scheinwerfer. Wie überhaupt das Ganze an das Zeitalter dieser riesige Dampfwolken ausstossenden Zugmaschinen erinnert. Also die Eisenbahn ist konnotiert: das gutmütige Stampfen, Zuckeln und Zischen dieser Uralt-Lokomotiven zum einen, zum anderen eben das jede Minute und Sekunde an Reisezeit einsparen wollende „Stuttgart 21“. Stets und immer noch ist Be- statt der längst notwendigen Entschleunigung angesagt. Und dann noch der beziehungsreiche Werktitel „freie bahn“!

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Thomas Putze in Aktion: Dampfgetriebenes U-Boot „freie Bahn“, eingebauter Heizkessel, Dampfkessel, Überdruckventil, Dampfpfeife und Turbine, 2014

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Doch der Künstler Thomas Putze nennt das Objekt ein U-Boot. Ein Ding, das abtaucht, irgendwo unsichtbar und subversiv agiert. Aber nun hilflos auf dem Trockenen sitzt, mag es noch so heftig feuern und fauchen und seinen Propeller beschleunigen – alles sinn- und zwecklos. Wird „Stuttgart 21“ in ein-, zweihundert Jahren vielleicht auch sich als sinn- und zwecklos erwiesen haben – und welche Opfer an Denkmal- und Landschaftsschutz hätten dann seinetwegen erbracht werden müssen?

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Und: Ist der Titel „freie bahn“ nicht die reine Ironie? Die Eisenbahn: so gar nicht frei, sondern getrieben von mächtigen wirtschafts- und verkehrspolitischen Interessen, die sich ihrerseits mit einem rigorosen „Bahn frei“ durchsetzen und den Weg erzwingen?

Reizvoll: Das Kunstwerk, durch Holzabschlag und -verbrennung sich aus seiner eigenen Substanz befeuernd wie verzehrend, beseitigt sich am Ende selbst – auch es wird einmal sein: sinn- und zwecklos. Ob unsere ufer- wie ziellose Beschleunigungs- und Wachstumsgesellschaft einst ein ähnliches Schicksal ereilen wird?

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Thomas Putze, 1968 in Augsburg geboren, erlernte den Beruf des Landschaftsgärtners, leistete in einem Kloster Zivildienst und arbeitete in Guatemala an Aufbauprojekten. Er studierte in Wuppertal Theologie, an der Freien Kunstschule Stuttgart Malerei und schliesslich Bildhauerei an der Stuttgarter Staatlichen Kunstakademie bei den Professoren Werner Pokorny und Micha Ullman.

Gab es in der Vergangenheit immer wieder spezielle Ausstellungstitel wie beispielsweise „Kräftespiele“ in 2014, so verzichteten die Veranstalter in diesem Jahr auf ein entsprechendes Motto. Die Jury hatte die sicher heikle Aufgabe, unter 42 Bewerbungen zwölf Kunstschaffende – ausser Thomas Putze sind dies Beate Debus, Reinhard Grütz, Guido Häfner, Jürgen Heinz, Ingrid Hornef, Yoonsun Kim, Edeltraud Klement, Emilia Neumann, Monika Ortmann, Karl Manfred Rennertz und A. Vietz – auszuwählen, ferner als Gastbeiträge die „IB-Behindertenhilfe FFM (Atelier Eastend)“ sowie Marion Dörre mit dem Thema „Umwelt und Abfall“.

Bickmann und Rother

(v.l.) Isa Bickmann, Kunsthistorikerin, und Christine Rother, 1. Vorsitzende des Landesverbands der Galerien in Hessen und Rheinland-Pfalz, bei ihren Eröffnungsansprachen unter in hochsommerlicher Hitze Schatten spendendem Baum

Die Ausstellung findet im Rahmen des Kultursommers Südhessen e. V. statt, einem Zusammenschluss von fünf südhessischen Kreisen (Bergstraße, Darmstadt-Dieburg, Groß-Gerau, Odenwald, Offenbach) und der Wissenschaftsstadt Darmstadt und steht unter der Schirmherrschaft von Professor Ottmar Hörl, Präsident der Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg. Mitveranstalter ist der Galeristenverband Hessen und Rheinland-Pfalz. Zur Eröffnung am gestrigen Sonntag sprachen Bürgermeister Heinz-Peter Becker, Christine Rother als 1. Vorsitzende des Landesverbands der Galerien in Hessen und Rheinland-Pfalz sowie die Kunsthistorikerin Isa Bickmann. Martin Gröber begleitete die Veranstaltung mit dem Saxophon.

18. Skulpturenausstellung – Skulpturenpark – , Kommunale Galerie, Mörfelden-Walldorf, Parkanlage am Bürgerhaus Mörfelden, bis 6. September 2015

Abgebildetes Werk © Thomas Putze; Fotos: Erhard Metz

→ 18. Skulpturenausstellung 2015 in Mörfelden-Walldorf (2)

→  17. Skulpturenausstellung “Kräftespiele” in Mörfelden-Walldorf / 1

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