home

FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

RAY Fotografieprojekte Frankfurt/RheinMain

RAY 2015 – Neuproduktionen in der Landeshauptstadt Wiesbaden
„Me in Me“ von Ming Wong im Nassauischen Kunstverein
„Nichtraum – Die Sache mit dem Licht“ von Nicole Ahland im Landesmuseum

Wiesbaden glänzt mit prallem Ausstellungsangebot

In einer außergewöhnlichen Zusammenarbeit feiert die Region Rhein-Main in diesem Sommer das Medium Fotografie: Die Schau „RAY 2015 – Fotografieprojekte Frankfurt/RheinMain“ präsentiert unter dem Leitthema „IMAGINE REALITY“ herausragende Positionen der zeitgenössischen Fotografie an insgesamt zwölf Standorten in Frankfurt und der Region. Mehr RAY war nie! Mit zwei Partnerprojekten beteiligt sich auch Wiesbaden an der Fotografie-Triennale, die heuer nach 2012 zum zweiten Mal das Herz von Freunden künstlerischer Fotografie höher schlagen lässt. Dabei warten in Kooperation mit RAY 2015 sowohl das Museum Wiesbaden als auch der Nassauische Kunstverein mit Neuproduktionen auf

Von Hans-Bernd Heier

Ming Wong_Me in Me_Filmstill 1-600

Ming Wong „Me in Me“, 2013, Three channel video installation; Filmstill: Masumi Kawamura, Courtesy the artist, Vitamin Creative Space, Guangzhou and carlier I gebauer, Berlin; Commissioned by Shiseido

Im Nassauischen Kunstverein Wiesbaden sind noch bis zum 2. August 2015 Film- und Fotografie-Projekte von Ming Wong zu sehen. Im Zentrum steht die beeindruckende großformatige Dreikanal-Videoinstallation „Me in Me“. Ming Wong porträtiert drei wiederkehrende Archetypen der japanischen Kino-Kultur – Spieldauer rund 24 Minuten. „Er selbst präsentiert sich in der Rolle der Geisha im formalistischen Kabuki-Stil, als traditionelle Hausfrau im Nachkriegs-Neorealismus sowie als zeitgenössische Anime-Figur im Science-Fiction-Kontext. Auf der Suche nach Erfüllung, Zugehörigkeit und Identität definiert die weibliche Protagonistin in jeder ihrer Rollen ihre Vorstellung vom Selbst und findet ihren Überlebenswillen“, erläutert Kuratorin Elke Gruhn. Neben den verschiedenen Szenen- und Rollenwechseln zeigt die Videoinstallation auf drei Großleinwänden auch das komplette Set, Momente aus der Maske und Einblicke in den Aufbau der verschiedenen Bühnenbilder.

Ming Wong_Me in Me_Filmstill 3-600

Ming Wong „Me in Me“, 2013; Filmstill

Stiftung und Wandlung von Identität sind Wongs zentrale Themen. Der 1971 geborene Künstler spürt Phänomenen wie Verfremdung, globalen Bildwelten und Stereotypen nach und setzt diese filmisch – teils um Installationen erweitert – in Szene. So geht er auch in „Me in Me“ der Frage nach, inwiefern geschlechterspezifische Rollenbilder aus der medialen Bildwelt der vergangenen Jahrzehnte unser Selbstverständnis oder aber unser gesellschaftliches Verständnis prägen.

Der in Singapur aufgewachsene Künstler chinesischer Herkunft schlüpft voller Humor und Selbstironie in die drei weiblichen japanischen Rollen, mit denen er sich im Widerspruch zu seinem Geschlecht identifiziert. Dabei bringt er Prozesse der Verwandlung und Aneignung sowie der reinen Vorstellung von Realität ans Licht. Die Schau im Nassauischen Kunstverein Wiesbaden knüpft damit an das Ausgangskonzept der RAY Fotografieprojekte „IMAGINE REALITY“ an. Ohne die großzügige Unterstützung des Kulturfonds Frankfurt RheinMain wäre das großartige Projekt nicht zu realisieren gewesen.

Ming Wong_Me in Me_Filmstill 4-600

Ming Wong „Me in Me“, 2013; Filmstill

Ming Wong lebt und arbeitet derzeit in Berlin und Singapur. Er studierte Chinese Art an der Nanyang Academy of Fine Arts, Singapur und Fine Art Media an der Slade School of Art, University College London. Wongs Arbeiten sind in zahlreichen internationalen Einzelausstellungen gewürdigt worden, so beispielsweise im Centre d’art Neuchâtel, in Los Angeles und im Singapur Pavillon der 53. Venedig Biennale (2009). Ergänzend zu der großräumigen Inszenierung seiner aufwändigen Videoarbeit werden kleine Zeichnungen und Skizzen der dargestellten Figuren und Rauminstallation gezeigt.

M4-650

Nicole Ahland „Nichtraum – Die Sache mit dem Licht“, Raumansicht 2015; Foto: Museum Wiesbaden / Bernd Fickert, © VG Bild-Kunst, Bonn

In krassem Gegensatz zu Ming Wongs farbiger und lauter Videoinstallation stehen Nicole Ahlands fotografische Hell-Dunkel-Räume, die noch bis zum 13. September 2015 im Projektraum des Landesmuseums Wiesbaden zu sehen sind. In der Schau „Nichtraum – Die Sache mit dem Licht“ zeigt das Museum neue Arbeiten aus den Jahren 2013 bis 2015 von Nicole Ahland. Sie gilt als eine der ungewöhnlichsten Fotokünstlerinnen der Gegenwart. Für die Präsentation hat die 1970 in Trier geborene Künstlerin mehrteilige, komplexe Raumserien konzipiert und realisiert. „Sie beherrscht die Form der Andeutung als Sprache äußerster Reduktion bei gleichzeitig großer Präzision im Umgang der fotografischen Mittel. In ihren Raumbildern speichert Ahland Licht, hochsensibel, mal in großen Mengen, mal in kleinen Dosierungen“, sagt Kurator Peter Forster.

M5-650

Nicole Ahland, Raumansicht 2015; Foto: Museum Wiesbaden / Bernd Fickert, © VG Bild-Kunst, Bonn

Nicole Ahland fotografiert Räume, menschenleere Räume. Sie arbeitet in Räumen und definiert ihre Kunst über Räume. Für sie ist der Raum ein hochexistentielles Konstrukt, in dem sich der Mensch positioniert. „Raum definiert des Menschen gesellschaftliche Stellung und seinen Rang. Er bietet Schutz und ist Spiegel der gesamten Bandbreite von Emotionen. Raum wird von ihr aber auch als autoritäre Instanz empfunden. Hier liegt ihr künstlerischer Ansatz“, erläutert Forster. Und weiter: „Ganz unbemerkt und wie nebenbei hebelt Ahland die den Räumen innewohnenden, autoritären Strukturen aus und setzt sich gegen die vorhandene Raumdominanz durch. Die von ihr vorgenommenen, eigenen bildhaften Raumeingriffe sind elementarer Bestandteil ihrer kritischen Sicht auf gesellschaftliche Zustände. Ahlands Arbeiten bewirken beim Betrachter ein Umdenken vom Raum zur Räumlichkeit“.

M6-650

Nicole Ahland, Raumansicht; Foto: Museum Wiesbaden / Bernd Fickert, © VG Bild-Kunst, Bonn

Bei Ahlands intensiven Raumerkundungen spielt der Faktor Licht eine ganz wesentliche Rolle. Die vielfach ausgezeichnete Fotografin verleiht dem Licht Substanz. Sie hat eine eigene fotografische Bildsprache entwickelt. „Der Raum selbst ist die statische Konstante, das Licht die bewegliche Variable. Das Licht dringt in den Raum ein und modelliert ihn, verhüllt ihn, entblößt ihn oder lässt ihn ins Dunkel tauchen. In dieser ihr eigenen radikalen, gar minimalistischen Umgangsweise von Raum und Licht entstehen Werkwelten, deren Themen etwa wie das Flüchtige, die Leere, die Stille und das Sehen an sich umkreist werden“, so der Kurator.

M7-B-600

Peter Forster und Nicole Ahland beim Presserundgang; Foto: Hans-Bernd Heier

Die Künstlerin arbeitet ausschließlich ohne beleuchtungstechnischen Aufwand und in analoger Technik, mithin ohne jene Effekte, die eine digitale Fotografie ermöglicht. Ahland verzichtet, im Gegensatz etwa zu Ming Wong, grundsätzlich auf eine Inszenierung ihrer Motive.

Die Fotokünstlerin, die konsequent ihre Bildideen umsetzt, ist, wie sie selbst sagt, „eine langsame Arbeiterin, das Machen deswegen ein langwieriger Prozess, der nicht schnell geht“. Um die Veränderungen in einem Raum über eine längere Zeit darzustellen, fertigt sie Polaroids an. Diese sind für sie reines Arbeitsmaterial und übernehmen quasi die Funktion eines Skizzenbuchs, das den Augenblick für ihre analog fotografierten Rauminszenierungen festhält. Eine reizvolle Zusammenstellung von 30 gerahmten Polaroids im Landesmuseum verdeutlicht ihre Arbeitsweise.

M9a-650

Polaroids von Nicole Ahland; Foto: Museum Wiesbaden / Bernd Fickert, © VG Bild-Kunst, Bonn

In seinem Artikel „Die photographischen Lichtgemälde von Nicole Ahland“ schrieb der Herausgeber dieses Magazins: „Die Fotografien sind von malerischer Anmutung, erst auf den zweiten Blick überzeugt man sich von ihrer wahren Materialbeschaffenheit als Farbdrucke. Ihre Oberflächen sind matt, unverglast, der Betrachter kann sich nicht in ihnen spiegeln. Umso mehr hat er das Gefühl, in die fotografisch vermittelte Welt einbezogen zu sein“.

Ahland studierte von 1999 bis 2005 an der Fachoberschule für Gestaltung und an der Akademie für Bildende Künste der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz. Zahlreiche Einzelausstellungen sowie Stipendien und Förderpreise begleiten ihre künstlerische Entwicklung. In den letzten Jahren wurde sie u. a. mit dem
Ramboux-Preis der Stadt Trier (2010) und 2011 mit dem Albert-Haueisen-Preis für Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und das Elsass sowie im letzten Jahr mit dem Kunstpreis der Deutschen Gesellschaft für christliche Kunst – Gebhard-Fugel-Preis – ausgezeichnet.

Besucher der hervorragenden Lichtbilder-Schau von Nicole Ahland können zwei weitere Sonderausstellungen im Landesmuseum genießen:

Malerei von Hanns Kunitzberger und Katharina Grosse

M10-650

Hanns Kunitzberger, Raumansicht, Foto: Atelier Kunitzberger

Ahlands Werke korrespondieren aufs Trefflichste mit den Gemälden von Hanns Kunitzberger, die parallel zu sehen sind. Die Arbeiten beider Künstler sind Werke der Stille, die zur Kontemplation einladen.

„Die großflächigen Gemälde Hanns Kunitzbergers verändern Räume mit den Mitteln der Malerei“, schwärmt Alexander Klar, Direktor des Wiesbadener Museums. „Ihre besondere Qualität speist sich aus subtil changierenden Farbwerten, deren Schattierung sowohl flächige als auch dreidimensionale Anmutung besitzt. Die Schwerelosigkeit der Bilder steht im Kontrast zu ihrer weit strahlenden Wirkung, die sich aus der scheinbaren Bewegung der Farben ergibt“.

M11-450

Hanns Kunitzberger, Raumansicht, Foto: Atelier Kunitzberger

Der 1955 in Salzburg geborene Künstler arbeitete zunächst als Bühnenbildner, bevor er sich seit 1991 hauptberuflich der Malerei widmet. Ihn begeistern der Malprozess, bei dem er Farbschicht auf Farbschicht aufträgt, und die Veränderung der Farbe beim Trocknen. Unter dem Titel „Bildraum – Der Blick des Bildes“ werden seine Gemälde bis 20. September 2015 gezeigt. Das Museum Wiesbaden hat den heute in Berlin lebenden Künstler gebeten, ein neues Werk für die Räume der zweiten Ebene zu schaffen. Dafür hat Hanns Kunitzberger eine Raumkomposition mit großformatigen Leinwänden erarbeitet, die sich an den Rändern in Farbnebel aufzulösen scheinen. „Sie haben keinen Anfang und kein Ende. Sie sind ein Kontinuum“, so Alexander Klar.

Neben der großartigen Raumkomposition sind weitere gegenstandslose Werke aus den vergangenen fünf Jahre zu sehen, die einen Überblick über das künstlerische Schaffen Kunitzbergers geben. Die ungewöhnlichen Zeitangaben, zum Beispiel „Anfang – Mitte 2014“ verweisen auf den langwierigen Malprozess.

Als drittes Highlight präsentiert das Landesmuseum Papierarbeiten von Katharina Grosse – die bisher umfassendste Werkschau ihrer Malerei auf Papier. Aus ihrem reichhaltigen Fundus von rund 4.000 Papierarbeiten hat die Künstlerin knapp 100 aus den letzten 25 Jahren ausgewählt. Diese sind bis zum 11. Oktober 2015 in Wiesbaden unter dem geheimnisvollen Titel „Sieben Stunden, Acht Stimmen, Drei Bäume“ zu bewundern. Dabei stehen die sieben Stunden für die sieben Räume, in denen die Arbeiten gezeigt werden; die acht Stimmen für die acht Autoren-Beiträge des Katalogs, der Mitte August erscheint, und die drei Bäume für die Monumental-Installation, die Grosse eigens für den sogenannten Steinsaal des Museums kreiert hat.

„Katharina Grosse malt die Welt, wie sie sein könnte, wenn sie ihre Grenzen sprengt. Sie stellt mit den Mitteln der Malerei die Frage, wie wir leben wollen und wie eine Welt aussehen könnte, in der das Unbekannte und Unerwartete radikal-experimentell Gestalt annimmt. In Grosses Arbeiten sind Oberflächen so eingerissen, dass sie ihre Einheitlichkeit verlieren; sie sind so gefaltet, dass aus der Einfalt eine Mannigfaltigkeit entsteht; und die Ebenen sind so geschichtet, bis Öffnung und Beweglichkeit, Gleichzeitigkeit und Gleichwertigkeit sichtbar werden“, analysiert Kurator Jörg Daur.

Im Zentrum der großartigen Schau ist die raumfüllende Installation mit drei farbig besprühten Bäumen – umgeben von langen bunten Stoffbahnen – zu sehen. Die grandiose Installation, in der windgebrochene Bäume einschließlich Wurzelwerk und Stoffbahnen ineinander übergehen, hat die 1961 in Freiburg geborene Künstlerin in den letzten Wochen für den Saal gefertigt. Für Direktor Alexander Klar passt die Arbeit so fantastisch in ein Museum für Kunst und Natur, dass er sie gerne als Dauerinstallation behalten würde. Die Aussichten stehen nicht schlecht. Hat doch Katharina Grosse, die letzte Woche als vierte mit dem Otto Ritschl-Preis ausgezeichnet wurde, zugesagt, den mit 20.000 Euro dotierten Preis für den Ankauf zu stiften. Nach Ulrich Erben, Gotthard Graubner und Kazuo Katase ist sie die erste Künstlerin, die mit dem ehrenvollen Preis ausgezeichnet ist.

Katharina Grosse lebt und arbeitet in Berlin. Seit 2010 ist sie Professorin an der Kunstakademie Düsseldorf. Die international bekannte Künstlerin hat eine Fülle von Auszeichnungen und Stipendien erhalten. Ihr Werk ist mit zahlreichen nationalen wie internationalen Ausstellungen gewürdigt worden. Derzeit sind Arbeiten von ihr auch auf der Biennale in Venedig zu sehen.

Im Nassauischen Kunstverein Wiesbaden: Gemälde von Jagoda Bednarsky

Neben Ming Wongs Arbeiten sind im Nassauischen Kunstverein Wiesbaden bis zum 2. August 2015 mit „Synopsism“ auch Gemälde von Jagoda Bednarsky zu sehen. Ihre Arbeiten passen gut ins Konzept des Wiesbadener Kunstvereins, der in regelmäßigen Abständen junge regionale künstlerische Positionen präsentiert. Für die Frankfurter Städelschulabsolventin ist es die erste institutionelle Einzelausstellung.

M15-650

Jagoda Bednarsky „Vitava“, 2014, Öl und Lack auf Bucheinband; Courtesey Privatsammlung Frankfurt am Main

In der malerischen Bildwelt der 1988 in Goldberg (Polen) geborenen Künstlerin geht es um Fragen der Schichtung und um Ebenen der Verortung: Was ist im Bild? Was ist hinter dem Bild? Was ist vor dem Bild? Für die Antwort auf diese Fragen verwendet Bednarsky technisch-reproduzierte Grafiken und Fotografien aus Magazinen, Bildbänden und dem Internet und nutzt diese als objets trouvés. „Mit dem Collagieren und Übermalen von Gefundenem und Erfundenem entsteht eine scheinbar zufällige und mystische Synthese ambivalenter Wirklichkeiten, multiperspektivisch und sich wechselseitig durchdringender Bildebenen“, erklärt die Leiterin des Wiesbadener Kunstvereins, Elke Gruhn. „Als visuelle Darstellungstechniken nutzt die junge Künstlerin zudem Spiegelungen, serielle Wiederholungen, Doppelungen sowie Durchkreuzungen oder Vernetzungen, so dass ihre Bilder auf der Suche nach dem innewohnenden Zusammenhang von Information und Wissen eine rätselhafte auratische Stimmung entwickeln“.

„Me in Me“ von Ming Wong und „Synopsism“ von Jagoda Bednarsky: beide bis 2. August 2015 im Nassauischen Kunstverein Wiesbaden
„Nichtraum – Die Sache mit dem Licht“ von Nicole Ahland (bis 13. September 2015); Hanns Kunitzberger „Bildraum – Der Blick des Bildes“ (bis 20. September 2015) und „Sieben Stunden, Acht Stimmen, Drei Bäume“ (bis 11. Oktober 2015) – sämtlich im Museum Wiesbaden

Bildnachweis: Museum Wiesbaden (8); Nassauischer Kunstverein Wiesbaden (4); Hans-Bernd Heier (2)

Comments are closed.